Von Heidi Kabel bis Shakespeare: Kultur mit Kornelia Kirwald

Ein wahres Feuerwerk an Radio- und Live-Veranstaltungen hat die Schauspielerin Kornelia Kirwald für die Saison geplant:

Radio: GEDICHT DER WOCHE

Im März genießen Sie Lyrik des Dichterfürsten und Universalgenies Johann Wolfgang von Goethe, dessen 275. Geburtstag wir dieses Jahr begehen, im April weitere Textgedichte von der preisgekrönten Hamburger Lyrikerin Maren Schönfeld.
– montags 06:30 Uhr, mittwochs 07:15 Uhr,
samstags 12:30 Uhr 
und sonntags 19.00 Uhr auf TIDE.radio

Theater: „Die Große Heinz-Erhardt-Show“

Eine schwungvolle Hommage seiner großen Zeit im Hamburger Varieté „Haus Vaterland“ mit humorvollen Texten, Sketchen, Gedichten und mitreißenden Melodien von Ralf Steltner – ein Feuerwerk des Wortwitzes!
Kornelia Kirwald spielt die Bardame, Stefan Linker begeistert als Willi Winzig, Ralf Steltner hat die musikalische Leitung.
Buch: Karl-Heinz Wellerdiek, Regie: Philip Lüsebrink
– So 07.04. 15:00 Uhr im Hamburger Engelsaal

 

20 Jahre TIDE!  
Im Rahmen der Feier dieses besonderen Jubiläums gibt Kornelia Kirwald in zwei Leseblöcken Einblicke in ihre Arbeit seit 2005, mit Musik und Gesang. Die Party steigt ab 21 Uhr im TV-Studio!
– Donnerstag 04.04. 14:45 und 17:00 Uhr,
Kunst- und Mediencampus Hamburg,

Finkenau 35 – Gebäude C, 22081 Hamburg,
Telefon: 040 / 325 9903-0, ANMELDUNG erbeten

 

Lesung: „Blick aufs Meer“

Zur Vernissage der jährlichen Ausstellung „RissenArt“ in den Schaufenstern der Einkaufsmeile Rissen liest Kirwald ausgewählte Texte von Heine bis Schönfeld über das Urelement Meer.
– Mittwoch 10.04. 18:30 Uhr (Einlaß 18:00 Uhr)
HaSpa Filiale Rissen, Wedeler Landstr. 41

 

Radio: KULTUR-BISTRO

William Shakespeare zum 460. Geburtstag
Er wurde im Laufe seines abenteuerlichen Lebens zum prägenden Dichter und Theaterautor. Ein Großteil seines unsterblichen Werkes ist erhalten und bietet Bühnenkünstlern nach wie vor großartige Stoffe und traumhafte Rollen. Sie hören biographische Anmerkungen, berühmte Sonette und Ausschnitte aus einigen seiner bekanntesten Stücke, umrahmt mit Alter Musik aus England, Frankreich und Italien.
– Montag 29.04. 18:00 Uhr
Sonntag 05.05. 20:00 Uhr auf TIDE.radio

 

LITERATUR-LIVE: HEIDI KABEL zum 100. Geburtstag 

„Sie war mehr als eine populäre Volksschauspielerin, sie war mit natürlichen Mitteln eine große Menschendarstellerin, mit und ohne Plattdeutsch“, so Henning Voscherau in seiner Abschiedsrede im Michel. Kornelia Kirwald präsentiert einen amüsanten und informativen Blick auf Leben und Karriere der Künstlerin mit Auszügen aus ihrer Autobiographie, zusammengestellt von Jürgen Gebert; umrahmt wird die Lesung mit flotter Tanzmusik von Michael Jary.
-Montag 29.04. 16:00 Uhr im Forum Alstertal,
Kritenbarg 1
8, 22391 Hamburg, Tel: 040-60 68 68,

Mail: info@forum-alstertal.de

 

KONZERTE mit dem Pop-Chor GYRISSMIX

unter Leitung von Katharina Vogel:
– Samstag 01.06. 75. Jubiläum des Rissener Sportvereins
– Samstag 29.06. Rissener Sommerfest
– Sonntag 07.07. Wedeler Hafenfest
– Samstag 13.07. Sommerkonzert

 

LITERATUR-LIVE: LITERATEN SEHEN SYLT  

Foto: privat

Die Insel… Wer einmal dort war, den lässt die Sehnsucht nicht mehr los. Schon als Sylt nur die nördlichste Insel Deutschlands war, kamen Besucher; vor allem Künstler waren von Beginn an fasziniert. Kornelia Kirwald rezitiert Texte von Dichtern und Schriftstellern, die aus der einzigartigen Stimmung auf Sylt Kraft und Inspiration schöpften.
-Donnerstag 11.07. 15:00 Uhr
Johannesgemeinde Rissen, Raalandsweg 5, 22559  Hamburg, Tel. 819006-0

 

online: GEDICHT DER WOCHE

auf VIMEO
„Frühlingstraum“ von Wilhelm Müller 
Ein milder Wintertag“
von Annette von Droste-Hülshoff;
auf SOUNDCLOUD
„Bis zu den Amseln“ und „In meiner Haut“ von Maren Schönfeld
„Harfenspieler“ und „Rastlose Liebe“ von Johann Wolfgang v. Goethe

 

Homepage der Schauspielerin mit aktuellen Terminen, Orten und Uhrzeiten:

Berührt von schönen Büchern

Am 25. Februar 2024 veranstaltete der Büchermacher Ralf Plenz in Kooperation mit der Hamburger Autorenvereinigung ein Treffen der Pirckheimer Gesellschaft in Hamburg-Altona. In der Alfred-Schnittke-Akademie konnten Interessierte sich über die Institutionen informieren, bibliophile Buchausgaben bewundern und erstehen. Dabei ging es auch um die Frage, was der Begriff „bibliophil“ denn eigentlich umfasst.

Den ersten Programmpunkt der Tagung bildete jedoch ein Vortrag von Ralf Plenz über die Umwälzung der Druckbranche, verknüpft mit seinem Werdegang in dieser Branche. In den 1960er und 70er Jahren fand der Wechsel vom Bleisatz zum Offsetdruck statt. Als Gründungsmitglied der Druckwerkstatt Ottensen bot Plenz gemeinsam mit seinen Mitstreitern eine Spezialität an: Zum Gestalten der Druckvorlagen für die Kunden verwendeten sie altes Werkzeug wie zum Beispiel Federn und stellten die Vorlagen handschriftlich her. So hatten sie viele Autoren und Künstler unter ihrer Kundschaft, u.a. den Lyriker Peter Rühmkorf und den Künstler Albert „Ali“ Schindehütte, der durch die Rixdorfer Drucke berühmt wurde. Die Druckwerkstatt, die heute noch existiert, war ein Erfolgskonzept aus hochwertigen Druckerzeugnissen in Zusammenarbeit mit Kleinstverlagen, dem Verkauf einer kleinen Auswahl an besonderen Büchern sowie Umweltschutzpapiererzeugnissen und einem Copyshop.

Palma Kunkel als Raubdruck

Ralf Plenz (Foto: DAP)

Plenz berichtete über Details des Druckwesens, zu denen Laien kaum Zugang haben. So erfuhr manch erstaunter Gast, dass digital gedruckte Bücher für Bibliothekare nicht archivfest seien, weil diese keine 100 Jahre hielten. Denn Digitaldruck ist technisch fast immer eine Fotokopie – sie blättert ab, wenn sie beispielsweise geknickt wird. Zudem sind die Buchrücken nicht gerade für die Ewigkeit gemacht und brechen meist, wenn man das Buch weit aufzuklappen versucht. Aus diesem Grund ist die Reihe „Perlen der Literatur“ von Ralf Plenz (Input-Verlag) im Offsetverfahren gedruckt und hochwertig ausgestattet.

Für den Nachdruck der historischen Titel fahndet Plenz in Antiquariaten nach sehr alten Ausgaben und stößt manches Mal auf Kuriositäten. Eine ganz besondere ist ein Gedichtband von Christian Morgenstern, datiert auf den Zeitraum 1915-1920, mit gerissenem statt geschnittenem Papier. Die Nachforschungen des Büchermachers ergaben, dass es sich um einen Raubdruck handeln muss, denn in keinem autorisierten Buch gibt es diese Zusammenstellung aus drei Bänden Morgensterns, zudem noch in einer Ausgabe.

Paradiesische Bücher made in Hamburg

Rudolf Angeli vom Angeli & Engel-Verlag bestritt den zweiten Vortrag im Programm. Der Verlag „widmet sich Publikationen zur Kunst mit bibliophilem Anspruch“ (Verlagswebsite). Angelis Leidenschaft für das Schachspiel und für Stefan Zweigs „Schachnovelle“ motivierte ihn schließlich, ins Verlagswesen einzusteigen. Eigentlich aus dem Management kommend, gründete er gemeinsam mit dem Autor Peter Engel den „Verlag für paradiesische Bücher“ (Verlagswebsite) in Hamburg und eignete sich autodidaktisch das entsprechende Wissen an. Neben den o.g. Publikationen betreibt er ein Antiquariat. Er ist von Worten fasziniert und bezeichnet seine verlegerische Berufung als „Serendipity“, also eine „zufällige Beobachtung von etwas ursprünglich nicht Gesuchtem, das sich als neue und überraschende Entdeckung erweist“. (Wikipedia)

Rudolf Angeli (Foto: DAP)

Ein Blick auf den liebevoll präsentierten Büchertisch beglaubigt seine Leidenschaft und man möchte die hochwertigen, großformatigen Bücher gern berühren und aufschlagen. Aktuell erschien die 4. Edition, das Balladenbuch „Liebe, Leid & Untergang“ von Klaus Waschk, das als Buchhandelsausgabe und als Vorzugsausgabe mit einer Original-Grafik des Künstlers erhältlich ist.

Bei so vielen spannenden Vortragsthemen konnte man fast das Anschauen ebenjener Büchertische vergessen. Dabei gab es unter den ausgelegten Leseschätzen viel Schönes zu bewundern, so zum Beispiel der Nachdruck der sehr kurzen Erzählung „Die Insel“ von Stefan Zweig, hochwertig gebunden als schmales Heft mit einer nachgedruckten Grafik von Markus Behmer sowie ergänzt durch das Faksimile des handschriftlichen Manuskripts als Beigabe.

Als weitere Besonderheit hat der Verlag Angeli & Engel 2020 den „Hamburger Bothen“ herausgebracht, einen Rundbrief, der sechsmal im Jahr erscheint, um über einschlägige Veranstaltungen zu informieren und die Kontakte innerhalb der Regionalgruppe Nord der Pirckheimer Gesellschaft zu unterstützen.

Antiquarisches und Bibliophiles

In der Alfred-Schnittke-Akademie ging es nach der Mittagspause mit einem Podiumsgespräch weiter. Zunächst sprachen Ralf Plenz und die Verfasserin dieses Artikels über die in Hamburg-Ottensen spielende Trilogie „Großstadt-Oasen“, zu denen auch zwei Podcastfolgen kostenlos zu hören sind. Im weiteren Gespräch zu dritt mit Rudolf Angeli ging es zunächst um die Situation der Antiquariate in Deutschland und die Vor- und Nachteile der Online-Portale, mithilfe derer sich Bücherfreunde zwar einfach sowohl seltene Ausgaben beschaffen als auch durch Verkauf gebrauchter Exemplare ihr Bücherregal aufräumen können, die jedoch für die stationären Antiquare eine Existenzbedrohung darstellen. Denn wegen sofortigen Vergleichbarkeit aller Anbieter des gleichen Produkts fallen die Preise. Ehemals kostspielige Raritäten sind heutzutage für wenige Euro erhältlich. Zudem wird die Anzahl der Leser insgesamt drastisch weniger und teilt sich überdies auf in solche, die noch Papierbücher lesen und andere, die digitale Medien wie E-Books bevorzugen. Das sind immerhin konstant sechs Prozent.

Aus diesem Thema folgte die Frage, was denn eigentlich bibliophil sei? Wikipedia offenbart dazu: Als Bibliophilie bezeichnet man allgemein das Sammeln von schönen, seltenen oder historisch wertvollen Büchern, meist durch Privatpersonen zum Aufbau einer Privatbibliothek nach bestimmten Sammelkriterien. Die drei Diskutanten einigten sich zusätzlich auf die Ausstattung (Haptik, Papierqualität, Bindung, Veredelung, Beigaben wie z. B. Künstlergrafiken und natürlich die besondere Typografie etc.), den Geruch und die persönliche Bedeutung von Büchern für die Leser. Rudolf Angeli empfindet Bücher wie Freunde, was eine berührende Umschreibung und sehr nachvollziehbar für Menschen ist, die sich einmal mit dem Lesen infiziert haben.

Pirckheimer „unterwegs im Büchermeer“ im April

Die Pirckheimer Gesellschaft, die nach eigenem Bekunden „Sammler und andere Verrückte“ beheimatet, betreibt auf ihrer Website auch einen umfangreichen und vielfältigen Blog. Außerdem wird sie am 5. bis 7. April 2024 im Museum der Arbeit (Hamburg-Barmbek) bei der Buchdruckkunstmesse „Unterwegs im Büchermeer“ vertreten sein. Vielleicht kann man dort auch die weiteren Aussteller, die krankheitsbedingt nicht in Altona sein konnten, antreffen und ihre Schätze bewundern.

Ein Drängen, das auf verstürzten Wegen Freiheit sucht

Gedenken an den Lyriker und Künstler Winfried Korf (1941-2021)

Als ich, frisch gebackene Sekretärin der Hamburger Autorenvereinigung, mit dem Korrekturlesen der Beiträge für die Anthologie „Spuk in Hamburg“ (Verlag Expeditionen, Hamburg 2014) befasst war, beeindruckten mich zwei Gedichte eines Lyrikers besonders, den ich bislang nur vom Sehen kannte. Dieser Lyriker arbeitete sehr traditionell, mit einem packend bildhaften und eloquenten Wortschatz, geschliffenem Metrum und gestochenem Versmaß. Wer war dieser Mensch, der einer offiziellen Version der Gattung Lyrik „linksbündiger Flattersatz“ mit althergebrachter Wortgewaltigkeit trotzte?

Bei unserer Lesung zur Vorstellung der Anthologie ließ ich mir auch ihm ein Autogramm auf seine Autorenseite schreiben. Seine Widmung lautete: „In Erinnerung an die glanzvolle Vorstellung unserer Anthologie“. Seine Schrift war genauso wie seine Gedichte: Barock und verschlungen.

Einige Jahre später war unser Kontakt zu einer Freundschaft gediehen, die auch das gemeinsame Arbeiten an unseren Gedichten – für eine ganze Zeit auch zu dritt mit einer weiteren HAV-Kollegin – einschloss. Wir diskutierten, manchmal hart, über Formulierungen und den Sinn von Interpunktion in Gedichten. Man konnte sich an ihm die Zähne ausbeißen! Aber gerade das machte es so spannend, denn sein Humor verließ ihn dabei nie. Unsere völlig unterschiedliche Art zu schreiben war kein Hindernis, sondern gerade eine Bereicherung. Dabei hatte Winfried die Angewohnheit, zu „schweren Fällen“ nicht nur Bearbeitungsvorschläge zu unterbreiten, sondern ein eigenes Parallelgedicht zu schreiben. Eine einzigartige Erfahrung, die eine völlig neue Perspektive auf den eigenen Text eröffnete.

Diese Parallelgedichte sind nun, gut anderthalb Jahre nach seinem Tod, neben seinen wunderbar gestalteten handschriftlichen Briefen und seinen Gedichten, ein großer Schatz für mich.

Karin Grubert und Winfried Korf, Foto: privat

Winfried Korf war Maler, Zeichner, Lyriker. Er war auch Historiker, Dozent in der Erwachsenenbildung und Dramaturg, er spielte Klavier, er war ein Tausendsassa. Und er war ein Mensch, der niemals stillzustehen schien. Wenn er nicht schrieb, zeichnete er. Wenn er nicht malte, fotografierte er. Er war ein Getriebener, manchmal kam er mir vor wie jemand, dessen Kerzen an beiden Enden brannte. In seiner letzten Lebensphase sagte er mehrmals, er könne noch nicht sterben, er habe noch zu viel vor. Und bis zu seinem letzten Tag am 14.12.2021 schrieb und malte er, unermüdlich. Die Überschrift dieses Textes, ein Zitat aus seinem Gedicht „Ewige Wanderung“ (Buchtitel s. u.) erscheint mir wie eine Beschreibung seines Wesens. Das Drängen, das ihn antrieb, blieb bis zum letzten Moment. Er hinterließ Mengen an Werken in Wort und Bild, ein Gesamtkunstwerk, das seine Frau Karin Grubert nun unermüdlich ordnet, sortiert und erfasst. Berührend dabei ist, dass er selbst vieles zusammengestellt hatte, das Ordnen seiner künstlerischen Dinge könnte man als Vermächtnis auffassen.

Uns verband die Lyrik, die Literatur, ein wenig auch die Malerei. Natürlich flossen in unsere Gespräche seine umfangreichen Kenntnisse aus den anderen Bereichen seines Wissens ein, aber nie schulmeisterlich, sondern immer dezent, zurückhaltend und bereichernd. Sein Sinn für das Schöne, der Hang, jede Box für Notizzettel, jede Schachtel, jede Mappe mit künstlerischen Elementen zu veredeln, umgab ihn wie ein Raum, in dem er lebte. Alles, was er anfasste, machte er zu Kunst.

Unsere Gespräche über unsere Gedichte, aber auch über andere Literatur, über das Leben, Gott und die Welt, den Garten, die Liebe – diese Gespräche fehlen mir unendlich. Dankbar bin ich dafür, dass wir uns begegnet sind. Dankbar auch für seine Gedichte, mit denen er seine Handschrift hinterlassen hat. Spät entdeckte er, der Reimdichter, das ungereimte und minimalistische Haiku; eine Form, der er exzessiv frönte und sie auch mit seinen Fotografien zusammenbrachte. Vielleicht hätte er heute, bei einer Feier anlässlich seines 82. Geburtstag, in fröhlicher Runde welche zitiert. Ganz bestimmt ist dieser Tag ein Anlass, in seinen Gedichtbänden zu lesen. Dies ist eins meiner Lieblingsgedichte:

Auf dem Stege
Betrachtungen im Böhmerwald

Immer anders, immer gleich: Geweb’ der Wellen,
Die hurtig über Wehr und Felsen schnellen,
Im Lichte springen, gleich gejagten Rudeln
im dunklen Grunde unter Wurzeln strudeln.

Immer gleich und immer anders: Streit der Steine.
Jeglicher am andern und für sich alleine
Werden sie flussab geschoben und im Schieben
Aneinander zu Geröll und Sand zerrieben
Und als Stoff zum späteren Gebären
Neuer Bergeswelt begraben in den Meeren. –

„Du steigst nicht zweimal in denselben Fluss“:
Er ist es und er ist es nicht.
Du bist es und du bist es nicht.
Wir alle ändern Leben, Lauf, Gesicht –
Ein jeglicher nach seinem Muss.

Und doch ist’s nur die eine Sphäre,
Darin Zerstörer durch die Zeiten kreisen,
Sich steigern, gipfeln, mindern und zerreißen,
Sich verflammend ineinander schweißen
Zu Gestalten, schmelzend in der Leere,

Daraus der Geist sich seine Körper schafft:
Die Dinge als Verdichtungen der Kraft.
Von dem Stege zwischen Hier und Dort,
Von seines Bogens aufgewölbtem Ort,
Der, keines Ufers Eigen, beide bindet
Und überschreitet und kein Ziel je findet,

Schau‘ ich hinunter auf das Schnellen,
Auf das Geweb‘ der Steine und der Wellen:
Strömen, strömen, strömen – Takt der Zeit,
Verschränkt in den Kristall der Ewigkeit.

Winfried Korf (1941-2021): Wanderung im Abend, BoD, Norderstedt 2016

Titel von Winfried Korf bei Amazon: https://www.amazon.de/s?k=winfried+korf&crid=11IILNECC0KER&sprefix=winfried+korf%2Caps%2C89&ref=nb_sb_noss

Endlich wieder Leipziger Buchmesse!

Wie schön! Nach drei Jahren coronabedingter Pause fand endlich wieder die Leipziger Buchmesse im Verbund mit der Manga-Comic-Con und dem Lesefest Leipzig statt. Mit rund 2.000 Ausstellern aus 40 Ländern, mehr als 3.000 Veranstaltungen und rund 3.200 Mitwirkenden an etwa 300 Veranstaltungsorten bot die Messe wie vor Corona eine große Bühne für Autorinnen und Autoren, für Verlage und natürlich für die Leserinnen und Leser. Oder sollte man genauer sagen Hörerinnen und Hörer?  In zahlreichen Lesungen, Talkrunden, Interviews und Mitmachaktionen wurden alle Aspekte rund um Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt vorgestellt. Aber es wurden auch – so ist es gute Tradition hier – viele Fragen zu den generellen Themen Zukunft des Buches, veränderte Lesegewohnheiten des Publikums und Situation der Autorinnen und Autoren diskutiert. Eher am Rande ging es auch um politische Themen.

Ich besuchte die Leipziger Messe vor Corona etwa alle zwei Jahre. Einerseits, um jeweils meine eigenen neuen Bücher auf Lesungen vorzustellen, anderseits, um mich über den Stand der Dinge zu informieren, Anregungen zu bekommen und bekannte Autorinnen und Autoren zu erleben beziehungsweise weniger bekannte zu entdecken. Immer spannend und inspirierend!

Was würde sich verändert haben nach dieser Zwangspause?

Stand Österreichs

Mein erster Eindruck: Vor allem überall Freude, dass die Buchmesse wieder stattfindet. Allerdings hat Corona Spuren hinterlassen: Man rechnete mit ca. 40 % weniger Besuchern (es sollten dann doch fast 250.000 werden!), und auch die Hallen waren längst nicht völlig ausgebucht. Aller (Neu-) Anfang ist eben schwer. In vielen Gesprächen wurde geklagt, dass die stark gestiegenen Papier- und Produktionskosten für die Buchherstellung das Verlagswesen erheblich belastet haben und noch belasten. Aber es war auch viel Optimismus nach dem Motto „Trotz allem!“ zu spüren. Vielfach wurden die staatlichen Hilfen unter dem Titel „Neustart Kultur“ lobend erwähnt. Ja, und das spezifische „Leipziger-Buchmessen-Feeling“ stellte sich nicht nur bei mir ganz schnell wieder ein. Überall Lesungen, Gespräche und Buchvorstellungen, jede Menge junger Leute in ihren Verkleidungen und geschäftiges Treiben an den Verlagsständen und auf den diversen Foren. Allerdings fiel auf, dass selbst größere Verlage auf oft etwas kleineren Ständen als früher vertreten waren.

Wer diese Messe besucht, sollte sich Schwerpunkte setzen, denn sonst verliert man leicht den Überblick und läuft irgendwann orientierungslos durch die Gegend, was zugegebenermaßen auch seine Vorteile haben kann. Manchmal stößt man dadurch auf unentdeckte literarische Schätze, hört interessante, noch unentdeckte Autorinnen und Autoren oder gerät in spannende Diskussionsrunden.

Preisverleihung

Für mich als Autor von Belletristik sind die neuen Romane des Jahres ein naheliegender Schwerpunkt, auf den ich mich konzentriert habe. Dementsprechend habe ich den Bereich Sachbuch nur gestreift, und über Krimis, Horror, Fantasie und Jugendliteratur können andere viel kompetenter schreiben.

Preise der Leipziger Buchmesse

Der Höhepunkt des ersten Messetages war die Verleihung der Preise der Leipziger Buchmesse in den Kategorien Sachbuch, Übersetzung und Belletristik. Es war wie in besten Zeiten gerammelt voll in der zentralen Glashalle. Die fünf nominierten jeder Kategorie waren jeweils anwesend, und erst mit der Bekanntgabe der Gewinnerinnen und Gewinner löste sich die Spannung. In der Kategorie Belletristik kürte die siebenköpfige Jury den türkischstämmigen Dinçer Güçyeter für sein Familienportrait „Unser Deutschlandmärchen“. Für mich eine Überraschung, waren doch u.a. auch die viel bekannteren Clemens J. Setz und Ulrike Draesner nominiert. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass in der Kategorie Sachbuch/Essayistik Regina Scheer sowie Johanna Schwering in der Kategorie Übersetzung ausgezeichnet wurden.

Wie vergänglich nicht nur sportlicher, sondern auch literarischer Ruhm ist, zeigte sich mir bei einem Gespräch im ARD-Forum mit dem großartigen Lyriker Jan Wagner. Der war 2015 umjubelter Gewinner des Preises der Leipziger Buchmesse im Bereich Belletristik gewesen, und nun berichtete er vor lichten Reihen über Idee und Produktion des Podcasts „Book of Songs“. Anschließend war ich der Einzige, der sich seinen wunderbaren Lyrik-Band „Regentonnenvariationen“ signieren ließ.

Gastland war in diesem Jahr Österreich. Dementsprechend setzte ich meinen Schwerpunkt und hörte mir Lesungen und Gespräche mit u.a. mit Michael Köhlmeier, Tonio Schachinger, Raphaela Edelbauer und Teresa Präauer an. Ständig muss man sich zwischen unendlich vielen Angeboten entscheiden, und immer beschleicht einen das Gefühl, irgendwo anders etwas zu verpassen. Man sollte gelassen bleiben, auch mal hier und dort ungeplant hineinhören, um so ganz eigene Entdeckungen zu machen. So besuchte ich auf Empfehlung von Lou A. Probsthayn, dem Betreiber des in Hamburg ansässigen Literatur Quickie Verlages, eine abendliche Lesung in einer Eisdiele am Stadtrand von Leipzig. Denn das ist eine der Besonderheit hier: Begleitend zur Messe findet das Festival „Leipzig liest“ nicht nur auf dem Messegelände, sondern überall statt: In Cafés, Bankfilialen, diversen Vereinen und vielen anderen Orten der Stadt.

Ulrike Schrimpf im Café

Schon diese Location war eine Attraktion: Im Stil der 1970er Jahre bot das Café ein lauschig-nostalgisches Ambiente, und die Lesung von Ulrike Schrimpf aus ihrem Roman Lauter Ghosts bekam dadurch einen besonderen Reiz, dass die männlichen Passagen von einem Schauspieler des Stadttheaters Halle im Wechsel mit der Autorin gelesen wurden. So konnte der Text noch mehr funkeln.

Und die Politik? Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine? Spielte kaum eine wahrnehmbare Rolle. Ich hatte mich dennoch entschlossen, der Vorstellung des Buches „Kremulator“ des belarussischen Autors Sasha Filipenko zuzuhören, der im Exil in der Schweiz leben muss. Auf ihn war ich durch seinen das russische Herrschaftssystem entlarvenden Roman „Die Jagd“ aufmerksam geworden. Und jetzt? Besuchten vielleicht 20 Zuhörerinnen und Zuhörer diese Veranstaltung.

Kein Vergleich zu einem Autor wie Sebastian Fitzek! Um sich von ihm ein Buch signieren zu lassen, standen die vor allem jugendlichen Fans in einer mindestens 100 m langen Schlange an. Überhaupt die Jugend. Ihr wird schon traditionell viel Raum gegeben. Auffallend die kostümierten Kids, die sich vor allem für Mangas, Horror, Phantasie und Lebenshilfe interessieren. Hochwertige Literatur ist das sicher nicht, und ich frage mich, zu welchem Ergebnis das führen mag, denke aber: Besser sowas lesen als gar nichts. Schließlich ist lesen bzw. lesen können eine fundamentale Fertigkeit, die nicht bei allen Jugendlichen in wünschenswertem Umfang vorhanden sind.

Und Corona? Alles schon vergangen und vorüber? Hoffentlich! Auf ein Neues: Auf zur Leipziger Buchmesse 2024, vom 21.bis 24.März. Gastland wird dann übrigens die Niederlande plus Flandern sein.

Wenn die Mutter fast Gott ist

Titel, Foto: DAP

Die italienische Erstausgabe des Romans „La Madre“ von Grazia Deledda erschien 1920. Genau 95 Jahre später erregte eine Studie aus Israel internationale Aufmerksamkeit, mit dem Begriff #regrettingmotherhood wurde ein Tabu thematisiert: Was, wenn Frauen es bereuen, Mutter geworden zu sein? Eine Entscheidung, die unumkehrbar ist. Eine Diskussion, die das überhöhte und idealisierte Mutterbild ins Wanken brachte. 2022 legte nun der Input-Verlag eine von Ulrike Lemke neu übersetzte Auflage von „Die Mutter“ vor.

 

Zwischen Liebe und Zölibat

Der junge Priester Paolo, von seiner Mutter bis zu deren Selbstaufgabe unterstützt, lebt in einem kleinen italienischen Dorf mit der Mutter unter einem Dach. Ihrer beider Leben läuft in festen Bahnen, die Dorfbewohner schätzen sie. Doch dann verliebt Paolo sich in eine junge Witwe und findet sich im Spannungsdreieck zwischen dieser Liebe, seinem Gelübde und den Ansprüchen seiner Mutter wieder. Denn sie hat ihr Leben nicht aufgegeben, damit er sich nun in Schimpf und Schande in eine Liebe stürzt und sein Priesteramt verliert. Man könnte glauben, dass Paolo hier die Hauptperson ist, aber das Buch trägt den Titel „Die Mutter“ nicht umsonst. Eine Mutter, die aus dem kleinen sardinischen Dorf einst wegzog, um als Dienstmagd ihren Lebensunterhalt zu verdienen und ihrem Sohn die Ausbildung zum Priester zu ermöglichen. Später, zurück in ebenjenem Dorf, nun mit dem erwachsenen Sohn als Priester, lebt sie nur aus dem Stolz auf ihn und der Anerkennung der Dorfbewohner, dem Status als Mutter des Priesters, den alle schätzen und achten. Was hätte sie wohl aus ihrem Leben gemacht, wenn sie kinderlos geblieben wäre?

Was bedeutet es, Mutter zu sein?

Ausschnitt, Foto DAP

Diese Mutter ist mir unheimlich. Natürlich geht es auch um Macht, um Kontrolle, die vermeintliche Aufopferung hat ihren Preis, nicht nur für Paolo, wie sich am Ende des Buchs zeigen wird. Dieser schmale Band aus der Reihe „Perlen der Literatur“ wirft elementare Fragen auf, die mir nachgehen. Ist die Aufopferung einer Mutter so selbstverständlich, wie sie auch in unserer Gesellschaft noch vielfach angenommen wird und die einmal pro Jahr mit dem Muttertag mit großem Medienzirkus gefeiert wird? Wie tief stecken wir noch in alten Rollenbildern? Wie ergeht es einer Mutter, die es bereut, Mutter zu sein? Und was bedeutet es für ein Kind, entweder eine aufopfernde oder eine weniger altruistische Mutter zu haben? Für Paolo ist die Mutter eine Instanz, die so mächtig ist, dass sie mit Gott verschmilzt. Er glaubt, dass die Mutter ein Werkzeug Gottes ist, um dem Sohn die göttliche Weisung zu überbringen, wie er sich in dem Dilemma der Liebe zu der Witwe einerseits und seinem Priesteramt andererseits zu entscheiden hat. Wie diese Entscheidung ausfällt, soll hier nicht vorweggenommen werden.

Dieser schmale Band ist einmal mehr ein wunderbares Beispiel dafür, wie aus einer Story mit wenigen Figuren und minimaler Handlung tiefgehende Literatur werden kann. Umso mehr, wenn auch die Erzählsprache – aus dem Italienischen übersetzt von Ulrike Lemke – in ihrer Eloquenz das Thema aufnimmt und die Leserschaft in Bann zieht. Grazia Deledda erhielt für ihr Gesamtwerk den Nobelpreis für Literatur. Es ist erfreulich, dass sie dem deutschsprachigen Lesepublikum mit der Neuauflage des Titels „Die Mutter“ wieder vorgestellt wird.

Wie alle Bände der Reihe „Perlen der Literatur“ ist auch dieser liebevoll in Leinen mit Prägung gebunden, hat ein eigenes Vorsatzpapier, eine eigene Schrifttype mit einigen kalligraphierten Absätzen und eine mit Kalligraphie versehene Banderole erhalten.

Foto: DAP

Grazia Deledda: Die Mutter (übersetzt von Ulrike Lemke)
Input Verlag, Hamburg 2022
Link zum Verlag: https://input-verlag.de/19-20-die-mutter-meister-floh/

„Ein Jahr noch, und dann ist es aus“

Vorsatzpapiere, (c) Input-Verlag

Diesen Satz sagt Felix zu seiner Geliebten Marie, als sie im Prater in einem Wirtshaus sitzen. Dieser Satz ist der Anfang eines Verhängnisses, das Arthur Schnitzler in seiner Novelle „Sterben“ auf 134 Seiten aufrollt und von allen Seiten beleuchtet, auf so packende Weise, dass man das Buch kaum weglegen mag.

Felix ist krank, sterbenskrank – oder glaubt er nur, es zu sein? Es gibt allenfalls diffuse Symptome.  Sein Arzt Alfred äußert sich gleichzeitig so vage, resolut und Mut machend, dass es argwöhnisch macht. Entweder ist Felix ein Hypochonder oder ein todkranker junger Mann. Jedenfalls ist er davon überzeugt, in einem Jahr sterben zu müssen. In ihrer Verzweiflung und Angst verspricht Marie, mit ihm zu sterben.

Man könnte glauben, dass dies ein trauriges, vielleicht gar trostloses Buch sei, resignativ durch das schwere Thema. Dass es kein Happy End geben wird, ist in der Atmosphäre der Geschichte angelegt. Wie das Ende aussehen wird, jedoch nicht, es bleibt bis zum Schluss spannend. Und nicht weniger spannend ist die Auseinandersetzung mit der Endlichkeit des Lebens, der Liebe, des Schönen und des Schrecklichen. Schnitzlers unvergleichliche, poetische Sprache schafft eine oszillierende Schönheit, die – gepaart mit der inhaltlichen Spannung – den Leser in den Bann schlägt.

Im Spannungsfeld der starken Nähe zweier Verschwörer in Erwartung des baldigen gemeinsamen Endes und der großen Entfremdung, als Marie von ihrem Lebenswillen gepackt wird, fühlt man als Leser mal mit der einen, dann mit der anderen Figur, ist hin- und hergerissen und kann es kaum aushalten, nicht zu wissen, was nun wirklich los ist. Denn Schnitzler benennt die Krankheit an keiner Stelle, man weiß sehr lange nicht, ob Felix wirklich krank ist oder sich alles nur einbildet.

So geht es auch Marie. Während eines Kuraufenthalts in den Bergen scheint Felix wieder zu genesen, das quälende Versprechen Maries, mit ihm in den Tod zu gehen, scheint sie nicht einhalten zu müssen. Fast könnte man glauben, dass nun alles gut würde. Fast. Wenn da nur nicht dieser immerwährende Zweifel wäre, den Arthur Schnitzler meisterhaft zwischen den Zeilen hält.

Wie diese großartige Novelle endet, soll hier nicht vorweggenommen werden. „Sterben“ ist ein wunderbares Buch für den Winter, für die stillere Zeit. Der Verzicht auf drastische Schilderungen und Effekte macht die Erzählung stark und zeigt, wie weite Räume sich mit poetischer, bildhafter Sprache und Andeutungen öffnen lassen. Man darf als Leser hier Phantasie haben.

Dieser Band trägt die Nummer 14 der Reihe „Perlen der Literatur“ aus dem Input-Verlag und zeichnet sich, wie die anderen Bände auch, durch sein bibliophiles Erscheinungsbild aus. Dadurch wird das Lesevergnügen noch einmal gesteigert. Mehr über die außergewöhnliche Reihe finden Sie in diesem Artikel:

https://die-auswaertige-presse.de/2021/09/eine-perlenkette-fuers-buecherregal/

 

Arthur Schnitzler: Sterben
Perlen der Literatur, Band 14
Input-Verlag, Hamburg 2022

Nimm uns mit, Kapitän, auf die Reise…

Mit dem Sahara-Express durch die Wüste

In seinem jüngst erschienenen Buch „Zwischen Hamburg und der Ferne“ lädt uns der bekannte Schriftsteller Wolf Cropp auf eine Reise rund um die Welt ein. Leichtfüßig bewegt er sich zwischen der Hansestadt und zahlreichen Ländern auf der nördlichen und südlichen Halbkugel unseres Globus. In Insgesamt zweiundvierzig völlig voneinander unabhängigen Erzählungen gewährt der Autor dem Leser einen Einblick in sein abenteuerliches Leben, das ihn stets fernab der ausgetretenen touristischen Pfade nicht nur in die interessantesten, sondern häufig auch gefährlichsten Regionen des Planeten führten.

Die Reise um die Welt beginnt vor der Haustür
Mal wieder im Hamburger Hafen bei der Verholung der PAMIR

Ein kluger Fahrensmann sagte einst, dass einer, der die Welt erkunden will, zuerst seine Heimat richtig kennenlernen solle. Dann erst habe er das Rüstzeug für die weite Ferne. Folgerichtig beginnt Cropp seinen Erzählzyklus in seiner Vaterstadt Hamburg. „Kampfplatz Stadtpark“ berichtet von einem gefährlichen Abenteuer, das er und seine Spielkameraden nach 1945 in der vom Krieg zerstörten Hansestadt zu bestehen hatten. Vielleicht war dieses Erlebnis zusammen mit anderen gewagten „Aktionen“ auch die Feuertaufe für diesen drahtigen Mann, der auf seinem weiteren Lebensweg nie einer Herausforderung auf dem Weg ging.

Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen
Der Voodoo-Priester mit der Plastiktüte?

Wer kann sich etwas Schöneres vorstellen als die Inseln der Südsee? So verschlug es den Autor nach Moorea, Tahiti, wo er mit dem „Inselschreck“ Bekanntschaft schloss. Mit den Füßen im Stillen Ozean plätschernd, überlegte er sich, wie er zu Wasser nach Papeete gelangen könnte, mietete ein Auslegerkanu und landete in der Tat am Ziel seiner Träume, trotz der Warnung eines Einheimischen, er könne zwar heil in Tahiti ankommen, aber auch bei ungünstiger Strömung auf dem offenen Meer verloren gehen. Hatte der Waghalsige nur Glück oder war er einfach ein begnadeter Navigator? Wir vermuten letzteres. Von dieser Tour de Force etwas erschöpft, wandelt Cropp beseelt auf den Spuren des Malers Paul Gauguin und lässt uns an der tragischen Lebensgeschichte des Malers teilhaben. Der Künstler erträumte sich einen Garten Eden in der Südsee, frei von allen Konventionen der westlichen Zivilisation, fand aber zu seinem Leidwesen eine durch die französische Kolonialherrschaft zerstörte autochthone Kultur vor. Quelle déception! Dennoch schuf er wunderbarer Gemälde, die zwar zu seinen Lebzeiten niemand kaufen wollte, die aber heute unbezahlbar sind. Ein Schicksal, das er mit anderen genialen Künstlern teilt. Man denke nur an Vincent van Gogh.

Eisfischen am Nordrand Alaskas

Auf den „Marktbesuch“ im westafrikanischen Benin folgen spannende Geschichten auf dem „Transalaska Highway“ sowie eine „Kreuzfahrt ins ewige Eis“ Alaskas. Ferner erfahren wir, dass am Sambesi „Die Hölle stinkt.“ Es gehört schon viel Mut dazu, sich auf eine „entspannte Bootsfahrt“ oberhalb der Victoriafälle zu begeben. Noch viel gefährlicher aber sind die Gewässer darunter, in denen hungrige Krokodile leben und auf Beute lauern. Doch auch diesen Höllentrip übersteht Cropp mit einem Lächeln auf den Lippen, als er gleich zwei der riesigen Echsen mit weit aufgerissenen Mäulern neben seinem Boot erblickt. Nach einem solchen Abenteuer mutet der Ausflug in die Wüste im Tschad zwar auf den ersten Blick wie ein Spaziergang an, entpuppt sich jedoch als Ausflug voller Tücken. Als der Autor die Orientierung verliert, verlassen ihn bald seine Kräfte. Völlig erschöpft legt er sich im Wüstensand zum Schlaf nieder: „Ich suchte den Boden ab. Schwarzkäfer bohrten sich in den Grund. Skinke huschten über den Sand. Ein Skorpion hastete davon. Eine Hornpiper grub sich ein. Der Abendwind blies sie weg, die letzten Lebensspuren…“ Aber auch aus dieser prekären Lage arbeitet sich Cropp heraus, der offenbar wie eine Katze über sieben Leben verfügt. Der wunderbaren Geschichten sind viele in diesem lesenswerten Buch. Eine der anrührendsten ist jene, in der sich der Autor auf die Suche nach dem verlorenen Sohn eines Freundes in Thailand begibt und diesen nach endlosen Umwegen auch findet.

Kein Platz für Märchen
Der Autor on Tour

Wenn auch manche Erzählungen etwas fantastisch anmuten, so haben wir es im Autor Cropp nicht etwa mit einem Claas Relotius zu tun, der den „Spiegel“ vor nicht langer Zeit mit Geschichten beglückte, die ausschließlich seiner allzu lebhaften Fantasie entsprangen. Keines von Cropps Abenteuern ist erfunden. Hier geht es ausschließlich um „histoires vécues“ – am eigenen Leib Erlebtes und Erlittenes. Manche der in „Zwischen Hamburg und der Ferne“ enthaltenen Erzählungen kennen wir bereits aus verschiedenen Büchern, die der Autor im Laufe der Zeit über seine Reisen rund um den Globus geschrieben hat. Sein einzigartiges Fabuliertalent lässt uns seine Abenteuer hautnah miterleben. Dazu gehören u.a. „Fluchtort Guantánamo, „Heimaterde“ und „Die Brandung.“ In diesem Kontext hervorzuheben ist „Insel der Meuterer (Pitcairn), eine faszinierende Geschichte, die das Schicksal der Überlebenden der legendären „Bounty“ auf einer gottverlassenen Insel in der Südsee erzählt. Da dieses felsige Eiland offenbar auf den Seekarten der britischen Admiralty im 18. Jahrhundert nicht zu finden war, biss man sich im fernen London die Zähne aus nach dem Verbleib von Fletcher Christian und den übrigen Meuterern. Kaum zu glauben, aber es gibt auf Pitcairn immer noch Nachkommen dieses Aufrührers gegen die britische Krone.

Zurück zu den Wurzeln

Mit „Zwischen Hamburg und der Ferne“ überreicht uns Wolf Cropp einen bunten Blumenstrauß wunderbarer, den ganzen Erdball umspannender Erzählungen. Die literarische Reise endet, wo sie begann, in Hamburg. Hier begegnen wir der drallen „Seemannsbraut“ auf St. Pauli, erfahren manch Bizarres über die „Liebe in Zeiten von Corona“ und wohnen der Überführung der „Viermastbark Peking“ in ihren heimatlichen Hafen auf dem Grasbrook bei.

Fazit

Wer sehnt sich in dieser trüben kalten Jahreszeit nicht nach Sonne, Meer und Abenteuern in fernen Ländern? Empfehlung: Man greife zu „Zwischen Hamburg und der Ferne“ und genieße dieses fast 500 Seiten starke Buch in vollen Zügen. Viel Spaß bei der Lektüre.

Buchcover
(c) Verlag Expeditionen, Hamburg

„Zwischen Hamburg und der Ferne“ von Wolf Cropp ist im Verlag Expeditionen erschienen, umfasst 491 Seiten und kostet 20 Euro. ISBN 978-3-947911-68-4

Fotos: Wolf-Ulrich Cropp

Mit Magellan – historischer Roman von Reimer Boy Eilers

Buchcover „Mit Magellan“, Reimer Boy Eilers

Ein Gastbeitrag von Jakob Krajewsky

Es ist vielleicht die Suche seines Selbst, die Präsenz des Alter Egos, in dem präzise und sorgfältig recherchierten ersten Band der Trilogie: „Mit Magellan – Die Ausfahrt – Vom Hilligen Eiland nach Sevilla“ des Hamburger Autors Reimer Eilers. Überhaupt haben die einst ruhm- und siegreichen Entdecker wie Magellan, Kolumbus, Vespucci & Co., damals unterwegs mit dem Nimbus des Lichtträgers der abendländischen Zivilisation, im 21. Jahrhundert sehr im Zuge der Debatten um Kolonialismus und Postkolonialismus an Ansehen gelitten. Waren sie nicht einfach nur gierige Europäer, verkrachte Existenzen auf der Suche nach Gold und Ruhm im Auftrag ihrer Majestäten und Despoten? Oder sind sie heilige, weitsichtige Männer mit großer Überzeugungskraft und nötigem Sendungsbewusstsein gewesen, die die Dogmen der Kirche infrage stellten, die Erde sei eine Scheibe? Was suchten sie? Macht? Freiheit? Reichtum? Die Kapitäne, Hasardeure und Entrepreneure riskierten angesichts der Inquisition und der Gefahren auf See und im unbekannten Land ihre Gesundheit, ihr Leben und das ihrer Mannschaft. Was waren das für tollkühne verzweifelte oder schanghaite Männer, die mit den berühmt-berüchtigten und z.T. verrückten Entdeckern auf See waren? Nach Brecht‘scher Art stellt Eilers hier das Leben des kleinen Mannes im ganz großen Getriebe der Weltgeschichte dar.

Aufbruch in wortgewaltigen Erzählwelten über die erste Weltumsegelung.

In bester erzählerischer Manier und stilvoller, fein gesetzter Sprache, dann auch wieder in derb und großkotziger Rede, imaginiert Eilers beredt die Geschichte eines einfachen Helgoländer Seemanns, der auf ungewöhnliche Weise an Deck von Magellans Schiff in Sevilla geriet. Magellan ist Portugiese und wird von der eigenen Krone für seine Ideen eine Passage westwärts nach Indien zu finden verlacht. Dann wendet er sich den spanischen Hoheiten zu und findet endlich Gehör. Er gilt allerdings auch dort bei Hofe als Verräter und wird trotzdem losgeschickt auf die wilde Reise, die er selbst z.T. mitfinanzieren muss. Im August 1519 brach Magellan mit einer Flotte von fünf Schiffen von Sevilla auf. Die Handlung des Romans spielt in mittelalterlich anmutendem Gehabe der geschilderten Figuren, in einer Ära, die schon eine neue Zeit mit Blick auf völlig neue Welten einleitet. Eben durch den Buchdruck, die Erfindung des Protestantismus‘ und die Entdeckung der Neuen Welt über neue, unbekannte Seewege manifestiert sich das, was sich historisch gesehen als Neuzeit ausweist.

Alte Bekannte

Wer Eilers‘ Helgoland-Saga gelesen hat, trifft auf alte Bekannte. Es erscheinen der Hauptprotagonist Pay Edel Edlefsen, sowie Esquimeaux aus Grönland, auch als John Quivitoq McLoud bekannt, ganz simpel Quivitoq genannt, er ist der Busenfreund von Pay, sowie der Herr Nurredin al Gharb, den Pay sehr liebte. Dieser Herr Magister ist ein getaufter Maure mit kolossalem Weltwissen, der heimlich noch seinen alten Bräuchen huldigt und dem die gesellschaftliche Anerkennung in Sevilla versagt bleibt. Und auch die uns schon bekannte Jungfer Peerke wird immer wieder im Gedankenstrom des Pay Edel als seine geliebte Seemannsbraut, verblieben auf Helgoland, direkt angesprochen. Heimat bleibt verbindlich, nur nicht den Roten Felsen aus den Augen verlieren!
„Zu Hause hat es mich nie beunruhigt, die Verhältnisse jenseits der See zu missen. Es ist ein Kennzeichen der Heimat, dass sie den Menschen gut aufbewahrt und er gar nicht so viele Dinge zu wissen braucht, die wenigen aber gründlich.“ (S.182)

Wir tauchen ein in diese Welt der zuweilen rauen Seeleute, reisen mit Pay Edel, der wie der Autor Eilers selbst vom Hilligen Lande (Helgoland) stammt und Fischersmann Sohn ist, über Amsterdam nach Sevilla und gehen (fast) auf große Fahrt in die Neue Welt. Eine oft humoresque geschilderte Welt mit neuartiger Kosmologie und der Erkenntnis hochwohlgeborener Señores – die Erde sei gar eine Kugel, keine Scheibe – zwischen Glauben und Aberglauben und bunten Seemannsgeschichten sowie philosophischen Einsichten tut sich auf.
„Wie heilsam ist der Schlaf, wie lobesam ist seine Speise und Verheißung. Traum und Erquickung. Die Seele füllt den Leib des Menschen aus, aber in der Stunde, da der Mensch schläft, steigt sie zum Himmel und schöpft von oben.“ (S. 280)

Nicht alles sei verraten, nur so viel: in Amsterdam werden Pay und Quivitoq schanghait. Herrlich auch die Szenen aus dem Schankraum, bei den Gerberkuhlen und aus dem Badehaus dort. Die Lesenden lernen spielerisch manches über das maritime Gewerbe und alte Kulturtechniken, wie etwa ein Wundpflaster gefertigt, oder gelesen und mit Federkiel geschrieben wurde. Zudem werden die siegreiche und furchterregenden Schwarzen Schiffe der Spanische Armada erwähnt, und auch Spaniens König Karl als Weltenherrscher sowie Don Fernando Magellan werden alsbald eingeführt. In Sevilla angekommen, werden Pay und Quivitoq von einem Edelmann für die Heuer auf Magellans Schiffen für die Seereise in die neue Welt zwangsverpflichtet. Blumige Beschreibungen von Szenerien in der holländischen Hafenstadt und des burlesken Lebens im vornehmen Sevilla sowie diverse amouröse Einlassungen in den Hafenstädten sind des Autors Plaisir.
„Die Stadt war vollgestopft mit Abenteurern und Astrologen, mit Damen und Dieben, mit Händlern und Handwerkern, mit Bettlern und Bankiers, Edelleuten und ehrbaren Kaufleuten, mit Lahmen wie mit Laufburschen, Mönchen und Mägden, mit Landratten, Sesselfurzern und dann wieder mit Seeleuten wie uns.“ (S. 304)

Der erste von drei Bänden

Das Buch ist der erste von drei Bänden mit dutzenden Kapiteln, die immer mit skurrilen Aphorismen und Moritaten, u.a. von Hartman von Aue Zitaten, sowie oft mit kleinen Bildern und Miniaturen eingeleitet werden. Eilers ironisiert und dekonstruiert seine eigene Schreibtechnik und macht dieses zuweilen als ‚Beifang‘ kunstvoll präsent. Flaggenstreit, Mordkomplotte der Kapitäne Magellans, Rufmord, dominikanische Inquisitoren und Spione an Bord – Eilers liefert hier einen gewagten Mix aus historischen Ereignissen und imaginierten Momenten.

Das Buchcover zeigt welliges Meer mit einem antiken Globus dahinter, der untergeht und einer stolzen Caravela davor. Vermutlich ist es Magellans Flaggschiff Trinidad, die einsam den anderen vier Schiffen, die nicht in Sicht sind, vorausfährt. Diese Frontseite erscheint prophetisch wie ein Menetekel über den Zustand unserer heutigen Welt. Don Fernando hatte mit teuflischem Mut, bestem Kartenmaterial und seemännischer Geschicklichkeit um Feuerland herum die maritime Verbindung zwischen Atlantik und Pazifik, die nach ihm benannte Magellanstrasse, als Durchfahrt gefunden. Das bleibt eine großartige kulturelle Leistung von weltgeschichtlicher Bedeutung.

Auf dem Kamm einer populären Welle

Reimer Eilers befindet sich mit seinem historischen Roman über den Weltumsegler Magellan gerade auf dem Kamm einer populären Welle, um über die Deutungshoheit der einst glorifizierten Entdecker zu reflektieren. Hätten sie doch bloß nicht entdeckt, was sie damals entdeckt haben, mögen manche heute geradezu blasphemisch denken. Doch diese Frage stellt sich nun nicht mehr. Es macht einfach großen Spaß, sich mit den Erzählströmen durch die Wortkaskaden des wortgewaltigen Erzählers und durch das Erleben seiner vitalen Protagonisten wie von einem genialen Puppenspieler mitreißen zu lassen. Kunstvoll endet dieser Band mit einem epischen Gedicht über Portugals Zorn. Wir als Lese- und überwiegende Landratten sind nach dieser Lektüre nun schon recht gespannt auf den zweiten Band.