Erschienen im Hamburger Abendblatt
Eine Glosse von Lilo Hoffmann
Seit meine Freundin Ines einen runden Geburtstag jenseits der Lottozahlen feierte, reagiert sie auf Bemerkungen, die das Alter betreffen, besonders empfindlich. Sie schafft es, jede noch so harmlose Äußerung zu diesem Thema auf sich zu beziehen. Der gesamte Freundeskreis hütet sich seit kurzem davor, irgendetwas, das in Richtung Alterungsprozess geht, nur im Entferntesten zu erwähnen. Doch nicht jeder nimmt so viel Rücksicht auf Ines Empfindlichkeiten. So beklagte sie sich neulich bitterlich über ihren Lieblingsradiosender.
„Wenn ich zur Arbeit fahre, spielen sie ständig das Lied „Das alte Schiff ist müde“. Darin heißt es auch, wie morsch und blass es geworden sei. Ines nahm diesen Text sehr persönlich und sah sich sofort als abgetakelte Fregatte. Damit sie nicht so blass und müde wirkte wie das alte Schiff, ließ sie ihre leicht ergrauten Haare strohblond färben und trug – nach dem Motto Hauptsache viel Farbe – jede Menge Make-up auf. Außerdem schrieb sie E-Mails an den Sender und bat darum, das „müde Schiff“ nun endgültig zu versenken. Doch die Verantwortlichen reagierten nicht. Am nächsten Morgen erklang im Autoradio wieder das Lied von Roger Whittaker. „Wer liebt diesen Song nur so sehr, dass er mich viermal in der Woche damit quält“, fragte sie sich.
Die Lösung ihres Problems lag auf der Hand. Ein neuer Lieblingssender musste her. Den hat Ines inzwischen gefunden. Dort spielen sie jeden Morgen „Siebzehn Jahr, blondes Haar“. Ines kann jetzt wieder lächeln, auch wenn sie weiß, dass sie niemals mehr so jung sein wird.