Sommer- Eisbrecher „STETTIN“

Von Michael Buschow

Nostalgie unter Dampf

Die Stettin

Kühle Getränke und Snacks an Oberdeck, Passagiere, die die frische Seeluft genießen – Travemünde, Kieler Woche, Ostsee und Unterelbe, Sommer, Sonne und Urlaub. Das kann nur eine Reise auf einem weißen Kreuzfahrtschiff sein.

Aber ganz falsch! Es handelt sich um die alljährliche sommersaisonale Fahrtzeit des größten kohlebefeuerten Dampfschiffes der Welt – und es ist die alte Dame „STETTIN“, der imposante Oldtimer-Eisbrecher mit der wechselvollen Geschichte und der noch ungewöhnlicheren Gegenwart, denn Eisbrecher fahren ja normalerweise nur im Winter und brechen Eis.

Erbaut 1933 auf den Oderwerken in Stettin hatte das Schiff die wichtige Aufgabe, die Odermündung und die Seewege der Ostsee eisfrei zu halten. Nach dem  Zweiten Weltkrieg war das Eisbrechen der Auftrag der „STETTIN“ auf der Unterelbe zwischen Hamburg und Cuxhaven. Anfang der achtziger Jahre drohte dem Schiff mit der hohen Kommandobrücke und dem dicken Schornstein wegen zu hoher Betriebskosten und Personalmangels bei den Heizern das Aus.

Eine Gruppe Schifffahrtsenthusiasten um den Buchautor Hans-Georg Prager rettete 1981 den Dampfer vor der Verschrottung und hier nun begann die zweite Karriere der „STETTIN“, diesem einzigartigen technischen Kulturdenkmal.

Wie immer im Leben braucht es Geld zum Betrieb und zu der nie endenden Restaurierung dieses Schiffes. Glücklicherweise befindet sich die „STETTIN“ in einem technisch ausgezeichneten Zustand und besitzt die Zulassung als Traditionsschiff Gästefahrten zu veranstalten. Damit sind Einnahmen gewährleistet.

Am Wichtigsten aber sind die Vereinsmitglieder, die große Teile Ihrer Freizeit und ihres Urlaubes in die Arbeit an Bord stecken.

Klar gibt es einen Kapitän an Bord, der das Sagen hat und den Kurs kennt. Auch einen Chefingenieur genannt Chief, der im Maschinenraum weiß, wo welches Ventil was tut. An Bord geht es ungezwungen, unhierarchisch, familiär und kollegial zu.  Anders könnte ein Verein ein solch großes Projekt nicht dauerhaft erfolgreich über Wasser halten. Im wahrsten Sinne des Wortes ! Man darf nicht vergessen, die „STETTIN“ ist das gleiche Schiff geblieben, das sie immer war – ein dicker, großer Dampfer, dessen Feuerung in Fahrt mit stündlich einer Tonne Kohle gefüttert sein will und auf dem die Arbeit genau dieselbe geblieben ist wie vor Jahrzehnten. Kohle trimmt sich nicht von selbst, Rost klopft sich auch nicht selber und Kaffee will gekocht sein. Und das sind nur einige wenige der Tätigkeiten, die gemacht werden müssen.

Hinter den Kulissen werkeln Dutzende von Vereinsmitgliedern, sei es in der Geschäftsstelle in der Kieler Straße 318 in Hamburg, oder an Bord die Verwalter und unzähligen Helfer, die tausende ehrenamtliche Arbeitsstunden in den Erhalt der alten Dame stecken. Nicht zu vergessen die Servicekräfte aus Kombüse und Pantry, die ihren Job während der Fahrtzeit im Sommer verrichten und den Profis auf Kreuzfahrtschiffen in nichts nachstehen.

Eine besonders unauffällig auffällige Gruppe innerhalb der STETTIN-Crew  gibt es an Bord, allerdings selten an Deck zu sehen, da sie im „Keller“ des Schiffes werkelt. Außerdem sind diese „Kellerkinder“ ständig irgendwie kohlenschwarz und dauerdurstig. Gemeint sind die Heizer und Maschinisten der „STETTIN“, ohne die nach ihrer eigenen Aussage das Schiff gar nicht fahren könnte, denn sie produzieren den für den Betrieb so wichtigen Dampf. Dagegen halten natürlich die Decksleute und nicht zuletzt die Nautiker. Schön und gut mit dem Dampf – aber wer fährt das Schiff eigentlich oben?

Nur das Zusammenspiel aller in diesem Verein bringt den Erfolg. Wer als Fahrgast einmal das ruhige Dahingleiten dieses „Steamers“ mit seiner Dreifach-Expansions-Dampfmaschine erlebt und wer einmal erstaunt bemerkt hat, daß  aus unerklärlichen Gründen ein leichter Rußfilm auf Kleidung, Gesicht und vor Allem Händen liegt, der ist von diesen Erlebnissen unter Umständen so stark beeindruckt, daß er vielleicht selbst einmal Decksmann, Koch oder Heizer sein möchte.

Vor Dampfer-Infektionsgefahr sei daher gewarnt – das geht schneller, als eine Landratte es glauben mag. Die „STETTIN“ braucht Unterstützung um weiterhin in Fahrt zu bleiben. Ob das eine Geldspende ist oder die freiwillige Arbeit an Bord – jeder ist willkommen.

Informationen unter: Tel. 040-56194950

http://www.dampf-eisbrecher-stettin.de

Hoffen wir, daß die „STETTIN“ noch sehr lange das berühmte „Sommereis“ brechen und die Flagge des Schiffes, der weiße Eisbär auf blauem Grund über den Wogen zu sehen sein wird.

 

 

 

Foto Stettin: Michael Buschow