Athener Impressionen

Dieser Artikel erschien am 31. Mai 2014 im Reiseteil der PAZ

Von Uta Buhr

Straßenszene mit Parlament
Straßenszene mit Parlament

Heute streiken die Bauern. Nikós schüttelt verzweifelt den  Kopf.  „Dieses tägliche Chaos im Zentrum“, stöhnt er und manövriert geschickt sein gelbes Taxi durch den mittäglichen Verkehr der 5-Millionenstadt Athen. Oder leben hier nicht sogar über 6 Millionen Menschen? Wer weiß das  schon! Sieben Jahre hat der Mann mit dem klassischen griechischen Profil in Deutschland gearbeitet. Sieben Jahre, die Spuren hinterlassen haben, wie er lachend bekennt. Sein Mercedes ist gewienert und geputzt, „keine Schrottlaube wie die da“, fügt er missbilligend hinzu und weist auf den  mit Klebeband und Plastikteilen notdürftig reparierten Kleintransporter auf der Nebenspur.

Efzonen
Efzonen

Inzwischen haben sich die Streikenden auf dem Síntagma-Platz, dem politischen Zentrum der Stadt, versammelt. Das Parlamentsgebäude, der Sitz des Präsidenten, wird von einer Hundertschaft bis an die Zähne bewaffneter Polizisten bewacht. Während die wütenden Bauern ihre bunt bemalten Transparente schwingen und Parolen über schlechte Arbeitsbedingungen und noch schlechtere Einkommen skandieren, zelebrieren die Efzonen vor dem Grabmal des Unbekanten Soldaten ungerührt ihren Wachwechsel.  Diese in malerische historische Gewänder gekleideten Wachsoldaten, den roten Fez kokett auf dem Kopf,  sind die wahren Stars des Platzes. Von den Demonstranten nimmt kaum ein Passant Notiz. Viele rümpfen indigniert die Nase. Der Geruch nach Tränengas ist allgegenwärtig und vertreibt sogar die Gäste von der Caféterrasse des feinen Traditionshauses „Hotel Grande Bretagne.“

In der sengenden Mittagshitze – bereits im Mai werden hier nicht selten Temperaturen von 30 Grad gemessen – gerät der Aufenthalt auf der angenehm  kühlen Metrostation unterhalb des Síntagma zu einem Hochgenuss. Zahlreiche der  während des U-Bahnbaus zutage geförderten antiken Funde sind hier ausgestellt. Leider haben Taschendiebe den „Bauch von Athen“ zu ihrem bevorzugten Jagdgebiet auf fremdes Eigentum erkoren. Einem Ehepaar aus London wurde während der Fahrt zum Monastiráki Platz der ganze Rucksack ausgeräumt.

Antiker Andenkenkitsch in der Plaka
Antiker Andenkenkitsch in der Plaka

Athen ist eine quirlige Stadt. In den schicken Einkaufsstraßen reiht sich ein teures Geschäft, ein Straßencafé an das nächste. Hier sitzt man, trinkt seinen Espresso und gegen Mittag auch einen Ouzo, schwätzt und genießt das süße Leben. Von Krise keine Spur. Die immer stärker um sich greifende Armut des „kleinen Mannes“  wird  jedoch in den Gassen der Altstadt und in der Nähe antiker Stätten nur allzu offenbar. Viele Läden sind verwaist, die Schaufenster mit Gaffiti beschmiert. Und während Männer mit dem Verkauf von Lotterielosen oder „echten“ antiken Münzen ihren Lebensunterhalt zu verdienen suchen, bieten alte Frauen selbst gefertigtes Kunsthandwerk an. „Aber immer mehr  – auch junge Leute – haben inzwischen verzagt und sind auf der Straße gelandet. Die Menschen finden keine Arbeit.“ Unsere Begleiterin Anastasia macht uns auf  ein junges Pärchen aufmerksam, das auf einer schmutzigen Wolldecke vor dem Eingang eines völlig herunter gekommenen Hauses kampiert.

Orthodoxe Kapelle in der Plaka
Orthodoxe Kapelle in der Plaka

Eine Busrundfahrt bringt Touristen zu allen allen Sehenswürdigkeiten des alten und modernen Athens. Neben dem Omónia-Platz (Platz der Einheit), dem lauten und verkehrsreichsten Ort der Stadt, führt der Weg über die sehenswerten Markthallen und den mondänen Kolónaki-Platz bis hin zu den Olympistätten von 2004. Viel Zeit zum Besichtigen bleibt da nicht. Wer in aller Ruhe das interessanteste Viertel der Stadt, die Plaka, auf sich wirken lassen will, der besteige den „Happy Train“, eine Lokomotive auf Gummirädern, der sich durch Straßen und Gassen zu den antiken Highlights schlängelt, stets begleitet von den fröhlichen Zurufen der Händler und Schulkinder auf den Bürgersteigen. „Hier Sie sehen die Turm  des Windes“, erklärt der junge Stadtführer und ganz oben Sie sehen schönste Burganlage von die Welt, die Akropolis.“ Jenen, die bisher Athen nicht sonderlich attraktiv fanden, wird beim Anblick des Parthenon, der gleich einer Fatamorgana hoch über dem Felsen zu schweben scheint, der Atem stocken. Von erlesener Schönheit ist das von sechs marmornen Mädchengestalten getragene Erechtheion, einzigartig der zierliche Niketempel, Weihgabe an die geflügelte Siegesgöttin. Die italienische Gruppe hinter uns ist ganz aus dem Häuschen, als der polyglotte Stadtführer erklärt, dass die Agóra auf der linken Seite aus der Römerzeit stammt. „I romani“, rufen sie begeistert, „fantastico!“ Den absoluten Höhepunkt der Exkursion bildet der Besuch des Akropolis Museums, das vom Schweizer Architekten Bernard Tschumi südlich des Felsens erbaut und 2009 eröffnet wurde. Es besteht zum größten Teil aus Glas und bietet dem Besucher auf jeder Ebene einzigartige Ausblicke auf die Akropolis. Ein Richtung weisender Musentempel, in dem die Objekte frei im Raum stehen, so dass sie von allen Seiten besichtigt werden können.

Nach diesem Ausflug in die heroische Vergangenheit des einstigen Stadtstaates ist es Zeit für eine Verschnaufpause in einer Taverne, in der wir nach einer Portion Moussaka eine orientalische Leckerei aus Mandeln und Honig genießen.

Eine Kalorienbombe, aber unwiderstehlich. Dazu ein Glas spritziger Wein von einer der umliegenden Inseln,  und auf geht’s zu neuen Abenteuern. Der Aufstieg zum Areopag, wo einst das Oberste Gericht von Athen Recht sprach, ist beschwerlich, der Blick über die Dächer der Stadt grandios. Den berühmten Hafen von Piräus haben wir uns bis zum Schluss aufgespart. Bei einem Kaffee an der Hafenmole treffen wir drei Rucksacktouristen aus Köln, die gerade mit der „Hellas Apollon“ von der Insel Ägina herüber gekommen sind. Ob wir nicht Lust hätten, mit ihnen den Kerameikos, den antiken Friedhof Athens, zu besuchen. Wir haben diesen Abstecher nicht bedauert. Nach dem lauten hektischen Treiben der Stadt erwartet den Besucher eine Oase der Ruhe voller herrlicher Stelen, marmorner Grabmale,  seltener Pflanzen  – und Landschildkröten.

Fotos: Uta Buhr