Von Hans-Peter Kurr
Endlich : Premiere des Gesamtwerks „Schuld und Sühne“ im Deutschen Schauspielhaus zu Hamburg
Wieder einmal ist am Deutschen Schauspielhaus eine Art Theaterwunder geschehen:
Wir denken zurück : Im Februar 2014 sollte eine Dramatiserung des Dostojewskij-Romans „Schuld und Sühne“, inszeniert von Karin Henkel, der kongenialen „Zwillingsschwester“ der Intendantin Karin Beier, Premiere haben. Dann aber brach in dem über einhundert Jahre alten Haus an der Kirchenallee durch technische Mängel und daraus resultierende Unfälle das Chaos aus. Die Folge: Karin Henkel inszenierte nur den ersten Teil des Romans unter dem Titel „Schuld“ im Malersaal. Eine grandiose „Ersatzidee“….sowohl logistisch als auch inhaltlich.
Jetzt endlich, etwa eineinhalb Jahre später konnten wir die Inszenierung des Gesamtwerkes auf der grossen Bühne in einer Vier-Stunden-Fassung erleben. Und da war es, das Wunder: Die Henkel hatte sich selber – den ersten Teil betreffend – noch einmal intelligent uminszeniert, das nennt der Chronist das Wunder lebendigen Theaters.
Geblieben ist im Wesentlichen die Trennung der Raskolnikow-Hauptrolle in mehrere Darsteller. Konsequenterweise begreifen wir ungewöhnlich schnell die dahinter stehende Grundauffassung, daß nämlich der Mörder Raskolnikow Anlagen in uns allen verkörpert.Das Programmheft nennt auch diesmal die Darstellernamen nur in alphabetischer Reihenfolge, die starke Ensemble-Leistung rechtfertigt das vollständig.
Der Uminszenierung in einem zunächst etwas gewöhnungsbedürftigen Drehbühnen-Set ( Thilo Reuther ) folgen nun ( wiederum aufgrund der Übersetzung durch Swetlana Geier und Hermann Röhl, die von der Regisseurin und ihrem Dramaturgen,Christian Tschirner bearbeitet wurde ) , sozusagen werkgetreue, der Porfiri- und der Sibirienteil, will sagen: Die geschickte Verhörkette des Untersuchungsrichters ( wiederum, diesmal rauchend und saufend, herrlich verkörpert durch Charly Hübner) und der Sühneteil in der folgenden Gefangenschaft des pathologischen Mörders.
Wiederum zeigt sich hier die wundervolle Fähigkeit der Henkel, ihren Inszenierungen die bewegende innere Kraft zu verleihen, die sich nicht ausschliesslich durch den Intellekt beschwören lässt,sondern eher durch das Herbeizaubern einer tragenden Figuration auf der Basis nahezu überbordender szenischer Phantasie.
Zu Recht wiederholt der Chronist deshalb hier diejenige Formulierung, die er bereits über den ersten Teil dieser hinreissenden Arbeit im Malersaal notiert hatte: Was die Kraft ihrer Wortmagie, das gebundene Pathos und die gesellschaftskritische Hymnik angeht, erfüllt Karin Henkels Inszenierung die höchsten Erwartungen, was denn auch vom Premierenpublikum äusserst positiv bestätigt wurde.
Fotos: Klaus Lefebvre