Schlacht, Krieg und Zukunft verloren

Von Dr. Manuel Ruoff

Vor 600 Jahren erlitt der Deutsche Orden bei Tannenberg seine folgenschwerste Niederlage

Am 15. Juli 1410 unterlagen die Ritter des Deutschen Ordens ihrem polnisch-litauischen Gegner in der kriegsentscheidenden Schlacht bei Tannenberg. Im anschließenden Ersten Thorner Frieden wurden dem Verlierer Kontributionen auferlegt, die mit den Kosten und Zerstörungen des Kriegs den Anfang vom Ende des Deutschordensstaates einläuteten.

Der Deutschordensstaat erhielt seinen menschlichen Nachschub primär aus dem Westen, aus dem Reich. Das gilt für die Siedler, aber auch für die Führungskräfte des Ordens. Diese Bindung an das Reich ließ den Orden eine Landverbindung zum Reich suchen. Damit geriet er in einen Interessenskonflikt mit Polen, das einen Zugang zur Ostsee erstrebte. Wer denkt da nicht an die deutsch-polnische „Korridor“-Problematik zwischen den beiden Weltkriegen?

Doch anders als das Ostpreußen der Zwischenkriegszeit hatte der Deutschordensstaat das Problem der Verbindung nicht nur in Richtung Westen. Ab 1237 war der Deutsche Orden nämlich mit dem Schwertbrüderorden in Livland vereinigt und strebte deshalb nach einer Landverbindung mit Livland. Dieses Streben konkurrierte nun wieder mit dem Interesse Litauens an einem Ostseezugang.

Bis vor 600 Jahren war es dem Deutschordensstaat gelungen, sich in den beiden schier antagonistisch scheinenden Interessengegensätzen mit Polen auf der einen Seite und Litauen auf der anderen durchzusetzen. Zu Beginn des 15. Jahrhunderts erreichten die Landbrücken zum Reich und nach Livland ihre stärksten Ausprägungen, wie überhaupt der Ordensstaat in dieser Zeit seine größte territoriale Ausdehnung erlangte. Nachdem es im Westen zuvor schon Pommerellen erworben hatte, gewann es 1402 auch noch die Neumark. Im Osten kam 1404 Samaiten hinzu.

In diesen Zeiten der größten Ausdehnung bahnte sich jedoch schon mit der polnisch-litauischen Union die Katastrophe für den Ordensstaat an. Der polnische Adel wollte die Union mit Litauen. Er war bereit, die 1997 heiliggesprochene polnische Königstochter Hedwig von Anjou als seine Königin zu akzeptieren, wenn denn diese sich mit dem litauischen Großfürsten Jogail vermählte. Vom Litauer wurde im Gegenzug erwartet, dass er zum römisch-katholischen Glauben übertrat. Wie der polnische Adel es wollte, geschah es. Entsprechend der Union von Krewo aus dem Jahre 1385 ließ sich Jagial in den folgenden Monaten taufen, heiratete Hedwig und wurde als Władysław II. an der Seite seiner Frau König von Polen. Die polnisch-litauische Union wurde anfänglich noch dadurch gefährdet, dass Vytautas Władysławs Herrschaft in Litauen in Frage stellte. Die beiden Vettern einigten sich jedoch in der Weise, dass Vytautas als Preis für den Erhalt Litauens die polnisch-litauische Union und die polnische Oberhoheit akzeptierte. Die polnisch-litauische Front gegen den Deutschordensstaat stand.

Trotz der Union, welche Polen und Litauen 1385 gegen den Deutschordensstaat geschlossen hatten, gab es noch zwei Personen, welche einem Kriegsausbruch entgegenstanden. Da war auf der einen Seite die deutschordensfreundliche Königin Hedwig, die an der Seite ihres Mannes Polen regierte. Sie starb 1399. Und da war auf der Seite des Deutschordensstaates Konrad von Jungingen, der als Hochmeister mit seiner umsichtigen, verbindlichen Art während seiner Amtszeit dem sich stetig verschärfenden Gegensatz zwischen dem Orden und Polen-Litauen vorübergehend die Spitze zu nehmen verstand. Er starb acht Jahre nach der Polenkönigin. Sein Nachfolger wurde noch im selben Jahr sein weniger geeigneter Bruder Ulrich.

Der Beginn des Krieges erinnert etwas an den Ausbruch des Ersten Weltkrieges, wo es ja ebenfalls nur eines Funkens zur Explosion des Pulverfasses bedurfte. In diesem Falle waren es Aufstände in Samaiten gegen die Herrschaft des Deutschen Ordens. Der Hochmeister Ulrich von Jungingen machte Litauens Großfürsten Vytautas (Vitold) dafür verantwortlich und Polens König Władysław II. solidarisierte sich mit seinem litauischen Vetter. Am 6. August 1409 erklärte der Hochmeister Polen und Litauen die Fehde, den Krieg.

Abgesehen davon, dass der Ordensstaat nun einem geeinten Gegner gegenüber stand, hatte die polnisch-litauische Union für den Ordensstaat noch einen weiteren großen Nachteil. Durch die polnische Oberhoheit über die Litauer galten diese nun nicht mehr als Heiden und deren Bekämpfung nicht mehr als Kreuzzug gegen das Heidentum. Anders als bei vorangegangenen Auseinandersetzungen konnte der Deutschordensstaat deshalb diesmal nicht mehr mit der Solidarität der christlichen Welt rechnen.

Ab dem 6. August 1409 schwiegen erst einmal die Waffen. Es wurde ein Waffenstillstand geschlossen. Ein Schiedsspruch des zur Vermittlung angerufenen Böhmenkönigs Wenzel IV. wurde jedoch von polnisch-litauischer Seite abgelehnt. So sprachen nach dem Ablauf des Waffenstillstandes am 21. Juni 1410 wieder die Waffen. Nachdem das polnisch-litauische Heer Gilgenburg am 13. Juli 1410 nicht nur erstürmt, sondern Litauer und Tataren dort anschließend auch grausamst gewütet hatten, entschloss sich der Hochmeister den Gegner zum Kampf zu stellen.

Am 15. Juli 1410 trafen die gegnerischen Heere bei den Dörfern Tannenberg und Grünfelde (polnisch: Grunwald) aufeinander. Die Zahlen schwanken sehr, zwischen 11000 und 27000 bezüglich des Ordens, zwischen 26000 und 39000 hinsichtlich seines Gegners. Unumstritten ist die deutliche zahlenmäßige Überlegenheit der polnisch-litauischen Streitmacht, und das ist entscheidend.

Gegen Mittag begann der als tatendurstig beschriebene litauische Großfürst Vytautas, der mit seinen Litauern den rechten Flügel der polnisch-litauischen Streitmacht bildete, einen Angriff auf den gegenüberliegenden linken Flügel des Ordensheeres. Dieser reagierte mit einem erfolgreichen Gegenangriff und schlug die Litauer in die Flucht. Statt jedoch nun einzuschwenken und dem gegnerischen Zentrum in die Flanke zu fallen, jagte der von Ordensmarschall Friedrich von Wallenrod kommandierte linke Flügel den Litauern hinterher.

Was Wallenrod unterlassen hatte, versuchte nun der Hochmeister an der Spitze seiner Reserven einschließlich der Elite der Ordensritterschaft. Der Versuch scheiterte. Dabei spielte auch Verrat eine Rolle, denn die im Eidechsenbund zusammengeschlossene Kulmer Ritterschaft nutzte die Attacke zur Flucht. Der Hochmeister scheiterte jedoch nicht nur mit seinem Versuch, er fiel auch dabei. Das polnisch-litauische Herr hingegen konnte mit seiner zahlenmäßigen Überlegenheit nicht nur diesen Angriff abwehren, sondern auch einen neuen rechten Flügel bilden und das Ordensheer einkesseln. Entsprechend groß waren die Verluste des Ordensheeres an Toten und Gefangenen.

Die Folgen ähnelten denen der Doppelschlacht von Jena und Auerstedt 1806. Ein Nimbus war zerstört. Von desillusionierten Verteidigern wurde dem Eroberer nun beschämend wenig Widerstand entgegen gesetzt. Anders als im Vierten Koalitionskrieg 1806/07 wurde der Feind jedoch vor der Hauptstadt gestoppt. Dank des Komturs Heinrich von Plauen konnte die Marienburg gehalten werden und der Feind zog ab.

Der Erste Thorner Frieden vom 1. Februar 1411 war denn auch milder als der Tilsiter. Allerdings verlangte der Sieger für die in der Schlacht bei Tannenberg gefangenen Ritter ein Lösegeld in Höhe von 100000 Schock böhmischer Groschen, was mehr als 22 Tonnen Silber entsprach. In finanzieller Hinsicht ähnelte dieser Erste Thorner Frieden dem Versailler Vertrag. Zahlungsrückstände erlaubten dem Gegner Interventionen, und die vom Sieger verlangten Zahlungen in Verbindung mit den Kriegskosten machten den Deutschordensstaat wie das Deutsche Reich von einem reichen Land zu einem destabilisierten Gemeinwesen, bei dem die Frage der Kriegs- und Friedenslastenverteilung unter der Bevölkerung für Streit und Hader im Inneren sorgte.

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