Von Dr. Manuel Ruoff
Bei der Wahl des Bundespräsidenten gibt die politische Klasse dem politischen System der Bundesrepublik gerne einen volksnahen Anstrich. Großzügig verzichten die Politiker auf das Exklusivrecht, alleine zu bestimmen, wer an der Spitze des Staates steht, wohl in der Absicht, dem Erwählten dadurch die Aufgabe zu erleichtern, die Rolle des Landesvaters zu spielen.
So findet man in der Bundesversammlung neben Politikern auch Prominente wie Sportler und Künstler. Bei allem Respekt, aber diese zur Schau getragene Volkstümlichkeit erinnert an die Volkskammer der DDR. Da gab es auch solche Typen wie beispielsweise die Olympiasiegerin Heike Drechsler. Die konnten die SED-Bonzen getrost ins Parlament schicken. Bei denen konnte man sicher sein, dass sie richtig abstimmen und das Risiko, dass sie etwas Falsches sagen, war gering, da in der Volkskammer ohnehin wenig geredet wurde. Hauptsache sie stimmten richtig ab. Dass sie das taten, davon ging man aus, sonst hätte man sie ja nicht in die Kammer geschickt. Und die Gefahr, dass sie es sich als Ergebnis einer kontroversen Debatte anders überlegen, bestand auch nicht, denn die Volkskammer war zum Abnicken da und nicht für den Entscheidungsfindungsprozess.
All das kritisieren wir zu Recht an der Vor-„Wende“-Volkskammer. Und wo ist der Unterschied zur Bundesversammlung? Ohne Aussprache wird dort nur abgestimmt. Und dass ein Prominenter einmal nicht für die Partei beziehungsweise Fraktion stimmt, der er seinen Sitz in der Bundesversammlung zu verdanken hat, kann zwar einmal vorkommen – Missgeschicke passieren überall –, bleibt aber die absolute Ausnahme.
Und eine weitere Parallele gibt es: Beide Gremien sind keine legitime Alternative zum Volk als dem rechtmäßigen Souverän. Da hilft auch kein Hinweis, dass das deutsche Volk doch Paul von Hindenburg zum Präsidenten gewählt habe, der wiederum Adolf Hitler zum Kanzler ernannt habe. Schließlich hat Hindenburg mit Hitler nicht irgendeinen politischen Exoten mit der Regierungsbildung betraut, sondern den Vorsitzenden der stärksten im Reichstag vertretenen Fraktion. Mit analoger Logik könnte man also den Deutschen auch das Recht auf Parlamentswahlen verwehren.
Und auch das Argument, dass ein vom Volk gewählter Präsident eine ähnliche Autorität wie der Reichspräsident haben müsste, ist zweischneidig, hat Reichspräsident Friedrich Ebert sich dieser Autorität doch ausgiebigst zum Schutze der Republik bedient.
Abgesehen von diesen historischen Argumenten würde das System der Gewaltenteilung durch einen zusätzlichen Faktor, der im Schloss Bellevue sitzt, eine wertvolle Bereicherung erfahren.