Von Menschen und Masken

Birgit Meyer, Dr. László Kova, Winfried Wöhlke, Alex Heinrich (hi. R. v. li. n. r.); Birgit Romann-Pontow, Witka Kova, Uta Buhr, Maren Schönfeld, Günther Falbe (v. R. v. li. n. r.) Foto: Tamara Jarchow

Maskerade! Welch Zauberwort in jungen Jahren. Von meiner Mutter existiert ein Foto, auf dem sie als Torero posiert. Da sie als Zwanzigjährige wunderbar geschnittenes dunkles Haar und eine sehr biegsame Figur besaß, wirkte sie in ihrem Glitzeranzug wie ein echter spanischer Stierkämpfer. Sie erzählte gern von diesem Maskenball, dessen spannendster Augenblick die Demaskierung um Punkt Mitternacht war. Ein ganz großer Spaß. „Ach du bist es, Paulchen,“ hieß es dann oder „Lotti, ich war mir nicht sicher, ob du es bist.“ Und alle freuten sich, andere an der Nase herumgeführt zu haben.

In meiner Jugend gab es so etwas nicht mehr. Da ging man auf ein Kostüm- oder Kappenfest. Letzteres fand ich ziemlich öde. Besonders Onkel Willi sah mit seinem schief aufgesetzten Zylinder einfach lächerlich aus. Toll waren hingegen die Kostümfeste, auf die wir Kinder fantasievoll verkleidet gingen. Am liebsten verkörperte ich Minnehaha, die wir Kinder für die Schwester des edlen Indianerhäuptlings Winnetou hielten. Meinen rötlich-blonden Schopf zierte eine bunte Feder, die ich einem von Tante Ellas Hähnen heimlich ausgerupft hatte. Die bunte Kriegsbemalung meines Gesichts wirkte wie eine Maske. Meine kindliche Leidenschaft für Verkleidungen und Maskeraden verlor sich eigentlich nie. Sie besteht bis heute. Daher meine Vorliebe für „Schnutenpullis“, wie man in Schleswig-Holstein sagt. Aber davon später.
„Don Giovanni“ von Mozart ist neben dem Strauß’schen „Rosenkavalier“ meine Lieblingsoper. Die Szene, in der der Wüstling und Verführer Giovanni von mehreren maskierten Personen umstellt wird, denen er übel mitgespielt hat, ist eine der eindrucksvollsten in diesem dramma giocoso. Giovanni reagiert mit Spott und Herablassung auf die Verschwörer und ahnt nicht, was ihm blühen wird, wenn diese die Masken fallen lassen. Auf den reichen Protz Ochs von Lerchenau aus dem „Rosenkavalier“ wartet zwar nicht der Sensenmann. Aber er macht sich so lächerlich, dass er einen gesellschaftlichen Tod stirbt. Mit allen Konsequenzen. Eitel wie er ist, fällt er auf das Mimikry des jungen Octavio herein, der seine geliebte Sophie vor dem Lüstling bewahren will.

Masken in der Weltliteratur

Es gibt viele Beispiele in der Weltliteratur, die zeigen, wie Menschen mit Verkleidungen und Masken ihre Umgebung täuschen, um ihre mehr oder minder edlen Ziele zu erreichen. Schlag‘ nach bei Shakespeare. Nicht selten verbirgt sich hinter der Maske auch ein Verbrecher, der sein Incognito nutzt, um im Verborgenen einen Widersacher zu meucheln. Quelle: Guiseppe Verdis „Ein Maskenball.“
Aber in medias res. Seit nunmehr über zwei Jahren besuchen wir täglich einen wenig amüsanten Maskenball, der zu unser aller Leidwesen nicht nach der Demaskierung um Mitternacht endet. Solange nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie nicht genug medizinische Masken vorhanden waren, wurde von offizieller Seite verkündet, sie böten gar keinen Schutz gegen das Virus. Kurz darauf erfolgte dann eine Empfehlung zum Tragen einer Maske. Emsige Hände machten sich daran, in Heimarbeit Stoffmasken herzustellen. Eine Zeitlang reichten selbst Tücher jeglicher Couleur und Muster. Hauptsache war, dass sie Mund und Nase bedeckten.

Vom Maskenball zum Maskenkult

Inzwischen erleben wir einen veritablen Maskenkult. Man trägt sie je nach Gusto in allen Farben des Regenbogens. Manche wollen selbst im Auto oder unter freiem Himmel auf dem Fahrrad nicht von ihnen lassen. Offenbar haben viele sich mittlerweile an dieses Accessoire gewöhnt, als wäre es eine zweite Haut. Mir geht es auch so. Ohne besagten „Schnutenpulli“ fühle ich mich fast nackt. Dennoch schätze ich es nicht, wenn mir ein selbsternannter Blockwart oder – bitte gendern – eine Blockwärtin mit vor Empörung zitternder Stimme befiehlt: „Setzen Sie mal Ihre Maske ordentlich auf“, wenn diese einmal um ein paar Millimeter verrutscht ist. Auf der anderen Seite muss ich natürlich dankbar dafür sein, dass manch ein Kümmerer oder eine Kümmerin sich soviel Gedanken über die Hygiene im öffentlichen Raum macht. In U- und S-Bahn wird sogar zweisprachig auf die Einhaltung der Maskenpflicht hingewiesen. Fast martialisch beendet die Frauenstimme aus dem Off ihre Anweisungen mit einem kernigen „Ssänk ju werri matschsch.“
Der weise, leider viel zu früh verblichene Loriot hätte das Maskenphänomen wohl mit folgenden Worten auf den Punkt gebracht: „Ein Leben ohne Maske ist möglich. Aber sinnlos.“

Positive Nebeneffekte von Masken

Ich gebe zu, dass ich zuerst ein wenig mit der Maske gehadert habe. Das ist vorbei, seitdem die schicke, einem Melitta-Kaffeefilter nachempfunden Maske von höchster Stelle zur idealen Gesichtsbedeckung erkoren wurde. Das Teil erweist sich gerade bei älteren Semestern als segensreich, weil es unattraktive Mundfalten verdeckt. Als Ausgleich kann frau in der oberen Region rund um die Augen mit Mascara und fünflagigen falschen Wimpern in die Vollen gehen. Toll! Als ich mich gerade mit beidem eingedeckt hatte, hörte ich zu meinem Frust, dass die Maskenpflicht demnächst fallen soll. Da machen diese Spielverderber in der Regierung mir doch glatt einen Strich durch die Rechnung. Also echt – auf die da „oben“ ist wirklich kein Verlass!
PS: Beim Durchlesen meines Textes fällt mir auf, dass ich mich als Kind der „kulturellen Aneignung“ schuldig gemacht habe, als ich in die Rolle der „Indianerin“ Minnehaha schlüpfte. Bei dem Gedanken daran werde ich feuerrot vor Scham. Ich schwöre an dieser Stelle, dass mir ein solcher Fauxpas nie wieder unterlaufen wird. Heiliges Indianerehrenwort!

Corona, Cofefe oder guten Morgen Bruno Gröning

Wenn man den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht
Bild: Reimer Boy Eilers

#Staywoke. Corona ist genauso wie Cofefe. Experten versuchen sich an Erklärungen, doch wir Alltagsmenschen schütteln erst einmal den Kopf und fragen uns einfach: Wie konnte das geschehen? Will man Corona verstehen, ist es durchaus hilfreich, sich Cofefe anzuschauen. Beide waren bis vor kurzem völlig unbekannt, dann erschienen sie am Horizont unserer Wahrnehmung und warteten nicht lange. Sie verbreiteten sich mit viralem Tempo über den Planeten.

Corona kam aus Wuhan zu uns, genauer, vom dortigen Wildtier-Großmarkt, Cofefe entwich dem Weißen Haus. Corona ist ein Lebewesen, Cofefe seine Parallele im Wortreich, es ist ein Wortwesen. Genauer gesagt, ist Cofefe eine Mutation des Wortes Covfefe – von Donald Trump, am 31. Mai 2017, um sechs Minuten nach Mitternacht mit einem Tweet in die Welt gesetzt. Er twitterte: „Despite the constant negative press covfefe.“ Trotz der ständig negativen Presse Covfefe.

Als ich jünger war, hörten wir den Song: „Am 30. Mai ist der Weltuntergang, wir leben nicht mehr lang, wir leben nicht mehr lang …“ Nun ja, mit dem 31. sind wir noch einmal haarscharf davongekommen, sieben Minuten trennten uns vom ominösen Vortag, aber alles ist in der Pandemie mit allem verknüpft, natürlich ist nicht nur der Tag, sondern auch die Uhrzeit für die Geburt von Covfefe von Belang, um Mitternacht, wenn der Schadenszauber seine Flügel breitet und die bösen Wünsche fliegen. Coronas Geburt liegt leider noch ein wenig im Ungefähren, doch ich würde drauf wetten, dass sie an einem der Weihnachtstage des Jahres 2019 „um Mitternacht“ geschah.

Wundern sollte sich niemand über die Parallelen im Wort- und Virenreich. Die Variante Cofefe ist eine Optimierung unter rein virologischen und pandemischen Aspekten. Die Mutation hat sich dem Menschen angepasst, sie geht glatter über die Zunge und hilft damit ihrer Verbreitung. Als Internet Meme verteilten sich beide Varianten augenblicks im digitalen Universum.

Bleiben wir noch einen Moment bei der Geburt. Sie ist etwas sehr anderes als die Verbreitung. Zuschlagen kann das Virus an jeden Ort und in den unterschiedlichsten Situationen. Wir alle sind das Zielobjekt viraler Attacken, in diesem Text künftig Ziviatt genannt. Doch die Geburt des Virus verlangt nach sehr besonderen Umständen. Nötig ist ein ungesundes wuseliges Treibhausklima voller divergentem menschlichen Verhalten, das in Endlosschleifen und auf engstem Raum um sich selber kreist und auf keine guten Ratschläge hört. Mit anderen Worten, es ist ein soziales Rührwerk, das als perfekter Brutreaktor fungiert. Ob Wildtiermarkt in Wuhan oder Weißes Haus unter Trump, aus virologischer Sicht konstatiert das aufgeschreckte Ziviatt: Passt schon! Wie rührend ist das denn? Fuck …

Fledermäuse und Schuppentiere

Apropos chinesischer Wildtiermarkt, da haben wir uns also einen großen Grabbeltisch mit Shopping zwischen Fledermäusen und Schuppentieren vorzustellen. Es heißt von berufener Seite, dass Artensterben, Umweltverschmutzung und Klimawandel das Virus begünstigen, wenn es im Begriff steht, vom Tier auf den Menschen überzuspringen. Im Weißen Haus sind das alles in den letzten Jahren Gähnthemen gewesen: entweder es gibt sie nicht oder nicht so wichtig. Vielleicht ist Cofefe also einfach ein Gruß von einem Viren-Hotspot zum anderen. Hi, Wuhan! Hau rein! Cofefe! Mir gefällt diese Erklärung.

Nun könnte ein allzu kluger Kopf oder sagen wir gleich, ein Schlaumeier, einwenden: Wie kann das angehen, wenn zwischen Cofefe und Wuhan zwei Jahre liegen? Aber das ist Old School, zu jeder Pandemie gehören alternative Fakten, und ich hege die Vorstellung, dass beide lange voneinander ahnten, Wuhan und das Weiße Haus. Manchmal brauchen Grüße so lange, um anzukommen, dann werden sie umso mehr geschätzt. Cofefe!

Natürlich wird der Betreiber eines sozialen Rührwerks, dem ein Virus entfleucht ist, das niemals zugeben. Hat man jemals von einem Beteiligten an einer Wirtshausschlägerei gehört, der gesagt hätte: Hallo, ich war’s! Ich habe angefangen. Die ganzen ausgeschlagenen Zähne nehme ich auf meine Kappe … Das wäre wohl ein Wunder. In Wuhan wurde der Arzt, der als erster auf Corona hingewiesen hatte, von den Behörden schikaniert. Als ob Shakespeare seine Hand im Spiel gehabt hätte, ist er am Ende sogar an dem Virus gestorben. Wir wollen ihn nicht vergessen, sondern ihn im Abspann nennen, Li Wenliang wurde nur 34 Jahre alt.

Den chinesischen Autoritäten hat das Leugnen wenig genützt. Wuhan wurde zur Geisterstadt. Auf den Intensivstationen brachen Ärzte vor Erschöpfung zusammen. Die ganze Welt mühte sich, ihre Grenzen vor dem Unheil aus Wuhan zu schließen.

Virenpate Donald Trump verfolgte eine andere Strategie. Er leugnete zwar nicht die Existenz von Cofefe, das wäre angesichts der massenhaften Retweets auch schlecht gegangen, aber er deutete seine Natur um und sprach von einem durchaus normalen Wort. Kein Keimling also – und basta! Ein Wort ohne Risiken und Nebenwirkungen. Mit dieser Botschaft schickte er seinen Pressesprecher ins Getümmel. Die Stimme des Weißen Hauses, Sean Spicer, sagte am Tag nach dem Tweet bei einem Journalistenbriefing: „Der Präsident und ein kleiner Personenkreis wissen ganz genau, was er gemeint hat.“

Mein Versuch, Cofefe zu deuten, ist nur einer unter vielen. Und da bin ich keineswegs traurig drum, im Gegenteil, die Welt der Viren ist bunt, wenngleich nicht immer zur Freude des menschliches Auges. Eine Unzahl von Ziviatten hat sich mittlerweile ihre eigenen Gedanken gemacht, viele haben ihren Weg ins Urban Dictionary gefunden. Für mich ist es also der Gruß rüber nach Wuhan. Beliebt im Netz sind auch folgende Auslegungen des Memes:

Der Versuch, klug rüberzukommen, wenn du nicht weißt, was Sache ist

Beispiel: Ich habe dem Robert-Koch-Institut grundlegende Fehler nachgewiesen, alles Cofefe.
Die Welt mit Tippfehlern ablenken, während man ihr gehörig eins auswischt.
Beispiel: Das Pariser Klimaabkommen ist heiße Luft. Wir bauen zehn neue Kohlekraftwerke. Cofefe!
Der Versuch, den Antichrist und seine Helfershelfer anzurufen.
Beispiel: Ich bin die Stimme der Bewegung. Fort mit der Lügenpresse! Pandemie? Bullshit. Ich kann es richten. Cofefe!

Was lernt der Ziviatt noch von Cofefe? Eine der förderlichsten Umweltbedingungen für seine Verbreitung liegt im sturen, uneinsichtigen, besserwisserischen und testosterongetränkten Verhalten seines Trägers. Insofern kann das Wortvirus seinem Geschick nicht genug danken, dass es auf den Potus Trump traf. (Potus hört sich irgendwie wie ein neuer Virus an, meint aber nur President of the United States.) Wäre Cofefe stattdessen einem Tweet von Joe Biden entfleucht, und der neue Präsident hätte gegrinst und gesagt: „Sorry, hab mich vertippt.“ – das Wortvirus wäre augenblicks wieder aus dieser Welt verschwunden. Trump dagegen, großmäulig wie ein Megaphon und unfähig, auch nur den kleinsten Fehler einzugestehen, war der ideale Superspreader.

Reisen wir mit den Viren von Wuhan übers Weiße Haus nach Deutschland. Die Corona-Pandemie, sagt die Kanzlerin, ist die größte Herausforderung für unsere Gesellschaft seit dem Zweiten Weltkrieg. Angela Merkel ist eine kluge Frau, und deshalb tun wir gut daran, uns in diese Epoche zu begeben und zu gucken, ob sie uns etwas zur Erhellung unserer Zeiten zu sagen hat. Was hat die Verheerung der Gesellschaft nach 1945 in den Köpfen ihrer Menschen bewirkt? Es muss nicht immer Pest und Mittelalter sein, auf die wir als Mahnung panisch und pandemisch schauen.

Wenn die Realität keinen Sinn mehr macht, flüchtet man aus ihr. Auf Dauer ist das womöglich unklug, doch über kurze Frist leuchtet es durchaus ein. Die hellsichtige – Hellseherin? – Hannah Arendt beschrieb den Urlaub von der Wirklichkeit, den sich viele Deutsche nach dem verlorenen Krieg nahmen, sie hatten einfach keinen Bock mehr darauf, „zwischen Fakten und Meinungen zu unterscheiden“. Wer wollte schon dem Schrecken, den die Deutschen angerichtet hatten, und dem Elend, das dann folgte, unverblümt ins Auge sehen? Nö, man hatte nichts gewusst, und schuld war man schon gar nicht.

Da hatte parallel zu Wirtschaftswunderzeiten eher der Wunderheiler Bruno Gröning Konjunktur. Seine Diagnose: „Jedes Wohnhaus ist ein Krankenhaus.“

Hexenverfolgung und Marienerscheinungen

Und damit hatte er vermutlich recht, jenseits der Spekulation auf einen großen Markt für seine Kunst. Oder hatte der Nationalsozialismus etwa nicht die Seelen der Deutschen zerstört? Die amerikanische Historikerin Monica Black von der University of Tennessee, die zu Bruno Gröning geforscht hat, berichtet, dass die Zahl der Hexenverfolgungen und Marienerscheinungen im Nachkriegsdeutschland rasant anstieg. Da füllte der deutsche Medicus des Supranaturalen, des Übernatürlichen, eine schmerzliche Lücke. Bruno Gröning konnte einen göttlichen „Heilfluss“, den er als Alternative zum herrschenden Elend versprach, in Richtung Seelenkur lenken. Seinen unübersehbaren Kropf verstand er selbst als „Schwellung durch ebendiese Kraft“. Der Heilfluss strömt bis heute. Immer noch besteht der Bruno-Gröning-Freundeskreis und rührt im Heilenden. Cofefe!

Wenn die Situation in einem Land allzu brenzlig wird, ist es quasi zwangsläufig, auf die Frage nach den Fakten ein übel riechendes Häuflein zu setzen und sich erfreulicheren Fantasien zuzuwenden. Ein berühmter Vorgänger und geistiger Ziehvater des Trumpschen Pressesprechers Sean Spicer war Comical Ali, wie ihn die Weltgemeinschaft taufte. Spicers Kollege befand sich seinerzeit, es war 2003, in Diensten von Saddam Hussein. Als die amerikanischen Truppen bei der Invasion des Iraks unmittelbar vor der Hauptstadt standen, erklärte der Informationsminister Mohammed Saif al-Sahaf aka Comical Ali: „Bagdad ist sicher. Die Ungläubigen begehen zu Hunderten Selbstmord vor den Toren der Stadt.“ Sehr komisch, aber oho!

Und nun von dem Ausflug in die Weltpolitik wieder zu uns nach Hause. Das Ziviatt ist durch zwei Eigenschaften gekennzeichnet: seine Verwundbarkeit und seine Angst. Beides ist natürlich miteinander verschränkt und führt über die schlechte Laune und schlechtes Benehmen in die Depression. Was kann der Mensch tun, um sich besser zu fühlen? Verdammt, dieses Virus ist so was von Cofefe! Ich respektiere das. Der Reiche hat objektive Möglichkeiten, nehmen wir als kulturelles Paradigma nur das florentinische Dekameron. Wer Ressourcen hat, kann sich isolieren, ohne groß auf Annehmlichkeiten zu verzichten. Er kann sich dabei sogar gut unterhalten.

Das schlechtbemittelte Ziviatt wird in das Reich der Wünsche und der Magie ausweichen. Entweder spielen wir die Gefahr des Virus herunter oder wir erhöhen auf spirituelle Weise unsere Unverwundbarkeit, am besten wirkt eine Kombination von beidem. Und bloß keine Maske tragen! Denn damit konstatiert das Ziviatt nur in aller Öffentlichkeit das Gegenteil. Der Maskenträger symbolisiert nichts als Stress und eigene Verwundbarkeit. Man wird ihn für krank und gefährlich halten. Das macht aggressiv, das Ziviatt möchte im Angesicht der Maske spucken wie ein Lama.

#Staywoke. Was lernen wir daraus? Das Ziviatt tröstet sich mit einer gesicherten Erkenntnis. Wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt irgendwo ein Comical Ali daher. Cofefe!

 

 

Psyche in Zeiten von Corona

Kommentar zu Robert Bering & Christiane Eichenberg (Hg.). Die Psyche in Zeiten der Corona-Krise. Klett-Cotta, Stuttgart, 2020 

Die Herausgeber Bering und Eichenberg legen mit dem vorliegenden Band, auch wenn dieser einige sinnvolle Kapitel enthält, einen Schnellschuss vor, der sich (die Hände in Unschuld) gründlich gewaschen hat und sich liest, als habe er jahrelang bereit gelegen, um nun rasch Corona ins Betreff zu setzen. Merkwürdig, dass die akademische Psychologie so still war zum 11. September 2001, zur Einführung von Hartz IV, zur Finanzkrise 2008. Der Verdacht ist nicht von der Hand zu weisen, dass hier wie dort willfährige Vollstrecker am Werke sind, die psychisch relevante Themen wie etwa die Ein- und Ausflüsse sogenannter globaler Eliten (vgl. Neckel et al. 2018) und „think thanks“ (Bertelsmann vor Corona: 30% der Krankenhausbetten bitte abbauen!) konsequent meinen aussparen zu können.

Wissen

Ein etwaiger Vorwurf des (Kultur-)Pessimismus der hier formulierten Einwände gegen eine Über-Therapeutisierung des Alltäglichen mag unvermeidbar sein, doch, wie der Heidelberger Psychoanalytiker Werner Balzer ganz zutreffend bemerkt, „als Bannfluch verdankt sich dieser Vorwurf selbst einem Ressentiment, einer affirmativen Fortschrittsmelodie, die für sich genommen noch keinerlei starke Argumente enthält“ (Balzer 2020, 11). Also gemach: wir wollen Coronaviren nicht in Frage stellen – das wäre töricht. Es ist hingegen sehr wahrscheinlich, dass die zurzeit in Rede stehende Variante nicht nur existiert, sondern auch gefährlich sein kann – nur wissen wir, die Öffentlichkeit, es eben nicht. Es kann von uns gar nicht gewusst werden. Doch auf die Idee, dass wir viel weniger wissen als wir zu wissen meinen, kommt auch der vorliegende Band nicht. Woher beziehen wir denn unser Wissen? Über die Bilderflut der Medien, die das Bild zwar vom Wort begleiten, es aber, wie nie zuvor, wirken lassen, unverhohlen behauptend: die Kamera lügt nicht. Doch ist es, so er existiert, immer der sprachliche Kontext, der entscheidend ist für irgendein Verstehen. Gleiche Bilder mit ganz unterschiedlichen Texten führen zu komplett konträren Interpretationen. Interessant ist ohnehin eher, welche Bilder nicht gesendet werden. Und so mutet es seltsam an, wenn Kapitel des in Rede stehenden Bandes mit Begriffen wie „Psychoinformation“ und „Wissen“ als resilientem, ja emanzipatorischem Ansatz aufwarten, ohne geklärt zu haben, um welches Wissen es sich überhaupt handelt (vgl. Egloff & Djordjevic 2020), diese vor allem aber kaum imstande sind zu halten, was sie zu versprechen antreten. So bleiben fast alle bearbeiteten Themen des Bandes unterkomplex, weil jene Zusammenhänge nicht ausreichend beleuchtet werden, in denen Mediales einerseits Wirklichkeit widerspiegelt, andererseits ebenso rasch ein Eigenleben gewinnt (Janus et al. 2020). Im ersten Teil wagt lediglich das Kapitel von Beck mit der Nennung von Günther Anders einen Schritt in die richtige Richtung. Doch haben wir es längst mit Verhältnissen zu tun, die Anders kaum erahnen konnte; so bewegen wir uns mittlerweile global im medialen Raum von Hyperrealität: ,„Hyperreality is a consequence of the expansion of technological communication systems that enable us to be globally connected” (Finkelstein 2007). Diese muss in jedem gesellschaftlichen Ereigniszusammenhang mitgelesen werden.

Medien

Ein Kapitel des Bandes rät gar zu Information mittels vorzugsweise öffentlich-rechtlicher Medien, jenen Medien, die seit Monaten rund um die Uhr ängstigende Infektionszahlen zu senden imstande sind, ohne irgendeine Inbezugsetzung zur täglichen Anzahl von Todesfällen in Vergleichsjahren vorzunehmen. Dass nicht nur diese Thematik hochgradig einseitig gehandhabt wird, ist mittlerweile bekannt, hierzu gäbe es dutzende Belege. Wo alle einer Meinung sind, wird wenig gedacht, soll Georg Christoph Lichtenberg festgestellt haben.

In beschleunigten Zeiten eine Ewigkeit ist es her, dass die Einführung des Privatfernsehens diskutiert wurde und die nordrhein-westfälische SPD seinerzeit verdienstvollerweise auf Kulturfenster bei den Privatsendern bestand. Diese Sender haben so oder so frischen Wind ins Fernsehen gebracht, teils mit geradezu subversiven Sendungsformaten, bis nach und nach das Niveau in sehr tiefe Täler abgesenkt wurde, was die Öffentlich-Rechtlichen auf ihren Hauptsendern in nicht unerheblichem Ausmaß und ohne jeden Finanzdruck meinten mitgehen zu müssen. Wir wurden Zeugen derer Einverleibung durch die Systemlogik, sodass über kurz oder lang entscheidende neue Impulse aus alternativen Medien kommen mussten. Wenn überhaupt, dann also bitte Öffentlich-Rechtliche zusammen mit privaten und alternativen Medien als Informationsquelle konsumieren! Man war auch früher schon gut beraten, Ost- und Westfernsehen zu mischen. Ob die Payback-Gesellschaft dies zu reflektieren imstande ist, ist fraglich – Payback bedeutet eben Revanche, und nicht etwa gütliche Rückzahlung.

Psychismus und empirische Wirklichkeit

Keine Frage, ältere und vulnerable Bevölkerungsgruppen zu schützen ist eine gute Idee, insofern konnte man einen „Lockdown“ ein Stückweit schon rechtfertigen. Etikettierungen gegenläufiger Einschätzungen als Verschwörungstheorie bleiben aber allzu oft undifferenziert, und aus dem akademischen Umfeld sollte allemal mehr zu erwarten sein (vgl. Agamben 2020). Unser „alter ego“ steht zumal ohnehin immer bereit, das Gegenteil des scheinbar Vernünftigen zu vollziehen (vgl. deMause 2000). Also: ganz grundsätzlich sollte man bei Etikettierungen als Verschwörungstheorie Vorsicht walten lassen –  wer hätte Befürchtungen um Leib und Leben deutschen Juden in der Weimarer Republik Verschwörungstheorie heißen wollen? Empirische Wirklichkeit würde sonst nur noch zu einem Psychismus, der mittels der richtigen Sprache zu korrigieren ist und in dem nicht einmal mehr der Versuch unternommen wird Realität zu ergründen, sondern jede Epistemologie komplett aufgegeben wird.

Und so werden im Band nicht selten Psychisches und empirische Wirklichkeit durcheinander gebracht. Auch Opfer sein wird da mal eben zu einem solchen Psychismus, mittels dessen empirische Wirklichkeit gegen Opfer gewendet und verwendet wird. Schon mal dran gedacht, möchte man fragen, wie gesellschaftliche Verwerfungen mit dem Aufstieg einer neuen Traumatologie zusammenhängen könnten? So wie Kindersymptomatiken oft durch die Behandlung der Eltern verschwinden, schaffen wir einen eben nicht kleinen Teil psychischer Problematiken selbst: Ein zunächst gut gemeinter und teilweise notwendiger äußerer Strukturverlust in den westlichen Gesellschaften ist mittlerweile zu einem inneren geworden, in dem nahezu jeder weitere äußere als normal erscheint (vgl. Egloff 2020). So war es bspw. für einen deutschen Spitzenmanager in den 80er Jahren schlicht nicht möglich, mehr Einkommen als Springer-Vorstand Peter Tamm zu erzielen. Was früher Neurose hieß, ist zur strukturellen Störung geworden, in der statt der neurotischen nun die perverse Lösung bevorzugt wird (vgl. Oberlehner 2011) bzw. die Lösung von Symbolischem und Realem und damit Imaginärem und Realem erfolgt (Rouse & Arribas 2011), eine bedenkliche Entwicklung, die auch aus ganz anderer Perspektive bestätigt wird (vgl. Sarraf et al. 2019). Nicht so in diesem Band: fast alles wird „manageable“. Virtualität ist nach dieser Lesart psychisch gar kein Problem, so smart vernetzt sind wir… Dagegen spricht sehr Vieles (vgl. Fuchs 2014).

Zum Schluss

Die ganz große Müllflut durch Kaffeebecher-to-go entstand bei uns erst, als die Alt-Damen-Cafés schließen mussten – weil Hipster sie nicht mehr hip finden wollten. Ciao Porzellan – willkommen, lieber Pappbecher! Die Inhalte des Bandes sind somit nicht etwa falsch, eher unterkomplex, rekurrieren vor allem aber nicht auf die eigenen Bedingtheiten. Oberflächenphänomene in Zusammenhängen zu denken und in historischem Kontext auszuwerten, da gibt es noch eine ganze Menge zu tun (vgl. Lentricchia & McAuliffe 2003); auf wenigen Textseiten ist dies bspw. vorbildlich für die Fernsehserie „Game of Thrones“ vollzogen worden (Janus 2020).

Doch letztlich ist der vorliegende Band in guter Gesellschaft. Auch kluge Köpfe wie Martin Dornes sind schon in die postmodernen Fallen des Positivismus getappt (Egloff 2015), und auch das „electronic tribe“ greift allzu gern zum alten Hut, der so gut sitzt (vgl. Lentricchia 1991). Daher gilt: Wer von Hyperrealität nicht sprechen will, sollte von Gesellschaftsphänomenen schweigen. Anzumerken bleibt, dass für manche sozial-helfenden Berufe der Band gewiss hilfreiche Anregungen bietet, die sich im dritten Teil finden; der zweite Teil zu therapeutischen Adaptationen bleibt dünn und wenig tragfähig.

Die gelungenen Strecken des Bandes, wenn es bspw. um vulnerable Gruppen geht, und um Arbeitslosigkeit, sind durchaus nützlich, und es gibt gute Kapitel wie das von Vlasak und Barth; andere braucht fast niemand. Bei forscherischem Interesse und für gesellschaftliche Hintergründe besser lesen: „Das Sensorische und die Gewalt“ von Werner Balzer, oder auch „White Noise“ von Don DeLillo.

 

Literaturhinweise:

Agamben G (2020). Das Denken muss sich befreien, und die Feier des Kultes muss ein Ende haben.      Neue Zürcher Zeitung, 14.5.2020.

Balzer W (2020). Das Sensorische und die Gewalt. Zum Seelenleben im digitalen Zeitalter. psychosozial, Gießen.

deMause L (2000). Was ist Psychohistorie? psychosozial, Gießen.

Egloff G (2015). La bête noire. In: Psyche – Zschr Psychoanalyse 69, 8, 756-765.

Egloff G (2020). Don DeLillo, White Noise (1984). In: Egloff G. Culture and Psyche. Lambert, Beau Bassin, 111-124.

Egloff G, Djordjevic D (2020). Preface. In: Egloff G, Djordjevic D (eds.). Pre- and Postnatal Psychology and Medicine. Nova Science, New York, VII-XVII.

Finkelstein J (2007). The Art of Self-Invention. I.B. Tauris, London/New York, 157.

Fuchs Th (2014). The Virtual Other: Empathy in the Age of Virtuality. In: J Consciousness Studies 21, 5-6, 152-173.

Janus L (2020). Nutzung der Pränatalen Psychologie zu einem vertieften Verständnis der Serien „Game of Thrones“ und „The Walking Dead“. In: Janus L. Texte zur pränatalen Dimension in der Psychotherapie. Mattes, Heidelberg, 172-190.

Janus L, Linderkamp O, Djordjevic D, Egloff G (2020). Einflüsse des Pränatalen in Psychosomatik und Gesellschaft. In: gyn – Prakt Gynäkol 25,1, 53-55.

Lentricchia F (1991). Tales of the Electronic Tribe. In: Lentricchia F (ed.). New Essays on White Noise. Cambridge UP, Cambridge/New York, 87-113.

Lentricchia F, McAuliffe J (2003). Crimes of Art and Terror. Chicago UP, Chicago.

Neckel S, Hofstätter L, Hohmann M (2018). Die globale Finanzklasse. Campus, Frankfurt.

Oberlehner F (2011). Von der Normalneurose zur Normalperversion. In: Langendorf U, Kurth W, Reiss H, Egloff G (Hg.). Wurzeln und Barrieren von Bezogenheit. Mattes, Heidelberg, 275-291.

Rouse H, Arribas S (2011). Egocracy. Marx, Freud and Lacan. diaphanes, Zürich.

Sarraf MA, Woodley of Menie MA, Feltham C (2019). Modernity and Cultural Decline. A Biobehavioral Perspective. Palgrave Macmillan, Cham.

 

 

Leben in Zeiten der Pestilenz

Bild von Sumanley xulx auf Pixabay

Im Augenblick scheint die Zeit still zu stehen. Wo sonst das Leben tobt, herrscht Stille. An manchen Orten gar Friedhofsstille. Das Coronavirus, die Pestilenz des 21. Jahrhundert, hat uns fest im Griff. Es kommt auf leisen Sohlen daher, völlig unsichtbar und geruchlos.

Ganz anders als der Schwarze Tod längst vergangener Jahrhunderte, der die Menschen mit Beulen übersäte, die so bestialisch stanken, dass die Pestärzte ihre Nasen hinter langschnäbeligen Vogelmasken verbargen. Diese Maskierung hat sich bis auf den heutigen Tag im Karneval von Venedig erhalten. Im Mittelalter, als die Pest tobte, flohen jene, die es sich leisten konnten, auf ihre Landsitze, um der Ansteckungsgefahr in den engen Gassen der Städte zu entkommen. Jene, die infiziert zurück blieben, starben in der Regel einen grausamen einsamen Tod, weil jeder, der noch gesund war, sich nicht an die Kranken heran traute. Wie wir heute wissen, wurde die Pest durch Ratten, die seinerzeit eine Art unliebsame Haustiere waren, übertragen. Genau genommen von den Flöhen, die im Pelz der Nagetiere siedelten. Mangelnde Hygiene und das enge Zusammenleben von Mensch und Tier waren der Grund, warum sich die Seuche wie ein Lauffeuer unter der Bevölkerung ausbreitete und Abertausende von Opfern forderte. In seinem Bestseller „Die Pest“ versetzt Albert Camus, französischer Literatur-Nobelpreisträger von 1957, uns in die algerische Stadt Oran, die völlig unerwartet von der Pest heimgesucht wird. Als die Menschen an einem bereits in den Morgenstunden extrem heißen Tag aufwachen, finden sie überall tote Ratten, aus deren Lefzen Blut rinnt. Am Anfang nehmen die Bewohner Orans das Phänomen lediglich mit Verwunderung und Ekel zur Kenntnis, bis die Seuche sich zu einer Pandemie ausweitet. Wenn Covid 19 auch nicht die Pest ist, so sind Parallelen zu unserer heutigen Situation unverkennbar. Ein absolut lesenswertes Buch, von dem der Rowohlt Verlag gerade seine 90. Auflage druckt. Zu empfehlen ist das Original in französischer Sprache, das bei folio erscheint und in jeder guten Buchhandlung zum Preis von 11 Euro bestellt werden kann. Da die meisten von uns zurzeit ohnehin viel Muße zum Lesen haben, bietet „La Peste“ sich an, brachliegende Französischkenntnisse aufzufrischen, zumal Camus sich einer schnörkellosen Sprache bedient, die ohne langatmige Schachtelsätze auskommt und somit relativ leicht zu lesen ist. Sein Stil entspricht dem Ideal französischen Denkens, das treffend mit „clareté cartésienne“ umschrieben ist.

Schlangen, Schildkröten und Gürteltiere

Aber zurück zur Coronakrise, die uns so kalt auf dem falschen Fuß erwischt hat. Der Schuldzuweisungen gibt es viele. Die Chinesen sind mit ihrer Verschleierungspolitik verantwortlich für die Pandemie, heißt es mehrheitlich. Hätte die Regierung rechtzeitig mit offenem Visier gekämpft, wäre China und dem Rest der Welt viel erspart geblieben. So die öffentliche Meinung. Aber woher kommt nun dieses neuartige Virus (lateinisch Gift)? Etwa von den Tiermärkten in China, auf denen sowohl lebende Schlangen als auch Schildkröten, Gürteltiere und andere exotische „Leckerbissen“ angeboten werden. Oder gar von den Fledermäusen, die sich in Höhlen aufhalten, in denen listige Reptilien auf sie lauern, um sie alsbald mit Haut und Haaren zu verschlingen? Wahr ist, dass die chinesische Küche alles verwertet, das da kreucht und fleucht. Schlangen gelten nun einmal als besondere Delikatesse, und das nicht nur bei den Einheimischen. Während meines längeren Aufenthalts in Hongkong lernte ich Franzosen kennen, die regelmäßig bei einem großen Fresstempel in Guangzou (Kanton) nachfragten, ob sie „snake soup“ auf der Speisekarte hätten. Ein Hochgenuss, wie mir versichert wurde, schmeckt wie ganz feines Hühnerfleisch. Ich selbst habe diese dunkle Brühe nie gekostet, weil ich einen Horror vor Schlangen habe. Aber nun sollen diese Kriechtiere schuld an Covid 19 sein, die sich durch den Genuss von Fledermäusen infizierten? Manche behaupten gar, die Chinesen verspeisten Fledermäuse. Bei so vielen Meinungen und noch mehr Gerüchten weiß letztlich keiner mehr, was Sache ist. Dass die Seuche sich besonders in Norditalien ausgebreitet hat, wurde zunächst auf einen Europäer zurückgeführt, der sich vorher in Wuhan aufgehalten hatte, wo Covid 19 ausgebrochen war, bis schließlich die vielen chinesischen Arbeitskräfte in der Textilindustrie Norditaliens als Sündenböcke herhalten mussten.

Normal ist etwas anderes

Gleichwohl, wer es auch immer gewesen sein mag, wir sitzen alle in der Falle. Während viele sich im „Homeoffice“ befinden, also jetzt ihre Arbeit von zu Hause verrichten, oder jene, die zwangsweise pausieren müssen und um ihren Job bangen, „ist die Lage hoffnungslos, aber nicht ernst,“ wie es einst der unübertreffliche Satiriker Karl Kraus formulierte. Genau genommen stimmt diese Aussage sogar. So wird uns von höchster Stelle versichert, dass die Ausgangssperre nach Ostern nach und nach gelockert werden soll. Normal ist immer noch etwas anderes. Doch Frankreich gegenüber sind wir klar im Vorteil. Ich las gerade. dass die Pariser Bevölkerung sich gerade einmal einen Kilometer von ihrer Wohnung entfernt täglich für eine Stunde aufhalten darf zwecks Einkauf oder Spaziergang. Joggen hingegen ist strikt verboten. Warum? Das können auch die Polizisten, die die „Ausflügler“ akribisch kontrollieren, nicht erklären. Alles par ordre de mufti – und da gibt es nun mal nichts zu hinterfragen. Compris? War es nicht ein prominenter Franzose, der weiland predigte – Zitat: „Das ganze Unglück der Menschen rührt allein daher, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermögen.“ Ein Ausspruch des berühmten französischen Mathematikers Blaise Pascal, eines Zeitgenossen und Bewunderers von René Descartes, der sicherlich stundenlang in seiner Studierstube über mathematischen Formeln brütete und dabei die Zeit vergaß. Suum cuique – jedem das Seine, lieber Monsieur Pascal. Aber wo ständen wir heute, wenn sich keiner unserer Vorfahren vor seine Höhle gewagt hätte und ins Ungewisse getreten wäre? Es gäbe unendlich viel aufzuzählen. Aber lassen wir es dabei, dass wir weder Telefon noch Internet hätten. Vom Computer, an dem viele von uns ihre tägliche Arbeit verrichten, ganz zu schweigen. Auch dieser Artikel, den ich gerade schreibe, käme nicht in das Online-Magazin der Auswärtigen Presse e.V. Wir werden in einer nicht zu fernen Zukunft wieder auf die Straße, ins Theater, in Konzerte und auf Ausstellungen gehen können. Das gleiche gilt für Sportveranstaltungen, Schwimmbäder und Muckibuden. Freuen wir uns also auf die Post-Corona-Zeit! Was pflegte doch meine kluge, im 97. Lebensjahr gestorbene Mutter zu sagen, wenn eine Situation ausweglos erschien: „Kein Zustand dauert ewig.“ Genauso ist es. Mein Lieblingssatiriker Harald Martenstein wies in seiner letzten Glosse darauf hin, dass Mails neuerdings nicht mehr mit dem üblichen Kürzel mfg – mit freundlichen Grüßen – geschlossen würden, sondern mit bsg – bleiben Sie gesund – im Falle von Duzfreundschaften schlicht mit bg – bleib gesund.

Ich meinerseits wünsche Euch allen von ganzem Herzen:
Bleibt’s g’sund. Und auf sehr bald in alter Frische!

Eure
Uta Buhr