»Ein großer Mann, den man Katharina nennt«

erschienen in der Preussischen Allgemeinen Zeitung

von Manuela Rosenthal-Kappi

Die Zarin aus Deutschland wollte Russland nach Voltaires Idealen der Aufklärung regieren − Adel stand der Realisierung im Wege

Katharina II. ist als einzige Herrscherin mit dem Zusatz „die Große“ in die Geschichte eingegangen. Sie gilt als die bedeutendste Persönlichkeit auf dem russischen Zarenthron. Sie wurde als Aufklärerin und Reformerin gefeiert, doch stießen ihr Egoismus sowie ihr Hang zu Luxus und Verschwendung auch auf Ablehnung. Vor 250 Jahren, am 9. Juli 1762, übernahm Katharina II. per Staatsstreich die Regierung.

Ähnlich wie dem Reformer Michail Gorbatschow mit seiner Pe­res­­tro­i­ka Mitte der 1980er Jahre erging es vor 250 Jahren auch der russischen Zarin Katharina II., deren Ziel es war, einen aufgeklärten Absolutismus in Russland einzuführen: Beide scheiterten an der russischen Wirklichkeit.

Katharina regierte vom ersten Tag an nach festen politischen Prinzipien und Zielen, die den Idealen Voltaires, des Vordenkers der Aufklärung, mit dem sie einen regen Briefwechsel pflegte, entsprachen. Als Großfürstin, die sie durch die Eheschließung mit Peter III. geworden war, hatte sie in den 17 einsamen Jahren des Wartens während der unglücklichen Ehe mit dem Thronfolger die politiktheoretischen Werke von Mon­tes­quieu und Voltaire gelesen. Katharina galt als ungewöhnlich belesen und gebildet. Der belgische Diplomat und Schriftsteller Charles de Ligné nannte sie „einen großen Mann, den man Katharina nennt“.

In einem Land, in dem patriarchalische Autokratie zu den Grundelementen des traditionellen Herrschaftsverständnisses gehörte, musste die junge Frau sich − zudem als Ausländerin − erst durchsetzen. Das gelang ihr mit Bravour. Als Deutsche, die im protestantischen Elternhaus des preußischen Generals Christian August von Anhalt-Zerbst aufgewachsen war, gelang es ihr, die Herzen der Russen zu gewinnen. Sie war als Prinzessin Sophie Friederike von Anhalt-Zerbst am 2. Mai 1729 im pommerschen Stettin zur Welt gekommen und galt als willensstark, lebhaft, intelligent und selbstbewusst.

Weil Zarin Elisabeth I. selbst keinen Erben hatte, holte sie ihren Neffen Karl Peter Ulrich von Holstein-Gottorp, den späteren Peter III., ins Land und bestimmte ihn zu ihrem Nachfolger. Peter war ein Freund Friedrichs II. von Preußen. Er machte keinen Hehl aus seiner Vorliebe für alles Preußische und seiner Verachtung gegenüber allem Russischen. Der Plan, Sophie mit Peter zu verheiraten, um Russland zu einer preußenfreundlichen Politik zu animieren, schien aufzugehen. Sophie hatte den Ehrgeiz, russische Kaiserin zu werden. Deshalb nahm sie die Unzulänglichkeiten ihres künftigen Gatten, der nie ganz erwachsen wurde, in Kauf. Sophie lernte schnell die Sprache, trat 1745 aus innerer Überzeugung zum orthodoxen Glauben über. Damit erfreute sie die Kaiserin und verdiente sich die Anerkennung des Hofes. Die Hochzeit mit Peter wurde auf den 21. August 1745 festgelegt. Als sich auch nach sieben Ehejahren noch kein Kindersegen eingestellt hatte, wurde Elisabeth ungemütlich, sah die Thronfolge in Gefahr. Katharina musste sich Demütigungen anhören und wurde der Spionage für Preußen beschuldigt. Die Kaiserin ließ die Eheleute überwachen. Peter und Katharina, die nie die Ehe mtieinander vollzogen hatten, waren beide außerehelich aktiv. Peter erwies sich als zeugungsunfähig. Elisabeth beauftragte ihren Kanzler Alexej Bestuschew damit, Katharina zu bespitzeln. Die Großfürstin gewann den anfänglichen Feind bald als Verbündeten. Katharina war in den Kammerherrn Sergej Saltykow verliebt. Am 20. September 1754 gebar sie den ersehnten Thronfolger, den Elisabeth als legitimen Erben anerkannte und den sie zu sich nahm. Saltykow soll der Vater sein. Katharinas Tochter Anna soll aus der Liaison mit Stanislaus Poniatowski, den Katharina als Stanislaus II. auf den polnischen Königsthron hob, hervorgegangen sein.

Demütigungen und Hofintrigen hatten die Großfürstin selbstbewusst gemacht. Sie gab sich als russische Patriotin und entwickelte sich zur zielstrebigen und gefürchteten Hofintrigantin. Sie, die ihrem Ehemann Peter in jeder Hinsicht überlegen war, wollte die Alleinherrschaft. Peters Unbeliebtheit als Preußenfreund spielte ihr in die Hände. Katharina suchte die Bekanntschaft der bei der Garde dienenden Brüder Orlow.

Als Elisabeth am Heiligabend 1761 starb, wurde Peter III. russischer Zar, doch schon im Juni 1762 begannen Vorbereitungen für seinen Sturz. Mithilfe der Garde gelang Katharina der Staatsstreich gegen Peter III., der am 6. Juli ermordet wurde. Ob Katharina am Mord beteiligt war, wurde nie geklärt. Am 9. Juli 1762 übernahm sie die Regierungsgeschäfte. Die neue Zarin wollte die moralischen Prinzipien der Aufklärer auf Russland übertragen. Sie war gegen die Leibeigenschaft, konnte sie aber aus Rücksicht auf den sie unterstützenden Adel nicht umsetzen. Zu gut wusste sie, dass der nur durch Privilegien, Land und „Seelen“ (Leibeigene) zufriedenzustellen war. Dennoch bewirkte Katharina innenpolitische Änderungen im sozialen Bereich: Sie führte Schulen sowie Ämter mit sozialen Aufgaben ein und ließ eigene Standesgerichte für Adel, Städter und nicht leibeigene Bauern eröffnen. Ihre als liberales Gesetzesregelwerk angelegte „Große Instruktion“ scheiterte jedoch an den adeligen Mitarbeitern.

Um Abwanderungsbewegungen im Westen entgegenzuwirken, warb Katharina 1762/63 deutsche Kolonisten an, die in der Wolgaregion angesiedelt wurden. Während ihre Regentschaft außenpolitisch vom Sieg gegen die Türken auf der Krim und einer erfolgreichen Kolonialpolitik gekrönt war, kam es im Innern immer wieder zu Bauernaufständen. Es brauchte lange, bis Jemeljan Pugatschow, der als wiedergekehrter Peter III. einen großen Bauernaufstand anzettelte und behauptete, Peter habe die Leibeigenschaft abschaffen wollen, dingfest gemacht wurde.

Katharina sah sich in der Tradition Peters des Großen. Wie er scheute sie keine Strapazen, sich selbst ein Bild von Russland zu machen. Sie bereiste das Land. Obwohl sie schließlich vor den praktischen Problemen kapitulieren musste, rechtfertigte sie sich vor Kritikern, weil sie ihr Image als Voltaire Russlands im Westen retten wollte: „Das russische Kaiserreich ist so weitläufig, dass außer einem Selbstherrscher jede andere Regierungsform ihm schädlich wäre, denn alle anderen sind langsamer in der Ausführung und haben zahllose verschiedenartige Parteilichkeiten in sich, die zur Zerstückelung der Macht und der Kraft treiben, während der eine Herrscher, der das allgemeine Wohl als sein eigenes ansieht, alle Mittel zur Ausrottung aller Schäden hat.“