Brandloch an der Elbe

Gedanken zur Bücherverbrennung am historischen Ort

Vortrag von Dr. Reimer Eilers, VS Vorsitzender Hamburg, aus Anlass der Gedenkveranstaltung 2010 von Hamburger Autorenvereinigung und VS Verband der Schriftsteller zur Bücherverbrennung vom 10. Mai 1933

Der 15. Mai 1933 war in Hamburg ein für die Jahreszeit zu kühler Tag. Trotzdem versammelte sich am späteren Abend eine etwa tausendköpfige Menge erwartungsvoll auf den Wiesen des Kaiser-Friedrich-Ufers. Denn wie formulierte der Reporter des „Hamburger Anzeigers“ am nächsten Tag unnachahmlich zum Anlass: „Feuer zieht die Menschen an. Ob es ein Schadenfeuer ist, ein Freudenfeuer oder ein solches, wie es die Studenten Hamburgs gestern Abend am Kaiser-Friedrich-Ufer veranstalteten.“

So begann der Frühling der Nationalsozialisten: Allerorten brannten im Deutschen Reich am 1o. Mai des Jahres dreiunddreißig die Scheiterhaufen mit den Büchern deutscher Schriftsteller. Hamburg machte eine bloß scheinbare Ausnahme: Hier fand die Bücherverbrennung einige Tage später, am 15. Mai, eine Stunde vor Mitternacht statt. Das Feuer am Kaiser-Friedrich-Ufer, übermannshoch, zog seine Nahrung aus über zweitausend Büchern. Und die Studenten, von denen im „Hamburger Anzeiger“ pauschal die Rede war, stellten sich als Mitglieder des Stahlhelms, der Burschenschaften und des SA-Sturms 6/76 dar.

Als „schädlich und unerwünscht“ eingestuft, verboten und verbrannt wurden in Hamburg unter anderen die Bücher von Heinrich Heine, Carl von Ossietzky, Bertolt Brecht, Sigmund Freud, Egon Erwin Kisch, Jack London, Heinrich und Klaus Mann, Karl Marx, Kurt Tucholsky, Carl Zuckmayer, Lion Feuchtwanger, Marieluise Fleißer, Irmgard Keun, Else Lasker-Schüler, Willy Haas, Erich Kästner und Franz Werfel.

„Undeutsch und artfremd“ sollten die verbrannten Bücher nach den geschriebenen und geschrienen Parolen der Nationalsozialisten sein, eben „zersetzendes Schrifttum“. Sie würden „die Jugend irreleiten und das Volk vergiften“, so weiter die Nazis. Reichsweit waren sogenannte Feuersprüche im Umlauf: „Gegen Dekadenz und moralischen Zerfall! Für Zucht und Sitte in Familie und Staat!“

Tatsächlich wurden mit diesen Sprüchen die Werke der künstlerischen und moralischen Elite der Weimarer Republik ins Feuer geworden. Und in Wahrheit wies dieses Fanal nur auf den völligen geistigen Bankrott breiter Schichten der Gesellschaft am Ende der Republik und des Aufstiegs Adolf Hitlers zum Führer und Reichskanzler in Deutschland. Auch Hamburg – mit seiner langen republikanischen Tradition  als Freie und Hansestadt – reiht sich ein in den braunen Zug.

Der Direktor der Hamburger Öffentlichen Bücherhallen, Wilhelm Schuster, hatte bereits am 18. März 1933 in vorauseilendem Gehorsam erklärt: „Die Volksbücherei hat dem ganzen Volke zu dienen und alle für die Entwicklung wesentlichen und aufbauenden geistigen Strömungen zu umfassen. Da diese zuerst in der Literatur ihren Niederschlag finden, wird der Bücherbestand gleichsam zum Spiegel jeder neuen geistigen Bewegung. Eine Durchsicht der Anschaffungen der letzten beiden Jahre hat dies voll bestätigt, indem die Literatur der neuen Rechten bereits bei ihrem Erscheinen für die Bücherhalle angeschafft wurde und infolgedessen in weitestem Maße vorhanden ist.“

Und weiter – verbrämt, verschämt und doch grade besonders folgenreich – Direktor Schuster: „Der politische Umbruch erfordert eine Entlastung des vorhandenen Bücherbestandes von solchen Werken, die dem neuen Willen der Nation abträglich sein könnten.“

Soweit also Hamburgs oberster Bibliothekar im Jahr der Machtergreifung. Wie lange er gern in den Spiegel der neuen Bewegung guckte – bis zu den Nürnberger Rassegesetzen, bis zum 1. September 1939, bis zum Ende des nationalsozialistischen Krieges und der Konzentrationslager oder noch danach – weiß ich nicht. Erst einmal lieferten er und seinesgleichen das Brennmaterial, das dann die jungen Leute des Stahlhelms und der SA anzündeten. Heute sollte uns Bücherlesern und I-Pod-Nutzern gleichermaßen die Schrankenlosigkeit der Gewalt  klar sein: Die Scheiterhaufen des deutschen Geistes im Jahr der sogenannten Machtergreifung sind der Anfang des nationalsozialistischen Krieges, der sich in der ersten Phase gegen das eigene Volk richtete. Er führte folgerichtig in den Zweiten Weltkrieg und in Hamburg zu dem großen Brand und der Vernichtung der Stadt durch den alliierten Bombenkrieg im Jahr 1943.

Der Aufschrei gegen den barbarischen Kehraus des Regimes unterblieb. Aber schon ein Jahrhundert zuvor hatte Heinich Heine darauf mit einem prophetischen Vers geantwortet. „Das war ein Vorspiel nur; dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen.“

Wir haben Heine erst gehört, als sich seine Worte buchstäblich erfüllt hatten. Deshalb lesen wir zum Gedenken. Aber wir lesen auch aus Verantwortung und Freude darüber, dass die Werke der verfemten Schriftsteller Feuer und Verbote überdauert haben und nicht vergessen sind. Stellvertretend für alle nenne ich hier weiterhin Irmgard Keun und Anna Seghers, Oskar Maria Graf und Joseph Roth.

Viele Jahre in der bundesdeutschen Nachkriegszeit dauerte es – nämlich bis 1985 – als endlich ein Gedenkplatz am Brandloch auf dem Kaiser-Friedrich-Ufer mit einer Lesung aus den verbrannten Büchern der geächteten Schriftstellerinnen und Autoren eröffnet wurde. Vermutlich ist es kein Zufall, dass in eben diesem Jahr auch zum ersten Mal ein deutscher Bundespräsident – Richard von Weizsäcker – den Tag des Kriegsendes in einer großen Rede vor dem Budestag als Tag der Befreiung bezeichnet hat. Die Verblendung eines ganzen Volkes – das wissen wir – löst sich nicht so einfach an dem Tag auf, an dem der Schleier fortgezogen wird. Zumal dann nicht, wenn allzu viele Betroffene auch Beteiligte waren, auf die eine oder andere Weise verstrickt in das Nazi-Unrecht. Und sei es nur durch Schweigen, Weggucken – oder auch grade ein neugieriges Hinschauen seinerzeit auf das Hamburger Brandloch.

Auf den Tafeln der Hamburger Gedenkstätte zur Erinnerung an die Bücherverbrennung findet sich auch der Name des großen Hamburger Dichters Hans Henny Jahnn, der nach dem Krieg die Freie Akademie der Künste begründete. Laut seinem eigenen brieflichen Zeugnis vom Juni 1933 sind seine Bücher damals nicht verbrannt worden. Diese Auskunft findet sich auch an verschiedenen Stellen der biographischen Literatur. Auch wenn es damit fraglich ist, ob Jahnns Name zu Recht mit dem konkreten Ereignis der Hamburger Bücherverbrennung verbunden wird, schmälert das nicht seine Haltung und Werk, wir bezeugen mit der Frage nach den geschichtlichen Fakten nur unseren Respekt vor Jahnn und allen betroffenen Autoren.

Ein anderer Hamburger Autor – Heinz Liepmann – schrieb 1933 einen Reportage-Roman, den er selber als ein Pamphlet bezeichnete und der den Alltag unter den neuen Machthabern beleuchten sollte. Hier zieht sich unter anderem ein Bogen von der Bücherverbrennung zur Gleichschaltung des Schriftstellerverbands 1933, ein Bezug, dem gerade wir als Hamburger Autoren uns stellen.

Heinz Liepmann  wurde 1905 in Osnabrück geboren. Er war unter anderem Mitarbeiter der „Frankfurter Zeitung“ und arbeitete als Dramaturg an den Hamburger Kammerspielen. Als Theaterkritiker lieferte er nach der Machtergreifung ein seltenes Beispiel für Zivilcourage. In einem Brief an die Intendanz des Altonaer Stadttheaters gab er unter öffentlichem Protest die Pressekarte für eine Premiere zurück. Seine Begründung: „Da ich mich infolge der mittelalterlichen Kulturschande, der Judenverfolgung, die am Freitag, den 31. März, in Ihrem Hause stattgefunden hat, außer Stande sehe, sie mit der Würde der von mir vertretenen fünfzehn deutschen Zeitungen in Einklang zu bringen.“

Unter der Überschrift „Jüdische Unverschämtheit. Herr Liepmann provoziert das Deutschtum“ nahm das Presseamt der Stadt Altona dazu Stellung. Aus dem originalen Zitat wird der damalige Ungeist wenige Wochen vor der Bücherverbrennung  deutlich und zeigt, wie der Boden dazu bereitet wurde.

Das damalige Nazi-Presseamt schreibt: „Für die ‚Struensee’-Premiere des Altonaer Theaters hatte sich Herr Justin Steinfeld Karten bestellt. Dieser Steinfeld, eine prononziert jüdische Erscheinung mit gekräuseltem Negerhaar, ist kommunistischer Schriftsteller; ein Volksverräter vom Schlage der ‚Weltbühne’ und des ‚Tagebuch’; seinerzeit Leiter eines kommunistischen Schauspielerkollektivs. Die Intendanz des Theaters war der richtigen Auffassung, dass dieser Mann in einem deutschen Theater nichts zu suchen habe und hatte deswegen die Karten nicht bewilligt.“

„Das nennt Herr Liepmann mittelalterliche Kulturschande! Über diese Frechheit bleibt einem die Sprache weg. Herr Liepmann wird mit seiner Verleumdung wie andere seiner Rasse die Brunnen in Deutschland vergiften. Es wird dafür Sorge getragen, dass diese Gefahr nicht akut wird.“

Die neuen Machthaber ließen es nicht bei Ankündigungen, noch 1933 kam er vorübergehend ins KZ Wittmar.  Heinz Liepmann stand dann 1933 auf der ersten Ausbürgerungsliste der Nazis und emigrierte über Holland, Frankreich, England in die USA, wo er bis 1947 Redakteur der New York Times war. Dann kehrte er nach Hamburg zurück, wo er bis 1961 lebte. Gestorben ist er 1966 in Agarone in der Schweiz.

Seine 1933 in rasender Eile geschriebene Reportage „Das Vaterland. Ein Tatsachenroman aus dem heutigen Deutschland“ konnte er nur in Holland publizieren, und zwar noch im selben Jahr bei Van Kampen & Zoon in Amsterdam. Hier ein Auszug aus dem von Liepmann selbst sogenannten Tatsachenroman, den Schriftstellerverband betreffend:

„Im Schutzverband deutscher Schriftsteller war Hochbetrieb. Früher erschienen von den Mitgliedern des deutschen Nordwestgaus in den monatlichen Versammlungen immer nur dreißig oder vierzig, aber heute waren beinahe hundert gekommen. Es fehlten eigentlich nur diejenigen, die im Zuchthaus oder Konzentrationslager waren oder die fürchten mussten hinein zu kommen, wenn sie sich sehen ließen.“

„Es erhob sich plötzlich ein unscheinbarer alter Herr, ein Lehrer, wie es sich bald herumsprach, und erklärte, dass er nun Vorsitzender der Schriftsteller sei. Und nun höre es auf im deutschen Schrifttum mit dem demokratischen und pazifistischen Gewinsel. In Deutschland würden in Zukunft nur noch Bücher deutschblütiger und nationaler Autoren erscheinen.“

Jetzt war das Brandloch auch in den Köpfen der dichtenden Zunft angelangt. Wie es bei uns in Hamburg und anderswo weiter ging, ist bekannt.