Eine frühe Zuwanderin – Emily Ruete, Prinzessin von Oman und Sansibar

Salme als Tochter des Sultans in Stone Town, Sansibar (Foto: W. Cropp, mit Genehmigung des Museums von Sansibar)

Auf dem Ohlsdorfer Friedhof

Gräber wecken Erinnerungen. Unter manchem Stein schlummern erstaunliche Geschichten. Nun sind Friedhöfe nicht gerade meine bevorzugten Aufenthaltsorte. Grund, warum ich an jenem Vormittag suchend durch den Ohlsdorfer Friedhof spazierte, war das Projekt der Künstlerin Anna Bardi. Sie hatte Autorinnen und Autoren gebeten, an den Gräbern toter Kollegen zu lesen. Ich war für Willy Haas, Felix Graf von Luckner und Rolf Italiander vorgesehen. Also suchte ich die Gräber vorher einmal auf. Per Zufall fand ich in einem verwunschen gelegenen Rhododendronhain ein Familiengrab und las in goldfarbener Gravur: Familie Ruete. Vor der eindrucksvollen Ruhestätte lagen Grabplatten. Eine der vielen Tafeln weckte meine Aufmerksamkeit. Ich las unter arabischen Schriftzeichen: Emily Ruete. Wittwe des Rudolph Heinrich Ruete. Auf der Platte stand ein Gläschen Sand mit der Aufschrift: Sansibar. Das musste etwas zu bedeuten haben!

Später erfuhr ich, dass die arabischen Schriftzeichen ein Siegel seien und bedeuten: Salme Prinzessin von Oman und Sansibar. Nicht weit entfernt stieß ich auf den „Garten der Frauen“, eine Spirale aus Steinblöcken. Einer davon trägt die Gravur: Emily Ruete, geb. Salme, Prinzessin von Oman und Sansibar, 1844 – 1924. Zuwanderin.

Auf dem Ohlsdorfer Friedhof: Das Familiengrab der Ruetes.

Zuwanderin, welch ein moderner, ja aktueller Begriff, der nicht nur Deutschland, der ganz Europa brennend beschäftigt! Ich schlug eine Hinweistafel aus Aluminium auf und las einen kurzen Abriss aus Emilys Leben, der mit ihren Worten endet: „Ich verließ meine Heimat als vollkommene Araberin und als gute Mohammedanerin und was bin ich heute? Eine schlechte Christin und etwas mehr als eine halbe Deutsche.“
Sonderbar, mit einem Mal wurde ich von Neugier gepackt. Die Geschichte der Prinzessin aus Tausendundeine Nacht, dem fernen Sansibar, fing an mich zu faszinieren. Ich wollte mehr darüber erfahren, an die Wurzeln gelangen…
Also machte ich mich auf.

Sansibar

Nach stürmischer Überfahrt mit einer Dhau von Bagamoyo, Tansania nach Stone Town, Sansibar Stadt, quartierte ich mich in der Backpacker Lodge Flamingo ein und erkundete peu à peu die Stadt, dann mit einer Vespa die ganze Insel. Livingstone, Burton und andere Entdecker starteten von hier aus ihre Expeditionen durch Afrika. Gespräche mit Einheimischen, Informationen im Palast Museum, im Haus of Wonders, das Buch „Memoiren einer arabischen Prinzessin“ erschlossen mir den Lebensweg Salmes:

Im Hafen von Sansibar City, Stone Town

Im Palast des Sultans Sayyid Said brachte eine der 75 Nebenfrauen die Prinzessin Sayyida Salme am 30. August 1844 zur Welt. Sie wuchs als außerordentlich lebhaftes und wissbegieriges Mädchen heran, das sich früh im goldenen Palastkäfig eingesperrt fühlte. Lesen und schreiben musste sie heimlich lernen. Ihr Halbbruder Majid wurde, nach dem Ableben des Vaters, 1856 Sultan. Er fand Gefallen an der Neugierde der Schwester und förderte sie. Brachte ihr Reiten und Schießen bei und ließ sie bei sich im Palast wohnen. Mit zwölf Jahren wurde Salme volljährig. Sie erhielt ihr väterliches Erbe. Als die Mutter starb, wurde sie noch reicher. Besaß Wohnhäuser, Plantagen und mehrte durch den Export von Gewürznelken ihr Vermögen.
Wohl aus Übermut – niemand weiß es ganz genau, ließ sie sich von ihrer Halbschwester Khwala und ihrem herrschsüchtigen Halbbruder Bargash verleiten, gegen Majid, ihrem Gönner, zu putschen. Der Umsturz misslang. Salme kam glimpflich davon. Das Vertrauensverhältnis bei Hof blieb jedoch nachhaltig gestört.

Emily Ruete als Ehefrau des Kaufmanns Rudolph Heinrich Ruete (Foto: W. Cropp, mit Genehmigung des Museums in Sansibar)

Die Prinzessin bezog eine Stadtwohnung in unmittelbarer Nähe eines Hamburger Kaufmanns, namens Heinrich Rudolph Ruete, einem stattlichen Mann, der mit Gewürzen und Elfenbein handelte. Erst Neugierde, dann Sympathie brachte die Beiden näher. Das jeweils Gegensätzliche zog magisch an. Sie verliebten sich. Welch eine gefährliche Verbindung in damaliger Zeit! Sie Mohammedanerin, er Christ. Und zur Liebe gesellte sich eine Schwangerschaft, damit die tödliche Gefahr für Leib und Leben. Um der Steinigung zu entgehen, floh die Prinzessin nach Aden, wo ihr Sohn, Heinrich jr. geboren wurde. Sie wartete auf ihren Gatten und ließ sich derweil auf den Namen Emily christlich taufen. Ihr Sohn starb, bevor Vater Heinrich eintraf.

Die über viele Wochen währende Reise nach Hamburg trat das Paar gemeinsam an. Im März 1868 wurde ihre Tochter Antonie geboren. Ein Jahr später freuten sich die Eltern über die Geburt des Sohnes Rudolph. Dann erblickte die Tochter Rosalie das Licht der Welt. 1870 geriet Ehemann und Vater Heinrich unter die Räder der Straßenbahn, die seinerzeit von Pferden gezogen wurde. Damit begann für Emily die Zeit großer Unsicherheit: Die Frau mit drei Kindern war auf sich gestellt. Ihre Ansprüche und den Besitz auf Sansibar hatte sie durch die Ehe mit dem „Ungläubigen“ Heinrich verwirkt. Die angeheiratete Familie, nebst deutsche Behörden verweigerten Emily das Erbe ihres Mannes.

Die Grabplatte von Emily Ruete, geb. Salme, Prinzessin von Oman und Sansibar.

Sie schlug sich als Gelegenheitslehrerin und Übersetzerin für arabisch durch. 1886 veröffentlichte sie mit beachtlichem Erfolg das Buch „Memoiren einer arabischen Prinzessin“. Die finanziellen Sorgen konnte sie durch Buchtantiemen reduzieren. Dennoch, Kulturschock und Enttäuschungen überforderten ihre Kräfte. Besonders die negative Erfahrung ihrer zweiten Sansibarreise schmerzten sehr. Entwurzelung, ewiges Heimweh, der Tod ihres Mannes nagten an ihrem Gemüht. Aus Melancholie entwickelte sich Depression. Am 29. Februar 1924 starb sie in Jena an Lungenentzündung. In der Handtasche der Mutter fanden die Kinder ein Säckchen Sand vom Strand ihrer Heimat Sansibar. Sand, den sie stets, bis zu ihrem Tod bei sich trug. Auf Wunsch ihrer Kinder wurde sie neben ihrem Mann Heinrich in Hamburg beigesetzt.

Im Palast Museum wurde ihr ein Zimmer mit Erinnerungsstücken aus der Jugend eingerichtet. An den Wänden hängen Bilder von Ihr, ihrem Mann, der Mutter, dem Vater und vieles mehr. Prinzessin Salme bleibt in Erinnerung, sie hat in einem eigenen Raum endlich Ruhe gefunden. Und Frieden in Ihrer so geliebten Heimat Sansibar!

Wer darüber hinaus Interesse am Leben und Treiben in Tansania und Sansibar hat, dem sei das Buch „Wie ich die Prinzessin von Sansibar suchte und dabei mal kurz am Kilimandscharo vorbeikam“, empfohlen.

Fotos: privat

Die erste arabische Autorin einer Autobiographie

Porträt von Emily Ruete (Sayyida Salme) in traditioneller Kleidung als Prinzessin von Sansibar. (Foto: gemeinfrei)

Vor 100 Jahren starb Emily Ruete, die Witwe eines Hamburger Kaufmanns und Autorin des Werkes „Memoiren einer arabischen Prinzessin“

Die erste Autobiographie einer Araberin in der Literaturgeschichte, „Memoiren einer arabischen Prinzessin“, erschien in Deutschland. Ihre Autorin beschrieb sich wie folgt: „Ich verließ meine Heimat als vollkommene Araberin und als gute Mohammedanerin, und was bin ich heute? Eine schlechte Christin und etwas mehr als eine halbe Deutsche.“ Das klingt nach einer bewegten Biographie, und das ist sie auch.

Bei der besagten Adeligen handelt es sich um die Prinzessin von Oman und Sansibar Salama (Salme) bint Said. Die Prinzessin kam als Tochter des regierenden Sultans von Oman und Sansibar, Said ibn Sultan, und einer verschleppten tscherkessischen Sklavin in einem Palast ihres Vaters in dessen Reich zur Welt. Dem Herrscher ein Kind zu schenken, erhöhte Prestige und Status einer Sklavin ungemein, machte sie zur Nebenfrau, und Salme war das einzige Kind ihrer Mutter. Das ist eine mögliche Erklärung für das gute Verhältnisse zwischen den beiden Frauen. Mit ihrer Mutter wuchs Salme in Wohlstand im besagten Palast auf.

Die Prinzessin wusste, was sie wollte und was nicht. Beispielsweise wollte sie schreiben können, und so brachte sie es sich selbst bei. Sie wollte keinen Mann, den ihr die Familie ausgesucht hatte, und so war sie mit 22 Jahren noch ledig. 1856 starb ihr Vater und drei Jahre später auch ihre Mutter. Das Erbe beider ermöglichte ihr ein Leben in Wohlstand und Unabhängigkeit.

Die Liebe kostete sie die Heimat

Ihren Ehemann wählte sie sich selbst aus. Der Glückliche war ihr Nachbar, der Kaufmann Heinrich Ruete aus Hamburg. Eine Eheschließung in ihrer Heimat war ausgeschlossen. Als sie von ihm ein Kind erwartete, entschloss sie sich in Absprache mit Ruete, der später nachreiste, zur Flucht übers Meer. Sie war mit der Ehefrau des britischen Konsuls befreundet, und so nahm sie 1866 vor der Küste ein britisches Kriegsschiff auf seinem Weg nach Aden auf. In Aden heiratete sie Ruete, und die Fahrt ging weiter nach Hamburg. Die Prinzessin nahm neben der Staatsangehörigkeit auch den Glauben ihres geliebten Ehemannes an. Als Taufnamen wählte sie den Namen der befreundeten Ehefrau des Konsuls, der sie ihre gelungene Flucht maßgeblich zu verdanken hatte. Abgesehen vom ersten Kind, Heinrich, mit dem Salme in Afrika schwanger war und das kurz nach seiner Geburt in Aden dort auch verstarb, bekam das Paar 1868, 1869 und 1870 im Jahresabstand noch drei Kinder: Antonie Thawka, Rudolph und Rosalie Guza.

Das Glück währte indes nur kurz. Noch im Geburtsjahr ihres letzten Kindes kam Rudolph Heinrich Ruete buchstäblich unter die Räder. Auf dem Rückweg zu seiner Frau sprang er unglücklich von einer Pferde-Straßenbahn ab und wurde von dieser überfahren.

Emily Ruete, die in ihrer afrikanischen Heimat diverse Plantagen aus dem Erbe ihrer Eltern bewirtschaftet hatte, musste die Erfahrung machen, dass ihr für die Verwaltung des Erbes ihres Mannes ein Verwalter vor die Nase gesetzt wurde. So ist es denn auch nicht ihre Schuld, dass das ererbte Vermögen dahinschmolz. Es begann ein gesellschaftlicher, aber vor allem finanzieller Abstieg. Aufgefangen fühlte sie sich weder durch die Hamburger Gesellschaft noch durch die Familie ihres Mannes. Als sie merkte, dass man anderswo günstiger wohnen kann als in Hamburg, zog sie um. Doch in keiner deutschen Stadt konnte sie Wurzeln schlagen, weder in Dresden oder Berlin noch in Rudolstadt oder Köln. In Deutschland blieb sie überhaupt nur wegen der Kinder. Sie ist halt nur „etwas mehr als eine halbe Deutsche“ geworden.

Auf ihre Besitzungen in der afrikanischen Heimat zurück konnte sie auch nicht. Ihre diesbezüglichen Schreiben an den Sultan blieben unbeantwortet. Immerhin hatte sie unerlaubt das Land verlassen, sich unverheiratet schwängern lassen und schließlich auch noch dem Islam abgeschworen. 1875 erfuhr sie indes, dass Sansibars Sultan Barghasch ibn Said nach London kam, und sie fuhr mit geborgtem Geld extra dorthin, um ihn zu sehen. Doch nicht nur, dass ihr Halbbruder sie nicht sehen wollte. Die Briten hintertrieben das Vorhaben. Sie fürchteten, dass nach einer möglichen Versöhnung das Deutsche Reich versuchen könnte, Emilys Sohn Rudolph als Nachfolger seines Halbonkels durchzusetzen. London bot deshalb Ruete Unterhalt für ihre Familie an, wenn sie ihr Vorhaben abbrach. Ruete brach daraufhin ihr Vorhaben ab – aber die versprochene Gegenleistung blieb England schuldig.

Spielball der Kolonialmächte

Ein Jahrzehnt später schien sich Ruete abermals eine Chance zu bieten. Zwischen dem Deutschen Reich und Sansibars Sultan kam es zu Gebietsstreitigkeiten. In klassischer Kanonenbootpolitik-Manier tauchte ein deutscher Flottenverband vor Sansibar auf, unweit davon ein deutsches Zivilschiff mit Ruete an Bord. Sollte sich der Sultan als nicht kooperativ erweisen, wollte die Reichsregierung den Araber mit den Ansprüchen der deutschen Staatsangehörigen Ruete unter Druck setzen. Doch Barghasch zeigte sich kooperativ, und so verzichtete das Reich darauf, die Ansprüche seiner Staatsangehörigen zu unterstützen. Wenigstens durfte Ruete an Land gehen und ihren mitreisenden Kindern die Stätten ihrer Kindheit und Jugend zeigen. Danach ging es zurück nach Deutschland.

Ein Jahr später landete Ruete mit ihren Memoiren einen Erfolg, der ihre finanzielle Situation verbesserte. 1888 unternahm sie auf eigene Faust eine weitere Reise nach Sansibar. Wieder verweigerte ihr der Sultan eine Begegnung. Aber diesmal kehrte sie nicht nach Deutschland zurück. Denn ihre Kinder waren aus dem Gröbsten raus. Sie sah sich nun nicht mehr gezwungen, bei der Wahl ihres Wohnortes auf diese Rücksicht zu nehmen. Nacheinander wohnte sie in Jaffa, Jerusalem und Beirut, wo auch ihre beiden Töchter hinzogen und ihr Sohn am deutschen Konsulat arbeitete. Im Jahr des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs verließ Ruete Beirut.

Ihre letzten Lebensjahre verbrachte sie wieder in Deutschland. In Jena fand sie Unterschlupf bei den Schwiegereltern einer ihrer Töchter. Dort ist sie auch vor 100 Jahren, am 29. Februar 1924, gestorben. Ihre letzte Ruhestäte fand Emily Ruete an der Seite ihres geliebten Mannes in Hamburg-Ohlsdorf.

 

Dieser Artikel erschien zuerst in der Preußischen Allgemeinen Zeitung.