Die Gründung der UDSSR – ein Blick in die Historie

Von Josef Wilhelm Knoke

Uns allen ist noch das Ende der UdSSR in Erinnerung. Es begann mit dem Begriff Glasnost und der Politik der Perestroika. Unter diesen Begriffen leitete Gorbatschow ab 1985 einen Reformprozess ein, der in Folge zu einer quasi-revolutionären Situation führte. Im Verlauf des Jahres 1991 nahm die Krise ein immer größeres Ausmaß an: die Versorgungslage mit Grundnahrungsmitteln wurde katastrophal, in der Wirtschaft und vor allem in den Kohlerevieren brach eine große Streikwelle aus. Die staatliche Gewalt brach zusammen, die Nationalitätenkonflikte im Kaukasus mündeten in einen offenen Krieg. In vielen Unionsrepubliken formierten sich politische Kräfte, die die Loslösung von der Moskauer Zentrale anstrebten.
Anfang 1991 forderten die drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen die Wiederherstellung der alten Unabhängigkeit. Am 6. Dezember 1991 kündigte der Oberste Sowjet der Ukraine den Unionsvertrag, mit dem die Sowjetunion am 30. Dezember 1922 als „Union der Sozialistischen Sowjet-Republiken“ gegründet worden war. In dem Beschluss betonten die Abgeordneten, die Ukraine betrachte sich ab sofort nicht mehr als Mitglied der Union. Daraufhin berieten Weißrussland, die Ukraine, sowie der russische Präsident Boris Jelzin am 8. Dezember in Minsk über die zukünftigen Beziehungen zwischen ihren Republiken.
Sie veröffentlichten eine Erklärung, wonach die Verhandlungen über einen neuen Unionsvertrag gescheitert seien; deshalb seien sie darin übereingekommen, eine „Gemeinschaft Unabhängiger Staaten“ zu bilden, die offen sei für den Beitritt aller bisherigen Unionsrepubliken.
Gorbatschow erklärte daraufhin im sowjetischen Fernsehen am 9. Dezember 1991, das Abkommen der drei Republiken enthalte zwar auch positive Elemente, vor allem aber verkünde es das Ende der Sowjetunion. Damit ging die Geschichte der UdSSR nach 69 Jahren zu Ende.
Wie aber war ihre Genese? Dazu muss man sich zunächst einmal die Situation im Vorfeld zur Gründung vergegenwärtigen.

a. Die Oktoberrevolution von 1917

Massendemonstrationen in Petrograd führten im Februar 1917 zu allgemeinen Arbeiter- und Soldatenaufständen; der Zar wurde von konservativen Abgeordneten und dem Stabschef zur Abdankung am 2.3. (Alten Stils) überredet. Es entstand eine Doppelherrschaft von bürgerlich-liberaler Regierung einerseits und Arbeiter- und Soldatenräten (Sowjets oder Sovety) in vielen Städten andererseits. Das Dilemma war, dass die Regierung die Legitimation, aber keine Macht besaß, die Räte hingegen die Macht ohne Legitimation. Nach der Rückkehr Lenins aus dem Exil beschloss das ZK der bolschewistischen Partei am 10.10. (A.S.) den bewaffneten Aufstand; unter der Leitung von Trotzki besetzten „Rote Garden“ am 07.11. (25.10. A.S.) alle strategisch wichtigen Punkte der Hauptstadt Petrograd. In der Nacht zum 08.11. (26.10. A.S.) wurde das Winterpalais, der Regierungssitz, gestürmt. Die Mitglieder der provisorischen Regierung wurden verhaftet. Unter Führung Lenins konstituierte sich als erste Regierung der „Rat der Volkskommissare“, dem neben Trotzki auch Stalin angehörte. Der 2. Allrussische Sowjetkongress (08./09.11.1917) beschloss u.a. ein Dekret über den Frieden, der allen  kriegführenden Staaten den Friedensschluss ohne Annexionen anbot, sowie das Dekret über das Land, durch das Grundbesitzer entschädigungslos enteignet wurden.
Am 25.11.1917 fanden die geplanten Wahlen zur verfassunggebenden Nationalversammlung statt, sehr zum Unwillen der Bolschewisten; aber da Lenin selbst immer diese Wahlen gefordert hatte, ließ sie sich nicht absagen. Das Ergebnis dieser ersten, völlig demokratischen Wahl war vernichtend für die Bolschewisten: sie erhielten nur ca. 25% der Stimmen (in den großen Städten allerdings überwiegend die Mehrheit), gegenüber 58% für die Sozialrevolutionäre, und 13 % für die Rechten. Die Versammlung – genannt Konstituante – trat am 5.1.1918 zusammen, debattierte die ganze Nacht, bevor sie am folgenden Morgen von den Roten Garden aufgelöst wurde. Lenin erklärte sie für überholt, da infolge der Revolution eine höhere Form der Demokratie, nämlich die Diktatur des Proletariats eingeführt werde. Dies war ein Staatsstreich der Bolschewiki, da diese anders die Durchsetzung ihres Machtanspruchs nicht gewährleistet sahen. Nunmehr übernahm der Rätekongreß mit dem Zentralen Exekutivkomitee (ZEK 1 ) die oberste Gewalt und die Aufgabe, eine Verfassung auszuarbeiten. Diese Verfassung wurde von Stalin und Sverdlov ausgearbeitet und am 10.07.1918 als die erste Verfassung der RSFSR, der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik verabschiedet.

b. Bürgerkrieg

Primär als Folge des durch die gewaltsame Auflösung der Konstituante erfolgten Staatsstreichs kam es zu einem fast dreijähriger Bürgerkrieg zwischen „weißen“ und „roten“ Verbänden. Durch die spontanen Fabrikübernahmen der Arbeiterkomitees, die Verstaatlichung der Großbetriebe im Frühjahr 1918, die willkürlichen Landaufteilungen der Bauern, den Verlust der reichen “ Kornkammern“ des Südens an die „Weißen“, die Nationalisierung der Kleinbetriebe im Winter 1920, sowie den Kampf gegen die Kulaken, gingen Industrie- und landwirtschaftliche Produktion stark zurück und es kam es zu einem wirtschaftlichen Zusammenbruch. Die Regierung musste zu Zwangsmaßnahmen (Kornrequirierungen etc.) greifen, die mit immenser Bürokratisierung einhergingen. Zwar gelang es der Roten Armee, unter der Leitung Trockijs als Kriegskommissar, zur Jahreswende 1920/21 den Bürgerkrieg für sich zu entscheiden, aber die Unterversorgung und der Hunger im Winter 1920/21 führten zu Bauernaufständen an der Wolga und im Süden. Besonders zu erwähnen ist hier der Antonov-Aufstand, bei dem bis zu 50000 Bauern gegen die Requirierungen vorgingen. Ein weiteres Signal war der Aufstand der 15000 Kronstädter Matrosen, die 1917 die radikalsten Revolutionäre gewesen waren, und jetzt sowohl die Verbesserung der Lebensbedingungen wie auch die Verwirklichung der Verfassung forderten. Beide Aufstände wurden blutig niedergeschlagen, aber die Regierung brach daraufhin alle Experimente ab und Lenin hielt auf dem 10. Parteitag im März 1921 eine Rede, in der er die Notwendigkeit eines taktischen Rückzugs zur Sanierung der Wirtschaft begründete. Dabei konnte er den Kurswechsel nur gegen starken Widerstand in der Partei durchsetzen. Die Neue Ökonomische Politik, NöP, wie der Kurswechsel genannt wurde, stellte den Bauern wieder frei, wie sie ihren Boden bewirtschaften wollten. Mit der NöP werden nunmehr die „gewinnorientierte Produktion“ und das Privateigentum in der Konsumgüter-Produktion legalisiert und der Binnenhandel gefördert. Die Bauern werden durch Einführung einer „Naturalsteuer“ von willkürlichen Zwangsabgaben befreit werden. Die Wirtschaft erholte sich.

Nunmehr kam es zu zwei großen Diskussion innerhalb der Führerschaft der RSFSR:
a) Sollte die Organisationsstruktur des Staates föderalistisch oder eher zentralistisch ausgerichtet sein?
b) Welchen Spielraum sollten „Nationalitäten“ bzw. Nationalstaaten in diesem Gebilde haben?

Im Zarenreich wurde bis zuletzt am Konzept des „einheitlichen, unteilbaren Russlands“ festgehalten und dementsprechend ein föderalistisches Nationalitätenkonzept abgelehnt. Auch die Bolschewiki standen bis 1917 einem föderativen Aufbau Russlands klar ablehnend gegenüber, basierend auf Marx und Engels, die den proletarischen Einheitsstaat propagierten. Lenin in seinem Artikel „Kritische Bemerkungen zur nationalen Frage“ von 1913:
„Die Marxisten verhalten sich selbstverständlich der Föderation und der Dezentralisation gegenüber feindlich, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil der Kapitalismus für seine Entwicklung möglichst große und möglichst zentralisierte Staaten verlangt. Bei sonst gleichen Bedingungen wird das klassenbewusste Proletariat stets für den größeren Staat eintreten. Es wird stets gegen den mittelalterlichen Partikularismus ankämpfen und stets den möglichst engen wirtschaftlichen Zusammenschluss großer Territorien begrüßen…. und: …solange und soweit verschiedene Nationen einen Einheitsstaat bilden, werden die Marxisten unter keinen Umständen das föderative Prinzip oder die Dezentralisation propagieren. Der zentralisierte Staat ist ein gewaltiger historischer Schritt auf dem Wege von der mittelalterlichen Zersplitterung zur zukünftigen sozialistischen Einheit der ganzen Welt…
Mit der Machtergreifung setzte jedoch bezüglich der Haltung zum Föderalismus ein Wandel ein. Im November 1917 sprach der Rat der Volkskommissare in einer „Deklaration der Rechte der Völker Russlands“ von Gleichheit, Souveränität und Selbstbestimmungsrecht der Völker Russlands. Die von Lenin und Stalin unterzeichnete Deklaration bestätigt in Punkt 2 „das Recht der Völker Russlands auf freie Selbstbestimmung bis zur Loslösung und Bildung eines unabhängigen Staates“. Das hatte allerdings Folgen. Denn es bildeten sich in schneller Folge mehr als 40 national-territoriale Gebilde heraus, von denen sich einige als unabhängige Nationalstaaten konstituierten. Um einen weiteren Zerfall zu vermeiden, kam die Regierung in Zugzwang. War man bei Finnland noch bereit, die Unabhängigkeit anzuerkennen, tat man dies bei der Ukraine bereits nicht mehr, sondern suchte nun nach einem föderativen Ausweg. Im Januar 1918 setzte der III. Allrussische Sowjetkongress den föderativen Gedanken endgültig durch und beauftragte das ZEK mit der Ausarbeitung einer Verfassung der „Russischen Föderativen Republik“. Diese gewissermaßen durch die Umstände erzwungene Hinwendung der Bolschewiki zum Föderalismus wurde von Lenin theoretisch unterbaut. Dabei ließ er aber keinen Zweifel, dass dies ein taktischer Schritt war auf dem Weg zu einem zukünftigen unitarischen Konzept. So schreibt er 1918 in „Die nächsten Aufgaben der Sowjetmacht“: „In der Regel ist die Föderation im Rahmen einer wirklich demokratischen Ordnung […] nur ein Übergangsschritt zu einem wirklich demokratischen Zentralismus. Am Beispiel der Russischen Sowjetrepublik zeigt sich…besonders anschaulich, dass…die Föderation, die wir einführen…,der sicherste Schritt ist zur dauerhaftesten Vereinigung der verschiedenen Nationalitäten Russlands zu einem einheitlichen demokratischen zentralisierten Sowjetstaat.“ Und 1920 in seinen „Thesen zur nationalen und kolonialen Frage“: „ Die Föderation ist eine Übergangsform zur völligen Einheit der Werktätigen verschiedener Nationen. Die Föderation hat bereits in der Praxis ihre Zweckmäßigkeit bewiesen, sowohl in den Beziehungen der RSFSR zu anderen Sowjetrepubliken (der Ungarischen, der Finnischen und der Lettischen in der Vergangenheit; der Aserbaidshanischen und der Ukrainischen in der Gegenwart) als auch innerhalb der RSFSR in Bezug auf die Nationalitäten, die früher weder eine eigene staatliche Existenz noch eine Autonomie hatten (z.B. die Baschkirische und die Tatarische Autonome Republik in der RSFSR, die 1919 bzw. 1920 gegründet worden sind).“
Daraus wird deutlich, dass sich seine Haltung zum föderativen Konzept im Laufe der Jahre fundamental verändert hatte, diese veränderte Haltung jedoch vorwiegend auf pragmatisch-taktischen Erwägungen beruhte. Diese gewandelte Einstellung zu einer föderativen Organisation bezog sich allerdings ausschließlich auf die staatliche Organisation, nicht auf die Parteiorganisation. Gerade durch die strikt zentralisierten Parteistrukturen, die ihm Durchgriff auf regionale politische Einheiten erlaubten, sah Lenin offensichtlich die Möglichkeit für eine flexiblere Einstellung zu föderativen staatlichen Strukturen.
Hinsichtlich Nationalitäten und Nationalstaaten hatte sich Lenin bereits früh für das Selbstbestimmungsrecht der Völker ausgesprochen. Es wurde auf seine Initiative hin 1903 unter § 9 in das Parteiprogramm der SDAPR aufgenommen. 1913 äußert er sich zur Frage der Selbstbestimmung der Nationen, indem er diesen Artikel 9 des Parteiprogramms interpretiert: „Der Paragraph unseres Programms (über die Selbstbestimmung der Nationen) darf nicht anders ausgelegt werden als im Sinne politischer Selbstbestimmung, d.h. des Rechtes auf Lostrennung und Bildung eines selbständigen Staates.“ Dies stand im deutlichen Gegensatz zum linken Flügel der Bolschewiki, die den Paragraphen sogar streichen wollten, weil die Möglichkeit der Sezession und Bildung neuer Nationalstaaten im Widerspruch zum internationalen Charakter des Marxismus stehe. Stalins Haltung als Volkskommissar für Nationalitätenfragen war eher von einer großrussischen Einstellung geprägt. Den Föderalismus sah er auch als Übergangsphase zum sozialistischen Unitarismus, aber unter Führung der RSFSR. Zwischen ihm und Lenin gab es massive Meinungsunterschiede dazu, ob es verschiedene Stufen und Formen föderativer Verbindungen gäbe oder nicht. Lenin sah diese, Stalin nicht. Lenin wollte einen Bundesstaat auf Grundlage formeller Gleichberechtigung der verschiedenen Sowjetstaaten, Stalin eine Eingliederung in die RSFSR. (Eine solche Inkorporation bestand de facto bereits in Form der als Militär und Wirtschaftsunion errichteten „Vertragsföderation“ zwischen der RSFSR und den nichtrussischen Sozialistischen Sowjetrepubliken.) „Autonomie bedeutet nicht Abspaltung, sondern den Bund eines selbst herrschenden Bergvolkes zusammen mit dem russischen Volk“, so Stalin 1920 zu den Nord-Kaukasiern. Der Konflikt eskalierte, nachdem Stalin im August 1922 seinen Entwurf „über die gegenseitigen Beziehungen zwischen der RSFSR und den unabhängigen Republiken“ vorlegte, in dem er vorschlug, die nicht-russischen sozialistischen Sowjetrepubliken der RSFSR einzuverleiben, was von Georgien, Weißrussland und der Ukraine mehr oder weniger deutlich abgelehnt wurde. Trotzdem wurde der Entwurf vom ZK der KPR am 23./24.September gebilligt, zum Unwillen Lenins. Nach einer Aussprache mit Stalin schrieb Lenin Ende September an das Politbüro, und skizzierte darin seine Gedanken für einen sowjetischen Bundesstaat in Gestalt der „ Union der Sowjetrepubliken Europas und Asiens“, basierend auf formeller Gleichberechtigung der Gliedstaaten. Stalin machte einen taktischen Rückzieher und formulierte seinen Entwurf leicht um. Dieser wurde dann von den einzelnen Sowjetrepubliken im Grundsatz gebilligt, auf dem I. Sowjetkongress der UdSSR am 30.12.1922 bestätigt. Der Unionsvertrag wurde noch am selben Tag geschlossen, Gründungsmitglieder der UdSSR waren die RSFSR, die Ukrainische SSR, die Weißrussische SSR und die TSFSR (Armenien, Azerbeidschan, Georgien). Somit war theoretisch eine Föderation gleichberechtigter Staaten geschaffen, wobei sich faktisch an der Hegemonie der RSFSR, deren Bevölkerung über 70 % und deren Territorium über 90 % des Gesamtstaates ausmachte, nichts änderte.

Obwohl Lenin sich weitgehend durchgesetzt hatte, war er mit Stalins Vorgehen allgemein und speziell in der georgischen Frage, wo das Selbstbestimmungsrecht ad absurdum geführt wurde und es zu einem Rücktritt des georgischen Zentralkomitees kam, überhaupt nicht einverstanden. Er forderte am 4.Januar schriftlich die Absetzung Stalins und bereitete weitere Aktivitäten gegen Stalin vor, wozu es aber durch seinen dritten Schlaganfall Anfang März 1923 nicht mehr kam.

Damit kommen wir zur faktischen Gründung der UdSSR und ihrer Zusammensetzung. Grundlage des Unionsvertrages war das Prinzip der Freiwilligkeit und Gleichberechtigung der Unionsrepubliken sowie das Recht des freien Austritts. Die Zuständigkeit der Union war in der Gesamtstaatsverfassung geregelt. Der Bund war zuständig für Außenpolitik, Außenhandel, Verteidigung, Transport, Verkehr, Post und Telegraphie; er hatte Richtlinienkompetenz für Wirtschafts- und Finanzplanung, Justiz- und Arbeitspolitik.
Die UdSSR bestand letztendlich aus 53 nationalen Gebietseinheiten:
• 15 Unionsrepubliken (bei Gründung allerdings erst aus vier)
• 20 Autonomen Republiken
• 8 Autonomen Gebieten
• 10 Nationalen Kreisen
Ein Hauptgrund, warum überhaupt aus Sicht der kommunistischen Partei die Notwendigkeit bestand, konstitutionelle Unterschiede zu machen zwischen den verschiedenen, die RSFSR umgebenden Ländern, war die Tatsache, dass etliche dieser Gebiete sich 1917/18 von Russland gelöst hatten. In ihrer neu erklärten Unabhängigkeit hatten sie dann diplomatische oder militärische Beziehungen zu anderen Staaten aufgenommen. So war die Ukraine bei den Verhandlungen in Brest-Litowsk involviert, Weißrussland hatte mit Deutschland und Polen verhandelt, die Transkaukasischen Gebiete hatten mit der Türkei Verträge abgeschlossen und diplomatische Missionen ausgetauscht, Azerbeidschan allein diplomatische Beziehungen mit sechs ausländischen Staaten aufgenommen, darunter Deutschland, Finnland, Türkei und Persien; all dies hatte dazu geführt, dass sie de facto und de jure vom Ausland anerkannte Staaten waren. Dies wieder zu ändern erforderte es, zumindest den Anschein von Eigenständigkeit aufrechtzuerhalten. Daher machte man die Gebiete mit bestehenden Grenzkontakten zu ausländischen Mächten zu Unionsrepubliken, wohingegen die im „Inland“ gelegenen zu „Autonomen Republiken, Gebieten, Kreisen“ gemacht wurden. Unterschiedskriterium zwischen diesen beiden Hauptgruppen war, dass die Unionsrepubliken als
souveräne, eigenständige Staaten bezeichnet wurden, mit dem Recht auf Loslösung von der UdSSR, wohingegen das bei den übrigen Gebieten nicht so war. Praktisch machte dies keinen Unterschied, denn die Einforderung eines solchen Rechts wurde sofort als konterrevolutionäre Aktivität betrachtet. Es war mehr ein psychologischer Vorteil.
Betrachtet man die Rechtsstellung der verschiedenen Gebiete, so erkennt man eine unterschiedliche Beurteilung aus Sicht der sowjetischen Seite im Vergleich zur nicht-sowjetischen Seite. Aus sowjetischer Sicht hatten zumindest die Unionsrepubliken völkerrechtliche Souveränität, während die übrigen Gebiete diese nicht hatten, sondern nur Autonomie, wobei über den Inhalt der Autonomie erhebliche Meinungsunterschiede bestanden.
Die nicht-sowjetische Seite verneinte seit den dreißiger Jahren einhellig den Staatscharakter der Unionsrepubliken. Dort wurde die UdSSR nicht als Bundesstaat, sondern als mehr oder weniger zentralisierter Einheitsstaat gesehen.
Durch personelle Verflechtung hatten die Unionsrepubliken durchaus Einfluss auf Unionsebene.
• Die Vorsitzenden der Obersten Sowjets der Unionsrepubliken waren zugleich Mitglieder im Obersten Sowjet der Union.
• Die Vorsitzenden der Ministerräte der Unionsrepubliken gehörten dem Ministerrat der Union an.
• Die Vorsitzenden der Obersten Gerichte der Unionsrepubliken waren zugleich Mitglieder des obersten Gerichtes der Union.
Die verschiedenen autonomen Gebiete hatten eine rein territoriale, politisch definierte Autonomie, so wie Lenin sie verstand: als Befugnis im Rahmen staatlicher Gesetze für ihr Territorium Regelungen ihrer besonderen Verhältnisse zu treffen, der Staatsaufsicht unterworfen und durch die Zentralgewalt jederzeit revidierbar bis zum Entzug der Autonomie.

Von Autonomie im Sinne uneingeschränkter Selbstverwaltung konnte jedoch keine Rede sein.