erschienen im Hamburger Abendblatt am 31. Juli 2010
Von Johanna R.Wöhlke
Dieses Telefongespräch werde ich so schnell nicht vergessen. Unerwartet werde ich nämlich mit der Aussage konfrontiert: „Wenn ich mir überlege, dass mein Vater nur etwa 22 000 Tage gelebt hat!“ Diese Aussage sitzt. Das Gespräch geht weiter, und ich habe noch gar nicht nachzählen können. Wie viel Zeit ist das denn in Jahren, 22 000 Tage – so um die sechzig Jahre sind das wohl. Aber das Gespräch geht schon weiter, mittendrin in dieser Frage von Zeit und Leben.
Mein Gesprächspartner spürt meine Nachdenklichkeit und winkt den traurigen Aspekt seiner Aussage ab. Er ist einfach nur der Meinung, dass Menschen öfter einmal nachzählen sollten, wie viele Tage sie schon gelebt haben und was das für sie bedeutet. Das Leben sei doch schön und sollte doch möglichst genossen werden, auch wenn wir oftmals nicht das Gefühl hätten, es genießen zu können. Das sind Aussagen, die im „Wort zum Sonntag“ angesiedelt sein könnten. Aber mit Kirche hat mein Gesprächspartner meines Wissens nichts im Sinn. Mir fällt dabei das Lebensmotto eines verstorbenen Bekannten ein, der mit „carpe diem“, nutze den Tag, durchs Leben ging. Immer wieder hörte ich es ihn sagen.
Auch mein Telefonpartner scheint viel von diesem Motto zu halten. Er, so sagt er, wolle seine Zeit so verbringen, dass alle noch kommenden „Resttage“ seines Lebens nicht einfach so verstreichen und vergehen. Er wolle sie genießen, wirksam in seinem Leben sollen sie sein. Ob ihm das gelingen wird? Ich weiß es nicht. Aber dieses schöne Leben als ein Geschenk anzunehmen und möglichst oft in diesem Bewusstsein durch den Tag gehen zu können, das scheint mir ein schönes Lebensgefühl zu sein. Kein „Wort zum Sonntag“, ein Wort für jeden Tag!