Feine hanseatische Demokratie

Eine Glosse von Uta Buhr

Heute Morgen lag mir der Erste Bürgermeister der Stadt buchstäblich zu Füßen! Nein, natürlich nicht Olaf Scholz persönlich, sondern das Plakat mit seinem lächelnden Konterfei. Rohe Hände hatten es vom Laternenpfahl gerissen und einfach vor unsere Haustür geworfen. Obgleich ich keine SPD-Wählerin bin, habe ich das Plakat ordnungsgemäß an seinem angestammten Platz wieder aufgerichtet. Wie es sich für einen gesetzestreuen Bürger gehört.

Zurzeit toben in meiner sonst so ruhigen Nachbarschaft erbitterte Kämpfe um den Einzug ins Hamburger Rathaus. Da wird kein Kandidat geschont, egal welcher Partei er angehört. Der attraktiven Katja Suding von der FDP wuchsen über Nacht Vampirzähne, und dem CDU-Mann verpasste man kurzerhand eine rote Clownsnase mit der Unterschrift: „Es ist Karneval du Depp.“ Während dieser Ausspruch einer gewissen Originalität nicht entbehrt, ging es den Damen und Herren der anderen Partei so richtig an den Kragen. Manche Plakate wurden dermaßen zerstört, dass jetzt kaum noch ein Gesicht darauf zu erkennen ist. Der Wahlwerbung der Grünen erging es besonders schlecht. Das Plakat wurde in seine Einzelteile zerlegt und auf der Straße „entsorgt.“

Auf der Suche nach den Schuldigen gerieten auch drei etwa zehnjährige Rabauken von gegenüber ins Visier erboster Nachbarn, die bereits für eine erkleckliche Anzahl von Untaten verantwortlich zeichnen. Sie stecken gern Streichhölzer in Klingeln, lassen hier und da mal die Luft aus einem Fahrradreifen und freuen sich diebisch über das Fluchen des Besitzers. Man hat sie auch schon einmal dabei erwischt, als sie gegen ein parkendes Auto traten. Sven, Ulli und Finn – so heißen die drei Rangen – aber schworen Stein und Bein, mit diesem Vandalismus nichts zu tun zu haben: „Nee, so was tun wir echt nicht – großes Indianerehrenwort. Das machen nur Leute, die keine Demokraten sind.“ Bei den Jungs ist offenbar noch nicht alles verloren. Gut so.

Erinnern Sie sich noch an den Slogan „One Man, One Vote“, als die Menschen in Südafrika nach dem Ende der Apartheid zum ersten Mal wählen durften? Was für ein großer Tag für alle – ob schwarz oder weiß. Eigentlich müssten wir uns glücklich schätzen, weil das Wahlrecht in unseren Breiten schon lange selbstverständlich ist. Aber Selbstverständliches wird leider nicht immer hoch geschätzt.

Am kommenden Sonntag finden in Hamburg Wahlen statt. Liebe Hanseaten, nutzt euer Wahlrecht und macht bei der Partei euer Kreuz, von der ihr euch am besten vertreten fühlt. Verweigerung gilt nicht. Dazu ist das Wahlrecht von unseren Altvorderen zu hart erstritten worden. Wer wählen geht, erweist sich als echter Demokrat.