Die Opern – Kino – Katastrophe

Notizen zu einer „Walküre“- Life – Schaltung aus New York nach Hamburg

Von Hans-Peter Kurr

Seit sechs Spielzeiten überträgt die „Metropolitan Opera“  New York ihre wichtigsten Produktionen life und globaliter in alle internationalen Filmtheater, die sich die Gebühren leisten ( will sagen: Auf den Eintrittskartenpreis ihrer Kunden aufschlagen können). Wir begeben uns in unserer Heimatstadt Hamburg, zum Beispiel, in das traditionsreiche, 1951 eröffnete,Hochhaus-Kino,von den Hanseaten seit jener Frühzeit liebevoll „Holi“ genannt.Dort ist angekündigt (O Wunder der Technik!) eine  L i f e  –  Übertragung der Wagner-Oper „Die Walküre“ aus dem New Yorker Lincoln-centre, das die „Met“ beherbergt.

Grossartiges Angebot, denkt der Kolumnist, der inzwischen so viele Lebensjahre auf dem Buckel hat, dass er noch Opernabende in der alten „Met“ an der 39. Strasse geniessen durfte, bevor jenes ehrwürdige Haus 1966 abgerissen und durch einen vierrangigen Prachtbau mit fast viertausend Plätzen ersetzt wurde. Unser Besucher wird im „Holi“ nicht enttäuscht:

Er erlebt life, also zeitgleich , um 18.30 Uhr MEZ eine Matinée (Es ist Sonnabend), die in New York um 11.oo Uhr a.m. beginnen soll und – aufgrund der für den „Big apple“ typischen Sorglosigkeit , tatsächlich um 11.30 a.m. startet.

Am Pult vor dem weltberühmten Met-Orchester steht – wie seit 4o Jahren – Maestro James Levine ( 68), wegen seiner Rückenprobleme ein wenig gebrechlich, aber ungebrochen in seinem Temperament.

Inszeniert hat der technik-verliebte Kanadier Robert Lepage ( 50 ), Träger des Europäischen Theaterpreises in Carl Fillions gigantomanischem Bühnenbild, wie es sich wohl noch nicht einmal die Mailänder Scala leisten könnte : Die Produktion der gesamten Tetralogie „Der Ring des Nibelungen“ an der Met soll, dem Vernehmen nach , 26 Millionen Dollar gekostet haben, ermöglicht durch die „Grosszügigkeit“ amerikanischer Sponsoren ( Dort typischerweise „Angels“ genannt, die in der Regel mit einer erklecklichen Dividende gesegnet sind!), vornehmlich der Neubauer-Stiftung und der der Bürgermeister-Familie Bloomberg.

Das Wichtigste:  Man hört die besten Sänger der Welt!
„Ah, da liegt die crux“, sagt Hamlet: Man hört sie…..sobald man – genußentrückt – die Augen schliesst. Öffnet man sie wieder, geschieht Katastrophales: Es gibt nun einmal sehr wenige Opernsänger, die – wie zum Beispiel Domingo – auch gute Schauspieler sind. Da aber die Kamera hier – nach fragwürdiger Hollywoodmanier – fast ausschliesslich Grossaufnahmen der Rollenträger liefert, wenn sie sich nicht hin und wieder in die brillante Bühnentechnik oder das zauberhafte Licht verliebt, sieht man, nahezu abendfüllend ( …und das heisst bei Wagner immerhin mindestens fünf Stunden), deren – höflich ausgedrückt – begrenztes darstellerisches Vermögen. Und es nervt, wenn der Siegmund des stimmlich grossartigen Jonas Kaufmann das Schwert Nothung in Grossaufnahme aus der Papp-Esche zieht und gleich darauf mit der Langhaarperücke  kämpfen muss , die sich in seinem Lederkoller verfangen hat….ebenfalls im „close up“. Wo bleibt der rettende Schnitt?

Noch störender: Man sieht sein darstellerisches Desinteresse (,  das sich Sänger sehr schnell angewöhnen, weil sie erstens in der Regel den Orchestergraben zwischen sich und dem Auditorium wissen und zweitens mehr dirigentbezogen als partnerbezogen agieren). Und bei dieser Behauptung handelt es sich nicht etwa um eine Vermutung des Kolumnisten, im Gegenteil: Jene Haltung ist in Kreisen von Theaterschaffenden allseits bekannt, und die Geschichte vom Verdi – Othello, der sich, sobald er ein Tacet hat, weil der Chor einsetzt, umdreht und – mit dem Rücken zum Publikum – den Choristinnen zublinzelt, ist kein „Garn“!

Am schlimmsten hat , im Verlauf unserer Matinée ,die Krankheit darstellerischen Unvermögens den wunderbar-stimmgewaltigen Wotan  Bryn Terfels ergriffen: Sobald er im zweiten Akt die fast halbstündige Arie „Götternot“ nach der Begegnung mit seiner schwergewichtigen Gattin Fricka (Phantastisch: Stephanie  Blythe )

beginnt, und die Bildregie ihn das Solo in Grossaufnahme nahezu durchsingen lässt, wird das schauspielerische Elend nur  noch durch das unfreiwillige Betrachten der nicht vermeidbaren Schweissausbrüche  eines hochkonzentrierten Weltklasse-Wagner – Sängers übertroffen.

Die Damen sind da offenbar häufig begabter: Die anbetungswürdige Brünhilde der dramatischen Sopranistin Deborah Voigt hat in der ersten Hälfte des zweiten Aktes ihrem Vater Wotan fast ausschliesslich zuzuhöen, also zu reagieren, und bewältigt das ausserordentlich einfühlsam, obwohl solche Phasen – insbesondere beim häufig handlungsarmen Wagner – für Sänger und Regie eine veritable Qual darstellen!

Die Metropolitan Opera betreibt diese Art von –offensichtlich einträglichem – Geschäft mit der Kunst, wie eingangs erwähnt,  seit sechs Spielzeiten. Wie kürzlich in diversen deutschen Gazetten zu lesen war, wollen die zwei Richard-Wagner-Urenkelinnen, die jetzt die Bayreuther Festspiele leiten, diesen Unsinn des „Public viewings“ auf den Wiesen vor dem ehrwürdigen Festspielhaus ebenfalls einführen. Mögen sie klug genug sein, sich dabei der Hilfe wissender Bildregisseure zu versichern.