Ablenkung unter der Decke

Diese Glosse erschien am 10. September 2011 unter der Rubrik „Moment mal“ im Hamburger Abendblatt

Von Uta Buhr

Diese Zahnarztpraxis ist eine Mischung aus Reisebüro und Zauberladen. An den Wänden prangen stimmungsvolle Fotos von nahen und fernen Urlaubszielen. Wer träumt sich an diesen trüben und regnerischen Sommertagen nicht gern an einen Strand im sonnigen Süden!

Selbst Kinder, die kurz zuvor noch angsterfüllt vor der Tür zur Praxis standen, bekommen leuchtende Augen. So hoch gestimmt öffnet jeder dem netten Zahnarzt bereitwillig den Mund.

Ehe der vor dem surrenden Bohrer wieder zuklappt, fordert er den Patienten auf: „Bitte einmal an die Decke schauen.“ Und jetzt hat der Mann im weißen Kittel leichtes Spiel. Denn der Faszination des riesigen Posters da oben kann sich nun wirklich keiner entziehen.

Da kreuzen Wikingerschiffe auf azurblauen Meereswellen, blitzen die Schwerter bärtiger Mannen in der Sonne. Den feinen weißen Sandstrand in der Ferne meint man unter den Füßen zu spüren…

„Sie können den Mund jetzt wieder schließen.“ Die Stimme kommt von ganz weit her und reißt mich aus einem herrlichen Traum. „Nächstes Mal behandele ich Sie in Raum 2. Da gibt es ein ganz besonders schönes Deckengemälde“, schmunzelt der Arzt. Ob Sie es nun glauben oder nicht: Ich freue mich schon heute auf meinen nächsten Termin Anfang Oktober.