Der Mann hinter Carl Zeiss

erschienen in der PAZ

Von Dr. Manuel Ruoff
Vor 175 Jahren wurde der Physiker, Unternehmer und Sozialreformer Ernst Abbe als Arbeitersohn in Eisenach geboren
Ernst Abbe ist als Begründer der modernen Mikroskopie bezeichnet worden wie auch der Weltstellung der deutschen optischen Industrie. Das ist viel und richtig, aber nicht genug. Denn Abbe war außer einem Wissenschaftler und einem Unternehmer auch ein Sozialreformer von großer Bedeutung. Mit Sinn und Verstand hat man einmal „Carl Zeiss“ sein Pseudonym genannt.

Carl Zeiss steht für Hochtechnologie, für deutsche Wirtschaftskraft sowie für arbeitnehmerfreundliche Arbeitsbedingungen und sozialreformerisches Engagement. Dass wir all dieses heute gemeinhin mit dem Namen von Carl Zeiss und nicht mit dem Ernst Abbes verbinden, ist auf die Bescheidenheit von Letzterem zurückzuführen, ein Grund mehr, diesen Mann zu ehren. Und bemerkenswerterweise geschieht und geschah dieses auch über ideologische Grenzen hinweg. So trägt die Schule, auf der er 1857 Abitur machte, seit 1922 bis zum heutigen Tag über alle Systemwechsel hinweg ununterbrochen seinen Namen.
Obwohl Abbe aus einfachen Verhältnissen stammte, gelang dem am 23. Januar 1840 in Eisenach geborenen Arbeitersohn eine erfolgreiche wissenschaftliche Karriere. Das ermöglichten ihm sein Vater, dessen Arbeitgeber sowie sein Fleiß, seine Willenskraft und seine Sparsamkeit. Nach einem Studium der Physik und Mathematik, aber auch der Philosophie und anderer naturwissenschaftlichen Fächer promovierte er 1861 mit einer Arbeit über das Thema „Erfahrungsmäßige Begründung des Satzes von der Äquivalenz zwischen Wärme und mechanischer Arbeit“. Zwei Jahre später habilitierte er sich über die „Gesetzmäßigkeit in der Vertheilung der Fehler bei Beobachtungsreihen“. Es folgte eine Lehrtätigkeit an der Universität in Jena.
Dort hatte er beruflich mit dem Universitätsmechaniker Carl Zeiss zu tun, der in ihm einen Wissenschaftler gefunden zu haben glaubte, der ihm half, die Herstellung von Mikroskopen auf eine wissenschaftliche Grundlage zu stellen. Bis dahin wurde nämlich versucht, durch Ausprobieren, durch „trial and error“, durch das sogenannte Pröbeln, sich dem optimalen Mikroskop anzunähern. Zeiss forderte nun Abbe 1866 auf, auf der Basis wissenschaftlicher Berechnungen das Optimum zu erreichen. Abbes erster Versuch scheiterte, aber schließlich gab der Erfolg Zeiss Recht, mit der Beauftragung Abbes eine wissenschaftliche Herangehensweise zu wählen. 1876 nahm ein dankbarer Zeiss Abbe als Teilhaber auf.
Gute Berechnungen alleine genügten jedoch nicht. Hohe Glasqualität auf beständigem Niveau war ebenso eine Voraussetzung. Abbe gelang es, den innovativen Chemiker und Glastechniker Otto Schott in Witten an der Ruhr dazu zu bewegen, mit ihm und Zeiss 1884 als Zulieferer für die Mikroskopherstellung in Jena das „Glastechnische Laboratorium Schott & Genossen“, die heutige Schott AG, zu gründen. Finanziell unterstützt wurde das Projekt von der preußischen Regierung. Sein weiteres wissenschaftliches Schaffen widmete Abbe währenddessen weniger der Jagd nach Ruhm und Ehre denn der Optimierung der gemeinsamen Produkte.
Die gute Qualität dieser Produkte machte Abbe wie Zeiss und Schott wohlhabend. Der wirtschaftliche Aufstieg ließ Abbe jedoch seine Herkunft nicht vergessen. Er erkannte, dass er seinen Reichtum seinen Mitarbeitern verdankte, und wollte deshalb dafür Sorge tragen, dass sein Besitz langfristig über seinen Tod hinaus der Allgemeinheit diente. Hierzu wählte er den Weg einer Stiftung.
Nach dem Tode von Carl Zeiss erwarb er dessen Unternehmensanteile und brachte sein Kapital in eine Stiftung ein, der er bezeichnenderweise nicht seinen, sondern Carl Zeiss’ Namen gab. Er selber übernahm die Führung ihrer Geschäfte und gab ihr ein bemerkenswert fortschrittliches und menschenfreundliches Statut. So war dort neben dem Achtstundentag und einer Gewinnbeteiligung der Mitarbeiter festgelegt, dass Arbeiter und Angestellte ohne Ansehen ihrer Herkunft, ihrer Religion oder ihrer Parteizugehörigkeit einzustellen und zu befördern seien, dass die Beschäftigten das Recht auf zwölf Tage Jahresurlaub, davon sechs bezahlte, bekamen sowie in den Genuss einer betrieblichen Kranken- und Rentenversicherung kamen und dass „die Direktoren und Geschäftsführer … nicht mehr verdienen, als das Zehnfache vom Durchschnittslohn eines 24-jährigen gelernten Arbeiters, der eine mindestens dreijährige Dienstzeit in den Zeiss-Betrieben hinter sich hat“. Doch nicht nur die Mitarbeiter wurden von Abbe bedacht. So war die Stiftung auch außerhalb des Betriebes in Jena in vielfältiger Form gemeinnützig tätig.
Die Kombination aus wissenschaftlicher Arbeit als Physiker auf dem Gebiete der Optik, Unternehmensführung und Sorge für die Zeit danach überforderte seine Gesundheit. Schlaflosigkeit und Kopf­leiden versuchte er, durch Narkotika zu bekämpfen, wobei er übertrieb. 1903 musste er die Geschäftsführung aufgeben. Nun versuchte er, seinen wissenschaftlichen Nachlass in der Weise zu ordnen, dass er die im Zuge seiner Optimierungsarbeiten angesammelten Erkenntnisse systematisch zusammenfasste. Dazu verblieb ihm aber nicht mehr die nötige Zeit. Ernst Abbe, der nach den Worten eines Freundes in seinen letzten Monaten nur noch von Opiaten und Zigaretten lebte, starb noch vor seinem 65. Geburtstag, am 14. Januar 1905.