Von Hans-Peter Kurr
Hans-Peter Kurr (H.-P. K.): Latinum, Graecum, Hebraicum? Was haben Sie studiert?
Karin Beier (K.B.): Ich erhielt das Kleine Latinum. Mit Müh‘ und Not. Dank der Liebfrauenschule in Köln, das war eine katholische Mädchenschule, von Nonnen geleitet.
H.-P. K.: Ich frage Sie das deshalb, weil ich voller Bewunderung für Ihre Arbeit bin. Ich habe Ihre verspätete Eröffnung mit dem Titel „Die Rasenden“ gesehen und beschrieben, die hat mich zutiefst fasziniert. Ich war seinerzeit krank und hielt es zunächst für unmöglich, eine Sieben-Stunden-Produktion durchzustehen. Und dann vergingen für mich die Stunden wie neunzig Minuten. Unfassbar !
Auch die späteren Bühnenumsetzungen antik-klassischer Mythen, die Sie in Bühnenfassungen brachten und inszenierten, begeistern mich ebenso.
Sie scheinen gemeinsam mit Karin Henkel ein gutes Team mit nahezu überbordender szenischer Phantasie zu bilden wie ehemals in Köln.
B.K.: Ja, schon in Köln gab es drei Frauen, die sehr prägend waren. Beide haben ihre Arbeit jetzt in Hamburg fortgesetzt in ihrer künstlerischen Handschrift als Regisseurinnen, nämlich Karin Henkel, Katie Mitchel und mich. Katie eröffnet demnächst die dritte Spielzeit. Das sind zwei Theaterfrauen, die ich sehr, sehr schätze. Außerdem sind sie Menschen, die sich nicht gerieren. Es gibt ja in unserem Metier Viele, die sich gern mit einem Nimbus umgeben. Das geht mir zunehmend „ auf den Keks“. Ich möchte mit jemandem geradeaus sprechen und normal reden können. Die zwei genannten Kolleginnen sind durchaus sehr anspruchsvoll in ihrer Arbeit, aber ich finde es sehr gut, dass wir uns trotzdem normal „ auf Deutsch“ unterhalten können.
H.-P. K.: Sie haben in einem Interview, noch in Köln, gesagt, sich zu verbiegen lohne sich nie…
B.K.: Sie meinen künstlerisch…oder?
H.-P. K.: In dem Interview ist es als Generalbemerkung zu lesen. Wahrscheinlich gilt das in Ihrer Interpretation für das gesamte Leben, nicht nur für die Kunst?
B.K.: Ja, das ist so eine Sache. Als ich hierher nach Hamburg kam, wurde ich in Eingangsinterviews häufig nach meinem Profil gefragt. Da hieß es, Kampnagel sei so und so, das Thalia so und so, das Ernst Deutsch Theater so und so…..etc. Ich habe immer gesagt: Das ist für mich keine Herangehensweise, zu beobachten, was die anderen Theater machen und suche mir dann eine Lücke für mein Profil, für meine Auffassung von Kunst. Die Kulturpolitiker der Stadt Hamburg, die damals auf mich zugekommen sind, kannten mein Profil. Und bei dem bleibe ich! Ich werde hier an der Elbe nicht ein völlig anderes entwickeln als am Rhein, denn das speist sich ja, unabhängig von Ort und Theater aus der künstlerischen Biographie (Von der Regisseurin zur Intendantin) und ist, denke ich, daraus ablesbar. Ob es Doppelungen mit anderen Theatern in der Stadt gibt, ist völlig wurscht.
H.-P.K.: Also für Sie uninteressant !
K.B.: Ich will innerlich und äußerlich bei mir bleiben, ist das falsch?
H.-P. K.: Gewiss nicht, nein! Deshalb haben Sie ja in Ihren Verhandlungen mit den hanseatischen Pfeffersäcken im Rathaus alles erreicht, was Ihrem Vorgänger (dessen künstlerisches Bewusstsein ja ebenfalls unbestritten ist ), Frank Schirmer, nicht gewährt wurde. Dann kam Karin Beier, die sich nicht verbiegen will und erhielt alles, woran Schirmer scheiterte, (sodass er sich – trotz anders gearteter Ratschläge guter Freunde – durch seinen Rücktritt opfern zu müssen glaubte), und erhielt alles eingelöst, ja, mehr noch. Das liegt unter anderem daran, dass die Hamburg Regierenden seit Jahrhunderten sich eher mit Kunst schmücken möchten als sie für wirklich notwendig im Sinne des Fortbestehens einer demokratischen Gesellschaft zu halten.
Im Kontext des durch Sie Erreichten möchte ich Sie etwas Technisches fragen: Was hat es auf sich mit diesem Wahnsinnsbühnenturm, der das über einhundert Jahre alte Haus – im architektonischen Sinn – ja nicht unbedingt ziert und, wie Sie selber öffentlich verkündet haben, noch immer nicht seine Funktion erfüllt?
K.B.: Also, die Sanierung beinhaltet ja nicht nur die Obermaschinerie im Bühnenturm, sondern auch die völlig marode Untermaschinerie. Lassen Sie es mich in einer Analogie sagen: Bei Vertragsabschluss hat man mir einen Ferrari versprochen, im Augenblick aber fahren wir noch in einem Trabi. Das liegt vornehmlich daran, dass die Sanierungskosten bereits während der Planungsphase abgespeckt wurden, was meistens in die Hose geht, wie wir alle wissen. Dann passieren auf der Strecke zig Fehler, weil man dies und jenes weglässt. Die Mängel durch die Überhitzung der Obermaschinerie werden zwar gegenwärtig beseitigt, verursachen aber zusätzliche Kosten. Es muss nämlich jetzt eine Kühlanlage eingebaut werden, weil niemand bei der ursprünglichen Planung auf die Idee kam, dass es oben im Bühnenturm im Sommer durchaus warm werden kann, was für sensible, computergesteuerte Technik katastrophale ist.
H.-P. K.: Aber Sie haben doch den in der Szene als außerordentlich tüchtigen und begabten Technischen Direktor Reiner Darr vom Württembergischen Staatstheater Stuttgart in Ihrem Leitungsteam ? Woher kannten Sie sich? Durch Schirmer, der jenes Theater in der Schwabenmetropole ja leitete, bevor es ihn an die Elbe verschlug?
K.B.: Darr war eine Empfehlung meines leitenden Dramaturgen. Ich kannte ihn vorher nicht. Darr macht im Augenblick immer noch Baustellenbetreuung u n d die technische Leitung des Hauses für unsere Produktionen. Was der leistet, ist immens, ich habe immer Angst, dass er eines Tages kolabiert !
H.-P. K.: Ein hohes Lob aus Intendantenmund für einen so wichtiges Mitglied des Leitungsteams an der Kirchenallee.
K.B.: Wissen Sie, man kann keine Arbeitsleitung von einer Person abkoppeln, die sie erbringt. Dafür steckt einfach zu viel Lebensenergie darin. Wir am Theater sind ja daran gewöhnt, permanent öffentlich für unsere Arbeit benotet zu werden.
H.P.-K.: Sie sprechen von Kritiken und Rezensionen. Wie gehen Sie damit um ?
K.B.: Manchmal ist es sehr schön, wenn die Noten gut sind. Andererseits kann es hässlich werden, wenn sie mäßig bis schlecht ausfallen. Ich habe es mir im Laufe der Jahre abgewöhnt, schon lange, bevor ich Intendantin wurde, Rezensionen zu lesen, weil verbale und geschriebene Verletzungen nachhaltig sind. Darüber hinaus habe ich irgendwann bemerkt, dass gute Kritiken nur zur Erleichterung führen, aber nicht mehr wirklich Freude hervorrufen können. Also, das Grämen ist schnell da, die Freude aber bleibt aus. Folgerichtig begann ich, mich zu schützen. Der Kritiker muss scharf und mit Biss schreiben dürfen. Das ist sein Ethos. Nur leider bin ich noch nicht cool genug, um das zu ertragen, werde es aber vielleicht eines Tages schaffen.
H.P. K.: Liebe Frau Beier : Dank für unser Gespräch!
( Das Interview führte Hans-Peter Kurr)