Von Hartmuth Seitz
Ein Mann, ein Piano und sein Publikum
Da steht er am Flügel, lächelt, setzt sich und läßt die Tasten sprechen. Demzufolge wäre er in der Kategorie Schnellredner gut aufgehoben. Der Boogie, der Barrelhouse-Man Boogie, spricht für sich – und Emanuel Jahreis spricht für den Boogie – und den Barrelhouse Man. Das waren noch Zeiten, damals, als in den Bars, die man Barrelhouse nannte. Gute Zeiten. „Let the good times roll.“
Welch ein fulminanter Einstieg. „Der ist richtig gut, den haben wir schon mal erlebt,“ raunt mir mein Nachbar zu.“ Es stellt sich heraus, dass er die 70 schon überschritten hat. Man merkt es ihm und seiner Frau nicht an. Schon mit den ersten Takten zucken die Finger, wippen die Füße mit.
Er hat Familie – nein, nicht mein Nachbar, der kann mir nichts mehr erzählen, er konzentriert sich voll auf die Musik, es hält ihn kaum auf den Stuhl. Er, Emanuel Jahreis hat Familie – und zwei Katzen. Er warnt vor. Paula ist die lebhaftere der beiden Katzen – flink, schnell, behende. Und für sie hat er einen Boogie geschrieben. Flink, schnell, behände. Man kann gar nicht so schnell schauen, die seine Finger über die Tasten sausen. Paula kann eigentlich nicht so schnell sein. Ich bin der Meinung, er hat Paula überholt.
Und bei den nächsten Stücken passiert es dann tatsächlich. Ich hatte es geahnt. Mein Sitznachbar erhebt sich. Ein kurzer Blickkontakt zu seiner Frau und schon geht es los. Der Platz vor dem Klavier gehört den beiden, der Platz zwischen den Sitzreihen auch. Jahreis schmunzelt, legt sich ins Zeug. Es fetzt. Bei allen Dreien.
Dann berichtet Jahreis von seinem Email-Verkehr. Man hat ihm Noten zukommen lassen. „Da kommen dann am Freitag ein paar tausend Noten – üb die mal ein bis Morgen.“ Aber dieser Notenschatz war ein besonderer. Die Orginalnoten von Beethovens „Für Elise“. Und dann fand auch ein Jahreis gemäßes fiktives Treffen zwischen ihm, Ludwig van, und Mozart statt.
An dieser Stelle sei auch nicht verraten, was das Wolferl dem guten Ludwig ins Ohr geflüstert haben könnte. Das Treffen der beiden Musiker findet sich in einem schnellen Medley aus „Für Elise“ und „Beethovens 5ter“ wieder. Bluesig. „Und mit etwas mehr Tempo wird daraus auch noch ein Ragtime“. Der Beweis folgt. Und er gibt zu, dass diese Geschichte nur erfunden war.
Immer wieder bezieht er sein Publikum ein. Er fordert das Mitklatschen. Es wird gesungen, gesummt. Das Publikum wird zum Backgroundchor. „Wie bei Ray Charles“ grinst er. Der Titel „Dance with me“ wird von meinen Nebenleuten verstanden – sie tanzen. Und selbst Jahreis hält es auf seinem Pianisten-Schemel nicht mehr aus. Mich hat es sowie so schon die ganze Zeit gewundert, dass er nicht vom Stuhl fällt. Wenn ich schon beim „Wundern“ bin. Noten hat Emanuel Jahreis auch nicht dabei. Einen Verlaufsplan liegt auf dem Notenständer, einige Blätter mit Texte – handschriftlich ergänzt. Und ein Verlaufsplan ist auch nur als Gerüst zu verstehen. Oder taucht im Mozart-Beethoven-Medley immer die Grundmelodie von Hänschen klein auf?
Nach zwei durchschwitzen Hemden nebst Zugabe ließ er ein begeistertes Publikum zurück. Ein Publikum, das auch verstand, warum er seinen alten Schuhen nachtrauerte. Denen hatte er auch ein Stück gewidmet. Wer nun noch erfahren möchte, wie er den Beinamen „The Piano Killer“ erhalten hat, der sollte ihn bei seinem nächsten Konzert danach fragen. Oder er erzählt es freiwillig. Denn auch dazu gibt es ein Stück
Eine bunte, eine gelungene Mischung aus klassischen Stücken der Genres Blues, Jazz, Boogie und Ragtime mit Eigenkompositionen war das Ergebnis. Wie resümierte ein anderer Gast: „Das kann es nicht gewesen sein. Der muss doch wiederkommen.“
Wir arbeiten dran.