erschienen im Hamburger Abendblatt am 2. September 2010
von Johanna R. Wöhlke
„Das Schwein ist noch auf der Autobahn!“ Gerd sagt das mit einem lachenden Gesicht in die Runde. Das Schwein auf der Autobahn? Er meint doch nicht etwa irgendeinen Menschen, den er nun gar nicht mag und dem er diesen „Ehrentitel“ angedeihen lässt? Nein, Gerd meint ein richtiges Schwein, ein gebratenes, Teile davon.
Hier sitzen nämlich viele Gäste und warten darauf, dass die Sommerkälte dieses Nachmittags durch innere Wärme vertrieben wird – angespornt durch heiße Getränke und stärkendes, heiß dampfendes Essen. Es ist nämlich Richtfest. Ein neues Haus wächst seiner Bestimmung entgegen.
Die Rede des Poliers auf dem Dach ist gehalten, die Korngläser kreisten in der fröhlichen Runde unter den Regenschirmen. Dann schnell an die gedeckten Tische im neuen Haus, durch Pfützen im Flur, an denen sich schon ein spielendes Kind vergnügt und mit Schäufelchen und kleinem Besen beim Hin- und Herplatschen in seinem Element zu sein scheint.
Ja, die Atmosphäre strömt Kälte aus und verlangt nach Wärme von innen! So ein Rohbau lässt erst erahnen, wie gut man sich später fühlen wird – wenn die Heizung läuft und die Fenster dicht sind!
Das Schwein ist also unterwegs, im heißen Bratbehälter, aber wie gesagt: Noch ist es auf der Autobahn, und es ist Freitag und – es muss durch den Elbtunnel nach Süden zu der wartenden Festgemeinde transportiert werden, das Nadelöhr nicht nur für Schweinebraten, sondern auch das Nadelöhr für alle, die im Süden der Stadt leben.
Egal – das Schwein kommt pünktlich genug an. Die Gäste freuen sich sehr, denn sie haben ja inzwischen schon die flüssige Vorlage für den Braten eingefahren – und alle stimmen in begeisterte Begrüßungslaute aus, als der dampfende Braten herein getragen wird. Und was sagt Gerd? Wie nicht anders zu erwarten, sagt er einfach nur: „Da haben wir aber noch mal Schwein gehabt!“ Johanna R. Wöhlke