Vor 125 Jahren eskalierte der Streit zwischen Berlin und Madrid um die Karolinen – Päpstliche Vermittlung als Ausweg
Von Dr. Manuel Ruoff
Im Jahre 1885 standen Spanien und das Deutsche Reich für kurze Zeit am Rande eines Krieges. Anlass des Konflikts der an sich befreundeten Länder waren eher drittrangige Interessen an einer pazifischen Inselgruppe. Die Art und Weise, wie Bismarck diesen Konflikt handhabte, zeigt anschaulich das meisterliche Geschick des Reichskanzlers bei der Wahrnehmung deutscher Interessen.
Bismarck vertrat den Grundsatz, dass Leistungen Gegenleistungen gegenüberstehen sollten. Es weckte deshalb seinen Widerstand, wenn europäische Nachbarn auf anderen Kontinenten Eigentumsansprüche auf Gebiete erhoben, in denen sie gar nicht präsent waren, und dann deutsche Unternehmen, die dort präsent waren, behinderten oder abzukassieren versuchten. Von dieser Einstellung ist seine Politik auf der Berliner Kongokonferenz von 1884/85 geprägt, wo es ihm gelang, die sogenannte effektive Besetzung als Voraussetzung für die Legitimität und Anerkennung von Ansprüchen durchzusetzen.
Mit der selben Einstellung trat er den Ansprüchen Spaniens auf die Karolineninseln entgegen. Als 1874 das deutsche Handelsschiff „Coeran“ von Hongkong aus nach den Karolineninseln auslaufen wollte, stellte der spanische Konsul in der chinesischen Hafenstadt die Forderung auf, dass vorher die spanischen Philippinen anzulaufen seien, um sich dort gebührenpflichtige Erlaubnisscheine ausstellen zu lassen. Mit vergleichbaren Forderungen wurden zeitgleich auch britische Schiffskapitäne konfrontiert. Begründet wurden diese Forderungen mit einer angeblichen Souveränität und Zollhoheit Spaniens über die Inseln. Für Berlin und London war Madrids Anspruch auf die Inseln ebenso neu wie diese Forderungen. Und Spanien hatte die Inseln nicht effektiv besetzt. Deshalb legten die deutsche und die britische bei der spanischen Regierung Protest ein. Nachdem eine Reaktion von spanischer Seite ausblieb, betrachten Berlin und London die spanischen Forderungen und Ansprüche als erledigt.
Ein Jahrzehnt später verdichteten sich jedoch Gerüchte und Indizien, dass Spanien die Besetzung nachholen wolle. Bismarck fasste daraufhin den Entschluss, lieber den Spaniern zuvorzukommen, als einer spanische Besitzergreifung mit allen ihren Folgen für den deutschen Handel tatenlos zuzusehen.
So erhielt die „Iltis“ am 31. Juli 1885 den Befehl, die Karolineninseln anzufahren und dort die deutsche Flagge zu hissen, sofern die Spanier dieses nicht schon getan hatten. Am 25. August erreichte das deutsche Kanonenboot die Hauptinsel Yap, wo ihr Kapitän erfahren musste, dass zwei spanische Schiffe mit der gleichen Mission schon seit dem 21. und 22. August vor Anker lagen und am darauffolgenden Tag die Inseln feierlich für Spanien in Besitz genommen werden sollten. Der „Iltis“-Kommandant entschloss sich daraufhin, den Spaniern im letzten Moment zuvorzukommen und nahm mit dem Hissen der deutschen Flagge noch am Abend der Ankunft die Inseln für Deutschland in Besitz.
In Spanien kam es hierauf zu einer antideutschen Reaktion, die Berlin schockierte. Nicht nur dass die spanische Regierung die deutsche Inbesitznahme nicht anerkannte, in Madrid kam es zu deutschfeindlichen Demonstrationen und Spanier legten ihre Handelsbeziehungen zu Deutschen auf Eis. Selbst ein spanisch-deutscher Krieg schien nicht mehr ausgeschlossen. Außer mit dem verletzten Nationalstolz einer gewesenen Weltmacht und dem Frust, dass die deutsche „Iltis“-Besatzung nur durch die Nachlässigkeit eigener Landsleute bei der Inbesitznahme der Karolineninseln schneller war, sind die Vorgänge in Spanien vor allem mit dessen innenpolitischer Situation zu erklären. Die eher deutschfreundliche konservativ-monarchistische Regierung fühlte sich durch ihre vermeintlichen deutschen Freunde verraten und die eher frankreichfreundliche liberal-republikanische Opposition nutzte die Chance, die Regierung mit deren Deutschfreundlichkeit vorzuführen.
Berlin war ob der Heftigkeit der spanischen Reaktion entsetzt. Während manche emotionsgeladen über Gegenmaßnahmen nachdachten, reagierte Bismarck einmal mehr als Realpolitiker. Er war von dieser Eskalation auch überrascht, bemühte sich aber in der ihm eigenen Anpassungsfähigkeit aus der Situation das Beste zu machen. Mit kühlem Kopf kalkulierte er die Folgen eines Krieges mit Spanien: Ein schneller Sieg durch eine Eroberung des Königreiches von See her schien ausgeschlossen. Der Handel mit Spanien wäre nachhaltig beeinträchtigt. Frankreich würde sicherlich die Gelegenheit nutzen, sich auf die Seite Spaniens zu schlagen. Das seit der Reichsgründung gepflegte Image eines saturierten Deutschland litte Schaden. Diese Nachteile und Risiken waren Bismarck die Karolineninseln nicht wert.
Er bemühte sich deshalb um einen Ausgleich. Seinen Vorschlag, eine dritte, befreundete Macht entscheiden zu lassen, lehnte die spanische Regierung ab, was darauf schließen lässt, wie sie ihre rechtliche Position einschätzte. In der spanischen Presse erschien nun der Gegenvorschlag, den Papst entscheiden zu lassen. Dieser Vorschlag schien unrealistisch, denn kaum wohl würde ein mehrheitlich protestantisches Land zwischen sich und einem katholischen den Heiligen Stuhl als Mittler akzeptieren. Doch Bismarck machte ihn sich zu eigen. Die spanische Regierung war einverstanden mit einer Vermittlung durch den Summus Pontifex. Und Leo XIII., der ebenso wie Bismarck seit dessen Abkehr von den Nationalliberalen ein Ende des Kirchenkampfes wünschte, fühlte sich geschmeichelt – und machte sich einen ihm von Berlin vertraulich zugeleiteten Kompromissvorschlag zu eigen, der nicht nur Deutschlands Handels- und Militärinteressen Rechnung trug, sondern auch Spaniens Ego streichelte. Dieser Vorschlag lautete, dass die Karolinen spanisch seien, aber die Deutschen Handels- und Niederlassungsfreiheit genössen und eine Kohlestation errichten dürften. Auf der Basis dieses (deutschen) Papstwortes kam es am 17. Dezember 1885 zu einer förmlichen deutsch-spanischen Einigung.
Für Bismarck war die Welt wieder in Ordnung: Bereits wenige Wochen zuvor war der spanisch-deutsche Handelsvertrag von 1883 für weitere fünf Jahre verlängert worden; und der Bischof von Rom brachte das Begraben des Kriegsbeils durch die Verleihung des Christusordens in Brillanten an den ehemaligen protestantischen Kulturkämpfer Bismarck zum Ausdruck.