Maskerade! Welch Zauberwort in jungen Jahren. Von meiner Mutter existiert ein Foto, auf dem sie als Torero posiert. Da sie als Zwanzigjährige wunderbar geschnittenes dunkles Haar und eine sehr biegsame Figur besaß, wirkte sie in ihrem Glitzeranzug wie ein echter spanischer Stierkämpfer. Sie erzählte gern von diesem Maskenball, dessen spannendster Augenblick die Demaskierung um Punkt Mitternacht war. Ein ganz großer Spaß. „Ach du bist es, Paulchen,“ hieß es dann oder „Lotti, ich war mir nicht sicher, ob du es bist.“ Und alle freuten sich, andere an der Nase herumgeführt zu haben.
In meiner Jugend gab es so etwas nicht mehr. Da ging man auf ein Kostüm- oder Kappenfest. Letzteres fand ich ziemlich öde. Besonders Onkel Willi sah mit seinem schief aufgesetzten Zylinder einfach lächerlich aus. Toll waren hingegen die Kostümfeste, auf die wir Kinder fantasievoll verkleidet gingen. Am liebsten verkörperte ich Minnehaha, die wir Kinder für die Schwester des edlen Indianerhäuptlings Winnetou hielten. Meinen rötlich-blonden Schopf zierte eine bunte Feder, die ich einem von Tante Ellas Hähnen heimlich ausgerupft hatte. Die bunte Kriegsbemalung meines Gesichts wirkte wie eine Maske. Meine kindliche Leidenschaft für Verkleidungen und Maskeraden verlor sich eigentlich nie. Sie besteht bis heute. Daher meine Vorliebe für „Schnutenpullis“, wie man in Schleswig-Holstein sagt. Aber davon später.
„Don Giovanni“ von Mozart ist neben dem Strauß’schen „Rosenkavalier“ meine Lieblingsoper. Die Szene, in der der Wüstling und Verführer Giovanni von mehreren maskierten Personen umstellt wird, denen er übel mitgespielt hat, ist eine der eindrucksvollsten in diesem dramma giocoso. Giovanni reagiert mit Spott und Herablassung auf die Verschwörer und ahnt nicht, was ihm blühen wird, wenn diese die Masken fallen lassen. Auf den reichen Protz Ochs von Lerchenau aus dem „Rosenkavalier“ wartet zwar nicht der Sensenmann. Aber er macht sich so lächerlich, dass er einen gesellschaftlichen Tod stirbt. Mit allen Konsequenzen. Eitel wie er ist, fällt er auf das Mimikry des jungen Octavio herein, der seine geliebte Sophie vor dem Lüstling bewahren will.
Masken in der Weltliteratur
Es gibt viele Beispiele in der Weltliteratur, die zeigen, wie Menschen mit Verkleidungen und Masken ihre Umgebung täuschen, um ihre mehr oder minder edlen Ziele zu erreichen. Schlag‘ nach bei Shakespeare. Nicht selten verbirgt sich hinter der Maske auch ein Verbrecher, der sein Incognito nutzt, um im Verborgenen einen Widersacher zu meucheln. Quelle: Guiseppe Verdis „Ein Maskenball.“
Aber in medias res. Seit nunmehr über zwei Jahren besuchen wir täglich einen wenig amüsanten Maskenball, der zu unser aller Leidwesen nicht nach der Demaskierung um Mitternacht endet. Solange nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie nicht genug medizinische Masken vorhanden waren, wurde von offizieller Seite verkündet, sie böten gar keinen Schutz gegen das Virus. Kurz darauf erfolgte dann eine Empfehlung zum Tragen einer Maske. Emsige Hände machten sich daran, in Heimarbeit Stoffmasken herzustellen. Eine Zeitlang reichten selbst Tücher jeglicher Couleur und Muster. Hauptsache war, dass sie Mund und Nase bedeckten.
Vom Maskenball zum Maskenkult
Inzwischen erleben wir einen veritablen Maskenkult. Man trägt sie je nach Gusto in allen Farben des Regenbogens. Manche wollen selbst im Auto oder unter freiem Himmel auf dem Fahrrad nicht von ihnen lassen. Offenbar haben viele sich mittlerweile an dieses Accessoire gewöhnt, als wäre es eine zweite Haut. Mir geht es auch so. Ohne besagten „Schnutenpulli“ fühle ich mich fast nackt. Dennoch schätze ich es nicht, wenn mir ein selbsternannter Blockwart oder – bitte gendern – eine Blockwärtin mit vor Empörung zitternder Stimme befiehlt: „Setzen Sie mal Ihre Maske ordentlich auf“, wenn diese einmal um ein paar Millimeter verrutscht ist. Auf der anderen Seite muss ich natürlich dankbar dafür sein, dass manch ein Kümmerer oder eine Kümmerin sich soviel Gedanken über die Hygiene im öffentlichen Raum macht. In U- und S-Bahn wird sogar zweisprachig auf die Einhaltung der Maskenpflicht hingewiesen. Fast martialisch beendet die Frauenstimme aus dem Off ihre Anweisungen mit einem kernigen „Ssänk ju werri matschsch.“
Der weise, leider viel zu früh verblichene Loriot hätte das Maskenphänomen wohl mit folgenden Worten auf den Punkt gebracht: „Ein Leben ohne Maske ist möglich. Aber sinnlos.“
Positive Nebeneffekte von Masken
Ich gebe zu, dass ich zuerst ein wenig mit der Maske gehadert habe. Das ist vorbei, seitdem die schicke, einem Melitta-Kaffeefilter nachempfunden Maske von höchster Stelle zur idealen Gesichtsbedeckung erkoren wurde. Das Teil erweist sich gerade bei älteren Semestern als segensreich, weil es unattraktive Mundfalten verdeckt. Als Ausgleich kann frau in der oberen Region rund um die Augen mit Mascara und fünflagigen falschen Wimpern in die Vollen gehen. Toll! Als ich mich gerade mit beidem eingedeckt hatte, hörte ich zu meinem Frust, dass die Maskenpflicht demnächst fallen soll. Da machen diese Spielverderber in der Regierung mir doch glatt einen Strich durch die Rechnung. Also echt – auf die da „oben“ ist wirklich kein Verlass!
PS: Beim Durchlesen meines Textes fällt mir auf, dass ich mich als Kind der „kulturellen Aneignung“ schuldig gemacht habe, als ich in die Rolle der „Indianerin“ Minnehaha schlüpfte. Bei dem Gedanken daran werde ich feuerrot vor Scham. Ich schwöre an dieser Stelle, dass mir ein solcher Fauxpas nie wieder unterlaufen wird. Heiliges Indianerehrenwort!