Vortrag von Gino Leineweber aus Anlass der Gedenkveranstaltung 2010 von Hamburger Autorenvereinigung und VS Verband der Schriftsteller zur Bücherverbrennung vom 10. Mai 1933
Fahrenheit 451, das ist die Temperatur, bei der Papier Feuer fängt und Bücher sich entzünden, und das ist der Titel eines Romans des amerikanischen Schriftstellers Ray Bradbury. In diesem Buch beschreibt er eine Gesellschaft, in der Bücher verboten sind. Eine als Feuerwehr getarnte Institution, rückt immer dann aus, wenn Bücher gefunden werden, verbrennt sie und verhaftet die Besitzer.
Die Bevölkerung im Roman ist von allem fernzuhalten, was der Gesellschaftsstruktur schaden könnte. Insbesondere von Büchern. Sie bieten andere Ansichten, und erlauben in andere Welten einzutauchen.
Was für den normalen Leser, für den freien Menschen, der Hauptgrund ist, sich mit Büchern zu beschäftigen, nämlich seinen Horizont zu erweitern, ist für diejenigen, die ihrer eigenen Weltsicht zur kollektiven Wahrheit verhelfen wollen, ein Gräuel. So hat es und gibt es in allen Zeiten die Zensur. Eine unerträgliche Situation für jeden Schriftsteller, für jede Schriftstellerin, mit Forderungen konfrontiert zu werden, Teile einer Novelle oder eines Gedichts entfernen zu müssen, um veröffentlicht zu werden oder denen gar ein totales Veröffentlichungsverbot droht. Ein beeindruckendes Zeugnis, wie sich Schriftsteller in unterdrückten Gesellschaften fühlen, lieferte Osip Mandelstam im Jahre 1934 mit seinem gegen Stalin gerichteten Epigramm und den Eingangsversen:
„Wir Lebenden spüren den Boden nicht mehr, / Wir reden, dass uns auf zehn Schritt keiner hört…“
Ohne Bücher gibt es keine Bildung. Bücher regen das Denken an, sie erweitern unsere Vorstellungen. Das Denken der Dichter und Verfasser ergänzt, unterstützt und verändert unser eigenes Denken und damit die Welt, in der wir leben. Denjenigen, die ihre eigenen Vorstellungen, ihr eigenes Denken als allgemeingültig betrachten, und daraus Gefolgschaft herleiten, ist anderes Denken suspekt und muss, aus ihrer engen Sichtweise heraus, unterdrückt werden.
Aber sie sind unwissend, ignorant, wenn sie meinen, sie könnten das Denken anderer steuern, denn: „Die Gedanken sind frei…“, und das nicht erst, seit es in einem Volkslied verbreitet wird. Schon in den Schriften des 12. Jahrhunderts von Walther von der Vogelweide findet man diese Wahrheit, denn um nichts anderes handelt es sich. Wenn aber das Denken frei ist, dann sind es auch die Vorstellungen, und die Zensur zeigt sich als das was sie ist, als Ignoranz.
Das gilt vielleicht in noch größerem Maße für das Verbrennen von Büchern. In diesen Fällen sind die Gedanken der Verfasser bereits bekannt. Hier will man nicht nur verhindern, dass Gedanken und Vorstellungen neu in die Welt gelangen, sondern will sie zerstören. Man glaubt, wenn man ihre Bücher verbrennt, würden auch die Gedanken der Intellektuellen verbrannt, würden auch die Vorstellungen, die Welten, über die geschrieben wurde, die Visionen, die Beschreibungen von Elend und Leid, von Glück und Gewinn und die Gefühle verbrannt, die zu all dem geführt haben. Wie dumm, wie ignorant.
Wir gedenken heute einer Bücherverbrennung, die, initiiert und von langer Hand vorbereitet, von den braunen Machthabern um Hitler, im Rahmen der „Aktion wider den undeutschen Geist“, stattfand, willig durchgeführt von deutschen Professoren und Studenten, die alles, was dem Denken der Nationalsozialisten widersprach, was undeutsch war, aus den Bibliotheken ins Freie trugen und begeistert anzündeten. Flammende Ignoranz einer Gruppe von Menschen, die es eigentlich hätte besser wissen müssen.
Aber das war weder die erste, noch die letzte Bücherverbrennung. Auch nicht in Deutschland. In gebotener Kürze und ohne Anspruch auf Vollständigkeit einige Ereignisse, die das belegen:
Im 4. Jahrhundert wurde unchristliche Zauberliteratur verbrannt. 1242 kam es zur Talmudverbrennung in Paris, bei der sämtliche in Frankreich, England, Portugal und Spanien entdeckten jüdischen Bücher konfisziert und vernichtet wurden.
Verbrannt wurden 1415 die Werke des böhmischen Reformators Jan Hus und Ende des 15. Jahrhunderts Bücher in Florenz, unter anderem Boccacios Decamerone und alle Werke Ovids.
1501 wurde mit einer Päpstlichen Bulle der Scheiterhaufen für papstfeindliche Schriften angeordnet, und auf einem solchen landeten 1561 in Yucatán alle Texte der Mayas.
1650 begründete die Verbrennung religiöser Schriften in Boston eine lange Tradition von Bücherverbrennungen in den USA, und in Frankreich ließ 1793 Robespierre alle religiösen Schriften sowie Bücher über die französischen Könige verbrennen.
Eine Spitzenstellung in dieser Aufzählung nimmt der US-Amerikaner Anthony Comstock ein, der von 1844–1915 lebte, und sich puritanischer Weltanschauung verschrieben hatte. Er ließ etwa 120 Tonnen Bücher verbrennen. Seine 1873 gegründete New York Society for the Suppression of Vice (Gesellschaft zur Bekämpfung des Lasters), fügte nach seinem Tod weitere 80 Tonnen Literatur hinzu, von Autoren wie beispielsweise John Dos Passos oder Ernest Hemingway.
In den Anfangstagen des Ersten Weltkriegs wurden, als Vergeltungsmaßnahme gegen den Angriff deutscher Truppen, mit der Universitätsbibliothek der Katholischen Universität Löwen, unersetzliche mittelalterliche Handschriften niedergebrannt.
Als die USA 1917 in den Ersten Weltkrieg eintraten, wurden in mehreren Bundesstaaten unter dem Absingen patriotischer Lieder wahllos aus den Bücherregalen herausgegriffene deutsche Bücher den Flammen übergeben.
1953 erzwang der amerikanische Senator Joseph McCarthy im Zuge seiner „Kommunistenhatz“ in den USA die Beschlagnahme und teilweise Verbrennung inkriminierter Literatur aus den Bibliotheken der United States Information Agency.
Im Rahmen des Bürgerkriegs in Sri Lanka wurden im Mai 1981 mehr als 97.000 Bücher der tamilischen Jaffna Public Library ein Opfer der Flammen.
Ganz gezielt wurden auch einzelne Bücher verbrannt:
Augusto Pinochet ließ 1986 ungefähr 15.000 Exemplare des regimekritischen Buches Das Abenteuer des Miguel Littín – Illegal in Chile von Gabriel García Márquez verbrennen. Zwei Jahre später verbrannten Muslime Salman Rushdies Roman Die satanischen Verse. 2001 wurden in Pittsburgh, während eines „book burning“-Gottesdienstes J. K. Rowlings Harry Potter als Zauberliteratur verbrannt. Im selben Jahr in Indonesien Khalil Gibrans Gedichtband Der Prophet. Und natürlich wurde auch die Bibel verbrannt, beispielsweise erst kürzlich, im Jahre 2002, in Tiflis, und vor laufender Kamera traf es zehntausende „protestantischer” Bibeln.
Witzig (wenn es nicht so traurig wäre) erscheint der Erlass eines türkischen Landrats vom 30. März 2005 wonach in der südtürkischen Provinz Isparta, alle Bücher des späteren Nobelpreisträgers Orhan Pamuk aus den öffentlichen Büchereien zu entfernen und zu verbrennen seien. Die Bücherverbrennung fiel jedoch aus, da sich in den Buchregalen kein einziges Werk des schon vorher stark angefeindeten Autors befand.
Die Brandstifter glauben, sie müssten die Bücher beseitigen, um ihre eigene Macht, ihre eigene Sichtweise, ihren eigenen Anspruch auf die Welt, wie sie ihrer Meinung nach sein sollte, nicht zu gefährden. Sie beschimpfen die Schriftsteller und Schriftstellerinnen oder deren Bücher als blasphemisch, ketzerisch, unmoralisch, aufrührerisch, hochverräterisch oder undeutsch, wie bei dem Anlass, an den wir heute erinnern. Die Bücherverbrennung vom 10. Mai 1933 war innerhalb der vielen Verbrechen der Nationalsozialisten nicht einmal das Schlimmste. Aber es symbolisiert in besonderer Weise die Ignoranz mit der man damals kulturelles Gedankengut missbrauchte, und das Ereignis hat dazu beigetragen, dass im deutschen Volk ab 1933 die Vorstellung als Wahrheit angesehen wurde, es gäbe unterschiedliche Arten von Menschen, wertvolle und wertlose, und es trug damit zum Holocaust bei. Das Handeln der Anhänger Hitlers, insbesondere der „Deutschen Studentenschaft“, kann deshalb nicht isoliert nur als Ignoranz betrachtet werden, sondern, und das ist das gefährliche, als Fanal zur Vernichtung verschiedener Weltanschauungen und schließlich der Menschen dahinter.
An dieser Aktion, am 10. Mai 1933, lässt sich deutlich erkennen, dass der Geist, der die Flammen gegen die Literatur entfacht, nicht nur der Literatur schadet, sondern weit darüber hinausgeht. Die Bücherverbrennung von 1933 ist weitgehend vergessen, und dass es sich bei der „Aktion wider den undeutschen Geist“ um eine mehrwöchige Kampagne handelte, in deren Verlauf die geistes- und innovationsfeindlichen Repressionen der entstehenden NS-Diktatur anfingen, ihre eigentliche Wirksamkeit zu entfalten, ist weitgehend unbekannt. Deshalb ist es wichtig, immer wieder auf dieses Ereignis hinzuweisen. Einem Ereignis, das, trotz vieler gleichartiger, unvergleichlich in seinen Auswirkungen war.
Im Roman von Ray Bradbury sorgen die geheimen Bücherfreunde für das Scheitern der Diktatur. So wie sich dort die Liebe zu Literatur und damit zur Philosophie, der Liebe zur Weisheit, durchgesetzt hat, so wird sie sich immer und überall durchsetzen, denn diese Hinwendung ist im Charakter der Menschen angelegt, selbst wenn sie durch das Alltagsleben überlagert zu sein scheint. Die Wahrheit ist nämlich, dass die Gedanken frei sind, und daran ändert auch das Verbrennen von Büchern nichts. Möge niemand mehr unter der Ignoranz von Menschen leiden, die diese Wahrheit nicht verstehen.