Gertie ist so frei

Diese Glosse erschien bereits in der WELT und im Hamburger Abendblatt

Eine Glosse von Uta Buhr

Kurz vor dem Jahreswechsel hat unsere Freundin Gertie sich aus dem Berufsleben zurückgezogen. Auf diese Formulierung legt sie ganz großen Wert. „In Rente gehen. Wie sich das anhört“, sagt sie indigniert. „Für mich ist das gleichbedeutend mit ‚zum alten Eisen’ gehören.’ Und sehe ich etwa so aus?“ Das tut sie ganz gewiss nicht. Groß und schlank ist sie, elegant gekleidet, die graumelierten Haare stets tadellos frisiert.

„Wie ein Grufti wirkst du nicht, ehrlich“, bemerkt Enkelin Tina. „Und wie ein Rentier auch nicht.“ Onkel Paul kann es nicht lassen, immer noch einen draufzusetzen. „Ja, eben“, meint Gertie gelassen, „ich bin ja auch keines von beiden, sondern Freifrau.“ Darüber steht bei genauer Betrachtung kein Zweifel: Sie ist eine Frau und seit Kurzem auch frei zu tun, was ihr behagt.

Von einem Marktforschungsinstitut jüngst nach ihrem Beruf befragt, gab Gertie scherzhaft ihren „Titel“ an. Gestern erhielt sie einen Brief mit der Anschrift „Gertie Freifrau von Th….“ Soll sie dagegen Einspruch erheben? Mitnichten, meinen wir, denn sie hat es verdient nach einem arbeitsreichen Berufsleben in den Adelsstand erhoben zu werden. Onkel Paul nennt sich übrigens ab sofort Freiherr…