„Elektra“ im Malersaal der Schauspielhauses Hamburg

Von Hans-Peter Kurr

 Elektra – verdichtet, Junges Schauspielhaus: Uraufführung von Nino Haratischwili

Angelina Häntsch

Agamemnons, des Siegers der Schlacht vor Troja, Tochter Elektra ist nicht nur eine zentrale Figur der antiken Mythologie und steht als solche im Mittelpunkt von Dramen der zwei größten Theaterdichter des griechischen Altertums, Sophokles und Euripides, sondern beschäftigte Schreiber und Komponisten quer durch die Zeiten der Menschheitsgeschichte. So inspirierte sie zum Beispiel den Amerikaner Eugene O’Neill, den Franzosen Jean Giraudoux, die Deutschen Gerhart Hauptmann, und Richard Strauss oder den Griechen Theodorakis, um nur einige aus der Perlenkette der Grossen zu nennen, denen sich  nunmehr die in Hamburg lebende, georgische Autorin Nino Haratischwili auf beachtlichem Niveau angeschlossen hat:

 

Im Malersaal des Schauspielhauses wurde ihre „Elektra“ in Klaus Schumachers intelligenter Inszenierung uraufgeführt. Die junge Regisseurin und Theaterschreiberin erzählt die an sich – nicht nur Humanisten – sattsam bekannte Geschichte auf ungewöhnliche Weise und wirkt geschickt der heute häufig anzutreffenden Marotte entgegen, klassische Stoffe zu „modernisieren“…..mithilfe äusserer Mittel. Nein, Haratischwili erzielt ihre besondere Wirkung für uns Heutige dramaturgisch:

 

Agamemnon, König von Mykene, oberster Kriegsherr der Griechen bei deren durchaus sinnlosen Krieg gegen Troja, lebt in der Erinnerung zweier Kinder, Theo (Von der Autorin offenbar anstelle der allzu oft in der Literatur gestalteten Schwester Iphigenie erfunden?) und Elektra, die seine Gattin Klytaimnestra ( Hinreissend fraulich: Christine Ochsenhofer) ihm geboren hat, als milder Vater und nobler Menschenfreund. Ihrer beider Bruder Orestes (Tolle Charakterstudie: Florens Schmidt) -bereits im Mannesalter- zog mit dem Vater in den Krieg und stand in  Homers berühmten zehn Jahren bis zum Sturz der trojanischen Feste durch odysseische List jenem als Mörder und Kriegsverbrecher nicht nach.

 

Elektra, die davon nichts weiß, ersehnt Orestes’ Rückkehr in Erinnerung an die gemeinsamen Jugendjahre, in deren Verlauf die Königskinder einander schworen, später eine sozial gerechte Welt und Gesellschaft zu begründen, in der der neue Liebhaber der Mutter, der Tantalide ,Diktator und Ausbeuter  Aighistos (Zuverlässig wie stets: Hermann Book), keinen Platz haben sollte. Darüberhinaus glaubt diese Elektra, jener habe – gemeinsam mit ihrer Mutter – den früher zurückgekehrten Vater ermordet.Aber nun kommt es, wie stets in Tragödien, in denen Götter die Lenker sind, unerwartet anders:

Orestes kehrt nach langem Lazarettaufenthalt als Neurotiker und Alkoholiker in die mykenische Heimat zurück und ist daher zur Duchführung der Rachepläne seiner jungen Schwester nicht mehr einsetzbar.

Katharina Lütten, Angelina Häntsch

Zur Begründung dieser Situation führt unsere junge Autorin erst jetzt eine neue Figur ein: Polyxena (Sehr präsent: Katharina Lütten), in der altgriechischen Mythologie bekannt als Tochter des trojanischen Königs Priamos und also Schwester der Seherin Kassandra, verliebt sich – anders als bei Homer – nicht in den strahlenden Helden Achill, sondern in das Psychowrack Orestes und begleitet jenen, den sie als Lazarettschwester lange gepflegt hat, nach Mykene, in die Stadt desjenigen Königs also, der von den Trojanern für alle mit dem zehnjährigen Krieg zusammenhängenden Grausamkeiten verantwortlich gemacht. Auch sie will Rache.

 

Agamemnon – das erfahren wir geschickterweise erst jetzt – hat sich bald nach seiner Rückkehr nach dem Genuss von drei Flaschen Schnaps die Pulsadern aufgeschnitten und ist folgerichtig verblutet.

Mehr soll an dieser Stelle nicht mehr verraten werden, außer: Das Ganze endet in einem brutalen Bomben-Selbstmord-Attentat…..Ein phantastisch dichtes Stück.. Aber es muß noch die Rede sein von einer jungen Schauspielerin, die als Elektra im Mittelpunkt von Schumachers meisterhafter Inszenierung steht. Wir kennen sie seit der vorigen Spielzeit bereits hier in Hamburg, aber in dieser Rolle hat sie sich in das Buch hamburgischer Theatergeschichte eingeschrieben: Angelika Häntsch, eine junge Frau mit Bilderbuchkarriere. Nach der Ausbildung erste Gehversuche in Pforzheim, Erfurt, Görlitz, Zwickau, erste TV-Auftritte, ein Spielfilm, drei Inszenierungen mit Schumacher und jetzt  d i e s e   Elektra, Eine Frauenfigur von heute, eine kühne, in ihrem formalen Mut nachgerade perfekte Transformation, mit unnachahmlich eingesetzten schauspielerischen Mitteln dargestellt, ohne Identifikations-.Gesäusele macht die Häntsch diese Uraufführung zu einer faszinierenden Mixtur von Einfalt, Schicksal, geistiger Durchdringung, künstlerischer Verläßlichkeit und Sinn für die Schönheit des Schrecklichen. Eine herausragende Leistung.

Foto: Sinje Hasheider.