Ein Sommernachtstraum im Großen Garten

Dieser Artikel erschien bereits in der PAZ am 28. Juni und in Schleswig-Holstein am Sonntag am 6. Juli 2014

Von Uta Buhr

Rechtzeitiges Kommen sichert gute Plätze! Schon früh drängen sich die Besucher, beladen mit Decken, Kissen und Picknickkörben, vor dem Einlass. Petrus meint es gut mit den Teilnehmern am „schönsten Ereignis des Jahres“, wie zwei Besucher aus dem nahen Hameln schwärmen, die es schon zum zweiten Mal geschafft haben, Karten für das „Kleine Fest im großen Garten“ in den Herrenhäuser Gärten zu ergattern. Es ist einer jener lauen Abende, wie wir sie nicht oft erleben in nördlichen Breiten.

Wir haben uns in der Nähe der Großen Fontäne installiert, die ihren Wasserstrahl 70 Meter in den Himmel schießt, an dem bereits die ersten Sterne blinken. Vor uns liegt ein barocker Garten von einzigartiger Schönheit: Links und rechts akkurat beschnittene Hecken und in der Mitte Rasenflächen, die offenbar mit der Nagelschere gepflegt werden. Gerade zieht ein Pulk junger Leute in Fantasiekostümen vorbei. Die Mädchen tragen von Blüten umrankte Hüte, die Herren Rüschenhemden und bestickte Westen. Babylonisches Stimmengewirr, in das sich ferne Musikakkorde mischen.

Jeremy, unser englischer Freund, der schon seit Jahren in Norddeutschland lebt, ist begeistert von der entspannten Atmosphäre. Da blühen sogar die sonst eher
reservierten Hannoveraner auf. „William Shakespeare hätte seine helle Freude an diesem Fest gehabt“, sagt er. Man könne sich sogar vorstellen, dass er seinen „Sommernachtstraum“, diese hinreißende Komödie, auf dem weitläufigen Areal
inmitten der alten Bäume angesiedelt hätte. Nur gab es die Parkanlage zu seiner Zeit noch nicht. Diesen Traum erfüllte sich Kurfürstin Sophie von Hannover gegen Ende des 17. Jahrhunderts, als sie den 2 Kilometer langen und 1,4 Kilometer breiten Garten anlegen ließ. Inspiriert wurde sie von Ludwig XIV. – Frankreichs Sonnenkönig – der sämtlichen Herrscherhäusern Europas als Vorbild für höfische Prachtentfaltung galt. Neben Wasserspielen, plätschernden Brunnen, Kaskaden, Gartentheater und Labyrinth gehört natürlich auch eine Grotte in diese barocke Zauberwelt. Ihr Inneres wurde von Niki de Saint Phalle, der Schöpferin der „fröhlichen Frauenpower“, mit ebenso farbenfrohen wie schrägen Motiven ausgestaltet. Zwei auf „Nana“ getrimmte junge Frauen mit aufgesetzten riesigen Brüsten lassen sich neben der Grotte nieder und prosten sich lachend mit bis an den Rand mit Wein gefüllten Plastikbechern zu.

Erlaubt ist, was gefällt, an diesen lauschigen Sommerabenden von Herrenhausen. Die Auswahl an Veranstaltungen ist groß und macht die Wahl zur Qual. Ob Comedy, Musik, Artistik, Tanz oder Theater –
auf insgesamt 30 Bühnen findet jeder Besucher etwas nach seinem Geschmack. Dieses Fest, das 1986 ganz bescheiden mit nur wenigen Künstlern begann und gerade einmal vier Tage dauerte, jährt sich 2014 zum 29. Mal. Inzwischen ist es weit über die Grenzen Deutschlands hinaus berühmt und zieht eine wachsende Zahl international bekannter Künstler an. Unbestrittener Höhepunkt ist ein prächtiges Feuerwerk mit choreographiertem Défilé der teilnehmenden Künstler unter den Klängen der Musik von Georg Friedrich Händel, der die meiste Zeit seines Lebens in London unter welfischer Regentschaft verbrachte
und als eine Art „Hofcompositeur“ fungierte.

Wenn Tausende von Besuchern unter freiem Himmel im großen Garten picknicken, tauchen gelegentlich Schauspieler auf, die die „Royals von Hannover“ in den prachtvollen Roben vergangener Epochen darstellen. So geschehen vor ein paar Jahren, als König George I. – welfischer Herrscher über Großbritannien und Irland ab 1714 mit bekanntermaßen äußerst bescheidenen Kenntnissen der englischen Sprache – sich das Picknick auf seinem königlichen Rasen mit wohlgesetzten Worten verbat. „Wieso denn das?“ fragten die Gäste in gespielter Empörung. „Picknicken ist doch ausdrücklich gestattet.“ No, no, antwortete George ungerührt. Ob denn niemand das Schild mit der Aufforderung „No pig in“ gesehen habe. Wer sagt’s denn. Die nüchternen Hannoveraner besitzen einen ganz besonderen Sinn für Humor, der jenem der Briten in nichts nachsteht.
In diesem Jahr findet das „Kleine Fest im großen Garten“ findet bis zum 27. Juli statt
www.kleinesfest-hannover.de