Feinster literarischer Input: die neuen Perlen der Literatur

Ralf Plenz im Gespräch mit Henning Venske

Wer Literaturveranstaltungen schätzt, in denen nicht nur aus Texten vorgelesen wird, sondern es noch Wissenswertes über deren Autoren und ihre Bedeutung im Kontext der Zeitgeschichte zu hören gibt, ist bei einer Präsentation der Neuerscheinungen des Input-Verlags richtig. Die Hamburger Autorenvereinigung als Veranstalterin hatte zur Vorstellung der fünf neuen Titel eingeladen. Als die Buchreihe mit den ersten Bänden 2021 erschien, war der Gedanke nicht ganz abwegig, dass der Büchermacher Ralf Plenz entweder sehr gut in seinem Metier oder verrückt sein müsste – wer kommt sonst auf die Idee, in Zeiten schwindender Buchabsätze alte Titel neu herauszubringen?

Ergeben die Buchrücken der ersten 19 nebeneinander ins Regal gestellten Bände den Schriftzug „Perlen der Literatur“, ist die „Perlenkette“ fürs Bücherregal nun auf dem Weg, zweireihig zu werden. Zwischenzeitlich existieren 29 Bände, der dreißigste kommt im August. Die Buchvorstellung der fünf Neuerscheinungen von Karl Kraus bis Colette war am 14. Mai das Thema im Theatersaal des Oetinger-Verlags in Hamburg-Altona. Die Vorsitzende der HAV, Literaturwissenschaftlerin und Autorin Sabine Witt, begrüßte die Akteurinnen und Akteure sowie das Publikum, bevor Ralf Plenz die Moderation durch den Abend übernahm.

Der Eros der Logik – Aufsätze über den Gebrauch von Sprache

Elmar Dod referiert über Karl Kraus. Sitzend: Ralf Plenz, Cordula Scheel, Henning Venske (v.l.)

Nach dessen kurzer Vorrede ging es direkt mit Band 27 los: Der Nietzsche-Experte Elmar Dod hatte zu diesem Titel „Karl Kraus – Die Sprache“ das Vorwort verfasst, aus dem er Ausschnitte zu Gehör brachte. Dessen Hauptthema, der Wert des Wortes, beweise große Aktualität und zeige Liebe zur Sprache, so Elmar Dod. 1899 hatte Karl Kraus die Zeitschrift „Die Fackel“ gegründet, die über ihren gesamten Erscheinungszeitraum 30.000 Seiten umfasst. Kraus selbst fasste die in Band 27 versammelten Texte als Sammelband namens „Die Sprache“ zusammen, der 1937 posthum erschien. Die Bedeutung der Sprache, ihr ästhetischer Wert und ihr Geist sind die Themen der Aufsätze. Elmar Dods Zitate aus Vorwort und Kraus‘ Texten beglaubigen schon in ihrer Kürze deren Aktualität und machen Lust auf das Buch.

Kneipen, Kaffeehäuser und Kabaretts

Henning Venske. Foto: Ralf Plenz

Der Impuls zur Neuauflage des oben genannten Werks kam für Ralf Plenz aus der Arbeit an Band 28 „Erich Mühsam – Unpolitische Erinnerungen“, denn Mühsam verweist auf Karl Kraus. Sie waren sich in Wien begegnet. Die Vorstellung dieses Bands oblag dem Radiosprecher und Kabarettisten Henning Venske, der auch das Vor- und Nachwort zu Mühsams unpolitischen Erinnerungen verfasst hat. Bei ihm war das Werk in den besten Händen. „Den ernsthaften Anarchisten war Erich Mühsam zu sehr unpolitische Boheme, dem seriösen Literaturbetrieb trank er zu viel und vergnügte sich zu sehr, den Politikbeflissenen war er viel zu antiautoritär“, so Henning Venske in seinem Vorwort. Sein Vortrag der Satire „Das Lebensprogramm“ von Mühsam war herrlich und wurde weidlich genossen. Die erst 1949 bei Volk und Buch unter dem Titel „Namen und Menschen“ erschienene Sammlung aus den Jahren 1927 bis 1929 lässt das kulturelle Leben am Ende der wilhelminischen Epoche wieder aufleben. Dass Mühsam auch ein wunderbarer Zeichner war, ist nicht allen bekannt. Heute würde man wohl diese Zeichnungen als Comics bezeichnen, meinte Henning Venske.

Eine rosa Perle in der Kette

Florian Weber. Foto: Ralf Plenz

Zu viert übersetzte ein Team den Band 29 von Emilia Pardo Bazán mit dem sehr passenden Titel „Die rosafarbene Perle und andere Geschichten aus dem Panoptikum der Liebe“. Einer der Übersetzer, Florian Weber aus Kiel, war eigens für die Buchvorstellung nach Hamburg gekommen und brachte dem Publikum die hierzulande nahezu unbekannte galicische Autorin näher. Diese war nämlich in ihrer Epoche des 19. Jahrhunderts zur Skandalautorin geworden, weil sie authentisch über die Verhältnisse ihrer Zeit schrieb und dabei Themen wie das Leiden der Frauen unter der männlichen Fremdbestimmung nicht scheute. Ihr sachlich-nüchterner Stil verzichtete auf Wertungen, kam jedoch in einem ironischen Ton daher. Das Übersetzerteam hatte es nicht leicht damit, diesen Ton auch in der deutschen Version zu treffen. Florian Weber bot einen sehr spannenden Einblick in die Arbeit der Übersetzung, die letztlich eine literarische Nach- oder Neubearbeitung mit sich bringen musste. Erotische Obsession, Prostitution, Ehebruch, Eifersucht und Liebestod – nicht weniger als diese thematische Bandbreite umfasst das Buch als Sammelband, der ursprünglich 1898 in Spanien veröffentlicht worden war. Insgesamt hat Emilia Pardo Barzán über 600 Kurzerzählungen geschrieben, die in Zeitschriften publiziert wurden. Ob es noch unentdeckte gibt, ist nicht bekannt.

Zorn verhindert Verständnis für das Kind

Maria Montessoris „Das Geheimnis der Kindheit (Teil 1)“ ist bereits Thema des Bands 25 und findet die Fortsetzung im gleichnamigen Band 26 (Teil 2 und 3 zusammengefasst), einfühlsam präsentiert von der Schriftstellerin Cordula Scheel, die sich im Wege ihrer neuen Übersetzung aus dem Italienischen und des Verfassens ihres Vor- und Nachworts sehr intensiv mit Montessori befasst hat. Kinder gewähren zu lassen, sie nicht zu unterbrechen und ihnen unsere unbedingte Liebe unter Verzicht auf eigene Vorlieben zu geben, war Maria Montessoris dringendes Anliegen; dass sie diese Behandlung ihrem eigenen Kind nicht angedeihen ließ, sondern es weggab, um Karriere zu machen, verwundert indes. Cordula Scheel ist im Podiumsgespräch mit Ralf Plenz anzumerken, wie sehr ihr das Thema der Kindheit am Herzen liegt. „Hilf mir, dass ich es selber kann“, formuliert sie die Essenz der Lehre Montessoris.

Ältere Frau liebt jüngeren Mann

Der Band 30, nämlich „Chéri“ von Colette, wird von deren Fans sehnsüchtig erwartet, doch diese müssen sich noch bis August gedulden: Erst dann wird das Werk gemeinfrei und kann neu veröffentlicht werden. Ulrike Lemke, in mehreren Sprachen versierte Übersetzerin und Lektorin, übernahm die Neuübersetzung des Romans; Vor- und Nachwort stammen von der Schriftstellerin und Literaturwissenschaftlerin Charlotte Ueckert. Ulrike Lemke erzählte kurzweilig von Colette und der Romanhandlung: Die alternde Halbweltdame Léa verliebte sich in den Sohn einer Freundin und begann eine Affäre mit ihm. Colette schrieb das Werk bezeichnenderweise, als sie eine Affäre mit ihrem Stiefsohn hatte. Zu Colettes Zeit um 1920 war es ein größeres Tabu als heute, wenn der Mann 19 Jahre alt war und die Frau 24 Jahre älter. Colettes erste zwei Männer seien Schwerenöter gewesen, erzählte Ulrike Lemke. Colettes literarisches Leben begann kurz nach ihrer Heirat mit dem ersten Mann „Willy“, sie war 20 Jahre alt und wurde Ghostwriterin in seiner Schreibfabrik. Wie alle Vorträge, weckte auch Ulrike Lemkes Buchvorstellung mit Lesung aus dem Roman große Lust auf das Buch.

Die Perlen auf Expansionskurs

Darum schafft man es auch nicht, ohne Buch den Heimweg anzutreten. Die Freude über die schön gestalteten, in Leinen gebundenen Bücher mit individuellem Vorsatzpapier und ebenjener Banderole, die den eingangs genannten Schriftzug auf den Buchrücken bildet, ist groß.

Ich sinniere wieder darüber nach, wie man in diesen Zeiten eine 30-bändige Buchreihe europäischer Literatur auf den Markt bringen kann, und frage noch mal den Büchermacher. Er und seine mehr als fünf Übersetzerinnen und Übersetzer, 14 Vorwortschreiber und -schreiberinnen, drei Lektorinnen und diverse externe Berater haben die Perlen der Literatur in die Welt geschickt: Man kennt sie in Schweden, Norwegen, Italien, Frankreich, Amerika, Österreich und der Schweiz. Sogar nach Australien haben sie es schon geschafft. Man liest sie sowohl allein als auch gemeinsam; zum Beispiel in Lesekreisen. Dort erscheint Ralf Plenz auf Wunsch sogar persönlich und stellt drei ausgewählte Titel vor. Die Buchreihe wurde in diversen Print- und Onlinemedien vorgestellt und rezensiert. Totgesagte leben länger – so verhält es sich mit der Literatur und so kenne ich es aus der Lyrik auch.

Man kann die Buchreihe abonnieren und sogar Vorzugsausgaben mit Original-Kalligraphien und Aquarellen bekommen. Ein einen halben Meter Regalfläche habe er gerade freigeräumt, berichtete der Büchermacher auf die Frage aus dem Publikum, wie viele Titel es noch werden sollen. Man darf also auf die Fortsetzung der hochwertigen Reihe gespannt sein.

Zum Artikel über die ersten Bände geht es hier: Eine Perlenkette fürs Bücherregal

Zum Input-Verlag geht es hier: https://input-verlag.de/

Neu in Ottensen: Ralfs literarischer Abend

Für Lesende und Literaturfreunde bietet der Verleger und Büchermacher Ralf Plenz eine offene Veranstaltungsreihe an, mitten im Herzen von Ottensen, rund 250 Meter vom Bahnhof Altona entfernt, am Spritzenplatz.

Programm: Europäische Highlights

In der Veranstaltungsreihe erfahren die Gäste Wissenswertes zu Kafka, Werfel, Woolf, von Arnim, Deledda, Langgässer, Krüger und Benjamin.

Mit Lesung aus Vorwort und Text einer besonders preiswerten ­leinengebundenen Ausgabe der „Perlen der Literatur“, dessen Herausgeber auch der Vorleser ist.

Lesung: Ralf Plenz

Mittwoch, 28. Februar, von 19–21 Uhr

aus Elizabeth von Arnim: Bezaubernder April (1922, Wiederveröffentlichung in der Reihe „Perlen der Literatur“ )

Der Eintritt ist frei und man braucht sich nicht anzumelden, sondern kann einfach spontan vorbeikommen. Es dürfen auch Freunde und Verwandte mitgebracht werden.

Ort: sFachl Kreativshop, Bahrenfelder Str. 79, Altona-Ottensen, Hamburg

Die nächsten Lesungs-Termine am gleichen Ort: 13. März und 27. März.

 

Für Informationen und Nachfragen:

Ralf Plenz  www.input-verlag.de  ·  Schmarjestr. 42   ·   22767 Hamburg   ·   mobil: 0178 8666302

 

Berührt von schönen Büchern

Am 25. Februar 2024 veranstaltete der Büchermacher Ralf Plenz in Kooperation mit der Hamburger Autorenvereinigung ein Treffen der Pirckheimer Gesellschaft in Hamburg-Altona. In der Alfred-Schnittke-Akademie konnten Interessierte sich über die Institutionen informieren, bibliophile Buchausgaben bewundern und erstehen. Dabei ging es auch um die Frage, was der Begriff „bibliophil“ denn eigentlich umfasst.

Den ersten Programmpunkt der Tagung bildete jedoch ein Vortrag von Ralf Plenz über die Umwälzung der Druckbranche, verknüpft mit seinem Werdegang in dieser Branche. In den 1960er und 70er Jahren fand der Wechsel vom Bleisatz zum Offsetdruck statt. Als Gründungsmitglied der Druckwerkstatt Ottensen bot Plenz gemeinsam mit seinen Mitstreitern eine Spezialität an: Zum Gestalten der Druckvorlagen für die Kunden verwendeten sie altes Werkzeug wie zum Beispiel Federn und stellten die Vorlagen handschriftlich her. So hatten sie viele Autoren und Künstler unter ihrer Kundschaft, u.a. den Lyriker Peter Rühmkorf und den Künstler Albert „Ali“ Schindehütte, der durch die Rixdorfer Drucke berühmt wurde. Die Druckwerkstatt, die heute noch existiert, war ein Erfolgskonzept aus hochwertigen Druckerzeugnissen in Zusammenarbeit mit Kleinstverlagen, dem Verkauf einer kleinen Auswahl an besonderen Büchern sowie Umweltschutzpapiererzeugnissen und einem Copyshop.

Palma Kunkel als Raubdruck

Ralf Plenz (Foto: DAP)

Plenz berichtete über Details des Druckwesens, zu denen Laien kaum Zugang haben. So erfuhr manch erstaunter Gast, dass digital gedruckte Bücher für Bibliothekare nicht archivfest seien, weil diese keine 100 Jahre hielten. Denn Digitaldruck ist technisch fast immer eine Fotokopie – sie blättert ab, wenn sie beispielsweise geknickt wird. Zudem sind die Buchrücken nicht gerade für die Ewigkeit gemacht und brechen meist, wenn man das Buch weit aufzuklappen versucht. Aus diesem Grund ist die Reihe „Perlen der Literatur“ von Ralf Plenz (Input-Verlag) im Offsetverfahren gedruckt und hochwertig ausgestattet.

Für den Nachdruck der historischen Titel fahndet Plenz in Antiquariaten nach sehr alten Ausgaben und stößt manches Mal auf Kuriositäten. Eine ganz besondere ist ein Gedichtband von Christian Morgenstern, datiert auf den Zeitraum 1915-1920, mit gerissenem statt geschnittenem Papier. Die Nachforschungen des Büchermachers ergaben, dass es sich um einen Raubdruck handeln muss, denn in keinem autorisierten Buch gibt es diese Zusammenstellung aus drei Bänden Morgensterns, zudem noch in einer Ausgabe.

Paradiesische Bücher made in Hamburg

Rudolf Angeli vom Angeli & Engel-Verlag bestritt den zweiten Vortrag im Programm. Der Verlag „widmet sich Publikationen zur Kunst mit bibliophilem Anspruch“ (Verlagswebsite). Angelis Leidenschaft für das Schachspiel und für Stefan Zweigs „Schachnovelle“ motivierte ihn schließlich, ins Verlagswesen einzusteigen. Eigentlich aus dem Management kommend, gründete er gemeinsam mit dem Autor Peter Engel den „Verlag für paradiesische Bücher“ (Verlagswebsite) in Hamburg und eignete sich autodidaktisch das entsprechende Wissen an. Neben den o.g. Publikationen betreibt er ein Antiquariat. Er ist von Worten fasziniert und bezeichnet seine verlegerische Berufung als „Serendipity“, also eine „zufällige Beobachtung von etwas ursprünglich nicht Gesuchtem, das sich als neue und überraschende Entdeckung erweist“. (Wikipedia)

Rudolf Angeli (Foto: DAP)

Ein Blick auf den liebevoll präsentierten Büchertisch beglaubigt seine Leidenschaft und man möchte die hochwertigen, großformatigen Bücher gern berühren und aufschlagen. Aktuell erschien die 4. Edition, das Balladenbuch „Liebe, Leid & Untergang“ von Klaus Waschk, das als Buchhandelsausgabe und als Vorzugsausgabe mit einer Original-Grafik des Künstlers erhältlich ist.

Bei so vielen spannenden Vortragsthemen konnte man fast das Anschauen ebenjener Büchertische vergessen. Dabei gab es unter den ausgelegten Leseschätzen viel Schönes zu bewundern, so zum Beispiel der Nachdruck der sehr kurzen Erzählung „Die Insel“ von Stefan Zweig, hochwertig gebunden als schmales Heft mit einer nachgedruckten Grafik von Markus Behmer sowie ergänzt durch das Faksimile des handschriftlichen Manuskripts als Beigabe.

Als weitere Besonderheit hat der Verlag Angeli & Engel 2020 den „Hamburger Bothen“ herausgebracht, einen Rundbrief, der sechsmal im Jahr erscheint, um über einschlägige Veranstaltungen zu informieren und die Kontakte innerhalb der Regionalgruppe Nord der Pirckheimer Gesellschaft zu unterstützen.

Antiquarisches und Bibliophiles

In der Alfred-Schnittke-Akademie ging es nach der Mittagspause mit einem Podiumsgespräch weiter. Zunächst sprachen Ralf Plenz und die Verfasserin dieses Artikels über die in Hamburg-Ottensen spielende Trilogie „Großstadt-Oasen“, zu denen auch zwei Podcastfolgen kostenlos zu hören sind. Im weiteren Gespräch zu dritt mit Rudolf Angeli ging es zunächst um die Situation der Antiquariate in Deutschland und die Vor- und Nachteile der Online-Portale, mithilfe derer sich Bücherfreunde zwar einfach sowohl seltene Ausgaben beschaffen als auch durch Verkauf gebrauchter Exemplare ihr Bücherregal aufräumen können, die jedoch für die stationären Antiquare eine Existenzbedrohung darstellen. Denn wegen sofortigen Vergleichbarkeit aller Anbieter des gleichen Produkts fallen die Preise. Ehemals kostspielige Raritäten sind heutzutage für wenige Euro erhältlich. Zudem wird die Anzahl der Leser insgesamt drastisch weniger und teilt sich überdies auf in solche, die noch Papierbücher lesen und andere, die digitale Medien wie E-Books bevorzugen. Das sind immerhin konstant sechs Prozent.

Aus diesem Thema folgte die Frage, was denn eigentlich bibliophil sei? Wikipedia offenbart dazu: Als Bibliophilie bezeichnet man allgemein das Sammeln von schönen, seltenen oder historisch wertvollen Büchern, meist durch Privatpersonen zum Aufbau einer Privatbibliothek nach bestimmten Sammelkriterien. Die drei Diskutanten einigten sich zusätzlich auf die Ausstattung (Haptik, Papierqualität, Bindung, Veredelung, Beigaben wie z. B. Künstlergrafiken und natürlich die besondere Typografie etc.), den Geruch und die persönliche Bedeutung von Büchern für die Leser. Rudolf Angeli empfindet Bücher wie Freunde, was eine berührende Umschreibung und sehr nachvollziehbar für Menschen ist, die sich einmal mit dem Lesen infiziert haben.

Pirckheimer „unterwegs im Büchermeer“ im April

Die Pirckheimer Gesellschaft, die nach eigenem Bekunden „Sammler und andere Verrückte“ beheimatet, betreibt auf ihrer Website auch einen umfangreichen und vielfältigen Blog. Außerdem wird sie am 5. bis 7. April 2024 im Museum der Arbeit (Hamburg-Barmbek) bei der Buchdruckkunstmesse „Unterwegs im Büchermeer“ vertreten sein. Vielleicht kann man dort auch die weiteren Aussteller, die krankheitsbedingt nicht in Altona sein konnten, antreffen und ihre Schätze bewundern.

Mit Magellan – historischer Roman von Reimer Boy Eilers

Buchcover „Mit Magellan“, Reimer Boy Eilers

Ein Gastbeitrag von Jakob Krajewsky

Es ist vielleicht die Suche seines Selbst, die Präsenz des Alter Egos, in dem präzise und sorgfältig recherchierten ersten Band der Trilogie: „Mit Magellan – Die Ausfahrt – Vom Hilligen Eiland nach Sevilla“ des Hamburger Autors Reimer Eilers. Überhaupt haben die einst ruhm- und siegreichen Entdecker wie Magellan, Kolumbus, Vespucci & Co., damals unterwegs mit dem Nimbus des Lichtträgers der abendländischen Zivilisation, im 21. Jahrhundert sehr im Zuge der Debatten um Kolonialismus und Postkolonialismus an Ansehen gelitten. Waren sie nicht einfach nur gierige Europäer, verkrachte Existenzen auf der Suche nach Gold und Ruhm im Auftrag ihrer Majestäten und Despoten? Oder sind sie heilige, weitsichtige Männer mit großer Überzeugungskraft und nötigem Sendungsbewusstsein gewesen, die die Dogmen der Kirche infrage stellten, die Erde sei eine Scheibe? Was suchten sie? Macht? Freiheit? Reichtum? Die Kapitäne, Hasardeure und Entrepreneure riskierten angesichts der Inquisition und der Gefahren auf See und im unbekannten Land ihre Gesundheit, ihr Leben und das ihrer Mannschaft. Was waren das für tollkühne verzweifelte oder schanghaite Männer, die mit den berühmt-berüchtigten und z.T. verrückten Entdeckern auf See waren? Nach Brecht‘scher Art stellt Eilers hier das Leben des kleinen Mannes im ganz großen Getriebe der Weltgeschichte dar.

Aufbruch in wortgewaltigen Erzählwelten über die erste Weltumsegelung.

In bester erzählerischer Manier und stilvoller, fein gesetzter Sprache, dann auch wieder in derb und großkotziger Rede, imaginiert Eilers beredt die Geschichte eines einfachen Helgoländer Seemanns, der auf ungewöhnliche Weise an Deck von Magellans Schiff in Sevilla geriet. Magellan ist Portugiese und wird von der eigenen Krone für seine Ideen eine Passage westwärts nach Indien zu finden verlacht. Dann wendet er sich den spanischen Hoheiten zu und findet endlich Gehör. Er gilt allerdings auch dort bei Hofe als Verräter und wird trotzdem losgeschickt auf die wilde Reise, die er selbst z.T. mitfinanzieren muss. Im August 1519 brach Magellan mit einer Flotte von fünf Schiffen von Sevilla auf. Die Handlung des Romans spielt in mittelalterlich anmutendem Gehabe der geschilderten Figuren, in einer Ära, die schon eine neue Zeit mit Blick auf völlig neue Welten einleitet. Eben durch den Buchdruck, die Erfindung des Protestantismus‘ und die Entdeckung der Neuen Welt über neue, unbekannte Seewege manifestiert sich das, was sich historisch gesehen als Neuzeit ausweist.

Alte Bekannte

Wer Eilers‘ Helgoland-Saga gelesen hat, trifft auf alte Bekannte. Es erscheinen der Hauptprotagonist Pay Edel Edlefsen, sowie Esquimeaux aus Grönland, auch als John Quivitoq McLoud bekannt, ganz simpel Quivitoq genannt, er ist der Busenfreund von Pay, sowie der Herr Nurredin al Gharb, den Pay sehr liebte. Dieser Herr Magister ist ein getaufter Maure mit kolossalem Weltwissen, der heimlich noch seinen alten Bräuchen huldigt und dem die gesellschaftliche Anerkennung in Sevilla versagt bleibt. Und auch die uns schon bekannte Jungfer Peerke wird immer wieder im Gedankenstrom des Pay Edel als seine geliebte Seemannsbraut, verblieben auf Helgoland, direkt angesprochen. Heimat bleibt verbindlich, nur nicht den Roten Felsen aus den Augen verlieren!
„Zu Hause hat es mich nie beunruhigt, die Verhältnisse jenseits der See zu missen. Es ist ein Kennzeichen der Heimat, dass sie den Menschen gut aufbewahrt und er gar nicht so viele Dinge zu wissen braucht, die wenigen aber gründlich.“ (S.182)

Wir tauchen ein in diese Welt der zuweilen rauen Seeleute, reisen mit Pay Edel, der wie der Autor Eilers selbst vom Hilligen Lande (Helgoland) stammt und Fischersmann Sohn ist, über Amsterdam nach Sevilla und gehen (fast) auf große Fahrt in die Neue Welt. Eine oft humoresque geschilderte Welt mit neuartiger Kosmologie und der Erkenntnis hochwohlgeborener Señores – die Erde sei gar eine Kugel, keine Scheibe – zwischen Glauben und Aberglauben und bunten Seemannsgeschichten sowie philosophischen Einsichten tut sich auf.
„Wie heilsam ist der Schlaf, wie lobesam ist seine Speise und Verheißung. Traum und Erquickung. Die Seele füllt den Leib des Menschen aus, aber in der Stunde, da der Mensch schläft, steigt sie zum Himmel und schöpft von oben.“ (S. 280)

Nicht alles sei verraten, nur so viel: in Amsterdam werden Pay und Quivitoq schanghait. Herrlich auch die Szenen aus dem Schankraum, bei den Gerberkuhlen und aus dem Badehaus dort. Die Lesenden lernen spielerisch manches über das maritime Gewerbe und alte Kulturtechniken, wie etwa ein Wundpflaster gefertigt, oder gelesen und mit Federkiel geschrieben wurde. Zudem werden die siegreiche und furchterregenden Schwarzen Schiffe der Spanische Armada erwähnt, und auch Spaniens König Karl als Weltenherrscher sowie Don Fernando Magellan werden alsbald eingeführt. In Sevilla angekommen, werden Pay und Quivitoq von einem Edelmann für die Heuer auf Magellans Schiffen für die Seereise in die neue Welt zwangsverpflichtet. Blumige Beschreibungen von Szenerien in der holländischen Hafenstadt und des burlesken Lebens im vornehmen Sevilla sowie diverse amouröse Einlassungen in den Hafenstädten sind des Autors Plaisir.
„Die Stadt war vollgestopft mit Abenteurern und Astrologen, mit Damen und Dieben, mit Händlern und Handwerkern, mit Bettlern und Bankiers, Edelleuten und ehrbaren Kaufleuten, mit Lahmen wie mit Laufburschen, Mönchen und Mägden, mit Landratten, Sesselfurzern und dann wieder mit Seeleuten wie uns.“ (S. 304)

Der erste von drei Bänden

Das Buch ist der erste von drei Bänden mit dutzenden Kapiteln, die immer mit skurrilen Aphorismen und Moritaten, u.a. von Hartman von Aue Zitaten, sowie oft mit kleinen Bildern und Miniaturen eingeleitet werden. Eilers ironisiert und dekonstruiert seine eigene Schreibtechnik und macht dieses zuweilen als ‚Beifang‘ kunstvoll präsent. Flaggenstreit, Mordkomplotte der Kapitäne Magellans, Rufmord, dominikanische Inquisitoren und Spione an Bord – Eilers liefert hier einen gewagten Mix aus historischen Ereignissen und imaginierten Momenten.

Das Buchcover zeigt welliges Meer mit einem antiken Globus dahinter, der untergeht und einer stolzen Caravela davor. Vermutlich ist es Magellans Flaggschiff Trinidad, die einsam den anderen vier Schiffen, die nicht in Sicht sind, vorausfährt. Diese Frontseite erscheint prophetisch wie ein Menetekel über den Zustand unserer heutigen Welt. Don Fernando hatte mit teuflischem Mut, bestem Kartenmaterial und seemännischer Geschicklichkeit um Feuerland herum die maritime Verbindung zwischen Atlantik und Pazifik, die nach ihm benannte Magellanstrasse, als Durchfahrt gefunden. Das bleibt eine großartige kulturelle Leistung von weltgeschichtlicher Bedeutung.

Auf dem Kamm einer populären Welle

Reimer Eilers befindet sich mit seinem historischen Roman über den Weltumsegler Magellan gerade auf dem Kamm einer populären Welle, um über die Deutungshoheit der einst glorifizierten Entdecker zu reflektieren. Hätten sie doch bloß nicht entdeckt, was sie damals entdeckt haben, mögen manche heute geradezu blasphemisch denken. Doch diese Frage stellt sich nun nicht mehr. Es macht einfach großen Spaß, sich mit den Erzählströmen durch die Wortkaskaden des wortgewaltigen Erzählers und durch das Erleben seiner vitalen Protagonisten wie von einem genialen Puppenspieler mitreißen zu lassen. Kunstvoll endet dieser Band mit einem epischen Gedicht über Portugals Zorn. Wir als Lese- und überwiegende Landratten sind nach dieser Lektüre nun schon recht gespannt auf den zweiten Band.