erschienen im Hamburger Abendblatt am 28. April 2011
Von Johanna R. Wöhlke
„Leben, das ist etwas anderes“, meint mein Gesprächspartner. Wir haben über den Beruf gesprochen und darüber, wie sehr ihn sein Beruf ausfüllt und gleichzeitig so belastet, dass manchmal die Lust am Leben stark reduziert wird. Stress, so nennt die Umgangssprache das. Stress, stressig und gestresst – wer kennt diese drei Wörter nicht, wem begegnen sie nicht immer wieder, zu viel immer wieder!
In der Mühle des Berufes sein, das kann Stress bereiten. Jeden Tag funktionieren zu müssen, verlässlich funktionieren zu müssen. Schließlich wird man gerade dafür bezahlt und gerade das ist es auch, was Kunden und Arbeitgeber erwarten, zu recht erwarten können, denn sie bezahlen Geld für die von ihnen erworbene Leistung. Geben und Nehmen heißt dieses Spiel des Lebens, das kein Spiel ist.
Die Wünsche und Gedanken streifen oft in Berufe ab, von denen die Annahme existiert: Da wäre ich glücklicher geworden. Besonders die Künste verstehen es, einen Glorienschein um sich zu entfalten. Wie oft habe ich es schon gehört: Musiker wäre ich gerne geworden, Maler, Schauspieler, Sänger. Die Liste ist lang. Dort, so meint man, sei die Freiheit in einem weitaus höheren Maße angesiedelt als in allen anderen Berufen. Dort zu arbeiten, das scheint wie ein leuchtender Stern am nächtlichen Himmel des täglichen Trotts zwischen Bürostuhl und Fabrik.
Frei sein in der Kunst? Wer von seiner Kunst seine Brötchen und sein Auto bezahlen will, ist wahrscheinlich weniger frei als jeder sonst, denn er ist unmittelbar davon abhängig, dass seine Arbeit gefällt und fremde Geldbörsen öffnet. Das Ohr an den Bedürfnissen der Kunden zu haben, am Verkaufserfolg unmittelbar gemessen zu werden, ist das tägliche unkreative Brot des Künstlers, wenn er nicht gesponsert wird. „Kreativitätstötendes“ Marketing allüberall! Verlässlich funktionieren allüberall!
„Leben, das ist etwas anderes“, ein Spruch, den man wohl in allen Berufen irgendwann einmal zum Besten geben wird…