Industrie 4.0 Made in Germany: Chance für Europa oder Illusion ?

Industrie 4.0 im BMWI : Innovationschub für die deutsche Industrie
Industrie 4.0 im BMWI : Innovationschub für die deutsche Industrie

Von Immo H. Wernicke
Erstmals Industriekonferenz im Bundeswirtschaftsministerium
Im Bundeswirtschaftsministerium in Berlin wurde während der Berlinale 2016 auch eine Premiere begangen. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel hatte am 18. Februar zur 1.Industriekonferenz in sein Ministerium eingeladen (Bild 2 ). Der Wirtschaftsminister stellte das neue Bündnis zwischen Bundesregierung, Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften vor. Das Bündnis soll dazu beitragen, das Konzept „Industrie 4.0“ möglichst schnell in die mittelständische Wirtschaft auch europaweit einzuführen und umzusetzen. Auf dieser Grundlage will die Bundesregierung in Zusammenarbeit mit der EU-Kommission vor allem Schlüsseltechnologien finanziell fördern. Dazu gehören Elektromobilität und speziell Batteriezellen, Digitalisierung von Produkten und Prozessen, Speichertechnologien für Photovoltaik, der Aufbau leistungsfähiger Breitbandnetze und europäischer Server und „Clouds“ (vernetzte Datenbanken). Besonders gefördert werden „Start ups“ als Software- und Apps-Entwickler in Gründerzentren. Die neue Internet-Platform 4.0 und Branchendialoge zählen ebenfalls hierzu.

Reindustrialisierung: Nachholbedarf der Industrie in Deutschland und in Europa
In Vorträgen und Diskussionsbeiträgen wurde auf Chancen, Risikien und Schwachstellen hingewiesen. Infolge der Finanzkrise haben Politiker und Ökonomen die stabilisierende Wirkung des Industriesektors in Deutschland und in Europa erkannt. Eine Reindustrialisierung soll wieder gesamtwirtschaftliches Wachstum ermöglichen. Jahrzehntelang wurden öffentliche Investitionen in die digitale und nichtdigitale Infrastruktur vernachlässigt, so die Konferenzteilnehmer. Auch die Wirtschaft hat die Innovationsmöglichkeiten der „digitalen Revolution“ bei weitem nicht ausgeschöpft. Vor allem gegenüber den USA mit ihrer „Platform-Economy“ ( Google, Facebook) besteht ein immenser Nachholbedarf an digitalen Innovationen bei Hardware und Software, wie es der BDI (Bundesverband der Industrie) bemängelt.

Cyber Physical Systems: Dezentrale Produktion auf „Smart Phone Demand“

Roboter im Wirtschaftsministerium anstelle von Beamten ?
Roboter im Wirtschaftsministerium anstelle von Beamten ?

Das Konzept Industrie 4.0 geht zurück auf den früheren Berater von Bundeskanzlerin Angela Merkel, Jeremy Rifkin. Der US-amerikanische Zukunftsforscher sieht digitale Innovationen unter Nutzung der erneuerbaren Energien (Solar, Photovoltaik) vor allem in den K+M Industrieunternehmen als den Schlüssel für zukünftiges Wirtschaftswachstum in Deutschland und in Europa. Industrie 4.0 wurde von der Bundesregierung auf der Hannovermesse vorgestellt. Auch der VDMA (Verband der Maschinen- und Anlagenbauer) wirbt für dieses Konzept bei seinen mittelständischen Mitgliedsunternehmen, zuletzt auf dem Maschinenbaugipfel 2015 in Berlin. Experten des VDMA erläuterten wie “Cyber Physical Systems” die Industrieproduktion in Zukunft prägen werden. Die zukünftige Produktion wird nachfrageorientierter und dezentralisierter sein und wird auf intelligenten Maschinen einschließlich Robotern als Dienstleistern (Bild 1) basieren.
Intelligente Einzelprodukte und Dienstleistungen können über „Smart phones“ angefordert und direkt an den Konsumenten geliefert werden. Die Industrieproduktion wird zukünftig in kleinen intelligenten und mobilen Fabriken (Containertechnologie) technisch und wirtschaftlich effizienter angefertigt werden. Produktionsprozesse und Wertschöpfungsketten werden sich durch das “Additive Manufacturing” völlig verändern. IT unterstützte Produktionstechniken werden es ermöglichen, nicht nur Kunststoffe sondern auch harte Materialien, wie Metalle, zu pulverisieren und in der modernen 3D-Druckertechnologie zur Produktion nutzen. Selbst Automobile und Flugzeuge werden sich so unter Nutzung von Solarenergie und Photovoltaik herstellen lassen. Eine Kostenminimierung durch „Sharing“ von mobilen Produktionsanlagen und „Recycling“ von Produkten wird auch zu Wachstum führen.

Schwachstellen der Umsetzung von Industrie 4.0.
Öffentliche Haushaltsmittel stehen indes nur sehr begrenzt für öffentliche Aufträge und Investitionen in die Infrastruktur bereit. Private Investitionen sollen daher durch PPP-Projekte (Public Private Partnership) und durch Hebeleffekte der Kreditvergabe u.a. der europäischen Investitionsbank generiert werden. Wirtschaftsverbände verweisen auf die Schwachstellen dieser nationalen und europäischen Investitionsvorhaben (Juncker-Plan). Private Investitionen in die digitale Infrastruktur und in das Konzept Industrie 4.0 orientieren sich wesentlich an der Rendite. Bislang haben nur 15-20 vH der K+M-Betriebe Industrie 4.0 umgesetzt. An der mangelnden Investitionsbereitschaft der Unternehmen dürfte die von der EZB (Europäische Zentralbank) durch Anleihekäufe erzeugte „Geldschwemme“ wenig ändern.
Für die langfristig für Innovationen aufzubringenden und vorzuhaltenden Finanzmittel fehlt den K+M-Unternehmen das Wagniskapital, das Großunternehmen wie Siemens in Milliardenhöhe aufbringen. Energieintensive Betriebe werden zudem durch hohe Abgaben und Steuern belastet, so die Wirtschaftsverbände. Die Stahlindustrie kritisiert die Konkurrenz von chinesischen Staatsbetrieben, die zu Dumpingpreisen den Markt stören. Die kapitalschwache ostdeutsche Photovoltaikindustrie konnte sich gegen die Einfuhr von billigen chinesischen Solarzellen nicht behaupten.
Durch die globale Vernetzung und Digitalisierung und durch den Aufbau von Clouds für Big Data drohen Risiken für Unternehmensdaten (Konstruktionspläne, Patente) und Produktionsprozesse. IT-Sicherheitsexperten, auch der NATO, warnen daher vor einem “Cyber War“ als einer neuen Art eines globalen Krieges. Über 100.000 staatliche „Hacker“ in China und Nordkorea greifen Datenbanken von westlichen Regierungen und Unternehmen an. Verschlüsslungen bieten nur begrenzt Schutz. Die weltweit zunehmende Nutzung des Internet wird zudem zu Netz-, Server- und Cloud-Überlastungen und Störungen führen.

Negative Beschäftigungseffekte ?
Nach Gewerkschaftsansicht stellt die Transformation in die „Gesellschaft 4.0“ Management und Arbeitnehmerschaft vor große Herausforderungen. Befürchtet werden negative Beschäftigungseffekte der Digitalisierung und der Umstellung auf erneuerbare Energien. Durch Einführung moderner Technologien und Robotern als Dienstleistern werden eher Arbeitskräfte freigesetzt (Banken, Versicherungen, Fließbandtätigkeiten). Die Frage, inwieweit Beamte durch Roboter ersetzbar werden, bleibt unbeantwortet. Die zusätzlich angestrebte wirtschaftliche Integration von Millionen „Flüchtlingen“ in zukünftige technologie- und IT-intensive Produktionsprozesse erscheint insofern eher als eine Illusion von Bundesregierung und EU-Kommission.

Fotos: Dr. Immo H. Wernicke