Terra Incognita – Sibirien rüstet touristisch auf

Dieser Artikel erschien bereits in folgenden Objekten: Deutsches Ärzteblatt, Magazin für Psychologie (gehört zum Verlag Deutsches Ärzteblatt), Rhein-Neckar-Zeitung, PAZ,

Schleswig-Holstein-am-Sonntag, Pfälzer Anzeigenblatt,

Von  Uta Buhr

Der rundum "geliftete" Kreml von Tobolsk

Ein Himmel voller Sterne wölbt sich über der Taiga. Ihr Licht lässt das Wasser des Sees silbern aufblitzen. Aus der Tiefe des Waldes dringen Tierlaute an unser Ohr. Plötzlich raschelt es im Unterholz und ein Elch mit mächtigem Geweih betritt die Lichtung, nimmt Witterung auf und verschwindet im Dickicht des Waldes. Romantik pur im Herzen Sibiriens! Mit dem Hubschrauber sind wir vor Stunden aus Tjumen aufgebrochen, um im Angel- und Jagdparadies Kunjaks einen Kurzurlaub fernab jeglicher Zivilisation zu verbringen. Bereits der Flug macht mit der unendlichen Weite des Landes vertraut. Schier endlose Birkenwälder, unterbrochen von spiegelnden Teichen und Tümpeln, prägen die Landschaft, die nahtlos in einen dichten Nadelwald übergeht.  Hier wurde ein kleines Feriendorf erbaut.  Rund um einen idyllisch gelegenen See gruppiert sich eine Reihe einfacher Holzhütten. Die sanitären Anlagen befinden sich außerhalb des Wohnbereichs und sind gewöhnungsbedürftig. Das gibt auch Victor Pupyshev, einer  der Initiatoren des Projektes, zu. Natürlich muss noch nachgerüstet werden, sagt er. Aber das Konzept ist stimmig und dürfte in Zukunft auch Menschen aus Deutschland anlocken, die auf Öko-Tourismus stehen.

Einfach, aber superökologisch - Angler- und Jägerparadies Kunjaks

Einiges spricht dafür, dass gerade Angler und Jäger in Kunjaks ihr Eldorado entdecken werden. Die Gewässer der Umgebung sind makellos sauber, der See vor der Haustür randvoll  mit Fischen. Einige besonders stramme Exemplare werden abends am Lagerfeuer gegrillt und, mit Pilzen und Beeren des Waldes gefüllt, aus der „Faust“ gegessen. Während die mit bestem Wodka gefüllten Gläser kreisen, die Scheite knacken und ein vielstimmiges Nastrovje durch die Nacht hallt, wird gar manche Schauergeschichte zum Besten gegeben. Vor der Tür einer Kate in der unmittelbaren Nachbarschaft soll doch tatsächlich unlängst ein über zwei Meter hoher Braunbär mit weit aufgerissenem Maul gestanden haben. „Man musste ihn leider erschießen“ erklärt Victor lakonisch. Armer Bruno! Mit Bären oder Wölfen  – von beiden Spezies gibt es hier genug – hatten wir in unserem sibirischen Öko-Paradies keinerlei Probleme. Wohl aber mit Myriaden blutrünstiger Mücken, die uns auf Schritt bis in die Hütten verfolgten und deren Stachel sogar unsere Jeans durchbohrten.

 

Weiß wie Schnee erstrahlt die Erlöserkirche von Tjumen

In Tjumen, dem „Tor nach Sibirien“ brummt es rund um die Uhr. Des Volkes wahrer Himmel ist der Rummelplatz im Zentrum der Stadt, ein Mini-Disneyland mit schreiend bunten Plastikschwänen auf einem künstlichen See und einer Reihe von Pommesbuden, aus denen Ohren betäubende Musik schallt. Ringsum Gebäude aus der sozialistischen Ära –  in Zement gegossene Monotonie. Doch die 1586 von Kaufleuten gegründete Stadt hat auch manch schöne Ansicht zu bieten. Blendend weiß erstrahlt die Erlöserkirche in der gleißenden Mittagssonne. Und auch die Zeilen mit kunstvollem Schnitzwerk verzierter pastellfarbener Häuser aus dem 19. Jahrhundert erfreuen das Auge. Störend ist allerdings das Gewirr von Oberleitungen, das sich kreuz und quer durch die ganze Stadt zieht.  Als Highlight auf unserer Route durch die Region  erweist sich Tobolsk mit seinem imposanten Kreml (Festung). Die Stadt erhielt unlängst ein gründliches Facelifting. Historische Gebäude und elegante Stadtpalais wurden gründlich gereinigt und von Grund auf restauriert. Und diese Maßnahme war keinem Geringeren als Russlands altem und neuen Präsidenten Wladimir Putin zu verdanken. Als er vor einigen Jahren auf einer Reise durch sein Reich hier  vorbeischaute, zeigte er sich gar nicht amüsiert  über den Zustand der einstmals prächtigen Gebäude. „Da müsst ihr was tun“, soll er nur kurz gesagt haben. Und so geschah es auch mit schnell bewilligten Geldern aus der Staatskasse. Sibirien ist dank seiner sprudelnden Öl- und Gasquellen ein reiches Land. Nur leider, murren die Einheimischen hinter vorgehaltener Hand, muss gar zuviel von diesen Einnahmen nach Moskau abgeführt werden. In Tobolsk vollzog sich übrigens eine der dramatischsten Episoden der russischen Geschichte. Nach der Oktoberrevolution wurde die Familie des letzten Zaren Nikolaus II. kurzerhand im Gouverneurspalast interniert, bevor die Bolschewiki sie 1918 in Jekatarinburg ermordeten. Jeder ihrer Schritte wurde von den neuen  Machthabern überwacht, berichtet Stadtführerin Inna in perfektem Deutsch. Nur an seinem Schreibtisch war der Zar unbeaufsichtigt. Da konnte er in aller Ruhe sein Tagebuch verfassen. Heute heißt es „bitte freundlich lächeln“, wenn sich Touristen aus aller Welt hinter diesem erlesenen Möbelstück ablichten lassen.

 

Jurgewna Smirnova hütet das Erbe von Rasputin in seinem Wohnhaus in Pokrowkoje

Inzwischen sind die Romanows weitgehend rehabilitiert und in manchen russisch-orthodoxen Kirchen und Klöstern auf modernen Ikonen zu bewundern. Wer sich mit dem Leben der Zarenfamilie befasst, kommt an ihrem Dämon, dem Wanderpropheten Grigori Jefimowitsch Rasputin,  nicht vorbei. Manche verfluchten, viele verehren ihn noch heute. Zur zweiten Kategorie zählt seine Biografin  Jurgewna Smirnowa. Auf dass Rasputin, dem berühmtesten Sibirjaken aller Zeiten, endlich Gerechtigkeit widerfahre, setzte sich die unerschrockene Dame bereits in der der Sowjetzeit ein. In Pokrowskoje, dem Heimatdorf des Zarengünstlings, betreut sie sein ehemaliges Wohnhaus, das sie zu einem sehr sehenswerten Museum umfunktionierte, in welchem sie sämtliche Erinnerungsstücke wie ihren Augapfel hütet.  Natürlich war der Name Rasputin unter den Kommunisten tabu, erzählt die agile Blondine, während sie ihre Gäste durch ihre Sammlung führt und sämtliche Fotos und Gegenstände akribisch erklärt. Höchste Ehren erfuhr das Haus, als Zar Nikolaus  einst persönlich hier erschien, um Rasputin zu bitten, seinen Sohn, den Zarewitsch, von seiner Bluterkrankheit zu heilen. Ein  großer Gedenkstein vor dem Anwesen weist auf den hohen Besuch hin. Zum Schluss überrascht Frau Smirnowa uns noch mit einer Sensation. Neueste Erkenntnisse aus jüngst frei gegebenen Dokumenten sollen belegen, dass nicht etwa -wie bislang vermutet – einer der Vettern des Zaren,  sondern ein führendes Mitglied des britischen Geheimdienstes Rasputin 1916 in St. Petersburg ermordete. So eine Art Vorgänger von 007 James Bond mit der Lizenz zum Töten, wie einer aus der Gruppe hinter vorgehaltener Hand witzelt.

 

Sibirien ist reich an schönen alten Bauernhöfen, die in letzter Zeit aufwendig  restauriert  wurden. Die Stuben und Küchen mit  ihren knarrenden Holzfußböden, riesigen Kachelöfen und altem Mobiliar rufen lebhafte Erinnerungen an Erzählungen großer russischer Schriftsteller wie Leo Tolstoi und Fjodor Dostojewski hervor. Die in ihre farbenfrohen Trachten gekleideten Dorfbewohner empfangen die Touristen nach Landessitte gleich am Tor mit Brot und Salz. Zu den Klängen von Akkordeon und Balalaika wird bis spät in den Abend gesungen und getanzt. Diese Museumsdörfer erfreuen sich auch bei den Besuchern aus anderen Teilen Russlands – besonders bei den  Moskowitern – wachsender  Beliebtheit. Hier erfahren sie zu ihrem Erstaunen, dass die sibirischen Bauern immer freie Bauern waren, die selbst über ihre Ländereien bestimmen konnten. Der Arm der Obrigkeit reichte wohl nicht bis in die entlegenen Gebiete des Riesenreiches.

 

Zu Gast bei Flora Abba, der gestrengen Tartarin

Die Sonne ist gerade aufgegangen. Doch das Thermometer zeigt an diesem Julitag bereits 26 Grad Celsius an. Über Stock und Stein, holperige Feldwege und schlecht geteerte Straßen fahren wir in Richtung Osten, um ein Tartarendorf zu besuchen. Obgleich die Tartaren gläubige Muslime sind, leben sie sehr harmonisch mit ihren  größtenteils russisch-orhodoxen Mitbürgern zusammen. Konflikte hat es bislang noch nicht gegeben, beteuert Reiseleiterin Inna. In einer Stunde sind wir am Ziel, erklärt  unser Fahrer Igor nach einer kurzen Teepause. „In einer sibirischen Stunde“, fügt er verschmitzt hinzu. Denn in diesem gigantischen, zehn Millionen Quadratkilometer  großen Land, das schon fast ein Erdteil für sich ist, gehen auch die Uhren etwas anders als sonst wo auf der Welt. Endlich erreichen wir das Dorf, in dem Flora Abba, die gestrenge Matriarchin eines alten Tartarenclans, uns in die Moschee zu Tisch bittet. Wir Frauen werden höflich, aber sehr bestimmt gebeten, unsere Köpfe mit einem Tuch zu bedecken. Auf dicken Teppichen im Schneidersitz kauernd, genießen wir Pelmeni, leckere gefüllte Teigtaschen, und von Honig triefendes Gebäck. Dazu wird Wasser und Fruchtsaft gereicht. Hier sind die Sitten strenger als bei anderen Tartaren, erzählt mein Nachbar. Bei manchen Muslimen stehe sogar die Wodkaflasche für jeden sichtbar mitten auf dem Tisch. Denn der Prophet Mohammed habe den Gläubigen lediglich den Genuss von Wein verboten. Und Wodka gab es zu seinen Lebzeiten noch nicht. Ein Narr, der Schlechtes dabei denkt!

 

Allgemeine Auskünfte:

Russisches Fremdenverkehrsbüro, Eisenacher Straße 11 in 10777 Berlin, Telefon: 030-78 600 041,  www.russlandinfo.de  oder Vostok Reisen GmbH & Co. KG., Weinbergsweg 2, 10119 Berlin, Telefon: 030 – 30 871 028, www.vostok.de