Aller guten Dinge sind drei

Der weltgrößte Nahrungsmittelkonzern ist ein Schweizer Unternehmen mit deutschem Namensgeber und US-amerikanischen Gründern

von Dr. Manuel Ruoff

Nestlés vor gut zwei Jahrhunderten am 10. August 1814 geborener Namensgeber, Heinrich Nestle, war gelernter Apotheker. Der liberale Geist wich 1839 vor staatlicher Repression in die französischsprachige Schweiz aus. Er ließ sich in Vevey, dem heutigen Hauptsitz von Nestlé, nieder und änderte seinen Namen in Henri Nestlé. Mit der finanziellen Hilfe seiner in der Heimat gebliebenen Verwandtschaft machte er sich mit einer Mühle mit Brennerei selbstständig. Mit Hilfe seiner chemisch-pharmazeutischen Kenntnisse stellte er unter anderem Flüssiggas aus Pflanzenöl her und verkaufte es von 1858 bis 1862 an Vevey für dessen Straßenbeleuchtung. Dann stellte jedoch die Stadt von Nestlés Flüssiggas auf selbst erzeugtes Steinkohlengas um. Nestlé brauchte ein neues Massenprodukt.

1865 analysierte Justus Liebig die Muttermilch. Liebig war nicht nur ein Landsmann von Nestlé, sondern auch der Lehrer des Apothekers, für den Nestlé vor seinem Schritt in die Selbstständigkeit gearbeitet hatte. Auf der Basis von Liebigs Analyse entwickelte Nestlé 1867 ein sogenanntes Kindermehl. Das aus Milch, Weizenmehl und Zucker hergestellte Produkt erwies sich in Wasser aufgelöst als höchst effektives Muttermilchsurrogat. Noch im Jahr seiner Entwicklung rettete das Kindermehl dem kleinen Jules, der einen Monat zu früh auf die Welt gekommen war und Muttermilch wie jede andere Ersatznahrung erbrach, das Leben. Die Kunde von der Rettung machte die Runde und „Henri Nestlé’s Kindermilch“ wurde zum Verkaufsschlager.

Die Firma expandierte, Nestlé kam zu dem Schluss, dass das Expansionspotenzial seine finanziellen Möglichkeiten überstieg, er zog sich aus dem Unternehmen, das in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wurde, zurück. Er beschloss, um es mit seinen eigenen Worten zu sagen, „sein schönes Geschäft, welches ihm so viel Ehre und Geld eingebracht hatte, gegen schmutzige Banknoten“ einzutauschen. Mit diesen „schmutzigen Banknoten“ verlebte er einen geruhsamen Lebensabend ohne finanzielle Sorgen bis zu seinem Tod am 7. Juli 1890 in seiner Schweizer Wahlheimat.

Das größte Industrieunternehmen der Schweiz verwendet den Namen von Henri Nestlé, seine Gründung macht das Unternehmen allerdings nicht an einer Tat des Deutschen fest, sondern an der zweier US-Amerikaner. Charles Pages war wie viele Landsleute seiner Generation durch den Amerikanischen Bürgerkrieg geprägt. In diesem Krieg hatte sich eine erst wenige Jahre alte Erfindung des US-Amerikaners Gail Gordon bewährt, die Kondensmilch. In Dosen verpackt war sie eine schier unverwüstlich scheinende Notverpflegung.

Nach dem Krieg wurde Page als Handelskonsul in die Schweiz geschickt, um Investitionsmöglichkeiten zu erkunden. Die Eidgenossenschaft war damals noch arm und die Arbeitskräfte waren billig, aber in der Produktion von Milch und Milchprodukten war sie schon damals stark. So kam Page auf die Idee, in der Schweiz Kondensmilch herzustellen. Und weil er ein moderner Mann aus der kapitalistischen Neuen Welt war, der in großen Dimensionen dachte, gründete er mit seinem Bruder George nicht ein kleines Familienunternehmen, sondern gleich eine Aktiengesellschaft zur Produktion von Kondensmilch. So entstand vor 150 Jahren der erste Anbieter von Kondensmilch in Europa. Da die Angloamerikaner insbesondere den britischen Markt im Auge hatten, wählten sie als Firmennamen „Anglo-Swiss Condensed Milk Company“. 1873 starb Charles und George wurde zum unbestrittenen „General“ des Unternehmens.

Um sich aufkommende unliebsame Konkurrenz vom Halse zu schaffen, wurde diese bevorzugt aufgekauft. Anfänglich gehörte Nestlé noch nicht zu den Konkurrenten der Anglo-Swiss, da der eine Kindermehl und der andere Kondensmilch herstellte. Das änderte sich allerdings, nachdem George Page Vater des zur Kränklichkeit neigenden Fred Harte geworden war. Page begann, sich für Babynahrung zu interessieren, und was ihn interessierte, das wollte er auch produzieren. Weniger als ein halbes Jahr nach Fred Hartes Geburt wurde ein Babynahrungshersteller in Blumisberg im Kanton Freiburg gekauft. Damit trat die Anglo-Swiss in Konkurrenz zu Nestlé. Und Nestlé schlug zurück mit der Produktion von Kondensmilch. Damit hatte sich Nestlé in den Augen von Page zum Übernahmekandidaten gemacht. Nestlé war zwar in der Tat kleiner als Anglo-Swiss, hielt sich aber für zu groß für eine Übernahme und schlug deshalb als Alternative eine Fusion auf Augenhöhe vor. Eine Fusion mit „diesen Hindus in Vevey“ kam für Page jedoch nicht in Frage. Schließlich habe sein Unternehmen höhere Gewinne, mehr Kredit und einen besseren Ruf. Er glaubte, dass die Zeit für ihn spiele und er nur zu warten brauche, da die Verkaufszahlen des Kindermehls abnehmen würden. Das sollte sich als Irrtum erweisen.

Kaum dass Page im April des Jahres 1899 gestorben war, lag im September ein Fusionsplan vor. Anglo-Swiss setzte doppelt so viel ab, verfügte über das Zweieinviertelfache an liquiden Mitteln und die Produktionskapazität war dreimal so hoch. Aber Nestlés Kindermehl verkaufte sich nach wie vor gut mit hoher Gewinnmarge. 1905 schließlich kam es zu der von

Page abgelehnten Fusion. Als Name wurde „Nestlé & Anglo-Swiss Condensed Milk Company“ gewählt. 1977 erfolgte dann die Verkürzung auf „Nestlé“.

Neben dem Namen und dem Hauptfirmensitz Vevey setzte sich auch das Logo des kleineren Fusionspartners durch. Es zeigt ein Nest (Nestle) mit einem ausgewachsenen Vogel, der seinen Nachwuchs füttert, und geht auf das Wappen der Nestles zurück. Wenigstens steuert Pages Anglo-Swiss mit seiner ersten Verwaltungsratssitzung am 9. August 1866 das Ereignis bei, an dem Nestlé seine Gründung festmacht und wegen dem es 2016 seinen 150. Geburtstag feierte.

Author: Maren Schönfeld

Maren Schönfeld ist Lyrikerin, Journalistin und Lektorin. Sie veröffentlicht Lyrikbände, Sachbücher sowie Artikel. Seit 2018 ist sie die Präsidentin der Auswärtigen Presse und leitet den Verband gemeinsam mit ihren Vorstandskollegen Dr. Manuel Ruoff und Winfried Wöhlke.