erschienen in der PAZ
Von Dr. Manuel Ruoff
Emil Rathenau gilt als der erste Unternehmensmanager – Vor 175 wurde der Kaufmannssohn in Berlin geboren
Mit der Allgemeinen Elektricitäts-Gesellschaft (AEG) gründete Emil Rathenau den neben Siemens zweiten großen deutschen Elektrokonzern. Ein Vergleich mit Werner von Siemens bietet sich da förmlich an.
„Kommunismus – das ist Sowjetmacht plus Elektrifizierung des ganzen Landes.“ Diese Worte des Kommunisten Wladimir Iljitsch Lenin verdeutlichen sehr schön, welche Bedeutung neben dem russischen Revolutionär auch viele seiner Zeitgenossen dem elektrischen Strom beimaßen. Tatsächlich gab dieser nach der Einführung der Dampfmaschine nicht nur als Antriebsquelle der Industrialisierung neuen Schub. Und das deutsche Kaiserreich schwamm ganz vorne mit auf der Welle des Fortschritts. Neben der chemischen gehörte auch die Elektroindustrie zu den Paradedisziplinen der deutschen Wirtschaft. Zu nennen sind hier insbesondere Siemens und AEG. Beide wurden durch die Weltkriege ausgebremst und zurückgeworfen, aber ausgeschaltet wurden sie nicht, waren vielmehr auch noch in der Nachkriegszeit sehr erfolgreich. AEG ging dann 1996 in Daimler-Benz auf, Siemens existiert noch heute.
Siemens wurde von Werner von Siemens gegründet, AEG von Emil Rathenau, dem Vater des Reichsaußenministers Walther Rathenau, der 1922 den Vertrag von Rapallo abschloss und noch im selben Jahr einem Attentat zum Opfer fiel. Während Siemens noch die hergebrachte Kombination aus Erfinder und Unternehmer verkörperte, die ihre Erfindungen produzierte und verkaufte, gilt Rathenau als erster Unternehmensmanager. Im Gegensatz zu Siemens machte er mit fremder Leute Erfindungen Geld. Wie sehr Rathenau seiner Zeit voraus war, zeigt der Blick auf die Vorstände heutiger Dax-Unternehmen. Dabei zeigt sich – was manche beklagen –, dass die Vorstände zunehmend Juristen oder Betriebswirte sind, die mit den Produkten ihres Unternehmens nur noch sehr wenig zu tun haben und deshalb auch zwischen Gesellschaften der unterschiedlichsten Branchen problemlos wechseln können. Hauptsache die Kennzahlen stimmen.
Ein Pionier war Rathenau auch mit seiner Überzeugung, dass Unternehmen nicht den Zweck haben, vorhandene Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen, sondern Bedürfnisse nach den eigenen Produkten herzustellen: „Das Unternehmen muss den Markt selbst machen, um einkaufen und um verkaufen zu können.“
Diese Ansicht setzte eine offensive Werbung und eine aggressive Marketingstrategie voraus, welche die Menschen von ihren neuen Bedürfnissen überzeugte beziehungsweise sie weckte. Das Ziel war weniger der Kopf als der Bauch des potenziellen Kunden. „Glauben Sie nicht, dass selbst ein Ingenieur, wenn er einen Motor kauft, ihn, um ihn zu untersuchen, auseinandernimmt. Auch er als Fachmann kauft nach dem äußeren Eindruck. Ein Motor muss aussehen wie ein Geburtstagsgeschenk.“ Dieses griffige Zitat stammt zwar nicht von Rathenau selber, aber mit dem AEG-Baurat Paul Jorden doch von einem der führenden Mitarbeiter seines Unternehmens.
Auch ein anderer führender Mitarbeiter von AEG ist typisch für dessen Gründer: Peter Behrens. Behrens gilt als Schöpfer der „Corporate Identity“ und des „Corporate Design“. Emil Rathenau engagierte Behrens als künstlerischen Berater und übertrug ihm die komplexe Aufgabe, für ein einheitliches Erscheinungsbild von AEG in allen Bereichen zu sorgen. Das bezog sich von der Werbegrafik über Produktdesign bis hin zur Firmenarchitektur. Auf Behrens geht auch das heute noch verwendete Logo zurück.
Wie bei einem erfolgreichen Manager unserer Tage gehörte also auch zu Rathenaus Qualifikationen weniger die Entwicklung fortschrittlicher Produkte als die Fähigkeit zu delegieren. Im Gegensatz zum heutigen typischen Unternehmensführer hatte Rathenau allerdings – in diesem Punkte nicht von Siemens abweichend – eine technische Ausbildung. Im Gegensatz zu Siemens, dessen Vater ein wenig erfolgreicher Gutspächter war, wurde Rathenau jedoch in eine wohlhabende Kaufmanns- und Unternehmerfamilie hineingeboren. Sein Vater war der Kaufmann Moritz Rathenau, der eigentlich mit Vornamen Moses hieß. Seine Mutter war dessen Ehefrau Pauline Liebermann, deren Vater Josef Liebermann als erster in Preußen Baumwollstoffe mechanisch herstellte, die Wilhelmshütte im niederschlesischen Sprottau besaß und Landmaschinen nach englischem Muster baute. In der Wilhelmshütte konnte Rathenau dann nach dem Besuch des Gymnasiums volontieren. Der vierjährigen praktischen Ausbildung folgte ein Maschinenbaustudium in Hannover und Zürich.
Nur kurz war der Jungakademiker Rathenau mit der Lokomotivfabrik August Borsig und Arbeitgebern im englischen Mutterland der Industrialisierung bei anderen Unternehmen tätig. Bereits 1865 kaufte er mit einem Schulfreund eine eigene Firma. Da traf es sich günstig, dass die im darauffolgenden Jahr geheiratete Mathilde Nachmann die Tochter eines wohlhabenden Frankfurter Bankiers war und eine schöne Mitgift in die Ehe einbrachte. Trotz dieser Kapitalspritze ging das Unternehmen, das transportable sogenannte Einheitsdampfmaschinen herstellte, infolge der Gründerkrise 1873 in Liquidation. Rathenau hatte jedoch rechtzeitig sein Kapital aus dem Unternehmen herausgezogen und am Ende nur noch als dessen leitender Angestellter gearbeitet, so dass dessen trauriges Ende ihn nur seinen Arbeitsplatz kostete – und etwas Renommee.
Rathenau machte sich nun ohne erkennbare Hast auf die Suche nach einem neuen Betätigungsfeld. Nachdem er zuvor in den USA moderne Fertigungstechniken kennengelernt hatte, fand er es schließlich in der Elektrotechnik. Auf der Internationalen Elektrizitätsausstellung in Paris lernte er 1881 die von Thomas Alva Edison erfundene Glühbirne kennen. Rathenau erkannte das Potenzial der Erfindung und erwarb im darauffolgenden Jahr die Rechte zur wirtschaftlichen Nutzung von Edisons Patenten in Deutschland. Zu deren Verwertung wurde 1883 eine Aktiengesellschaft gegründet: die „Deutsche Edison-Gesellschaft für angewandte Elektricität“.
1887 wurde das Grundkapital von fünf auf zwölf Millionen Mark aufgestockt, die – wie der Name bereits vermuten lässt – ursprünglich vorhandenen engen Bindungen an die US-amerikanische Edison-Gesellschaft wurden gelöst und Edison wurde aus dem Namen der Aktiengesellschaft eliminiert. Aus der Deutschen Edison-Gesellschaft wurde die „Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft“ (AEG). Außer der Deutschen Bank konnte auch Siemens für eine Beteiligung an der AEG gewonnen werden. Mit Siemens gründete die AEG dann auch 1903 die „Gesellschaft für drahtlose Telegraphie m.b.H., System Telefunken“, ein weiteres Aushängeschild der deutschen Elektroindustrie. Überhaupt gehört zu den diversen Stärken Rathenaus auch seine gezielte Fusions-, Kooperations- und Beteiligungspolitik, die das ihre dazu beitrug, dass die AEG aus der Krise der Elektroindustrie um die Jahrhundertwende gestärkt hervorging und zu dem nationalen Konkurrenten des Platzhirschen Siemens aufstieg.
Wenn Rathenau auch nur Generaldirektor und nicht Besitzer der AEG war, so bemühte er sich doch um eine familieninterne Lösung seiner Nachfolge. Krankheitsbedingt begann er 1912 seinen Rückzug aus der Unternehmensführung und ließ sich zusehends von dem ihm einzig verbliebenen Sohn Walther vertreten. Während des Ersten Weltkrieges, in dem AEG nach Krupp, aber noch vor Siemens zweitgrößter Rüstungsproduzent des Kaiserreiches war, am 20. Juni 1915, starb Emil Rathenau in Berlin.