Es geht nichts verloren

Zum 25. Todestag des grossen Menschendarstellers Richard Münch
Von Hans-Peter Kurr

„Meine Damen und Herren!  Lassen Sie uns in Folgendem einig sein: ‚Für jede Lösung gibt es ein Problem!‘ “ Dieser Satz stammt von Richard Münch, einem der bedeutendsten Mitglieder des Gründgens-Ensembles vom Deutschen Schauspielhaus an der Hamburger Kirchenallee, gesprochen allerdings vor Mitgliedern eines ihm nicht sofort vertrauten Ensembles am Ernst-Deutsch-Theater bei Probenbeginn zu seiner Inszenierung der Aischylos-„Perser“.
So war er, dieser grosse alte Barde,  Herr durch und durch, niveauvoll und geistreich, höchstqualifizierter Sprecher, nuancenreicher Menschendarsteller,verheiratet mit Gründgens‘ wundervollem Gretchen, Ella Büchi,  phantasiebegabter Poet, Rezitator von hohen Gnaden, der ,wie sein Kollege Will Quadflieg, einmal Erlerntes stets auswendig vortrug Als er hohes Lebensalter erreicht hatte und nur noch als Rezitator auf Eberhard Moebius‘ „Schiff“ auftrat, pflegte er nächtens im Schlafwagen von der Elbe an die Limmat zu fahren 1., weil er am Morgen mit Ella in Zürich frühstücken wollte und 2 .wegen seiner ,ihm selber als nicht therapierbar geltenden,  Flugangst.
Unsere Gespräche kreisten häufig um dieses Thema, wenn ihn seine Profession einige Tage „am Stück“ in Hamburg festhielt und er in einem „Chauffeurzimmer“ des Hotels Atlantik nächtigte, das ihm, dem Meister, die damalige Direktion – selbstverständlich zu einem Sonderpreis –  zur Verfügung gestellt hatte, geehrt dadurch, diesen hohen Gast unter Hamburgs einzigem Hausdach zu haben, das ein Globus krönt.
Um seine Flugangst kursierten, wie gesagt, unsere Gespräche, aber nicht in jenem noblen Haus an der Alster, sondern in der zwischen den 60er und 80er Jahren berühmten „Hansakogge“, in die Münch , der – um mit Wolfgang Borchert zu sprechen – „keine alkoholarmen Getränke schätzte“, sich nach der Vorstellung in eine eigens für ihn eingerichtete Nische zurückzog, um sich mit dem einen oder anderen Freund ein paar Gläschen zu genehmigen. Dem Personal war bekannt, dass , wann immer Richard, wohltönend,  „Hilfe“ rief, die Gläser nachzufüllen waren. In dieser Nische überzeugten ihn meine Argumente nach Jahren vergeblicher Versuche von der Unsinnigkeit jener Flugangst. Und die Folge davon: In seinen letzten Lebensjahren gelang ihm, der seit den 50er Jahren in nahezu unzählbaren  d e u t s c h e n  Filmproduktionen zu sehen gewesen war, noch eine  i n t e r n a t i o n a l e  Filmkarriere…..und: Er wurde ein begeisterter Flugpassagier!
Die rein berufliche Karriere des grossen Schauspielers, vor allem auf den Kinoleinwänden, muss hier nicht in Erinnerung gebracht. Sie ist gekoppelt mit grossen Regie-  und Kollegennamen wie Peter Lorre, Axel von Ambsser, Bernhard Wicki, Frank Wisbar und vielen, vielen anderen. Deshalb sei hier zum Abschluss des Poeten gedacht, der 1986 in den Armen seiner Frau Ella „unter andalusischem Sternenhimmel“, wie sie später berichtete,  nach einem Zusammentreffen mit seinem Nachbarn Peter Striebeck, verstarb.
Eines der schönsten Gedichte aus Münchs Feder lautet:

„Alle Wesen leben
Ewig fort und fort,
Es geht nichts verloren
in der Sphären Ort.

Tod ist nicht erschaffen.
Einzig Wandlung nur,
So bleibt in Äonen
Jede Lebensspur.

Dunkelheit und Helle,
Neue Pflicht wird sein.
Was da ist, wird ewig
Geist im Einen sein.“