Rezension zur 4-teiligen Doku-Serie
von Liz Wieskerstrauch
SWR Fernsehen, 01.10.09, 08.10.09, 15.10.09, 22.10.09, jeweils 22:30 Uhr
Die suggestive Kraft des Therapeuten – Menschen zwischen Leid und Hoffnung
Von Götz Egloff
Liz Wieskerstrauch ist mit ihrer 4-teiligen Doku-Serie „Die Seelenflüsterer – Turbo-Coaching gegen Stress und Angst“ im Auftrag des SWR ein hautnaher Film gelungen, der in eindringlicher Weise die psychischen Probleme mehrerer Menschen zeigt – und wie eine Möglichkeit aussieht, diesen Problemen zu begegnen. Prüfungsangst vor dem Abitur, Zahnarztphobie, ADHS beim 11-jährigen Felix – eindrückliche Symptome vom „Nachbarn nebenan“, die mit einer neuartigen Coaching-Methode des Psychologenpaars Cora Besser und Harry Siegmund behandelt werden.
Dass die Macherin des Films Liz Wieskerstrauch ihr Handwerk versteht, ist keine Frage. Es gelingt ihr, dicht dran zu bleiben an den Menschen, ohne Intimitätsgrenzen zu überschreiten. Ein spannendes, gut geschnittenes Werk über ein schwieriges Thema. Umso bemerkenswerter, dass der Film zwischen angemessener Tiefe und zuversichtlicher Leichtigkeit wohltuend oszilliert.
Der 11-jährige Felix ist hyperaktiv. die Krankheit nennt sich ADHS und fühlt sich an, als würden alle Nerven bloß liegen. Er braucht viel Aufmerksamkeit.
Ein wenig kritische Reflektion der Coaching-Methode wäre allerdings wünschenswert gewesen: immerhin wirkt die Ableitung des Besser-Siegmund-Coachings aus der wissenschaftlichen Trauma-Therapie EMDR, die in der Anwendung nur einiger sehr spezieller psychischer Störungen indiziert ist und als nicht ungefährlich für manche Klienten gilt, etwas hausgemacht. Dass die – kaum umstrittene – Unzuverlässigkeit des kinesiologischen Diagnostik-Verfahrens gar nicht thematisiert wird, ist bedauerlich und erstaunlich zugleich. Den Handmuskeltest als diagnostisches Hauptkriterium für die Erklärung von Entstehungen psychischer Blockaden heranzuziehen hat etwas zu Engführendes – stattdessen kann man davon ausgehen, dass hier hauptsächlich die suggestive Kraft des Therapeuten am Werke ist. Es ist zu hoffen, dass das Ehepaar Besser-Siegmund dem zustimmen würde – zumindest um ihre beachtlichen Erfolge nicht in den Geruch unseriöser Angebote kommen zu lassen. Dass das Psychologenpaar die Kraft der Suggestion besitzt und auch nutzt, ist nichts Ehrenrühriges und wird im Film durchaus deutlich.
Ebenso nicht thematisiert wird die Langzeit-Wirkung des Coachings. In der Gesamtheit psychologischer Kurzzeitverfahren ist seit einiger Zeit immerhin eine klare Tendenz zu längeren Behandlungen zu verzeichnen. Die Zeit der Single-Session-Therapien scheint nun doch vorbei. Dauerhafte Veränderungen brauchen ihre Zeit, das weiß auch die Kurzzeittherapeuten-Szene nach der Euphorie des Sturm-und-Drangs der 90er Jahre sehr gut.
Unsere Seelenflüsterer, das Psychologen-Ehepaar Cora Besser-Siegmund und Harry Siegmund – Sie haben mit einem Muskeltest und mit ausgeführten Augenbewegungen ähnlich dem Schlaf eine besonders schnelle Coaching-Methode entwickelt : Wingwave.
Auch eine Ein-Jahres-katamnestische Nachbefragung der Klienten wäre wünschenswert gewesen, um vielen symptomgeplagten Menschen mehr Gewissheit um die Wirksamkeit des Besser-Siegmund-Coachings zu bringen und ihnen den Weg in psychologische Praxen generell zu erleichtern. Redlicherweise erklärt Harry Siegmund im Film, dass manchen Klienten durchaus zu langfristiger Psychotherapie geraten werden muss. Dass mittlerweile gerade bei schwereren Störungen wie Depressionen und Ängsten gute Behandlungserfolge mit der passenden Psychotherapie zu erreichen sind, ist leider noch nicht so bekannt wie zu hoffen wäre.
Das große Verdienst von Wieskerstrauchs Film liegt im wiederholten Blick auf die zunächst meist im Verborgenen liegenden Ursachen mancher Befindlichkeitsstörungen, etwas was seit Sigmund Freud eigentlich bekannt sein dürfte, dennoch immer wieder zu Überraschungen bei Klienten führt. Gerade bei Phobien steht ja die Angst vor einer speziellen Situation zumeist im Zusammenhang mit der sehr eigenen Bedeutung, die der Klient der Situation zuschreibt. Dazu können manche alltäglichen Situationen verdrängte Themen und Ereignisse – z.B. aus der frühen Kindheit, aber nicht nur aus dieser –, aufrufen, die dann Angst aufkommen lassen.
Die Abiturientin Jana M. hat extreme Prüfungsangst. Sie lässt sich von Harry Siegmund coachen und erfährt dabei, dass die Ursache dieser Angst eine frühkindliche Traumatisierung war. Danach besteht sie das Abitur ohne jede Aufregung.
Ein – kleiner, dennoch nicht zu vernachlässigender – Schwachpunkt des Films ist beim Thema ADHS
zu verzeichnen. Es ist schon unschön, dass die Sprecherstimme dabei von einer Erkrankung spricht – ADHS ist zunächst einmal ein Bündel von Verhaltensauffälligkeiten. Manchen davon kann man einen Symptomwert zubilligen; mehrere Symptome ergeben ein Syndrom. Es macht schon einen erheblichen Unterschied, ob der Klient als erkrankt bezeichnet wird oder – was auch schon problematisch ist – ein Syndrom diagnostiziert wird, das nicht selten etwas zuviel Gas gebende Jungs in etwas zu verkehrsberuhigten Familien beschreibt. In südeuropäischen Ländern wird nur selten solch eine Diagnose vergeben – dort gilt es als normal, dass Jungs viel Temperament haben.
Dass im Zusammenhang mit ADHS neben der Verhaltenstherapie weder analytische oder tiefenpsychologische Therapien erwähnt werden noch die psychologischen Familientherapieverfahren, die seit langen Jahren schon als Mittel der Wahl gelten und deren Wirksamkeit, jenseits einer sehr umstrittenen medikamentösen Behandlung, als im oberen Bereich eingeschätzt wird, ist höchst bedauerlich. Da hätte etwas mehr Fachberatung den Erkenntniswert des durchaus gelungenen Films noch gesteigert.
Die Seelenflüsterer – Turbo-Coaching gegen Stress und Angst
Ein Film von Liz Wieskerstrauch
SWR Fernsehen, 01.10.09, 08.10.09, 15.10.09, 22.10.09, jeweils 22:30 Uhr