Janz Berlin is eene Wolke – Ein Streifzug durch Berlin-Mitte

Von Uta Buhr

 "Salon" - der Gendarmenplatz
„Salon“ – der Gendarmenplatz

Spieglein, Spieglein an der Wand… Man mag darüber streiten, ob Berlin die schönste Stadt Deutschlands ist. Eines aber ist unbestritten: Sie ist mit Abstand die aufregendste Stadt der Republik und gewiss eine der interessantesten und quirligsten Metropolen weltwelt. Ein Spaziergang durch Berlin-Mitte – das pulsierende Herz der Stadt – macht Lust auf mehr.

Ein strahlend blauer Himmel wölbt sich über Berlin. Die Sonne lässt die gläserne Kuppel des Reichstages silbern aufblitzen. Kaiserwetter. Die „Hauptstadt mit Herz“ scheint aus allen Nähten zu platzen. Babylonisches Stimmengewirr auf Straßen, Plätzen, in Cafés und Biergärten. Gerade schwebt eine grazile Japanerin mit einem riesigen Schirm vorbei, einen Pulk munter schwatzender Landsleute hinter sich her ziehend. Auf den Stufen des Schauspielhauses am Gendarmenmarkt hat sich eine spanische Gruppe niedergelassen und lauscht dem Vortrag ihres Cicerone zur Entstehung dieses vom berühmten Architekten Schinkel Anfang des 19. Jahrhunderts erbauten Musentempels. Es stúpendo – einfach umwerfend! Die Zuhörer wenden sich jetzt den beiden anderen architektonischen Juwelen zu, dem Französischen Dom, der von einer reich mit Gold verzierten Kuppel gekrönt wird, und dem 1708 erbauten Deutschen Dom auf der Südseite des Platzes. „Siehste“, sagt mein Begleiter namens Markus, ein waschechter Berliner aus Schöneberg, „unser Salon jefällt wirklich jedem, ejal, woher er kommt.“ Salon ist genau der richtige Begriff für diesen prächtigen Platz im Herzen der Stadt, der nach dem einst hier untergebrachten preußischen Kürassierregiment, den „gens d’armes“ (bewaffnete Männer), benannt wurde.

Berliner Dom
Berliner Dom

„Rent a bike“, ist das Losungswort in der Hauptstadt mit ihren 3,4 Millionen Einwohnern, die in allen Himmelsrichtungen erkundet werden will. Gerade bei diesem Wetter ist der Drahtesel das geeignete Fortbewegungsmittel.
In Windeseile nähern wir uns Berlins Prachtstraße. „Blamier’ mich nicht, mein schönes Kind, und grüß’ mich nicht unter den Linden!“ Dieses Zitat Heinrich Heines fällt mir ein, als ich mit Markus den von einer doppelten Lindenreihe bestandenen Boulevard hinunter radle, vorbei am Kronprinzenpalais, dem Alten Palais, der Neuen Wache mit der Käthe Kollwitz nachempfundenen Pietà , der Humboldtuniversität und dem 13 Meter hohen Reiterstandbild des Alten Fritz. „Heine war den Reizen schöner Frauen gegenüber sehr aufgeschlossen“, erklärt Markus. „Doch hier wollte er nur mit ‚richtigen“ Damen gesichtet werden.“ Und weiter geht es zur „Oper unter den Linden“, die zurzeit eingerüstet ist und von Grund auf renoviert wird. Das Berliner Stadtschloss, von der DDR-Regierung in den Fünfzigerjahren abgerissen, soll als „Humboldt Forum“ nach den Entwürfen des italienischen Architekten Stella neu erstehen. In der umstrittenen „Humboldt-Box“, einer Keksschachtel in Blau und Grau, ist das Modell zu bewundern.

Nicolaiviertel
Nicolaiviertel

Von der Friedrichstraße mit ihren eleganten Designerläden kommend, landen wir schließlich vor dem Checkpoint Charlie, dem ehemaligen alliierten Kontrollpunkt. Vor der Baracke patrouillieren heute noch ein bis an die Zähne bewaffneter Sowjetsoldat und ein nonchalanter amerikanischer GI – seit der Wende zwei Soldaten-Darsteller – mit denen sich die vielen Touristen aus aller Welt gern ablichten lassen. Ein kurzer Besuch des „Mauermuseums“, und schon sind wir wieder auf unseren Rädern in Richtung Hackescher Markt. Die „Hackeschen Höfe“, ein in den Zwanzigerjahren geschaffenes Projekt, sollte beweisen, dass Arbeit und humanes Wohnen sich durchaus miteinander verbinden lassen. Die Arbeiter sollten nicht mehr in dunklen Hinterhöfen dahin vegetieren. Eine neuzeitliche Idee, die von den Betroffenen begeistert angenommen wurde. Heute tobt auf diesem 9.200 qm großen Areal Tag und Nacht das pralle Leben. Boutiquen bieten todschicke Klamotten, kleine Betriebe u. a. von Hand gefertigte Gürtel an. Und in einem Kino werden die neuesten ausländischen Filme im Original gezeigt. In einer Gaststätte genießen Markus und ich echt Berliner Buletten zu einem frisch gezapften Bier.

Neptunbrunnen
Neptunbrunnen

Der Alexanderplatz, im Volksmund liebevoll „Alex“ genannt, ist nur einen Steinwurf entfernt. Welch ein Kulturschock nach der soeben besichtigten menschenfreundlichen Architektur der „Hackeschen Höfe!“ Inmitten der in Beton gegossenen Tristesse des riesigen Platzes erhebt sich der Fernsehturm, mit imposanten 207 Metern echtes sozialistisches Weltniveau! Alfred Döblin, Arzt und feinsinniger Beobachter der Verhältnisse in der Weimarer Republik sowie Verfasser des berühmten Romans „Berlin – Alexanderplatz“, würde sich heute bestimmt verwundert die Augen reiben und ausrufen: „Mein Jott, Alex, wie haste dir verändert.“ Zu seiner Zeit gab es weder die plumpe Urania-Weltzeituhr noch die „Nuttenbrosche“, wie die kesse Berliner Schnauze den „Brunnen der Völkerfreundschaft“ so treffend nennt. Wir kehren der Betonwüste den Rücken und wenden uns dem historischen Nikolaiviertel zu.
Bevor wir in diese Idylle – ein Dorf inmitten der Millionenstadt – eintauchen, genießen wir, auf dem Rand des herrlichen Neptunbrunnens sitzend, kurz den Anblick des Roten Rathauses. Es wurde Mitte des 19. Jahrhunderts im Neo-Renaissancestil erbaut und ist jetzt Sitz des Regierenden Bürgermeisters von Berlin. Das Rot hat übrigens keinerlei ideologische Bedeutung, sondern bezieht sich lediglich auf den Backstein, in welchem das Gebäude ausgeführt wurde. Das kleine Areal rund um die Nikolaikirche – 1230 erbaut und somit das älteste Gotteshaus Berlins – ist eine Oase der Ruhe mit Antiquitätenläden, Modeboutiquen, urigen Kneipen und Gaststätten. Geranien schmücken die Fenstersimse der hübschen Häuser, und hinter blütenweißen Spitzengardinen wartet so manche Gaststätte mit echt Berliner Köstlichkeiten auf. Heute steht Berliner Kalbsleber mit Apfel- und Zwiebelringen und Kartoffelbrei auf der Tageskarte. „Zwölf fuffzig“, sagt der Kellner, als wir zahlen, „und war det nich lecker?“

Auf der Spree herrscht Hochbetrieb. Die bis auf den letzten Platz besetzten weißen Ausflugsdampfer gleiten gemächlich die Spree entlang, vorbei an der legendären Museumsinsel und dem Berliner Dom, der so trutzig dasteht, als sei er für die Ewigkeit gebaut. Diese „Akropolis an der Spree“ geht auf den preußischen König Friedrich Wilhelm IV. zurück, der die nördliche Inselhälfte der Spree zur „Freistätte für Kunst und Wissenschaft“ ausrufen ließ. Dieses Ensemble von Kunsttempeln gilt als einzigartig auf der Welt und wurde bereits zu DDR-Zeiten gepflegt. Ich erinnere mich noch daran, wie tief mich der Anblick des Pergamonaltars im gleichnamigen Museum, das Markttor von Milet sowie das Ischtar-Tor mit der Prozessionsstraße von Babylon beeindruckten. Der Fixstern unter den Exponaten der Museninsel, die Nofretete, befand sich seinerzeit noch im Westtteil Berlins. Erst vor Kurzem hat man der „Schönen, die gekommen ist“ (so die Übersetzung aus dem Hethitischen) einen eigenen Saal im Nordflügel der Ägyptischen Abteilung des Neuen Museums zugewiesen. Um einen Blick auf die weltberühmte Büste zu werfen, muss der Besucher schon viel Geduld mitbringen. Die Schlange vor dem Ticketshop ist schwindelerregend lang. Wer sein Entrée bereits vor der Abreise über das Internet bucht, hat auch noch Muße für die Alte Nationalgalerie und das Bode Museum. „Die Kanzlerin hat es gut“, findet ein Besucher, der gerade eine Eintrittskarte ergattert hat. „Die wohnt direkt gegenüber der Museumsinsel.“ Vage deutet er mit dem Zeigefinger auf eines der schnuckeligen Kavaliershäuser am gegenüber liegenden Ufer der Spree.

Grabstein Moses Mendelssohn
Grabstein Moses Mendelssohn

Kanzlerin – das ist unser Stichwort für die nächste Tour kreuz und quer durch Berlin-Mitte. Diesmal lassen wir die Räder stehen und fahren ein Stück mit einem Sightseeingbus. „Se könn rausspringen, wo Se wolln und auch an jeder Haltestelle wieder einsteigen, wo Se wolln,“ sagt der Fahrer. „Und det Schiff könn Se ooch benutzen.“ Ein tolles Angebot, das wir gern nutzen. Aber vorher nehmen wir noch einen Kaffee im feinen „Adlon.“ Dieses Ritual gehört zu jedem Berlinbesuch, auch wenn der Capuccino dort mit 7 Euro zu Buche schlägt. Vor uns liegt das Brandenburger Tor mit seiner bronzenen Quadriga, vierzig Jahre lang Symbol einer tragischen Spaltung. Heute strömen Tausende Besucher wieder ungehindert von Ost nach West und zurück. Hier lag einst auch das Stadtpalais des großen Malers Max Liebermann. Dieses berlinische Urgestein pflegte seinen Besuchern den Weg zu seinem Wohnsitz mit folgenden Worten zu erklären „Wenn Se nach Berlin rinkommen, det erste Haus uff der linken Seite.“

Vor dem Reichstag scheint sich die halbe Welt versammelt zu haben. Auf der großen Wiese sonnen sich ganze Familien. Manche haben sogar ihr Picknick mitgebracht. In unmittelbarer Nachbarschaft liegen die drei 2003 erbauten, unterirdisch miteinander verbundenen Regierungsblöcke mit Arbeits- und Tagungsräumen für die Bundesverwaltung und die Ausschüsse. Der monumentale Würfel des Bundeskanzleramtes – eine durchaus interessante Architektur – ist offenbar nicht jedermanns Sache. Auch hier hat die Berliner Schnauze mal wieder mit Namensgebungen wie „Elefantenklo“, „Kohlosseum“ oder „Waschmaschine“ deftig zugeschlagen. Von der streng bewachten Botschaft der Vereinigten Staaten von Amerika kommend, nähern wir uns dem Holocaust Mahnmal. Das vom New Yorker Architekten Peter Eisenman geschaffene Stelenfeld soll an die während der NS-Herrschaft ermordeten jüdischen Mitbürger erinnern.

Alte Synagoge
Alte Synagoge

Jetzt wird es Zeit, ein Viertel zu besuchen, in dem über Jahrhunderte jüdische Familien lebten und bis heute unauslöschliche Spuren hinterlassen haben, meint mein Begleiter. Also auf in die Große Hamburger Straße – auch Toleranzstraße – an deren Ende sich der jüdische Friedhof mit dem Grab von Moses Mendelsson befindet. Der Philosoph war ein enger Freund des deutschen Aufklärers Gotthold Ephraim Lessing, der die Gestalt Natans des Weisen nach dem Vorbild Mendelssons schuf. Das Jüdische Gymnasium, vor dem aus Sicherheitsgründen stets Polizisten stehen, gilt als eine der besten Schulen der Stadt, auf die auch nichtjüdische Eltern gern ihre Kinder schicken. Gleich nebenan in der Auguststraße fühlt man sich in das Berlin der Zwanzigerjahre zurückversetzt. Hier reiht sich eine Galerie mit zeitgenössischer Kunst an die nächste. Der „Knüller von’t Janze“ aber ist „Clärchens Ballhaus“, ein von außen etwas unscheinbarer Bau, der es jedoch „in sich“ hat. Der Spiegelsaal mit seinem nostalgischen Dekor und blitzenden Kronleuchtern erweist sich als echte Offenbarung. Hier finden rauschende Feste statt. Bedienung und Publikum treten dann in fantasievollen Kostümierungen auf. Aber auch außerhalb jeglicher Festivitäten bietet das Haus viel Amüsements – unter anderem Schwoof bis in die frühen Morgenstunden. Auch manch leckerer Schmaus erwartet den Gast. Und das zu moderaten Preisen, die laut Speisekarte zwischen 3,50 und 17 Euro angesiedelt sind. „Se wissen doch – Berlin is arm, aber sexy“, sagt ein Stammgast augenzwinkernd und setzt gleich noch einen drauf „Super sexy.“ Dem ist beim besten Willen nichts hinzuzufügen.

Empfohlener Reiseführer: Markus Müller-Tenckhoff,
Telefon: 030 – 86 42 20 74, E-Mail: mmt@berlin-guide.org,
www.berlin-guide.org
Ein Urberliner, der die Stadt kennt wie seine Westentasche
Tipp: CitySafari mit dem Bus durch ganz Berlin, Ein- und Ausstieg nach Belieben, schließt auch Bootsfahrten ein. Preis: 20 Euro