von Maren Schönfeld
Fotos: Jennifer Hymer und Julia Mihály
Madama Butterfly ist der Titel für das zweite Konzert des Non-Piano/Toy Piano Festivals am 11.11.2017 in Hamburg im resonanzraum St. Pauli. Eingestellt auf einen ungewöhnlichen Abend mit ungewohnten Klängen auf Spielzeugklavieren, sprengt das Erlebte allerdings jede Vorstellungskraft. Solisten, die zwei oder gar drei Instrumente während eines Stücks spielen; das Zusammenwirken eines Flügels mit dem Toy Piano; acht Melodicas im Zusammenspiel mit Tuba und Hihat – es ist kaum in Worte zu kleiden, was die furiosen Musikerinnen und Musiker aus aller Welt auf der Bühne präsentieren.
Haben Sie jemals ein Duett aus Spielzeugklavier und Tablet gehört? Julia Mihály (Deutschland) hat in ihrer Komposition „Baby Spin to Superman Reserve Variations (UA)“ beides zusammengebracht. Sie selbst übernimmt in der Aufführung das Tablet, während Bernhard Fograscher, der sich ansonsten auch mit dem zweimanualigen Vierteltonklavier beschäftigt, das Pink Butterfly Piano bespielt – mit einer langen Unterhose bekleidet, nachdem er sich zuvor Schuhe und Straßenhose ausgezogen hat, denn er muss sich schon sehr klein zusammenkrümmen, um am Mini-Piano Platz nehmen zu können.
Überhaupt agieren die renommierten Musikerinnen und Musiker mit einer gehörigen Prise Humor und Spaß an der Sache, aber auch mit Ernsthaftigkeit und Respekt vor den kleinen Instrumenten, denen ihre Leidenschaft gehört. Melodica, Toy Piano, Gong, Glockenspiele, Cajon – und nicht zu vergessen das Akkordeon, von der französischen Akkordeonistin Fanny Vicens gespielt und auf einzigartige Weise mit Sprache in Verbindung gesetzt: Sagt sie „oui“ oder „non“, entlockt sie dem Akkordeon gleichfalls diese Silbe und schafft es auch noch, neben dem Akkordeon im selben Stück die Mundharmonika zu spielen.
Die Pianistin Ninon Gloger interessiert sich für Kammermusik, neue Musik und Improvisation. In ihrer Reihe „Klangrauschen – musik für neugierige ohren“ in Lübeck präsentiert sie zeitgenössische Musik. Am Toy Piano überzeugt sie mit ihrer atemberaubend schnell gespielten „Toy Toccata“, komponiert von dem Schweden Fabian Svensson, der seinerseits an der Melodica reüssiert. Überhaupt ist es sehr spannend, dass Komponisten anwesend sind und als Musiker mitwirken. So ist der Komponist Steven Tanoto aus Hamburg, der die an sich schon außergewöhnliche Komposition „Der Wunderbare Mandarin“ von Béla Bartók für sechs Toy Pianos und Melodicas bearbeitet hat, auch als Melodica-Spieler in der Aufführung mit von der Partie. Steven Tanoto komponiert und bearbeitet seit 2014 regelmäßig Stücke für das Toy Piano und bildet damit eine der tragenden Säulen des Festivals. Das Gamelan-Ensemble an der Elbphilharmonie steht unter seiner Leitung.
In einer Hand die Melodica, die andere dirigierend in der Luft, zeigt sich Benjamin Gordon. Der aus Kalifornien stammende Dirigent ist auch Initiator der Konzertreihe „Salon/OFF“, bei der im Wohnzimmer in guter alter Salontradition Konzerte dargeboten werden. Am „Madama Butterfly“-Abend beweist er als Multi-Instrumentalist seine Vielseitigkeit und Virtuosität an mehreren Instrumenten, zum Teil im selben Stück. Allen Akteurinnen und Akteuren ist die Freude am Musizieren und die Liebe zu den kleinen Instrumenten deutlich anzumerken. Jennifer Hymer, die in Berkeley Klavier studierte, hat mit ihrer Leidenschaft für das Toy Piano das Festival in Hamburg etabliert. Neben ihrem Spiel auf dem Toy Piano zeichnet sie am Konzertabend besonders ein herausragendes Solostück namens „Arnautz tramet sa chanson“ für Klavier und Elektronik aus, in dem sie nicht nur die Tasten des Flügels, sondern auch dessen Gehäuse als Klangkörper und Resonanzraum in der Art einer ganz eigenen Percussion nutzt, während über einen Computer elektronische Sounds zugemixt werden, was zusammen mit stimmlichen Einlagen ein völlig neues Klangerlebnis ergibt. Die Komposition stammt von Sascha Lino Lemke, dem künstlerischen Leiter des elektronischen Studios der Musikhochschule Lübeck.
Sehr eindrücklich ist auch der weitere Auftritt von Julia Mihály in dem von Hui Hui Cheng geschaffenen „Me Du Ca“ für Stimme und Elektronik. Angetan mit einer schwarzen Tentakelkappe, auf deren Tentakeln Mihály an Wind erinnernde Klänge mit den Lippen erzeugt, präsentiert die Künstlerin ein Soundgemisch aus Sprachfetzen, Gesangseinlagen, die an Opernarien erinnern – jedoch nur fragmentarisch – und elektronischem Klangteppich, eine schaurig-schöne Elegie aus einer anderen Welt, vielleicht gar von einem anderen Planeten. Die Schöpferin des Werks, die in China mehrfach ausgezeichnete Hui Hui Cheng, bezieht sich auf die phonetischen Assoziationen des englischen „me“, des deutschen „du“ und des französischen „ça“, von Julia Mihály brillant interpretiert. Die Beleuchtungseffekte von Jakob Sello verstärken das surreale Erlebnis.
Eingestellt auf einen besonderen Abend mit besonderen Klängen an kleinen Instrumenten, ist schon nach wenigen Minuten vergessen, dass es sich um Spielzeugklaviere und dergleichen handelt. Die Klangwelt, die mitreißende Dynamik und spannende, wechselnde Rhythmik, das verblüffende Können der einzelnen Musikerinnen und Musiker öffnen einen weiten Raum des Staunens und unerwarteten klanglichen und optischen Genusses. Hier haben alle das Zeug zum Spielen, und zwar im wahrsten Wortsinn. Für die Akteurinnen und Akteure scheint es ganz selbstverständlich, am Ende sogar pro Person auf zwei Toy Pianos und noch einer Melodica auf einmal zu spielen, oder auf einer Melodica, einer Triangel und einem Cajon und nebenbei noch ein bisschen zu dirigieren, wie Benjamin Gordon es scheinbar leichthin tut, nicht ohne noch kleine Tanzeinlagen hinzulegen. Denn als Zugabe spielt das Ensemble „China Girl“ von David Bowie – nicht erst zu dem Zeitpunkt sind die Gäste ganz aus dem Häuschen, kaum einer ging in der Pause, und auch die relativ langen Umbaupausen im zweiten Konzertteil sind mit witzigen kleinen Einlagen von Benjamin Gordon oder mit leisen Gesprächen der Besucherinnen und Besucher überbrückt worden. Erst nach der Zugabe und nach Wiederkehr des etwas brutal hellen Raumlichts löst sich das Publikum widerstrebend aus dem schillernden Toy Piano-Märchen, manch einer blickt versonnen und etwas traurig auf die schnell beginnenden Bühnenabbauarbeiten.
Leider beträgt die Wartezeit bis zum nächsten Non-Piano/Toy Piano Festival zum Thema „Piano Circus“ ziemlich genau ein Jahr; ein Jahr, das nahezu komplett in die künstlerischen Vorbereitungen dieses außergewöhnlichen Events investiert werden muss, wie die künstlerische Leiterin Jennifer Hymer berichtet. Ihr ist zu verdanken, dass Hamburg seit 2014 so ein Festival vorweisen kann, das es sonst nur in Florida oder San Diego gibt. Die Verfasserin dieses Artikels möchte die Vorbereitungen begleiten und wird Sie rechtzeitig an dieser Stelle informieren, wo und wann das Festival in Hamburg 2018 zu erleben sein wird – denn das dürfen Sie auf keinen Fall verpassen!