Ukraine -2005-Januar

Von Dr. Ferenc Horvath
Die Prachtstrasse von Kiew, die Kreschtjatik ist immer noch blockiert. Man müsste es sich ungefähr so vorstellen, als ob in Berlin der Kurfürstendamm gesperrt wäre, und das für mehrere Wochen.  Die Autofahrer schimpfen nicht, die Mehrheit  führt mit sich sowieso eine orange Fahne mit der Aufschrift „TAK“ mit sich mit. Ob ein Mercedes ,ein Lexus oder ein Lada oder Tavrija, dort scheint das Volk heute vereint zu sein. Die Leute haben etwas Gemeinsames nach mehreren bitteren Jahren:
Eine eigene Revolution!

So wird die Massenbewegung in Kiew liebevoll genannt, die „orange Revolution“. Die Begeisterung ist allgegenwärtig und unübersehbar. Ob in den  Kiosks , ob bei den Straßenverkäufern an den Maidan – den eigentlichen Hauptplatz von Kiew,  die neue orange Relikvien werden überall zum Kauf angeboten und finden ebenfalls Abnehmer in großen Zahlen. Politische Werbeartikel aller Art, manche in minderwertiger Qualität, manche ganz ansehnlich, aber alle professionell dargeboten und vor allem; präsent. Viktor, mein Begleiter kauft mir mit vollem Stolz zwei „TAK“ Mützen und Schale. „Wir werden uns später daran noch erinnern!“, sagt er mir bei der Übergabe. „Es ist Geschichte!“, fügt er noch hinzu.
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Jedem war es bekannt, das Justschenko ebenfalls eine Figur der Nomenklatur war. „Die Wut über die maßlose Fälschungen von Janukovitsch, der übrigens rechtskräftig verurteilt wurde“, sagt mir  Gennadi, „ließ
alles in den Hintergrund rutschen“. „Es wird jetzt besser! “, er gibt sich voller Optimismus.

Wir kommen an das riesige Zeitlager in der Mitte der Stadt langsam näher.

ukraine7Passanten fotografieren überall. Das Lager selber ist nun abgesperrt.Hineingehen darf man nicht mehr. Nur einige sind geblieben um für die Ordnung  zu sorgen. Sie tragen Armbände, wie es sich bei einer Revolution gehört.

Als ich kurz davon erzähle, dass ich aus Hamburg komme, lädt er mich sofort in das geschlossene Territorium ein. Ich möchte es mit eigenen Augen ansehen, wo der politische Kampf ausgetragen wurde.Ukraine Andrii

Er stellt sich neben eine Gulaschkanone. „Hier haben wir gekocht. Es war bitter kalt, viel kälter als heute. Wir haben trotzdem durchgehalten, für die Ukraine, und für Justschenko. Keine hat hier Geld erhalten, wie es im Westen man erzählte. Die Zelte hat aber die Partei angeschafft. Dann kamen viele, aus vielen Städten. Jede Stadt hatte ein eigenes Zelt gehabt. Es gab ebenfalls ausländische solidarisierende mehrheitlich aus Russland und aus Weißrussland. Wir wollten alle eines, die Annullierung des Betruges!“
Er steht glücklich da mit seinen großen Arbeiterhänden:
ukraine3 „ Wir haben es geschafft!“

„ Die gegnerische Partei hat davon erzählt, dass Gelder aus den USA geflossen waren. Dass die USA hier einmischte, Rauschgift und warme russische Stoff-Stiefel lieferte. Das ist alles nicht wahr! Es war eine saubere Revolution! Sehen Sie sich die Plakate an. Dort steht alles, wie es war! „

Und tatsächlich gibt es eine Menge diesbezüglicher Plakate und Aufschriften überall,  entlang der Strasse.  Überall wehen die Ukrainische und die orangenfarbenen Fahnen.

„ Kommen Sie, kommen Sie schauen Sie sich das an!“, führt er mich in ein Zelt hinein. „Hier haben wir Wache gehalten. Das ist unser Tisch “, zeigt er auf eine dicke, auf dem Boden liegende Tafel aus Styropor. In der Ecke ist eine Umkleidekabine, rechts schlafen 6-8  Menschen ebenfalls auf Styropor auf dem Boden.

In der Mitte steht ein moderner Gas- Strahler. Eine Frau liest etwas, die andere packt zusammenukraine10. Sie wollen langsam alle nach Haus.

„Und wie ist es mit der mehrheitlich pro- Russische  Ost Ukraine?“, frage ich.

„Schauen Sie mal, hier ist das Zelt der Don Region. Sehen Sie sich das an! Den staatlichen Medien konnte man in den letzten Zeiten überhaupt nicht glauben. Sie haben nur desinformiert!“

Und tatsächlich, dort steht der Aufruf: „Kutschma vor Gericht!“

Als Jeanne d ´ Árc wird Frau Timoshenko abgebildet, wie Sie den Bösen besiegt.
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Zelte und Zelte überall. „Die Hälfte wurde bereits abgetragen“, sagt Viktor, „es ist nur der Rest“.

„Kein Alkohol wurde hier verkauft“, sagt er. Es ist allerdings schwer vorstellbar, da wenigstens Bier in jedem Nachbarladen reichlich vorhanden ist. Besoffene sieht man tatsächlich nicht. Ein wirkliches Massenphänomen  in der Ukraine!
ukraine5Neben den großen Militärzelten stehen einige kleinere da. Alle nummeriert. Die Organisation war scheinbar mehr als Perfekt!
Und genauso sieht es aus mit der Inszenierung des Endes dieser Bewegung. Das Volk muss nun wieder besänftigt werden. Dafür ist wieder Geld vorhanden. An allen wichtigen Straßenecken, überall auf den vielbefahrenen Wegen, auf kleineren aber auch auf Großplakaten stehen neue Aufrufe da:
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„Frieden mit euch!“
So einfach ist es. Und das Volk hört zu. Der neue Präsident wurde in der Zwischenzeit feierlich eingeweiht.  Es wird sich nun zeigen, wozu er in der Lage sein wird. Die Menschen haben viel getan um Ihn an die Macht zu bringen. Sie werden ebenfalls viel von Ihm erwarten!

Ist es nun Nationalismus, Patriotismus, oder eine Mischung aus diesen Gefühlen? Eins scheint sicher zu sein:
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Die Ukrainer haben eine Beziehung zu dem eigenen Land; Sie lieben es nämlich sehr. Es sind daher keine leeren populistischen Parolen, die die – übrigens mehrheitlich neu asphaltierten – Straßen von Kiew schmücken:

„ Liebe zur Heimat „ oder „Mein Kiew!“
Beim Abschied kann man nur den Wunsch äußern:

Lebt wohl! Viel Glück auf eueren neuen Wegen, Ukrainer!