Zum ersten Mal in Hamburg gezeigt: Wyrpypajews „Sauerstoff“

 Von Hans-Peter Kurr

(mit einem Begleittext der Schauspielerin Katharina Herzberg von Rauch)

Der Schüler aus der Schukin-Schule

Spannende und ereignisreiche Abende waren das in der Thalia-Dependance an der Gaußstrasse, an denen dort die Ergebnisse des „Studentenprojekts III Regie Schauspiel“ der hamburgischen Theaterakademie in der Gastgeberschaft des rührigen Thalia-Theaters gezeigt wurden. Eine von den insgesamt sechs gezeigten Produktionen soll hier und heute herausgegriffen und aus der Sicht zweier Generationen beschrieben werden. Deshalb berichten der Regisseur Hans-Peter Kurr (74) und die Schauspielerin  Katharina Herzberg von Rauch (24).

Hans-Peter Kurr

Der sibirisch-stämmige Autor Iwan Wyrypajew ( 38 )  ist in seiner Erst-Funktion Schauspieler, den diese Tätigkeit allerdings so wenig befriedigte, dass er an der international berühmten Moskauer Hochschule für Musik und Theater Schukin, die in ihrer Ausbildungqualität einen ähnlichen Rang einnimmt wie die deutsche „Busch“ oder das österreichische Reinhardt-Seminar –  aber leider globally weitaus weniger bekannt ist – eine Zweitausbildung als Regisseur absolvierte, bevor er eine eigene Theatergruppe gründete, die ihn in den Stand setzte, eigene Stücke zu produzieren und zu inszenieren.

Einige kluge Dramaturgen – der Minderheit der noch Lesefähigen in diesem Berufsfeld zugehörig – sowie der deutsche „Drei-Masken-Verlag“ haben ihn auf der Basis seines Einakters mit dem ominösen Namen „Sauerstoff“ durch Inszenierungen in Wien, Dresden und München international bekannt gemacht.

Und gerade deshalb: Besondere Hochachtung für die Nachwuchs-Regisseurin und Hochschul-Absolventin Laura Louise Brunner, die sich dieses sperrige Stück zum Vorwurf für ihre Abschlussarbeit gewählt hat. Die Realisation des Projektes mit den Schauspiel-Schülern AnnKathrin Doerig, Julia Sewing, Samuel Braun, Bastian Dullisch und Manuel Herwig zeigt einerseits die rege szenische Phantasie der jungen Spielleiterin, andererseits deren noch nicht sehr ausgeprägte Fähigkeit der Schauspielerführung, denn: Nicht nur, dass die Textur des russischen Bühnenautors eher ein undurchschaubar gesponnenes Netz zahlreicher, gesellschaftspolitisch gewiß relevanter, Kriterien bildet, die allerdings dramaturgisch durch Darsteller und Regie nicht ausreichend gebündelt wurden, um für den Zuschauer transparent zu werden, vielmehr führen auch die achtenswerten Versuche der Nachwuchsdarsteller, „ihren“ Figuren erkennbares Profil zu verleihen, eher zu einer Kette ehrgeiziger Einzel-Leistungen als zu einer wirklichen Ensemblebildung, die hier gewiss angebracht wäre.

Die Handlung ist nicht zu erzählen, weil es eine solche nicht gibt, die Inszenierung stellt sich insgesamt als ideenreich dar und berechtigt gewiss dazu, der Realisatorin die Plakette mit der Aufschrift „Bestanden“ anzuheften. Gratulor!

 

Katharina Herzberg von Rauch

Das Stück  Sauerstoff, inszeniert von Laura Brunner, hat bei mir beim Zuschauen eine Art Atemstillstand verursacht.

So schnelllebig und galaktisch raste es an mir vorbei und ich fand mich genau da wieder, wo ich vorher hergekommen war, nämlich in der Realität.

So vielseitig und facettenreich dieses Theaterstück umgesetzt wurde, so spiegelt es für mich am Ende die Menschheit, eine scheinbar erstickende Masse unterm Ozonloch, und das Schicksal nicht nur Alexs und Alexs da, sondern das Dasein eines jeden Menschen.

Das Ringen nach Sauerstoff wurde permanent deutlich, nicht nur als die Schauspieler beeindruckende eineinhalb Minuten die Luft anhielten.

Die Stimmung war berauschend, beinahe wie in einer Art Seifenblase, die zuvor bereits zerplatzt war.

Die Charaktere Alex und Alex sind mir irgendwo mit einer Kälte begegnet, so als wüssten sie einerseits, dass sie ihrem wahren Willen entgegen streben, aber trotzdem wie von einer Art Impuls dazu gezwungen sind, die Dinge so zu erledigen und zu werten, dass sie während eines ewigen Schnappens nach Sauerstoff dazu gezwungen sind, ihrem eigentlichen Dasein entgegen zu arbeiten.

Sehr schön umgesetzt fand ich die profane Welt mit Hilfe der riesigen Leinwand-Projektionen, die abgerissen wird. Der aufzeigt, dass wir alle im selben Kosmos leben, auch wenn es diesen schwarz-weiß Kontrast mit Hintergrund und Kleidung der Schauspieler gibt, verliert dieses schwarz-weiß Denken im Kosmos seinen Wert, denn dort herrschen andere Regeln. Ebenso zeigt mir der Kosmos neue Horizonte auf. Er zeigt mir, dass auch wenn jeder nur seine eigenen Tränen weint, seine eigene Religion lebt, sein eigenes Ding durchzieht, jeder doch nur eine kleine Mikrobe im Mikrokosmos ist und einfach keinen Durchblick hat, warum er eigentlich auf dieser Welt ist, wozu und was seine Bestimmung ist.

Die eine trifft sich mit tausenden Männern, liebt aber nur den einen?

Wenn sie schon lange begriffen hat, dass sie ja nur den einen, diesen einen Menschen liebt, wozu dann das Treffen mit all den anderen Männern?

Ansonsten wäre sie in einem Zustand angelangt, in dem sie Sauerstoff vielleicht gar nicht mehr in der Form benötigt. Das ewige Schnappen nach Luft, das Suchen nach dem Sauerstoff, ist ein unabdingliches Lebensphänomen und mir zeigt dieses Stück am Ende, dass trotz der Beklemmung, die in mir entstanden ist, man einfach das Leben nicht all zu ernst nehmen sollte und vor allem sich selbst nicht und vor allem anderen, vor allem nicht nur sich, denn ist man zwar immer in seinem Körper gefangen und mit sich selbst „allein“, doch sollte man ausbrechen und sich seine eigenen zehn Gebote machen und nicht die bereits vorgegebenen als wichtig erachten, wenn sich ja sowieso keiner daran hält.