Von Johanna Renate Wöhlke
Eine kleine schneereiche Glosse aus Hamburg im März 2013
Wir Schreibenden haben es ganz leicht mit den Jahreszeiten. Uns hemmt keine Regel, keine Verwaltungsvorschrift, kein Gesetz. Sogar die Charta der Vereinten Nationen kann uns nicht hindern, unserer Phantasie freien Lauf zu lassen. Wir haben es einfach – wir machen uns nur Gedanken: Plötzlich sind sie da, die Ergebnisse eines schneegesteuerten Denkprozesses im Spätwinter, der eigentlich schon lange ein Frühfrühling hätte sein können, es nicht wurde – und nun zum Schnühling degeniert ist. Richtig gelesen: Schnühling!
Der Schnühling ist offensichtlich die wettermoderne Zwischenjahreszeit, eingebaut zwischen Winter und Frühling, wenn der Schnee sich noch nicht entschieden hat, den blühenden Stiefmütterchen Platz zu machen und die erwartungsvoll in den Baum gehängten Ostereier sich mit weißer Schneehaube bestaunen lassen. Schnühling ist jetzt. Ein Blick aus dem Fenster macht es mehr als deutlich.
Der klimabesorgte moderne Mensch macht sich daraufhin Gedanken. Er muss dazu nicht unbedingt Journalist oder Schriftsteller sein. Denken reicht aus. Wenn es allerdings darum geht, diese bahnbrechenden Gedanken seinen Mitmenschen mitzuteilen, dann ist es nicht schlecht, in die Tasten zu greifen und den nicht verschneiten Buchstaben einen Besuch abzustatten.
Fangen wir also mit dem Winter an. Wir wissen in diesem Jahr 2013 aus leidvoller Erfahrung, dass ihm der Schnühling folgt bevor der Frühling sich durchsetzen kann, endlich durchsetzen kann. Wer weiß allerdings, wie schwer es der Sommer haben wird, seinen Platz in der traditionellen Zeitabfolge einzunehmen? Keiner weiß das. Deshalb rechnet der leidgeprüfte Schnühlinger auch mit einer weiteren Zwischenjahreszeit. Die wollen wir Frommer nennen. Hier also treffen sich Frühling und Sommer zum unentschlossenen Stelldichein.
Weiter ginge es dann nach meinem Dafürhalten mit dem Serbst, der Zwischenjahreszeit zwischen Sommer und Herbst. Wir sind nun also nach Winter, Schnühling, Frühling, Frommer, Sommer, Serbst und Herbst auf dem Weg zum Winter. Ehe der so richtig ausbrechen kann, ist allerdings die letzte jährliche Zwischenjahreszeit dabei, unsere Herzen und Gedanken zu erfreuen: der Stinter! In ihm vereinigen sich die Ungereimtheiten von Herbst und Winter und werden wahrscheinlich einen faden Nachgeschmack hinterlassen.
Wenn Sie mich nun fragen, wie sich diese Zwischenjahreszeiten genau ausprägen werden – ob der Stinter zum Beispiel bedeutet, dass wir einen vorverlagerten Winter bekommen oder einen spätverlängerten Herbst? Da müsste ich passen. So weit gehen meine hellseherischen Fähigkeiten nicht. Was ich allerdings mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu sagen in der Lage bin, ist dies: Schnühling, Frommer, Serbst und Stinter werden die Dichter nicht zu so wunderbaren Zeilen anregen wie: „Frühling lässt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte!“ Wer möchte schon Zeilen lesen wie die: „Schnühling lässt sein weißes Band wieder schneien durch die Lüfte. Verwirrt vom Hirne bis zur Hüfte streift er ahnungslos das Land…“ Ich wünsche Ihnen einen wundervollen Normalfrühling in der allernächsten Zukunft – vielleicht ja schon zu Ostern…
Foto: Wöhlke