Zur Ausstellung „18/I ihr habt es alle gewusst“ von Ele Runge im Berenberg-Gossler-Haus, Hamburg-Niendorf
von Maren Schönfeld
Fotos: Ele Runge
Mit dem ersten Blick sieht das Auge grafische Formen, die wie Teppichmuster aussehen, allerdings fast nur in Schwarz, Grautönen und Weiß. Ich stehe zunächst weit entfernt. Deutlich und harmonisch erscheint mir das grafische Muster, oben und unten, rechts und links gespiegelt. Es strahlt eine Ordnung, Struktur und Symmetrie aus, die eine beruhigende Wirkung auf mich haben. Ich schaue diese Carpets, wie Ele Runge sie nennt, gern an. Dann trete ich näher und mit jedem Schritt vereinzelt der Blick die Elemente dieses Musters. Es sind keine grafischen Formen, sondern winzige organische: Menschen, gehend oder eng zusammen hockend, in Tücher gehüllt. Menschen, deren Gesichter resigniert sind. Menschen, die klagende Posen einnehmen, Menschen hinter Zäunen, Menschen auf der Flucht. Je tiefer ich in den Carpet eintauche, je dichter ich davorstehe, desto verstörender wirkt er. Trete ich zurück, verliert sich die Vereinzelung wieder, das Gebilde verwandelt sich erneut in eine grafisch strukturierte Fläche. Diese Symbolhaftigkeit empfinde ich sofort als stimmig: Die Masse des Leids berührt uns nicht, aber das einzelne Schicksal schon. Die vielen einzelnen Schicksale sind so eine große Masse, das sie uns überfordern. Wir nehmen sie als eine Art Abstraktion wahr. Bewegungen, Wanderungen finden statt, ohne dass wir sie beeinflussen können und egal, wie wir dazu stehen. Dort sind die Grenzen unserer auf Selbstoptimierung getrimmten Welt und dort ist auch der Rand unseres Suppentellers, über den hinauszuschauen Ele Runge uns auffordert. Continue reading „Unbunt eindringlich“