Wir nehmen Abschied von unserem Mitglied Anna Bardi

Liebe Mitglieder der DAP!

Anna Bardi

Anna Bardi ist nicht mehr. Am vergangenen Donnerstag wurde sie auf dem Friedhof Hamburg-Ohlsdorf  in die Ewigkeit verabschiedet. Wir gedenken ihrer mit der persönlichen Grabrede einer ihrer engsten Freunde, des Schriftstellers Uwe Friesel. Dieser sehr persönliche Abschied eines Freundes, gesprochen an ihrem Sarg, bringt uns Anna auf eine Weise nahe und stellt einen würdigen Abschied dar, wie es angemessener nicht sein kann.

In Namen des Vorstandes

Johanna Renate Wöhlke

Uwe Friesel

Nachruf auf Anna

Anna, du hast als bildende Künstlerin eine beinahe persönliche Beziehung zu Deinen Materialien gehabt, fast so, als lebten sie. Du hast nicht etwa beliebige Stoffe verwendet. Zur Feder schreibst du:

„Ich war auf der Suche nach Leichtigkeit, einer Leichtigkeit, die den Schmerz auslöst. Plötzlich wuchsen mir Flügel, und ich war entschlossen: ich wollte ganz lebendig sein. Dann fand ich zerrupfte Federn überall, in Parks, auf den Straßen, hier und in anderen Ländern. Vorher waren sie mir nicht aufgefallen. Eine Feder … ist dem Gefühl der Sehnsucht sehr nahe.“

Und über das Holz:

„Die Lindenzweige von fünf Bäumen bekam ich aus dem Garten einer Freundin, sie waren für meinen Kachelofen gedacht. Ich lagerte sie in meiner Wohnung (…), aber zu einer Form kam … das alles noch nicht. Ich sagte mir, (…) bleib ganz ruhig, bleib ganz nah an den Gedanken dran und warte. Und tatsächlich, (…) das Innere bekam sichtbare Antworten.“

Und über Eisen, Rost:

„Meine Weihnachts- und Geburtstagsgeschenke waren häufig alte Sägeblätter. In meinem Keller entstand eine Sammlung. Hier beschleunigte die Feuchtigkeit den Vergänglichkeitsprozess.“

 

Ja, das harte, spröde Eisen war dir erst dann interessant, wenn es lebte und rostete, also wenn es vergänglich war. Seine Vergänglichkeit war dir geradezu ein Beweis für das Leben. Und die kleine Reihe von sehr speziellen Publikationen mit Texten und Videoporträts, die du zuletzt für den Jeudi-Verlag geplant hast und die ich nun ohne dich zu Ende bringen muss – und hoffentlich auch werde, so es meine Kräfte erlauben – diese besondere Publikationsreihe soll wegen dieses unlösbaren Zusammenhangs  den schönen erzählenden Titel tragen: Leben, Liebe, Zeit und Vergänglichkeit.

Das war, ob nun genau so formuliert oder nicht, schon immer der Inhalt deiner Schöpfungen.

Zwischen 1990 und 2005 hast du vierzehn ganz unterschiedliche Arbeiten zum Thema „Herzkammer“ geschaffen. Sie reichen von dem Foto einer ägyptischen Oase über das Erinnerungsbuch an deinen Mann Janos bis hin zu meterhohen Konstruktionen und Installationen. Sogar noch in der Aufzählung kann man die Spannweite deiner Themen und den inneren Bezug zu den Materialien erkennen. Die Herzkammer 2 beschreibst du so: „Nur ein Flügelschlag, Installation, Holz / Feder / Hanf / Teer / Botschaften auf Papier, 130 x 200 x 330 cm, St. Jacobi, Hamburg 1993“. Die Herzkammer 9, ausgestellt im Stadtmuseum von Wetzlar im Jahre 1999, bezieht sich auf Goethes Werther und trägt den Titel Mein armes Herz.  Die sachliche Objekt-Beschreibung lautet: „Installation Eisen, Holz, Hanf, Teer  55 x 55 x 220 cm.“

Diese „Herzkammer“, von dir bewusst so doppeldeutig erfunden, ist ein innerer Raum von wechselnder Form und Ausdehnung, worin sich Naturwissenschaft und Poesie auf eine zugleich abstrakte wie sinnlich erfahrbare Weise treffen. Wie jede Künstlerin und jeder Künstler von Rang hast du dir aus Bruchstücken der erlebten Welt eine neu erlebbare Welt geschaffen, an der wir teilhaben können. „In diesen Arbeiten,“ schreibst du, „sind meine Gefühle und Gedanken konzentriert. Der Blick ist nach innen gerichtet und hat etwas mit einem Urgefühl zu tun, (…) mit Liebe, Wahrheit, Leichtigkeit und Vergänglichkeit.“

 

Im Frühjahr 2007 fuhren wir gemeinsam nach St. Petersburg, um auf Lesungen an der Uni und in einem Gymnasium zum Gelingen der fünfzigjährigen Partnerschaft zwischen den beiden Hafenstädten beizutragen. Du kamst nicht aber nur als Autorin, sondern in erster Linie als bildende Künstlerin.

Mit deiner multimedialen Ausstellung im Petersburger Museum für Skulptur und Denkmal wie auch in dem angrenzenden Künstlerfriedhof „Nekropole masterov iskusstv“ vollbrachtest du ein kleines Wunder der Völkerverständigung. Auch diesmal ging es dir um die komplexe Beziehung  von Zeit und Vergänglichkeit. Die schimmelfarbigen Oxydationsbilder an den Wänden, die, wie Thomas Sello anmerkte, sich im Prozess ihrer Entstehung gleichzeitig zerstören und neu schaffen, waren mit ihren Stockflecken und Rostinseln selbst Zeit und Vergänglichkeit. Die kleine Modell-Eisenbahn, die mit verhängten Fenstern immer im Kreis herumfuhr, vorbei an Stationen wie „Stadt der Zuversicht“, „Stadt der Stille“, „Stadt der Wollust“, die aber nirgends anhielt, denn Die Zeit steht niemals still, so der Titel dieser Installation – dieser unaufhörlich vorbeiratternde Zug kontrastierte aufs Heftigste mit dem reglos im Sarg liegenden Paar im Video Das Gespräch unter den Graswurzeln.

Vermutlich ist dieser Dialog, den wir etwas später in dieser Abschiedsfeier von Dir noch hören werden, in einem bislang unerforschten Vorzimmer der Ewigkeit anzusiedeln. Mit Metaphern wie „Paradies“ oder „Leben nach dem Tod“ ist ihm jedenfalls nicht beizukommen.

Auch dem Professor Puca aus Sydney kommt man so nicht bei. Professor Puca ist ein weißer Hase. Seine Forschung ist dem Mythos vom absoluten Ende gewidmet, und er ist mit seinem abgeschabten kleinen Lederkoffer eigens angereist, um mit Anna Bardi zu diskutieren. Puca (auch mit zwei „o“ oder „ph“ geschrieben) entstammt der  keltischen Mythologie und kann, wie die Schamanen, ausgedehnte Zeitreisen unternehmen und dabei Tiergestalt annehmen. Oder auch gänzlich unsichtbar bleiben, wie in dem berühmten Film Mein Freund Harvey.

 

Dank Anna Bardi wurde der Hasen-Professor für die Menschen in St. Petersburg aber sichtbar. Sie nahm in mit in die Nekropole der Künstler und ließ ihn einen Blick werfen in ihr Künstlercafé, das dort zu Füßen Dostojewskis aufgebaut war, ein kleines Gewächshaus aus Plexiglas, auf dem auf Russisch und Deutsch viele beziehungsreiche Zitate des Dichters zu lesen standen. Zum Beispiel: „Heute ist wieder alles da: Trauer und Trübsal und Langeweile.“ Oder: „Das Herz ist eine Sache für sich.“ Oder: „Natürlich gehe ich auch jetzt nicht ein ins Paradies. Aber was soll ich denn tun?“

Dostojewski blickte milde von seinem Denkmal auf den unerwarteten Besuch. Es war deutlich, hier trafen sich drei, die mitten im Positivismus unserer Naturwissenschaft und Technik über Transzendenz nachgedacht hatten, also über das, was mit dem Verstand nicht zu fassen ist. Stirb und Werde. Im Diesseits angesiedelte Ewigkeit.

 

Doch um nun auch ganz normale Friedhofsbesucher in deine Gedanken einzubeziehen, hattest du in die Frontpartie deines Künstlercafés einen Briefschlitz montiert. Und siehe da, als du drei Wochen später zur Finissage zurück kamst, lagen dort, auf zufällige Zettel gekritzelt, viele viele Botschaften, in denen dir für Momente des Nachdenkens gedankt und ein glückliches Fortleben gewünscht wurde.

Nicht unerwähnt bleiben darf hier dein Video-Spaziergang mit Professor Puca durch St. Petersburg, jener denkwürdige Moment, als ihr am Ufer der Newa beim Reiterstandbild Peters des Großen eine Pause einlegtet, sehr zur Freude der Hochzeitspaare, die sich dort immer fotografieren lassen. Nun wollten sie alle unbedingt den weißen Hasen mit aufs Hochzeitsbild bannen.

 

Ob nun in russischen Presseberichten oder auf privaten Hochzeitsbildern oder auf Fotos von einem großen Hamburger Friedhof, wo das Café der toten Dichter ja wieder auferstanden ist: Puca, der mythische Zeitreisende, ist zurückgekehrt und dokumentiert, und zwar in jener Gestalt, die du, Anna, ihm gegeben hast, die eines grübelnden, knickohrigen Hasenprofessors. Wir sehen ihn hier vor uns.

 

In deiner Wohnung war ich immer verzaubert von den Gegensätzen. Ein Arbeitstisch mit Beinen aus Panzergranaten-Hülsen im Atelier, ein Biedermeiertisch samt Sofa in der Küche, die aber in Wahrheit das Wohnzimmer war. Eine endlose Reihe von hochhackigen Schuhen auf dem Sims eines Schranks, allenfalls mit einer Leiter erreichbar, wo andere Leute ihr Schuhwerk in niedrige Regale verstecken. War man bei dir zu Gast, so fand man stets einen Strauss frischer Blumen auf dem Schreibtisch, und natürlich immer das richtige Arbeitslicht für die Nacht. Einmal hast du mich beherbergt, weil ich in Hamburg eine etwas schwierige Operation auskurieren musste, ehe ich in mein schwedisches Exil zurückreisen konnte. Das war unvermutet langwierig, fast drei Wochen. Es gab uns aber Gelegenheit, deine Pläne für die große Ausstellung in St. Petersburg mit allen inhaltlichen, technischen und finanziellen Fragen bis ins Einzelne zu diskutieren. Da habe ich dich als jenen eigenwilligen, großherzigen und sehr klugen Menschen kennen gelernt, dessen wir nun gedenken.

Erlaube mir, Anna, an den Schluss meines Nach-Denkens über dich ein Gedicht zu stellen, das ich im Frühjahr 2007 schrieb und das dir gefallen hat:

 

Gedicht für Anna B.

 

War es die linke obere

       Herzkammer

                  die gerade

        zu flimmern begann

        oder

die untere rechte?

 

Trat eben Anna Blume

                   aus ihrem Merzbau

        oder war es Anna Bardi

        auf ihrem Fahrrad

        mit der Herzkammer im Kopf

unterwegs nach St. Petersburg?

 

Fragen über Fragen

 

Ach, Anna B.

        von Pleuellampen und Kreissägesonnen erleuchtet

        wie auch

        vom vergänglichen Gold des Herbstes am Weiher

                     hier also lässt du mich

                     meist waagerecht in deiner Herbstkammer

        dem kleinen Krebstod von der Schippe hüpfen –

womit habe ich das verdient?

 

Doch sehe ich was ich sehe     und

         fühle was ich fühle    und

         weiss:

        

Wer künftig B sagt

wird zuerst A sagen müssen.

 

Anna, wir werden noch weitere Gespräche führen, wenn ich an unseren Buchprojekten arbeite. Ich verneige mich vor dir und grüße dich.