Dieser Artikel erschien bereits am 4. Februar in der PAZ
Von Uta Buhr
LAND UNTER IN HAMBURG – DIE AUSSTELLUNG „DIE FLUT HAMBURG 1962“ IN DER BALLINSTADT
Es war eine Naturkatastrophe biblischen Ausmaßes, die Hamburg im Februar vor fünfzig Jahren heimsuchte. Ausgelöst wurde die Sturmflut vom Orkan „Vincinette“, der vom Nordpolarmeer über Island in Richtung Deutsche Bucht raste und die tief gelegenen südlichen Stadtteile der Hansestadt in der Nacht vom 16. auf den 17. Februar 1962 mit voller Wucht traf. Insgesamt 340 Menschen ertranken in den sintflutartigen Wassermassen. Unter dem Titel „Die Flut Hamburg 1962“ erinnert das Auswanderermuseum in der Ballinstadt auf der Veddel mit einer Ausstellung an dieses tragische Ereignis, das als „Jahrhundertflut“ in die Annalen der Hansestadt einging.
Im Haus 1 der Ballinstadt, einem schlichten roten Backsteingebäude, hat sich bereits am frühen Morgen eine Schulklasse aus Harburg eingefunden. Mit Verwunderung betrachten die Sechzehnjährigen die im typischen Stil der sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts eingerichtete Zimmerecke gegenüber dem Eingang. Neben zwei plüschigen Cocktailsesseln in rosa und hellblauen Bonbonfarben erweckt ein klobiges Radio ihr Interesse, aus dem gerade das Schluchzen einer Frau zu hören ist, die von den furchtbaren
Ereignissen der vergangenen Nacht berichtet, unterbrochen von den schrillen Sirenentönen der Einsatzwagen und einer Warnung der Polizei, auf etwaige Plünderer würde ohne Vorwarnung geschossen. Eine Reportage im O-Ton aus jenen Tagen, als Hamburg in den eiskalten Fluten der Elbe versank. Die Kinder schauen ihren Lehrer betroffen an, der die Sturmflut mit dem Tsunami in Südostasien vergleicht, an den sich alle noch erinnern können.
An den Wänden prangen riesige Schwarz-Weiß Fotos, die das Drama in chronologischer Folge dokumentieren: Während ein Bild in schwere Decken gehüllte Menschen mit vor Angst verzerrten Gesichtern auf einem Schlauchboot zeigt, ist auf dem nächsten ein Haus zu sehen, von dem nur noch das obere Stockwerk aus den dunklen Fluten ragt. Ergänzt wird das Schreckensszenario durch eine Reihe von Gegenständen aus jener Zeit, die bei der Bekämpfung der Katastrophe eingesetzt wurden – Rettungswagen, altertümlich anmutende Wasserpumpen, hoch aufgetürmte Sandsäcke, Schlauchboote und medizinisches Gerät. Audio- und Videoeinspielungen runden das Bild der dramatischen Ereignisse im Winter des Jahres 1962 ab.
Im angrenzenden Raum melden sich Zeitzeugen auf großflächigen Tafeln zu
Worte. Erschütternd ist der Bericht des seinerzeit einunddreißigjährigen Ewerführers Harry Braun, der seit 1960 bei der Feuerwehr tätig war. Eindringlich schildert er, wie er und seine Kollegen versuchten, Frau und Kinder des Neßsander Vogelwarts zu retten. Doch der Sturm hatte das Wasser so aufgewühlt, dass ihr Schlauchboot die Insel nicht erreichen konnte. Die Helfer
mussten tatenlos zusehen, wie das Haus der Familie in den Fluten versank. Ein traumatisches Erlebnis, das Harry Braun bis heute nicht vergessen hat. Weitere Einsätze folgten, bei denen der junge Mann sein Leben erneut aufs Spiel setzte. Er war auch unter den 100.000 Menschen, die zehn Tage später an der Trauerfeier auf dem Rathausmarkt teilnahmen. Eine Auszeichnung für seinen Einsatz aber lehnte er ab. Hanseaten nehmen keine Orden an. Lisa Hoffmann,
eine Bewohnerin der Veddel, dem neben Wilhelmsburg am heftigsten betroffenen Stadtteil, erinnert sich ebenfalls mit Grauen an die schrecklichen Tage, als die Flut ihr Viertel gänzlich unter Wasser setzte.
Vollgelaufene Keller und Autos, die wie Streichholzschachteln auf dem Wasser trieben, waren vielleicht noch das kleinere Übel, verglichen mit den Toten und jenen Menschen, deren ganzes Hab und Gut von den Wassermassen verschlungen wurde.
Ein alter Herr aus Wilhelmsburg zeigt sich tief bewegt von der Ausstellung:
„Genau so war es“, sagt er. „ Manche Menschen haben in den elbnahen Vororten und Dörfern auf den Dächern ihrer Häuser gestanden und auf Rettung durch einen Hubschrauber gehofft.“ Ihr Mann, so berichtet eine Frau in einer
Rundfunkaufzeichnung, habe seine Unterhose an einem Besenstiel befestigt und diesen hin und hergeschwungen, um auf sich und die Seinen aufmerksam zu machen. Sämtliche Zeitzeugen aber sind sich in einem einig: Die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung sei überwältigend gewesen, viele Bürger hätten Flutopfer freiwillig in ihren Häusern und Wohnungen aufgenommen und versorgt, um schon einmal die schlimmste Not zu lindern. Plünderungen habe es äußerst selten gegeben. „Und einem typischen Hanseaten sind wohl alle, die dabei waren, bis heute dankbar“, nimmt der Wilhelmsburger den Faden wieder auf. „Wenn unser damaliger Innensenator und späterer Bundeskanzler Helmuth Schmidt nicht so beherzt und unbürokratisch eingegriffen hätte“, sagt er zum Abschied“, wäre alles mit Sicherheit noch viel schlimmer gekommen.“
Die Ausstellung „Die Flut Hamburg 1962“ in der Ballinstadt auf der Veddel läuft bis zum 29. Februar 2012
Öffnungszeiten täglich von 10 bis 16.30 Uhr
Eintrittspreis: 12 €
Info: www.ballinstadt.de