Wo das Einhorn auf den Teddy trifft: das Steiff-Museum

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe 2/11 des Magazins „Sehnsucht Deutschland“ sowie am 4. Juni 2011 in der PAZ (Preußische Allgemeine Zeitung)

von Uta Buhr

Auf einem Besuch im Steiff-Museum in der Teddybärklinik begegnet man Kinderträumen

Uta Buhr kam begeistert von ihrer Reportage zurück!

Es ist früh am Morgen, und die Bürgersteige in Giengen, der kleinen Stadt an der Brenz, sind noch hochgeklappt. Vom Bahnhof kommend, schlagen wir den Weg ins Städtchen ein. Links und rechts der Hauptstraße gepflegte Fachwerkhäuser, Blumenschmuck auf Fensterbänken und in Hauseingängen. Eine fast biedermeierliche Idylle, der die auf langen Stangen befestigten Teddybären in bunten Fantasiekostümen etwas Verwegenes verleihen. Ein verlockender Duft nach frischem Brot und Kaffee empfängt uns in der Bäckerei am Platze.

„Das Steiff-Museum öffnet erst um 10 Uhr“, sagt die freundliche Bäckersfrau und serviert uns eine Tasse dampfender Schokolade. Auch der Postbote ist schon auf den Beinen, hält hier und da ein kleines Schwätzchen mit den Bürgern der Stadt und schiebt dann sein gelbes Fahrrad in Richtung Rathaus. Ein Déjà-vu! Wir identifizieren auf Anhieb das Umfeld, in dem die berühmteste Bärenmutter der Welt ihr ganzes Leben verbrachte. Margarete Steiff erblickte 1847 in Giengen das Licht der Welt und starb hier 1909 im Alter von nur zweiundsechzig Jahren.  Erinnerungen an den anrührenden Film mit Heike Makatsch in der Hauptrolle werden wach.

Um Punkt zehn Uhr heißt es: Hereinspaziert in die märchenhafte der Welt der Margarete Steiff! Der moderne Rundbau des Museums am Fuße der Altstadt ist fast bis zum Dach angefüllt mit Steifftieren aller Art und Couleur. Im Eingangsbereich begrüßt ein riesiger Braunbär im Format eines King Kong – Schulterhöhe zwei Meter plus – die Besucher. Er sieht so echt aus, dass Kinder nicht selten bei seinem Anblick einen Schreck bekommen. Sie beruhigen sich sofort, denn gleich nebenan tummelt sich eine aus Affen, Giraffen, Elefanten und anderer Kreatur bestehende Tierwelt unter leuchtenden Frühlingsblumen und bunten seidenen Schmetterlingen. Die weitläufigen Ausstellungsräume gleichen einer Arche Noah, in der so ziemlich alles versammelt ist, was die Schöpfung jemals hervorgebracht hat. Auch ein Exemplar des fabelhaften Einhorns ist hier vertreten. Sein Horn sieht zwar spitz und gefährlich aus, erweist sich beim Anfassen jedoch als kuschelig weich, genauso wie die langen Krallen der Bären. Zum Verlieben sind die Schaukeltiere! Welcher Erwachsene bekäme da nicht Lust, sich  auf den Rücken eines Elefanten oder Löwen zu schwingen und auf den Kufen durch die imaginäre Welt des Dschungels zu schaukeln.

Steiff-Tiere sind unverwechselbar.  Der Natur täuschend ähnlich nachgebildet und aus bestem Material immer noch von Hand hergestellt, ist ein jedes ein Unikat. Deshalb lieben Kinder diese Kuscheltiere und ziehen sie anderen Produkten selbst dann noch vor, wenn das Original  schon x-mal durch die Waschmaschine gegangen und daher etwas fadenscheinig ist. Aber was geschieht, wenn Teddy sein rechtes Auge oder gar ein Ohr verloren hat? Keine Angst. Es gibt Abhilfe. Denn die Teddybärklinik im Fachwerkhaus gleich nebenan repariert den Schaden in kürzester Zeit. Aber davon später mehr.

Eindringlich ist die Geschichte der Firma Steiff dargestellt, die Anfang des 20. Jahrhunderts  mit ihren gelenkigen Teddybären Weltruhm erlangte. Auf drei Ebenen, einer Ausstellungsfläche von insgesamt 2.400 Quadratmetern, wird der Besucher zunächst in die bescheidenen Anfänge des Unternehmens eingeführt. Eine sanfte Stimme führt ihn durch die gemütliche Nähstube der Margarete Steiff, in der sich wie von magischer Hand berührt Schränke und Kästen öffnen, begleitet vom monotonen Geklapper der Nähmaschine. Die Karriere der durch eine Polioerkrankung halbseitig gelähmten jungen Frau begann mit der Herstellung von Nadelkissen in Form eines  „Elefäntle.“ Auf dem Fuße folgte  Meister Petz, durch den das zarte Fräulein zu einer wahrhaft „bärenstarken“ Persönlichkeit mutierte.

Und schon sind wir mittendrin in einer atemberaubenden Geschichte. Mit dem Lift erheben wir uns in luftige Höhen. Hier treffen wir auf den Bären Knopf und seine Freundin Frieda, die von einer Wolke aus die Erde inspizieren. Sie sind gerade auf der Suche nach dreitausend Steiff-Bären, die bei einem Schiffsunglück auf hoher See verloren gingen. Ganz nebenbei ziehen die beiden das Publikum in ihre detektivische Arbeit mit ein. Der Erfolg bleibt nicht aus. Denn schließlich finden wir die Bären vollzählig und wohlbehalten auf allen  fünf Kontinenten wieder. Dahinter steckt eine Botschaft: Die Steiff-Bären haben die Herzen der Menschen auf der  ganzen Welt erobert und wissen daher nach einer geglückten Rettung aus der Seenot ganz ohne fremde Hilfe, wohin sie gehören. Nach dieser Erkenntnis wartet ein weiteres aufregendes Abenteuer auf Jung und Alt: Der mit zweitausend Ausstellungsstücken größte Streichelzoo der Welt will besichtigt und ausprobiert werden.  Im Gegensatz zu den meisten anderen Museen heißt es hier statt „Berühren verboten“ bitte alles anfassen! Da sitzen sogar Erwachsene auf dem Rücken eines festlich geschmückten indischen Elefanten, zupfen Kinder an den langen Ohren von Meister Lampe. Ein paar Schritte entfernt kann der Besucher einer Näherin bei der Herstellung eines Teddys zusehen, können Kinder sich selbst aus zugeschnittenen Teilen ihr eigenes Kuscheltier erschaffen.

Auch in der Teddybärklinik herrscht Hochbetrieb. Frau Beck, eine würdige Nachfolgerin von Margarete Steiff, „operiert“ gerade einen stark lädierten Bären, den ein besorgter Familienvater aus Boston  per Luftpost geschickt hat. Kein Thema, Teddy bekommt eine neue Füllung, und der abgerissene linke Arm wird von Expertenhand wieder angenäht. Frau Beck versieht bereits seit fünfundzwanzig Jahren ihren Dienst und bekommt jedes Problem locker in den Griff. Auch maßgeschneiderte Bestellungen werden von der Firma Steiff schnell und zuverlässig erledigt. Eine Familie in Japan will ihrem Sohn zum Schulanfang einen Teddy im Matrosenanzug mit bunter Schultüte schenken. Auftrag ausgeführt, Teddy gut verpackt, und ab geht die Post in Richtung Tokio.

Um das Bild abzurunden, bleibt noch der Besuch des Geburtshauses  der Margarete Steiff in der Richard-Steiff-Straße 4. Nein, in einer armen Familie, wie häufig behauptet, wuchs  die Bärenmutter nicht auf. Das mehrstöckige Heim der Familie ist geräumig und mit hübschen Möbeln – viele noch Original – eingerichtet. In dieser Atmosphäre meint man noch den Geist der einstigen Bewohnerin zu spüren. Der Rollstuhl in einer Zimmerecke erinnert daran, dass die Frau niemals auf eigenen Füßen laufen konnte. Dennoch war sie eine Frohnatur mit Freude an allem, was grünte und blühte, kreuchte  und fleuchte.  Der kleine Garten vor dem Haus, den sie selber pflegte, soll ihr Lieblingsplatz gewesen sein. Und musikalisch war Margarete obendrein. In einer Vitrine finden wir ihre Zither und von ihr selbst verfasste Noten. Fazit: Ein erfülltes Leben trotz aller Widrigkeiten und Enttäuschungen. Da kommt uns doch gleich der eingangs erwähnte Film in den Sinn. Wie war es  noch mit dem jungen Mann, der  in Margarete verliebt war, dann aber ihre Freundin ehelichte? Simone Färber, die junge agile Leiterin des Museums, holt uns auf den Boden der Tatsachen zurück. Die Liebesgeschichte hat es nie gegeben. Sie war reine Fiktion des Drehbuchschreibers und diente allein der Dramaturgie des Films. Schade, wir hätten der Heldin eine Romanze von Herzen gegönnt.

Epilog: Unser Besuch in Giengen war so spannend, dass wir unsere eingeplante Zeit um ein Vielfaches überschritten. Deshalb mussten wir einen anderen Termin sausen lassen. Von Bedauern keine Spur. Denn eigentlich hätten wir allzu gern noch mehr Zeit in der magischen Tierwelt  der Margarete Steiff verbracht.

Das Steiff-Museum, Margarete-Steiff-Platz 1, Giengen, ist von April bis Oktober täglich von 9.30  – 19.00 Uhr , von November bis März von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Der Eintritt kostet  8/5 Euro

Fotos: Uta Buhr