Handgefertigtes, Buchkunst und ein hochinteressiertes Publikum

Seit 1998 wird im Hamburger Museum der Arbeit, die Messe BuchdruckKunst veranstaltet. Der Name sagt zwar fast alles aus, aber wenn man hingeht, öffnen sich dem Betrachter neue Welten.

Mehr als 60 Aussteller haben am Wochenende vom 5. bis 7. April 2024 ihre Arbeiten gezeigt. Jedoch waren nicht nur Bücher zu sehen, ihr Anteil ist in den letzten Jahren zurückgegangen, sondern sehr viele kleinformatige Drucke, egal ob als Holzschnitt, Linolschnitt, Radierung, Siebdruck und Ähnlichem mehr sowie Reproduktionen solcher Werke. Das ist der Haupttrend der Veränderung in den letzten Jahren.

Etliche Aussteller sind schon zum 15. Mal auf der Messe, und dem Veranstalter Klaus Raasch ist es zu verdanken, dass auch jüngere Buchkünstler einen Ausstellerstand haben. Die Qual der Wahl, aus doppelt so vielen Bewerbungen auszuwählen, ist sicher nicht zu unterschätzen. Jedes Jahr kommen etwa 2.500 Besucher nach Hamburg-Barmbek, um sich inspirieren zu lassen, besonders schöne Stücke zu finden und diese zu kaufen. In diesem Jahr waren es laut Veranstalter rund 1.900. Im Eintrittspreis von 12 Euro sind der farbige Katalog und ein Ausstellerverzeichnis enthalten. Sicherlich werden keine ganz großen Geschäfte abgewickelt, dient doch ein Messestand in erster Linie der Kundenpflege und dem absolut grandiosen haptischen Vergnügen, neue Produkte in die Hand zu nehmen und zu bewundern. Hierbei ist nicht entscheidend, ob es Unikate, Drucke in Kleinstauflagen oder Offset-Reproduktionen in größeren Auflagen sind, es geht um Buchkunst abseits des Üblichen.

Für mich als Journalist beginnt die Qual der Auswahl, was ich dem geneigten Leser näherbringen möchte. Ich habe mich auf fünf Beispiele konzentriert, die unterschiedlicher im Handwerk nicht sein können. Beginnen möchte ich mit der Grafikerin Sabine Riemenschneider aus Wernigerode, die in Kleinstauflagen Bücher im Digitaldruck produziert. Im Bild zu sehen ist eine Papierrolle, auf der durch Stanzung Töne einer Orgel gespeichert und automatisch abgespielt werden können. Dieses Papierunikat hat sie bemalt und beschriftet. Um es der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, hat sie es nach der Reproduktion digital in ein großformatiges Leporello-Buch ganz ähnlich wie dieses endlos lange Papier gedruckt.

Gerd J. Wunderer aus Augsburg hat sich auf Unikate spezialisiert. Im Bild zu sehen ist ein Bücher-Karussell, ein Papptheater der ganz besonderen Art. Hiervon gibt es keine Reproduktionen und auch kein Buch, sondern nur das Original.

Der Schweizer Buchbinder Roland Meuter zeigte wunderschöne Bucheinbände aus Leder und anderen Materialien. Besonders angetan haben es mir die Illustrationen auf dem Leder und ganz speziell der Buchschnitt. Jeder Leser kennt einen Goldschnitt: goldfarbener Kopfschnitt, Seitenschnitt und Fußschnitt, aber bei diesem Buchkünstler kommt noch etwas hinzu, was ich in 40 Jahren Praxis noch nicht gesehen habe.

Blättert man das Buch, wie im Foto gezeigt, schräg auf, ergibt sich unter dem Goldschnitt eine weitere Malerei. Meuter benennt es mit dem Fachausdruck „unterbemalter Goldschnitt“. Das sind Unikate mit Aquarellfarbe, die erst dann sichtbar sind, wenn man den Buchblock schräg aufblättert: Höchst künstlerisch.

An einem weiteren Stand entdeckte ich die Logbuch-Buchhandlung aus Bremen, die seit zehn Jahren den Logbuch-Verlag nebenberuflich betreibt. Buchumschläge in schmalen Formaten werden künstlerisch im Hochdruck hergestellt, der Innenteil, schön zwei- oder mehrfarbig gestaltet, im Offsetdruck. Mittlerweile sind zwölf Titel lieferbar (im Foto sind sie in einem Schuber zu sehen), ein optisch und haptisch sehr schönes Erlebnis. Es kommen Autoren wie Edgar Alan Poe, Mary Shelley und Washington Irving in der kleinen Buchreihe, die eigentlich eine Heftreihe ist, vor.

Was passiert mit Büchern, die nicht mehr ins Bücherregal passen, oder was passiert nach einer Haushaltsauflösung? Im besten Fall werden sie in gute Hände weitergegeben, gespendet, und wenn sie besonders wertvoll sind, landen einige in einem Antiquariat. Mein letztes Gespräch führte ich mit dem Hamburger Antiquar Dietrich Schaper, der an einem sehr zentralen Ort in Hamburg, im Pavillon in der Nähe vom Dammtor-Bahnhof, sein Antiquariat hat. Er zeigte auf der Messe BuchDruckKunst  etwa 100 Bücher zum Themenbereich Typografie und Druck. Mit ihnen wurden Generationen von Mediengestaltern und Grafikern aus- oder fortgebildet. Mit diesem Flashback in die Geschichte der Gestaltung und der Druckkunst beende ich diesen kleinen Rundgang und lese auf der Rückfahrt das Buch „Danke Artur“, das dem großartigen Setzer Artur Dieckhoff gewidmet ist, der 72jährig im Jahr 2020 verstarb. Er hat die Druck-Abteilung im Museum der Arbeit mit aufgebaut, war der „schwerste Setzer Deutschlands“ und begann sein Gespräch gerne so: „Du kannst mich auch Meister nennen“. Dass er sich an der Düsseldorfer Kunstakademie vom weltberühmten Künstler Joseph Beuys inspirieren ließ, muss nicht extra erwähnt werden.

Der Buchtitel meiner Roman-Trilogie über die Revolution der Druckbranche in den 1980er Jahren heisst nicht von ungefähr „Lebe wild und gefährlich, Arthur“. Als Abgrenzung zum Original wird Artur hier mit „h“ geschrieben.

Dass auch die Hamburger „Büchergilde Gutenberg“-Buchhandlung mit einem eigenen Stand vertreten war, freute mich ebenfalls, denn dort konnte ich mein vorbestelltes Buch von Uwe Timm abholen, da ich seit etlichen Jahren Mitglied in dieser Buchgemeinschaft bin, die sich dem „schönen Buch“ verschrieben hat. Wer diese hervorragende Buchgemeinschaft mit über 100 Partnerbuchhandlungen noch nicht kennt, findet sie natürlich auch online.

 

Hier finden Sie die Websites der beschriebenen Aussteller:

www.atelier-soso.de Sabine Riemenschneider

www.gerd-j-wunderer.de Gerd Wunderer

www.rmeuter.ch Roland Meuter

www.logbuchladen.de Axel Stiehler

www.antiquariat-schaper.de  Dietrich Schaper

www.buechergilde.de Büchergilde Verlag

 

Der Messetermin für 2025 ist hier zu finden: www.buchdruckkunst.com

(Fotos: Ralf Plenz)

Neu in Ottensen: Ralfs literarischer Abend

Für Lesende und Literaturfreunde bietet der Verleger und Büchermacher Ralf Plenz eine offene Veranstaltungsreihe an, mitten im Herzen von Ottensen, rund 250 Meter vom Bahnhof Altona entfernt, am Spritzenplatz.

Programm: Europäische Highlights

In der Veranstaltungsreihe erfahren die Gäste Wissenswertes zu Kafka, Werfel, Woolf, von Arnim, Deledda, Langgässer, Krüger und Benjamin.

Mit Lesung aus Vorwort und Text einer besonders preiswerten ­leinengebundenen Ausgabe der „Perlen der Literatur“, dessen Herausgeber auch der Vorleser ist.

Lesung: Ralf Plenz

Mittwoch, 28. Februar, von 19–21 Uhr

aus Elizabeth von Arnim: Bezaubernder April (1922, Wiederveröffentlichung in der Reihe „Perlen der Literatur“ )

Der Eintritt ist frei und man braucht sich nicht anzumelden, sondern kann einfach spontan vorbeikommen. Es dürfen auch Freunde und Verwandte mitgebracht werden.

Ort: sFachl Kreativshop, Bahrenfelder Str. 79, Altona-Ottensen, Hamburg

Die nächsten Lesungs-Termine am gleichen Ort: 13. März und 27. März.

 

Für Informationen und Nachfragen:

Ralf Plenz  www.input-verlag.de  ·  Schmarjestr. 42   ·   22767 Hamburg   ·   mobil: 0178 8666302

 

„Ein Jahr noch, und dann ist es aus“

Vorsatzpapiere, (c) Input-Verlag

Diesen Satz sagt Felix zu seiner Geliebten Marie, als sie im Prater in einem Wirtshaus sitzen. Dieser Satz ist der Anfang eines Verhängnisses, das Arthur Schnitzler in seiner Novelle „Sterben“ auf 134 Seiten aufrollt und von allen Seiten beleuchtet, auf so packende Weise, dass man das Buch kaum weglegen mag.

Felix ist krank, sterbenskrank – oder glaubt er nur, es zu sein? Es gibt allenfalls diffuse Symptome.  Sein Arzt Alfred äußert sich gleichzeitig so vage, resolut und Mut machend, dass es argwöhnisch macht. Entweder ist Felix ein Hypochonder oder ein todkranker junger Mann. Jedenfalls ist er davon überzeugt, in einem Jahr sterben zu müssen. In ihrer Verzweiflung und Angst verspricht Marie, mit ihm zu sterben.

Man könnte glauben, dass dies ein trauriges, vielleicht gar trostloses Buch sei, resignativ durch das schwere Thema. Dass es kein Happy End geben wird, ist in der Atmosphäre der Geschichte angelegt. Wie das Ende aussehen wird, jedoch nicht, es bleibt bis zum Schluss spannend. Und nicht weniger spannend ist die Auseinandersetzung mit der Endlichkeit des Lebens, der Liebe, des Schönen und des Schrecklichen. Schnitzlers unvergleichliche, poetische Sprache schafft eine oszillierende Schönheit, die – gepaart mit der inhaltlichen Spannung – den Leser in den Bann schlägt.

Im Spannungsfeld der starken Nähe zweier Verschwörer in Erwartung des baldigen gemeinsamen Endes und der großen Entfremdung, als Marie von ihrem Lebenswillen gepackt wird, fühlt man als Leser mal mit der einen, dann mit der anderen Figur, ist hin- und hergerissen und kann es kaum aushalten, nicht zu wissen, was nun wirklich los ist. Denn Schnitzler benennt die Krankheit an keiner Stelle, man weiß sehr lange nicht, ob Felix wirklich krank ist oder sich alles nur einbildet.

So geht es auch Marie. Während eines Kuraufenthalts in den Bergen scheint Felix wieder zu genesen, das quälende Versprechen Maries, mit ihm in den Tod zu gehen, scheint sie nicht einhalten zu müssen. Fast könnte man glauben, dass nun alles gut würde. Fast. Wenn da nur nicht dieser immerwährende Zweifel wäre, den Arthur Schnitzler meisterhaft zwischen den Zeilen hält.

Wie diese großartige Novelle endet, soll hier nicht vorweggenommen werden. „Sterben“ ist ein wunderbares Buch für den Winter, für die stillere Zeit. Der Verzicht auf drastische Schilderungen und Effekte macht die Erzählung stark und zeigt, wie weite Räume sich mit poetischer, bildhafter Sprache und Andeutungen öffnen lassen. Man darf als Leser hier Phantasie haben.

Dieser Band trägt die Nummer 14 der Reihe „Perlen der Literatur“ aus dem Input-Verlag und zeichnet sich, wie die anderen Bände auch, durch sein bibliophiles Erscheinungsbild aus. Dadurch wird das Lesevergnügen noch einmal gesteigert. Mehr über die außergewöhnliche Reihe finden Sie in diesem Artikel:

https://die-auswaertige-presse.de/2021/09/eine-perlenkette-fuers-buecherregal/

 

Arthur Schnitzler: Sterben
Perlen der Literatur, Band 14
Input-Verlag, Hamburg 2022

Nimm uns mit, Kapitän, auf die Reise…

Mit dem Sahara-Express durch die Wüste

In seinem jüngst erschienenen Buch „Zwischen Hamburg und der Ferne“ lädt uns der bekannte Schriftsteller Wolf Cropp auf eine Reise rund um die Welt ein. Leichtfüßig bewegt er sich zwischen der Hansestadt und zahlreichen Ländern auf der nördlichen und südlichen Halbkugel unseres Globus. In Insgesamt zweiundvierzig völlig voneinander unabhängigen Erzählungen gewährt der Autor dem Leser einen Einblick in sein abenteuerliches Leben, das ihn stets fernab der ausgetretenen touristischen Pfade nicht nur in die interessantesten, sondern häufig auch gefährlichsten Regionen des Planeten führten.

Die Reise um die Welt beginnt vor der Haustür
Mal wieder im Hamburger Hafen bei der Verholung der PAMIR

Ein kluger Fahrensmann sagte einst, dass einer, der die Welt erkunden will, zuerst seine Heimat richtig kennenlernen solle. Dann erst habe er das Rüstzeug für die weite Ferne. Folgerichtig beginnt Cropp seinen Erzählzyklus in seiner Vaterstadt Hamburg. „Kampfplatz Stadtpark“ berichtet von einem gefährlichen Abenteuer, das er und seine Spielkameraden nach 1945 in der vom Krieg zerstörten Hansestadt zu bestehen hatten. Vielleicht war dieses Erlebnis zusammen mit anderen gewagten „Aktionen“ auch die Feuertaufe für diesen drahtigen Mann, der auf seinem weiteren Lebensweg nie einer Herausforderung auf dem Weg ging.

Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen
Der Voodoo-Priester mit der Plastiktüte?

Wer kann sich etwas Schöneres vorstellen als die Inseln der Südsee? So verschlug es den Autor nach Moorea, Tahiti, wo er mit dem „Inselschreck“ Bekanntschaft schloss. Mit den Füßen im Stillen Ozean plätschernd, überlegte er sich, wie er zu Wasser nach Papeete gelangen könnte, mietete ein Auslegerkanu und landete in der Tat am Ziel seiner Träume, trotz der Warnung eines Einheimischen, er könne zwar heil in Tahiti ankommen, aber auch bei ungünstiger Strömung auf dem offenen Meer verloren gehen. Hatte der Waghalsige nur Glück oder war er einfach ein begnadeter Navigator? Wir vermuten letzteres. Von dieser Tour de Force etwas erschöpft, wandelt Cropp beseelt auf den Spuren des Malers Paul Gauguin und lässt uns an der tragischen Lebensgeschichte des Malers teilhaben. Der Künstler erträumte sich einen Garten Eden in der Südsee, frei von allen Konventionen der westlichen Zivilisation, fand aber zu seinem Leidwesen eine durch die französische Kolonialherrschaft zerstörte autochthone Kultur vor. Quelle déception! Dennoch schuf er wunderbarer Gemälde, die zwar zu seinen Lebzeiten niemand kaufen wollte, die aber heute unbezahlbar sind. Ein Schicksal, das er mit anderen genialen Künstlern teilt. Man denke nur an Vincent van Gogh.

Eisfischen am Nordrand Alaskas

Auf den „Marktbesuch“ im westafrikanischen Benin folgen spannende Geschichten auf dem „Transalaska Highway“ sowie eine „Kreuzfahrt ins ewige Eis“ Alaskas. Ferner erfahren wir, dass am Sambesi „Die Hölle stinkt.“ Es gehört schon viel Mut dazu, sich auf eine „entspannte Bootsfahrt“ oberhalb der Victoriafälle zu begeben. Noch viel gefährlicher aber sind die Gewässer darunter, in denen hungrige Krokodile leben und auf Beute lauern. Doch auch diesen Höllentrip übersteht Cropp mit einem Lächeln auf den Lippen, als er gleich zwei der riesigen Echsen mit weit aufgerissenen Mäulern neben seinem Boot erblickt. Nach einem solchen Abenteuer mutet der Ausflug in die Wüste im Tschad zwar auf den ersten Blick wie ein Spaziergang an, entpuppt sich jedoch als Ausflug voller Tücken. Als der Autor die Orientierung verliert, verlassen ihn bald seine Kräfte. Völlig erschöpft legt er sich im Wüstensand zum Schlaf nieder: „Ich suchte den Boden ab. Schwarzkäfer bohrten sich in den Grund. Skinke huschten über den Sand. Ein Skorpion hastete davon. Eine Hornpiper grub sich ein. Der Abendwind blies sie weg, die letzten Lebensspuren…“ Aber auch aus dieser prekären Lage arbeitet sich Cropp heraus, der offenbar wie eine Katze über sieben Leben verfügt. Der wunderbaren Geschichten sind viele in diesem lesenswerten Buch. Eine der anrührendsten ist jene, in der sich der Autor auf die Suche nach dem verlorenen Sohn eines Freundes in Thailand begibt und diesen nach endlosen Umwegen auch findet.

Kein Platz für Märchen
Der Autor on Tour

Wenn auch manche Erzählungen etwas fantastisch anmuten, so haben wir es im Autor Cropp nicht etwa mit einem Claas Relotius zu tun, der den „Spiegel“ vor nicht langer Zeit mit Geschichten beglückte, die ausschließlich seiner allzu lebhaften Fantasie entsprangen. Keines von Cropps Abenteuern ist erfunden. Hier geht es ausschließlich um „histoires vécues“ – am eigenen Leib Erlebtes und Erlittenes. Manche der in „Zwischen Hamburg und der Ferne“ enthaltenen Erzählungen kennen wir bereits aus verschiedenen Büchern, die der Autor im Laufe der Zeit über seine Reisen rund um den Globus geschrieben hat. Sein einzigartiges Fabuliertalent lässt uns seine Abenteuer hautnah miterleben. Dazu gehören u.a. „Fluchtort Guantánamo, „Heimaterde“ und „Die Brandung.“ In diesem Kontext hervorzuheben ist „Insel der Meuterer (Pitcairn), eine faszinierende Geschichte, die das Schicksal der Überlebenden der legendären „Bounty“ auf einer gottverlassenen Insel in der Südsee erzählt. Da dieses felsige Eiland offenbar auf den Seekarten der britischen Admiralty im 18. Jahrhundert nicht zu finden war, biss man sich im fernen London die Zähne aus nach dem Verbleib von Fletcher Christian und den übrigen Meuterern. Kaum zu glauben, aber es gibt auf Pitcairn immer noch Nachkommen dieses Aufrührers gegen die britische Krone.

Zurück zu den Wurzeln

Mit „Zwischen Hamburg und der Ferne“ überreicht uns Wolf Cropp einen bunten Blumenstrauß wunderbarer, den ganzen Erdball umspannender Erzählungen. Die literarische Reise endet, wo sie begann, in Hamburg. Hier begegnen wir der drallen „Seemannsbraut“ auf St. Pauli, erfahren manch Bizarres über die „Liebe in Zeiten von Corona“ und wohnen der Überführung der „Viermastbark Peking“ in ihren heimatlichen Hafen auf dem Grasbrook bei.

Fazit

Wer sehnt sich in dieser trüben kalten Jahreszeit nicht nach Sonne, Meer und Abenteuern in fernen Ländern? Empfehlung: Man greife zu „Zwischen Hamburg und der Ferne“ und genieße dieses fast 500 Seiten starke Buch in vollen Zügen. Viel Spaß bei der Lektüre.

Buchcover
(c) Verlag Expeditionen, Hamburg

„Zwischen Hamburg und der Ferne“ von Wolf Cropp ist im Verlag Expeditionen erschienen, umfasst 491 Seiten und kostet 20 Euro. ISBN 978-3-947911-68-4

Fotos: Wolf-Ulrich Cropp

Mit Magellan – historischer Roman von Reimer Boy Eilers

Buchcover „Mit Magellan“, Reimer Boy Eilers

Ein Gastbeitrag von Jakob Krajewsky

Es ist vielleicht die Suche seines Selbst, die Präsenz des Alter Egos, in dem präzise und sorgfältig recherchierten ersten Band der Trilogie: „Mit Magellan – Die Ausfahrt – Vom Hilligen Eiland nach Sevilla“ des Hamburger Autors Reimer Eilers. Überhaupt haben die einst ruhm- und siegreichen Entdecker wie Magellan, Kolumbus, Vespucci & Co., damals unterwegs mit dem Nimbus des Lichtträgers der abendländischen Zivilisation, im 21. Jahrhundert sehr im Zuge der Debatten um Kolonialismus und Postkolonialismus an Ansehen gelitten. Waren sie nicht einfach nur gierige Europäer, verkrachte Existenzen auf der Suche nach Gold und Ruhm im Auftrag ihrer Majestäten und Despoten? Oder sind sie heilige, weitsichtige Männer mit großer Überzeugungskraft und nötigem Sendungsbewusstsein gewesen, die die Dogmen der Kirche infrage stellten, die Erde sei eine Scheibe? Was suchten sie? Macht? Freiheit? Reichtum? Die Kapitäne, Hasardeure und Entrepreneure riskierten angesichts der Inquisition und der Gefahren auf See und im unbekannten Land ihre Gesundheit, ihr Leben und das ihrer Mannschaft. Was waren das für tollkühne verzweifelte oder schanghaite Männer, die mit den berühmt-berüchtigten und z.T. verrückten Entdeckern auf See waren? Nach Brecht‘scher Art stellt Eilers hier das Leben des kleinen Mannes im ganz großen Getriebe der Weltgeschichte dar.

Aufbruch in wortgewaltigen Erzählwelten über die erste Weltumsegelung.

In bester erzählerischer Manier und stilvoller, fein gesetzter Sprache, dann auch wieder in derb und großkotziger Rede, imaginiert Eilers beredt die Geschichte eines einfachen Helgoländer Seemanns, der auf ungewöhnliche Weise an Deck von Magellans Schiff in Sevilla geriet. Magellan ist Portugiese und wird von der eigenen Krone für seine Ideen eine Passage westwärts nach Indien zu finden verlacht. Dann wendet er sich den spanischen Hoheiten zu und findet endlich Gehör. Er gilt allerdings auch dort bei Hofe als Verräter und wird trotzdem losgeschickt auf die wilde Reise, die er selbst z.T. mitfinanzieren muss. Im August 1519 brach Magellan mit einer Flotte von fünf Schiffen von Sevilla auf. Die Handlung des Romans spielt in mittelalterlich anmutendem Gehabe der geschilderten Figuren, in einer Ära, die schon eine neue Zeit mit Blick auf völlig neue Welten einleitet. Eben durch den Buchdruck, die Erfindung des Protestantismus‘ und die Entdeckung der Neuen Welt über neue, unbekannte Seewege manifestiert sich das, was sich historisch gesehen als Neuzeit ausweist.

Alte Bekannte

Wer Eilers‘ Helgoland-Saga gelesen hat, trifft auf alte Bekannte. Es erscheinen der Hauptprotagonist Pay Edel Edlefsen, sowie Esquimeaux aus Grönland, auch als John Quivitoq McLoud bekannt, ganz simpel Quivitoq genannt, er ist der Busenfreund von Pay, sowie der Herr Nurredin al Gharb, den Pay sehr liebte. Dieser Herr Magister ist ein getaufter Maure mit kolossalem Weltwissen, der heimlich noch seinen alten Bräuchen huldigt und dem die gesellschaftliche Anerkennung in Sevilla versagt bleibt. Und auch die uns schon bekannte Jungfer Peerke wird immer wieder im Gedankenstrom des Pay Edel als seine geliebte Seemannsbraut, verblieben auf Helgoland, direkt angesprochen. Heimat bleibt verbindlich, nur nicht den Roten Felsen aus den Augen verlieren!
„Zu Hause hat es mich nie beunruhigt, die Verhältnisse jenseits der See zu missen. Es ist ein Kennzeichen der Heimat, dass sie den Menschen gut aufbewahrt und er gar nicht so viele Dinge zu wissen braucht, die wenigen aber gründlich.“ (S.182)

Wir tauchen ein in diese Welt der zuweilen rauen Seeleute, reisen mit Pay Edel, der wie der Autor Eilers selbst vom Hilligen Lande (Helgoland) stammt und Fischersmann Sohn ist, über Amsterdam nach Sevilla und gehen (fast) auf große Fahrt in die Neue Welt. Eine oft humoresque geschilderte Welt mit neuartiger Kosmologie und der Erkenntnis hochwohlgeborener Señores – die Erde sei gar eine Kugel, keine Scheibe – zwischen Glauben und Aberglauben und bunten Seemannsgeschichten sowie philosophischen Einsichten tut sich auf.
„Wie heilsam ist der Schlaf, wie lobesam ist seine Speise und Verheißung. Traum und Erquickung. Die Seele füllt den Leib des Menschen aus, aber in der Stunde, da der Mensch schläft, steigt sie zum Himmel und schöpft von oben.“ (S. 280)

Nicht alles sei verraten, nur so viel: in Amsterdam werden Pay und Quivitoq schanghait. Herrlich auch die Szenen aus dem Schankraum, bei den Gerberkuhlen und aus dem Badehaus dort. Die Lesenden lernen spielerisch manches über das maritime Gewerbe und alte Kulturtechniken, wie etwa ein Wundpflaster gefertigt, oder gelesen und mit Federkiel geschrieben wurde. Zudem werden die siegreiche und furchterregenden Schwarzen Schiffe der Spanische Armada erwähnt, und auch Spaniens König Karl als Weltenherrscher sowie Don Fernando Magellan werden alsbald eingeführt. In Sevilla angekommen, werden Pay und Quivitoq von einem Edelmann für die Heuer auf Magellans Schiffen für die Seereise in die neue Welt zwangsverpflichtet. Blumige Beschreibungen von Szenerien in der holländischen Hafenstadt und des burlesken Lebens im vornehmen Sevilla sowie diverse amouröse Einlassungen in den Hafenstädten sind des Autors Plaisir.
„Die Stadt war vollgestopft mit Abenteurern und Astrologen, mit Damen und Dieben, mit Händlern und Handwerkern, mit Bettlern und Bankiers, Edelleuten und ehrbaren Kaufleuten, mit Lahmen wie mit Laufburschen, Mönchen und Mägden, mit Landratten, Sesselfurzern und dann wieder mit Seeleuten wie uns.“ (S. 304)

Der erste von drei Bänden

Das Buch ist der erste von drei Bänden mit dutzenden Kapiteln, die immer mit skurrilen Aphorismen und Moritaten, u.a. von Hartman von Aue Zitaten, sowie oft mit kleinen Bildern und Miniaturen eingeleitet werden. Eilers ironisiert und dekonstruiert seine eigene Schreibtechnik und macht dieses zuweilen als ‚Beifang‘ kunstvoll präsent. Flaggenstreit, Mordkomplotte der Kapitäne Magellans, Rufmord, dominikanische Inquisitoren und Spione an Bord – Eilers liefert hier einen gewagten Mix aus historischen Ereignissen und imaginierten Momenten.

Das Buchcover zeigt welliges Meer mit einem antiken Globus dahinter, der untergeht und einer stolzen Caravela davor. Vermutlich ist es Magellans Flaggschiff Trinidad, die einsam den anderen vier Schiffen, die nicht in Sicht sind, vorausfährt. Diese Frontseite erscheint prophetisch wie ein Menetekel über den Zustand unserer heutigen Welt. Don Fernando hatte mit teuflischem Mut, bestem Kartenmaterial und seemännischer Geschicklichkeit um Feuerland herum die maritime Verbindung zwischen Atlantik und Pazifik, die nach ihm benannte Magellanstrasse, als Durchfahrt gefunden. Das bleibt eine großartige kulturelle Leistung von weltgeschichtlicher Bedeutung.

Auf dem Kamm einer populären Welle

Reimer Eilers befindet sich mit seinem historischen Roman über den Weltumsegler Magellan gerade auf dem Kamm einer populären Welle, um über die Deutungshoheit der einst glorifizierten Entdecker zu reflektieren. Hätten sie doch bloß nicht entdeckt, was sie damals entdeckt haben, mögen manche heute geradezu blasphemisch denken. Doch diese Frage stellt sich nun nicht mehr. Es macht einfach großen Spaß, sich mit den Erzählströmen durch die Wortkaskaden des wortgewaltigen Erzählers und durch das Erleben seiner vitalen Protagonisten wie von einem genialen Puppenspieler mitreißen zu lassen. Kunstvoll endet dieser Band mit einem epischen Gedicht über Portugals Zorn. Wir als Lese- und überwiegende Landratten sind nach dieser Lektüre nun schon recht gespannt auf den zweiten Band.