Corona, Cofefe oder guten Morgen Bruno Gröning

Wenn man den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht
Bild: Reimer Boy Eilers

#Staywoke. Corona ist genauso wie Cofefe. Experten versuchen sich an Erklärungen, doch wir Alltagsmenschen schütteln erst einmal den Kopf und fragen uns einfach: Wie konnte das geschehen? Will man Corona verstehen, ist es durchaus hilfreich, sich Cofefe anzuschauen. Beide waren bis vor kurzem völlig unbekannt, dann erschienen sie am Horizont unserer Wahrnehmung und warteten nicht lange. Sie verbreiteten sich mit viralem Tempo über den Planeten.

Corona kam aus Wuhan zu uns, genauer, vom dortigen Wildtier-Großmarkt, Cofefe entwich dem Weißen Haus. Corona ist ein Lebewesen, Cofefe seine Parallele im Wortreich, es ist ein Wortwesen. Genauer gesagt, ist Cofefe eine Mutation des Wortes Covfefe – von Donald Trump, am 31. Mai 2017, um sechs Minuten nach Mitternacht mit einem Tweet in die Welt gesetzt. Er twitterte: „Despite the constant negative press covfefe.“ Trotz der ständig negativen Presse Covfefe.

Als ich jünger war, hörten wir den Song: „Am 30. Mai ist der Weltuntergang, wir leben nicht mehr lang, wir leben nicht mehr lang …“ Nun ja, mit dem 31. sind wir noch einmal haarscharf davongekommen, sieben Minuten trennten uns vom ominösen Vortag, aber alles ist in der Pandemie mit allem verknüpft, natürlich ist nicht nur der Tag, sondern auch die Uhrzeit für die Geburt von Covfefe von Belang, um Mitternacht, wenn der Schadenszauber seine Flügel breitet und die bösen Wünsche fliegen. Coronas Geburt liegt leider noch ein wenig im Ungefähren, doch ich würde drauf wetten, dass sie an einem der Weihnachtstage des Jahres 2019 „um Mitternacht“ geschah.

Wundern sollte sich niemand über die Parallelen im Wort- und Virenreich. Die Variante Cofefe ist eine Optimierung unter rein virologischen und pandemischen Aspekten. Die Mutation hat sich dem Menschen angepasst, sie geht glatter über die Zunge und hilft damit ihrer Verbreitung. Als Internet Meme verteilten sich beide Varianten augenblicks im digitalen Universum.

Bleiben wir noch einen Moment bei der Geburt. Sie ist etwas sehr anderes als die Verbreitung. Zuschlagen kann das Virus an jeden Ort und in den unterschiedlichsten Situationen. Wir alle sind das Zielobjekt viraler Attacken, in diesem Text künftig Ziviatt genannt. Doch die Geburt des Virus verlangt nach sehr besonderen Umständen. Nötig ist ein ungesundes wuseliges Treibhausklima voller divergentem menschlichen Verhalten, das in Endlosschleifen und auf engstem Raum um sich selber kreist und auf keine guten Ratschläge hört. Mit anderen Worten, es ist ein soziales Rührwerk, das als perfekter Brutreaktor fungiert. Ob Wildtiermarkt in Wuhan oder Weißes Haus unter Trump, aus virologischer Sicht konstatiert das aufgeschreckte Ziviatt: Passt schon! Wie rührend ist das denn? Fuck …

Fledermäuse und Schuppentiere

Apropos chinesischer Wildtiermarkt, da haben wir uns also einen großen Grabbeltisch mit Shopping zwischen Fledermäusen und Schuppentieren vorzustellen. Es heißt von berufener Seite, dass Artensterben, Umweltverschmutzung und Klimawandel das Virus begünstigen, wenn es im Begriff steht, vom Tier auf den Menschen überzuspringen. Im Weißen Haus sind das alles in den letzten Jahren Gähnthemen gewesen: entweder es gibt sie nicht oder nicht so wichtig. Vielleicht ist Cofefe also einfach ein Gruß von einem Viren-Hotspot zum anderen. Hi, Wuhan! Hau rein! Cofefe! Mir gefällt diese Erklärung.

Nun könnte ein allzu kluger Kopf oder sagen wir gleich, ein Schlaumeier, einwenden: Wie kann das angehen, wenn zwischen Cofefe und Wuhan zwei Jahre liegen? Aber das ist Old School, zu jeder Pandemie gehören alternative Fakten, und ich hege die Vorstellung, dass beide lange voneinander ahnten, Wuhan und das Weiße Haus. Manchmal brauchen Grüße so lange, um anzukommen, dann werden sie umso mehr geschätzt. Cofefe!

Natürlich wird der Betreiber eines sozialen Rührwerks, dem ein Virus entfleucht ist, das niemals zugeben. Hat man jemals von einem Beteiligten an einer Wirtshausschlägerei gehört, der gesagt hätte: Hallo, ich war’s! Ich habe angefangen. Die ganzen ausgeschlagenen Zähne nehme ich auf meine Kappe … Das wäre wohl ein Wunder. In Wuhan wurde der Arzt, der als erster auf Corona hingewiesen hatte, von den Behörden schikaniert. Als ob Shakespeare seine Hand im Spiel gehabt hätte, ist er am Ende sogar an dem Virus gestorben. Wir wollen ihn nicht vergessen, sondern ihn im Abspann nennen, Li Wenliang wurde nur 34 Jahre alt.

Den chinesischen Autoritäten hat das Leugnen wenig genützt. Wuhan wurde zur Geisterstadt. Auf den Intensivstationen brachen Ärzte vor Erschöpfung zusammen. Die ganze Welt mühte sich, ihre Grenzen vor dem Unheil aus Wuhan zu schließen.

Virenpate Donald Trump verfolgte eine andere Strategie. Er leugnete zwar nicht die Existenz von Cofefe, das wäre angesichts der massenhaften Retweets auch schlecht gegangen, aber er deutete seine Natur um und sprach von einem durchaus normalen Wort. Kein Keimling also – und basta! Ein Wort ohne Risiken und Nebenwirkungen. Mit dieser Botschaft schickte er seinen Pressesprecher ins Getümmel. Die Stimme des Weißen Hauses, Sean Spicer, sagte am Tag nach dem Tweet bei einem Journalistenbriefing: „Der Präsident und ein kleiner Personenkreis wissen ganz genau, was er gemeint hat.“

Mein Versuch, Cofefe zu deuten, ist nur einer unter vielen. Und da bin ich keineswegs traurig drum, im Gegenteil, die Welt der Viren ist bunt, wenngleich nicht immer zur Freude des menschliches Auges. Eine Unzahl von Ziviatten hat sich mittlerweile ihre eigenen Gedanken gemacht, viele haben ihren Weg ins Urban Dictionary gefunden. Für mich ist es also der Gruß rüber nach Wuhan. Beliebt im Netz sind auch folgende Auslegungen des Memes:

Der Versuch, klug rüberzukommen, wenn du nicht weißt, was Sache ist

Beispiel: Ich habe dem Robert-Koch-Institut grundlegende Fehler nachgewiesen, alles Cofefe.
Die Welt mit Tippfehlern ablenken, während man ihr gehörig eins auswischt.
Beispiel: Das Pariser Klimaabkommen ist heiße Luft. Wir bauen zehn neue Kohlekraftwerke. Cofefe!
Der Versuch, den Antichrist und seine Helfershelfer anzurufen.
Beispiel: Ich bin die Stimme der Bewegung. Fort mit der Lügenpresse! Pandemie? Bullshit. Ich kann es richten. Cofefe!

Was lernt der Ziviatt noch von Cofefe? Eine der förderlichsten Umweltbedingungen für seine Verbreitung liegt im sturen, uneinsichtigen, besserwisserischen und testosterongetränkten Verhalten seines Trägers. Insofern kann das Wortvirus seinem Geschick nicht genug danken, dass es auf den Potus Trump traf. (Potus hört sich irgendwie wie ein neuer Virus an, meint aber nur President of the United States.) Wäre Cofefe stattdessen einem Tweet von Joe Biden entfleucht, und der neue Präsident hätte gegrinst und gesagt: „Sorry, hab mich vertippt.“ – das Wortvirus wäre augenblicks wieder aus dieser Welt verschwunden. Trump dagegen, großmäulig wie ein Megaphon und unfähig, auch nur den kleinsten Fehler einzugestehen, war der ideale Superspreader.

Reisen wir mit den Viren von Wuhan übers Weiße Haus nach Deutschland. Die Corona-Pandemie, sagt die Kanzlerin, ist die größte Herausforderung für unsere Gesellschaft seit dem Zweiten Weltkrieg. Angela Merkel ist eine kluge Frau, und deshalb tun wir gut daran, uns in diese Epoche zu begeben und zu gucken, ob sie uns etwas zur Erhellung unserer Zeiten zu sagen hat. Was hat die Verheerung der Gesellschaft nach 1945 in den Köpfen ihrer Menschen bewirkt? Es muss nicht immer Pest und Mittelalter sein, auf die wir als Mahnung panisch und pandemisch schauen.

Wenn die Realität keinen Sinn mehr macht, flüchtet man aus ihr. Auf Dauer ist das womöglich unklug, doch über kurze Frist leuchtet es durchaus ein. Die hellsichtige – Hellseherin? – Hannah Arendt beschrieb den Urlaub von der Wirklichkeit, den sich viele Deutsche nach dem verlorenen Krieg nahmen, sie hatten einfach keinen Bock mehr darauf, „zwischen Fakten und Meinungen zu unterscheiden“. Wer wollte schon dem Schrecken, den die Deutschen angerichtet hatten, und dem Elend, das dann folgte, unverblümt ins Auge sehen? Nö, man hatte nichts gewusst, und schuld war man schon gar nicht.

Da hatte parallel zu Wirtschaftswunderzeiten eher der Wunderheiler Bruno Gröning Konjunktur. Seine Diagnose: „Jedes Wohnhaus ist ein Krankenhaus.“

Hexenverfolgung und Marienerscheinungen

Und damit hatte er vermutlich recht, jenseits der Spekulation auf einen großen Markt für seine Kunst. Oder hatte der Nationalsozialismus etwa nicht die Seelen der Deutschen zerstört? Die amerikanische Historikerin Monica Black von der University of Tennessee, die zu Bruno Gröning geforscht hat, berichtet, dass die Zahl der Hexenverfolgungen und Marienerscheinungen im Nachkriegsdeutschland rasant anstieg. Da füllte der deutsche Medicus des Supranaturalen, des Übernatürlichen, eine schmerzliche Lücke. Bruno Gröning konnte einen göttlichen „Heilfluss“, den er als Alternative zum herrschenden Elend versprach, in Richtung Seelenkur lenken. Seinen unübersehbaren Kropf verstand er selbst als „Schwellung durch ebendiese Kraft“. Der Heilfluss strömt bis heute. Immer noch besteht der Bruno-Gröning-Freundeskreis und rührt im Heilenden. Cofefe!

Wenn die Situation in einem Land allzu brenzlig wird, ist es quasi zwangsläufig, auf die Frage nach den Fakten ein übel riechendes Häuflein zu setzen und sich erfreulicheren Fantasien zuzuwenden. Ein berühmter Vorgänger und geistiger Ziehvater des Trumpschen Pressesprechers Sean Spicer war Comical Ali, wie ihn die Weltgemeinschaft taufte. Spicers Kollege befand sich seinerzeit, es war 2003, in Diensten von Saddam Hussein. Als die amerikanischen Truppen bei der Invasion des Iraks unmittelbar vor der Hauptstadt standen, erklärte der Informationsminister Mohammed Saif al-Sahaf aka Comical Ali: „Bagdad ist sicher. Die Ungläubigen begehen zu Hunderten Selbstmord vor den Toren der Stadt.“ Sehr komisch, aber oho!

Und nun von dem Ausflug in die Weltpolitik wieder zu uns nach Hause. Das Ziviatt ist durch zwei Eigenschaften gekennzeichnet: seine Verwundbarkeit und seine Angst. Beides ist natürlich miteinander verschränkt und führt über die schlechte Laune und schlechtes Benehmen in die Depression. Was kann der Mensch tun, um sich besser zu fühlen? Verdammt, dieses Virus ist so was von Cofefe! Ich respektiere das. Der Reiche hat objektive Möglichkeiten, nehmen wir als kulturelles Paradigma nur das florentinische Dekameron. Wer Ressourcen hat, kann sich isolieren, ohne groß auf Annehmlichkeiten zu verzichten. Er kann sich dabei sogar gut unterhalten.

Das schlechtbemittelte Ziviatt wird in das Reich der Wünsche und der Magie ausweichen. Entweder spielen wir die Gefahr des Virus herunter oder wir erhöhen auf spirituelle Weise unsere Unverwundbarkeit, am besten wirkt eine Kombination von beidem. Und bloß keine Maske tragen! Denn damit konstatiert das Ziviatt nur in aller Öffentlichkeit das Gegenteil. Der Maskenträger symbolisiert nichts als Stress und eigene Verwundbarkeit. Man wird ihn für krank und gefährlich halten. Das macht aggressiv, das Ziviatt möchte im Angesicht der Maske spucken wie ein Lama.

#Staywoke. Was lernen wir daraus? Das Ziviatt tröstet sich mit einer gesicherten Erkenntnis. Wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt irgendwo ein Comical Ali daher. Cofefe!

 

 

THE ENGLISH THEATRE SUMMER FESTIVAL

Poster (c) ETH

The English Theatre of Hamburg is finally opening again and invites its guests to its most inspiring SUMMER FESTIVAL.
Please read the message:

Dear guests,
we are finally opening again! And not only that – we are more than happy to announce the first ever THE ENGLISH THEATRE SUMMER FESTIVAL, It will be held between the 2nd of June to the 14th of August. After that our scheduled new season in September will commence.

50 Shades of Fairytales poster c) ETH

The programme for our Summer Festival is packed with exciting performances covering everything from plays to galas and special professional impro shows! Ticket sales already started on June 14. Subscribers can redeem their existing subscription vouchers for the Summer Festival. Please do so via phone, by mail, in person at the box office or online. Our box office already opened on June 14 and will be open daily from Mondays to Fridays from 10:00 to 14:00. It also opens Tuesdays and Sundays from 15:30 to 19:30. We are looking forward to seeing you again very soon.

Tickets under phone number 040 – 227 70 89, online www.englishtheatre. de

The Summer Festival programme is very rich and diversified. Just have a look and make your choice.

The Summer Festival programme
FLOY (photo by Svea Ingwersen)

While “The Barbra Streisand Songbook” starring Suzanne Dowaliby will be performed on July 17 and 18, “Me, Myself and Janis Joplin” starring Floy is scheduled for July 20 to July 25. Two one-woman-shows starring two well-known actresses will convince you of their exceptional talent in the parts of Streisand and Joplin. Also don’t miss

English Lovers” and enjoy finest high quality impro theatre at its best on August 3 to August 8. And come to see “HAP”, world premiere of BAFTA awarded playwright John Foster, from 27 July to 1 August. Here’s a brief summery of the plot: Meet Hap. Despite all attempts to be a miserablist she can’t ever be unhappy. Unhappy, at being happy, she visits Doctor Marples seeking a cure. Doctor Marples, herself desperate for joy doesn’t know how to be happy. This hilarious and quirky comedy about our modern obsession with the pursuit of happiness, shows two very different , city-slicker women on either end of the slippery therapist’s couch. Despite the ongoing monotony of Brexit, Corona and takeaways-for-one. Hap and her doctor find, to their surprise giggles and romance in the most unlikely places – the therapist’s couch.

We are sure that you will greatly enjoy this comedy, directed by Paul Glaser, and leave the theatre in high spirits.

Sorry, but we have to pester you with the compulsory safety rules.

  • As before the closure, we are only allowed to receive a limited number of people.
  • We are allowed to sell tickets in the “chessboard system”, which means that we always leave one seat free between an occupied seat.
  • Masks are still compulsory. This time also at the square.
  • Our bar is now open again. Our guests are allowed to consume their drinks on their seats.
  • An official negative coronatest is also compulsory (not older than 48 hours). You can also have it done directly next to the box office, at the official testing point. The colleagues at the pharmacy are happy to offer us this service. The test should be carried out by 19:00 at the latest. You can book an appointment under the link below or scan the QR code on the left.
    Time Travel (c) ETH

    Anyway, have a good time, enjoy the performances at the ETH and the fine weather.

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Summer-Festival im English Theatre of Hamburg

Poster (c) ETH

Endlich! Es ist soweit: Das English Theatre of Hamburg öffnet wieder seine Pforten.
In diesem Sommer wartet das ETH zum ersten Mal seit seiner Gründung mit einem Summer-Festival auf. Das ist ein absolutes Novum. In der Vergangenheit ging das English Theatre wie alle anderen Spielstätten bundesweit für drei Monate in die Theater-Ferien und eröffnete erst im September mit einem neuen Spielplan die Herbst- und Wintersaison.

 

Vorhang auf für einen ganz speziellen Mix aus Schauspiel, Shows und Performances, der am 2. Juli beginnt und am 14. August dieses Jahres endet.

Wie üblich, wird wieder eine Reihe großartiger, handverlesener Darsteller aus dem anglophonen Sprachraum das geneigte Publikum unterhalten.

Das Programm:

Gayle Tuffts mit der Comedy-Show „American Woman“: 2. – 4.7.

50 Shades of Fairytales poster c) ETH

Titilayo Adedokun in “Fifty Shades of Fairy Tales”: 6. – 11.7.

Jefferson Bond mit einem Stand-up Double Feature: 13. – 16. 7.

Suzanne Dowaliby mit einer Barbra-Streisand- Gala: 17/18. Juli

Floy mit „Janis Joplin“ (ebenfalls eine Gala): 20. – 25.7.

FLOY (photo by Svea Ingwersen)

 

Das Theaterstück „Hap“ unter der Leitung von Paul Glaser: 27. 7. – 1.8.

„English Lovers“ (professionelles Improtheater aus Wien: 3. – 8.8.

Joanne Bell mit einer exklusiven Show: 10. – 14.8.

 

 

Time Travel (c) ETH

Wir sind froh, unseren Zuschauern während dieses Summer-Festivals eine Auswahl außergewöhnlicher Vorstellungen bieten zu können. Aufgrund der aktuellen Lage sind (kurzfristige) Änderungen leider nicht auszuschließen. Natürlich werden wir alles versuchen, uns strikt an den Spielplan zu halten. Langer Rede kurzer Sinn: Wir freuen uns auf Sie. Also – demnächst in diesem Theater!

Tickets unter der Telefonnummer 040 – 227 70 89 oder online www.englishtheatre.de

Liebesgrüße à la carte 

Seit es die Fotografie gibt, haben viele Künstler die Lust verloren, sich mit Motiven des Sports zu befassen.

Hand aufs Herz: Wann haben Sie zuletzt eine Postkarte von Ihrem letzten Fußball-; Handball-; Tennis- oder Golftrip an ihre Lieben daheim verschickt? Im Zeitalter der digitalen Medien und  Smartphones haben nicht nur wir, sondern auch viele Künstler die Lust verloren, sich mit Postkarten zu befassen. Maler und Zeichner um die Jahrhundertwende waren da inspirierter und kreativer. Sie machten Postkarten zu Kunstwerken. So erzielten beispielsweise Ansichtskarten mit Szenen aus der feinen Tennis- oder Golfwelt in elitären Kreisen riesige Auflagen. In der großen Zeit ihrer Herstellung (zwischen 1900 und 1914) wurde zum Teil soviel Aufwand an Drucktechnik und Handarbeit in jede einzelne Postkarte gelegt, das alles, was danach kam, „billig“ erscheint.

Postkarten im Sean Arnolds Sporting Antiques Museum

Die kostbarsten Postkarten-Raritäten als Spiegel der damaligen Zeit kann man, wenn nicht gerade in England wieder mal Lockdown ist, in Sean Arnolds Sporting Antiques Museum in London Notting Hill besichtigen und kaufen. Das Privileg, von dem deutschsprechenden Iren Arnold durch sein Golfmuseum geführt zu werden, genießt der Kunstliebhaber ehrfurchtsvoll. In einem alten viktorianischen Haus in der Artesian Road no.1 (London W25DL) wacht der 78-jährige Arnold über wahre Schätze antiker Sportkunst. Für Liebhaber sportlicher Antiquitäten aus den Gründerjahren bis hin zur Jahrhundertwende ist sein Name fast so klangvoll wie „Sotheby’s“ in der Bond Street oder „Christie’s“ in der Kings Street.

Der Deutsch-Ire sammelt seit 40 Jahren Sportantiquitäten, kauft und verkauft alles, was mit Fußball, Golf, Polo, Kricket und Tennis zu tun hat. Im Haus seines Onkels fand der ehemalige Highfidelity-Experte seine erste rund 100 Jahre alte Golfsammlung: „Nichts Hochkarätiges, aber toll.“ Der Onkel schenkte dem Neffen die kostbaren Stücke – der Beginn einer Obsession.

Ölgemälde, Stiche, Lithographien, Radierungen, Zeichnungen, Keramiken, Silber, Lederköcher, Münzen, Bälle, Spiele, Schmuck und Fotos geben einen Überblick über die Anfänge von Polo, Tennis, Golf und Fußball. Das Privileg, von Sean Arnold (nur nach telefonischer Vereinbarung (Tel.:+ 44 207 221 2267; Mob.07712 005017 ) durch dieses Golf-Museum geführt zu werden, genießt jeder Antiquitätenliebhaber ehrfurchtsvoll. Man bewundert andächtig eine mit Golfbällen aus Diamantsplittern besetzte Brosche und kniet prüfend vor einem alten Golfköcher – das gute Stück von 1925 soll 300 Pfund kosten. Es ist schon faszinierend, wie viel „Sport aus der Zeit“ man bei Sean Arnold – auch zu Schnäppchenpreisen  in seinem Shop in 23 High St. Aldershot GU11 in – findet.

Die Postkarte galt als schnellstes Kontaktmittel

In einem alten Bildband von der Hobby-Engländerin Helen Exley „Faszination Golf“ findet man die schönsten Postkarten der Jahrhundertwende zusammengefasst (ISBN ‎ 3897135809); Schläger und Arm flott in die Höhe geschwungen, das Kleid schicklich bodenlang, und unbequem figurbetont, die Beinstellung graziös dargeboten – so  (und anders) posierten die Nostalgie-Proetten mit oder ohne ihren Galan im Golfdress für die Maler. Kaum mehr vorstellbar, aber es war so: Als das Telefon noch nicht im Schwange war, galt die Postkarte als schnellstes Kontaktmittel. Zustellung häufig am Tage der Absendung. Der Postbote der Jahrhundertwende bekam oft Einblick in die Intimsphäre.

Dabei war es bis Mitte des 19.Jahrhunderts noch undenkbar, versiegelte Mitteilungen, die man Kurieren, Boten oder der Post für viel Geld anvertraute, den Blicken Unbefugter offenzulegen. Eine Änderung wurde erst möglich, als immer mehr Menschen Lesen und Schreiben gelernt hatten, der Postversand billiger und somit auch mehr Briefe geschrieben und verschickt werden konnten.

Am 1. März 1872 führte die Postverwaltung des Norddeutschen Bundes erstmals eine „Korrespondenzkarte“ für Mitteilungen ein. Format 10,8 x 16,3 cm. Bildpostkarten kamen um 1875 auf. Beliebte Motive waren „sinnbildliche“ Darstellungen, die mit der schriftlichen Nachricht  meistens übereinstimmen sollten: Verliebtes, Niedliches, Satirisches, Sportliches. Aber auch Glück, Glaube, Hoffnung und Trauer wurden von Postkartensammlern „versandfähig“ dargestellt.

Um die Jahrhundertwende kam es in Mode, auf den bunten Sportmotiv-Karten nicht nur Grüße in gestochener Schreibschrift zu versenden. In feinen Kreisen traf man seine Golf-Verabredungen postalisch kurz in Stenographie. Damit wurde Unbefugten das Lesen erschwert, der Platz optimal für noch intimere Nachrichten genutzt – zum Beispiel die Aufforderung zu einen „Flight a deux“. Oder: Die Botschaft skurril verpackt – Postkartenmotive mit schwarzem Humor waren unter Gentlemen-Golfern durchaus in Mode. Die Auflagenhöhe der „Liebesgrüße à la carte“ überschritt Anfang des 20.Jahrhunderts die Millionenhöhe. Der Absatz der gemalten Köstlichkeiten war um so besser gesichert, als diese keineswegs nur verschickt sondern auch leidenschaftlich gesammelt wurden – eine gute Wertanlage. Bereits 1897 beschäftigten sich mehr als ein Dutzend hervorragender lithografischer Anstalten ausschließlich mit der Herstellung von Bildpostkarten.

e-mail:seanarnoldantiques@hotmail.co.uk
Shop: 23 High St. Aldershot GU11; 1BH, Vereinigtes Königreich

 

 

 

Kaffeeklatsch à la carte

Foto: Antje von Hein

Es gibt Träume, aus denen man gar nicht mehr erwachen möchte. Um es mit Goethen zu sagen: „Verweile doch, du bist so schön.“ Am Muttertag hatte ich Blumen auf das Familiengrab gestellt und eine stille Zwiesprache mit meinem geliebten, bereits vor über fünfzehn Jahren verschiedenen Mütterchen gehalten. Müde geworden, ließ ich mich auf der Bank neben dem Grab nieder und fiel alsbald in einen süßen Traum. Ich saß bei hellem Sonnenschein auf der Terrasse eines Cafés am Strand der Ostsee, einen dampfenden Capuccino und ein großes Stück Nusstorte vor mir. Als ich gerade lustvoll die Kuchengabel zum Munde führen wollte, wurde ich durch einen erregten Wortwechsel brutal aus meinem Traum gerissen. Eine alte Frau in Seemannskluft, den Südwester keck auf dem schlohweißen Haarschopf, unterhielt sich lautstark am Handy mit einem unsichtbaren Partner, der sich partout nicht ihrer Meinung über Grabschmuck und Blumenerde anschließen wollte. Obgleich einige Friedhofsbesucher der Frau Handzeichen machten, ihre Stimme um einige Dezibel zu senken, fuhr diese unbeirrt in ihren Tiraden fort. Als ich sie später an der Bushaltestelle wieder traf, schenkte sie mir ein breites Lächeln und sagte: „Tut mir echt leid, dass ich ein bisschen laut war. Aber mein Mann ist fast taub. Und ich habe den größten Teil meines Lebens auf einem Markt gearbeitet. Und wer da Erfolg haben will, muss schon mal die Stimme heben.“ Das erklärte natürlich alles. Ich stellte mir die Frau im Geiste auf dem Fischmarkt vor, wo sie mit Stentorstimme Aale oder Bananen unter das Volk brachte. „Na dann man tschüüüs,“ rief sie mir zu, sprang behände aus dem Bus und zündete sich eine Zigarette an, deren Rauch sie genüsslich inhalierte. „Ich geh’ jetzt zu meinem Ede, der hat schon den Tisch gedeckt und Kaffee gekocht,“ ergänzte sie ihren Monolog, „und holen Sie sich man auch irgendwo nen Becher. Tut doch echt gut nach all den ollen Gräbern.“

„Tempora mutantur et nos mutamur in illis”, sagt der Lateiner. In der Tat, die Zeiten haben sich geändert, und wir haben uns ihnen wohl oder übel anpassen müssen. Statt eines gepflegten „Konditerns“ an Marmortischen, wie meine Eltern weiland Besuche in Cafés nannten, stehen wir heute auf der Straße, den Plastikbecher mit dem heißen Kaffee in der rechten und einem Stück Gebäck in der linken Hand. „Da musst du schon ganz schön balancieren, damit du dir das Gesöff nicht über den Pelz kippst“, scherzte unlängst eine Freundin und verbrannte sich prompt die Hand. Dabei fällt mir der verballhornte Text eines Schlagers aus den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts ein, den meine Mutter mit ihren Freundinnen in fröhlicher Runde zu singen pflegte: „In einer kleinen Konditorei, da saßen wir zwei und fraßen für drei.“ Tja, mit Sitzen ist es ja zurzeit auch nichts. Stehen auch nur unter Vorbehalt. Stand ich mit zwei Freundinnen doch unlängst in der äußersten Ecke des Europa Centers. Kein Mensch weit und breit. Nichts Böses ahnend nippten wir an unserem Kaffee, als zwei sich martialisch gebärdende Männer in Uniform mit großen Schritten auf uns zukamen und uns aufforderten, sofort das Center zu verlassen. Unser Argument, es sei doch niemand hier außer uns wurde mit einem schroffen „Vorschrift ist Vorschrift“ abgeblockt. Wir fanden uns also bei strömendem Regen auf der Straße wieder. Aber Not macht bekanntlich erfinderisch. Hatte nicht Birgit ihren schicken BMW in einer Nebenstraße ganz in der Nähe geparkt. Eilig schritten wir zur Tat und genossen einen außerordentlich unterhaltsamen Kaffeeklatsch in wohliger Wärme bei dezenter Musik im Auto. In bester Laune machten wir uns später auf den Heimweg. „Es geht auch anders, doch so geht es auch“, heißt es in Bert Brechts Dreigroschenoper. So ist es. Die Erfahrung während der Coronakrise hat uns gelehrt, die gewohnten Pfade zu verlassen und andere Wege zu beschreiten. Zugegeben, unser Kaffeeklatsch im Auto war lustig und originell. Dennoch wiegt er in keiner Weise den Besuch eines Cafés auf. Denn da sitzen wir entspannt an einem Tisch, lassen uns bedienen und kommunizieren mit anderen Menschen. Dies ist die Freiheit, nach der wir uns sehnen und die wir so schnell wie möglich zurück haben wollen. Amen.

Die Frau, die König Ludwig I. die Krone kostete

Joseph Karl Stieler_-Lola Montez (gemeinfrei)

Vor 200 Jahren kam die „bayerische Pompadour“ zur Welt, die nicht aus Spanien kam, sondern aus Irland und eigentlich Elizabeth Rosanna Gilbert hieß

Lola Montez wird als „bayerische Pompadour“ bezeichnet. Dabei hat die Tänzerin auch gewisse Ähnlichkeit mit Mata Hari. Bei beiden war die Herkunft nicht so exotisch, wie sie behaupteten, sondern eher verwirrend. Bei beiden war der Tanz eher erotisch als künstlerisch. Beide hatten in ihren besten Jahren den Körper und die Ausstrahlung, die Männer um den Finger zu wickeln. Und beiden war ein Altern in Würde missgönnt.

Lola Montez kam ebenso wenig aus Spanien wie Mata Hari aus Indonesien. Vielmehr kam auch sie aus der nördlichen Hälfte Europas. Wie „Mata Hari“ war auch „Lola Montez“ ein Künstlername. Als Elizabeth Rosanna Gilbert kam die Tochter eines schottischen Offiziers und einer irischen Landadeligen vor 200 Jahren, am 17. Februar 1821, im nordwestirischen Grange zur Welt. Früh wurde sie Halbwaise. Nachdem die Familie 1822 nach Kalkutta umgezogen war, starb ihr Vater an der Cholera. Unterschiedliche Ersatzväter taten sich schwer mit ihr und schließlich landete sie in einem Internat. Nach der Schulausbildung sollte sie mit 16 Jahren eine Vernunftehe mit einem Richter eingehen. Um dem zu entgehen, brannte sie mit dem englischen Offizier Thomas James nach Irland durch. Dort heirateten die beiden und gingen dann nach Indien. Nach drei Jahren trennte sich das Paar allerdings wieder. Montez kehrte nach Europa zurück und nahm in London Schauspiel- und Tanzunterricht.

Nun gab sich die gebürtige Irin ihr spanisches Image. Sie ließ sich von einem spanischen Tanzlehrer unterrichten, lernte die spanische Sprache und spanische Tänze und beendete ihre Ausbildung mit einem Spanienaufenthalt. 1843 kam sie als die vorgebliche spanische Tänzerin aus Sevilla Maria de los Dolores Porrys y Montez oder kurz Lola Montez nach London zurück. Dabei kam ihr schließlich das Spanienfai­ble entgegen, das die 1847 erschienene Novelle „Carmen“ des französischen Schriftstellers Prosper Mérimée auslöste.

Das Debüt in London verlief zwar erfolgreich, aber ihre wahre Identität wurde entdeckt und sie sah sich gezwungen zu fliehen. Es begann eine Flucht durch Europa voller Skandale. In Thüringen hatte sie eine Affäre mit dem Fürsten Reuß zu Lobenstein und Ebersdorf. In Berlin tanzte sie vor dem preußischen König und dem russischen Zaren. In Warschau löste sie Tumulte aus, indem sie sich mit den polnischen Separatisten solidarisierte. Franz Liszt begleitete sie nach Paris. Auch in der Seine-Metropole erregte sie Aufsehen. Dort kostete sie den Redakteur der dortigen Zeitung „Le Press“ Alexandre Dujarier das Leben, der in einem Duell erschossen wurde, das er um ihretwillen gefordert hatte.

Umtriebige Tänzerin

Nach dieser Affäre verließ Lola Montez 1845 Paris und landete schließlich 1846 in München. Da der Intendant der dortigen Hofbühne sie hatte abblitzen lassen, versuchte sie es am 7. Oktober direkt beim König. Angesichts ihres prallen Mieders soll dieser gefragt haben: „Natur oder Kunst?“ Statt zu antworten, soll sie mit einem Brieföffner ihr Mieder aufgeschnitten und damit dem dreieinhalb Jahrzehnte Älteren die Möglichkeit geboten haben, sich selbst ein Bild zu machen.

Das mag ein Gerücht sein. Fakt ist, dass Ludwig I. auf Lola Montez ähnlich begeistert reagierte wie sein Enkel und späterer Nachfolger Ludwig II. auf Richard Wagner, nur etwas weniger platonisch. Er ließ sie nicht nur in München auftreten, sondern beschenkte sie großzügig. Dazu gehörte ein Palais in München ebenso wie 158.084 Gulden. Das war mehr Geld als der Bau der Feldherrenhalle kostete.

Doch nicht nur mit materiellen Gütern, auch mit einem erblichen Adelstitel wollte Ludwig seine Geliebte versehen. Dafür bemühte er sich um die bayerische Staatsangehörigkeit für sie, das sogenannte Indigenat. Obwohl sie durch das von ihm erhaltene Palais Grundeigentümerin in München geworden war, verweigerte die Gemeinde jedoch die Gewährung des Heimatrechtes. Nun wollte Ludwig Lola Montez dieses Recht per Dekret verleihen. Dafür brauchte er aber die Zustimmung des Staatsrates, die dieser verweigerte. Das Ergebnis war eine Regierungskrise. An die Stelle des Ministeriums des ultramontanen, sprich erzkatholischen Staatsministers Karl von Abel, den Ludwig in besseren Tagen seinen „ersten Staatsmann“ genannt hatte, trat ein liberales sogenanntes Kabinett der Morgenröte, das sich weder der Einbürgerung noch der Erhebung von Lola Montez zur Gräfin von Landsfeld am 25. August 1847 in den Weg stellte.

Sicherlich spielten bei der Ablehnung Lola Montez’ Neid und Standesdünkel eine Rolle. Allerdings wusste sie auch zu provozieren. Bewusst verstieß sie gegen Konventionen. In Hosen zog sie Zigarren rauchend mit einer Reitpeitsche bewaffnet in Begleitung einer Dogge und einer Leibgarde durch die Haupt- und Residenzstadt. Die Leibgarde stellten Studenten des Corps Alemannia. Dabei handelte es sich um eine Abspaltung des Corps Palatia München. Die Spaltung der Münchner Studentenschaft zwischen den sogenannten Lolamannen vom Corps Alemannia und den anderen Corps führte schließlich zu Handgreiflichkeiten. Ludwig reagierte darauf, indem er am 9. Februar 1848 die Universität schloss und die Studenten Münchens verwies. Das Ergebnis waren bereits am folgenden Tag Proteste der Studenten, denen sich andere anschlossen, und Unruhen in der Stadt. Ludwig hatte den Bogen überspannt – und gab nun nach. Er öffnete die Universität wieder und ließ Lola Montez fallen – zumindest offiziell.

Per Kutsche trat Lola Montez am 11. Februar 1848 die Flucht Richtung Schweiz an. Sie blieb jedoch in Verbindung mit Ludwig. Im Folgemonat kam sie heimlich mit seinem Wissen nach München zurück. Das wurde jedoch publik, und unter dem Druck von Unruhen sah sich der König gezwungen, seine Liebe durch die Polizei verfolgen zu lassen. „Da war’s mir unausstehlich, länger auf dem Thron zu sein“, erklärte Ludwig am 20. März 1848 und dankte zugunsten seines Ältesten ab.

München blieb eine Episode

Nach ihrer rund eineinhalbjährigen Episode in München setzte Lola Montez ihre Wanderschaft als Tänzerin fort. Anfänglich konnte sie sich weiterhin der finanziellen Unterstützung Ludwigs erfreuen. Das änderte sich allerdings, als das Verhältnis abkühlte, weil Ludwig von Lola Montez’ Verhältnis mit dem Hochstapler Auguste Papon erfuhr. Gänzlich brach ihr bayerischer Gönner die Beziehung zu ihr ab, nachdem er davon erfahren hatte, dass sie nach ihrer Rückkehr nach London im Jahre 1849 den jungen britischen Offizier George Trafford Heald geheiratet hatte. Die Ehe kostete sie nicht nur die noch verbliebene Unterstützung Ludwigs, sondern brachte ihr auch den Vorwurf der Bigamie ein, da Thomas James noch lebte. Sie begab sich auf die Flucht. George Trafford Heald nahm sie mit.

Nach dem Scheitern ihrer Beziehung mit George Trafford Heald wechselte Lola Montez 1852 den Kontinent. In den USA spielte sie sich selbst in der Theaterrevue „Lola Montez in Bavaria“. Bis zum Frühjahr 1853 tourte sie an der Ostküste einschließlich Auftritten am Broadway. Im Mai des Jahres wechselte sie an die Westküste nach San Francisco. Im Juli 1853 heiratete sie den irischstämmigen amerikanischen Journalisten Patrick Hull, der allerdings noch im selben Jahr verstarb. Im August ließ sie sich in der kalifornischen Goldgräberstadt Grass Valley nieder.

1855/56 tourte sie durch Australien. In Victoria trat sie ebenso auf wie in der Goldgräberstadt Castlemaine, wo sie mit einer Vorstellung das Theatre Royal eröffnete. 1856 machte sie eine wenig beachtete Europatournee, von der sie im Folgejahr nach New York zurückkehrte. Das Tanzen fiel ihr zunehmend schwerer, und so verlegte sie sich auf das Vortragen und Verfassen von Texten. Ihre Bücher „The Arts of Beauty“ und „Anecdotes of Love“ entstanden.

Unter dem Einfluss des protestantischen Journalisten Charles Chauncey Burr entwickelte sich Lola Montez zur bekennenden Methodistin und engagierte sich für sogenannte gefallene Mädchen. Das entbehrt nicht einer gewissen Komik, hatte Ludwig sie doch zur Gräfin gemacht „wegen der vielen, den Armen Bayerns erzeigten Wohltaten“.

1860 erlitt sie einen Schlaganfall. Möglicherweise kam Syphilis hinzu. Nach einem Leben auf der Überholspur war die einst betörende Blüte früh gewelkt. Mit nicht einmal 40 Jahren starb Lola Montez am 17. Januar 1861 in New York an einer Lungenentzündung.

 

Dieser Artikel erschien bereits in der Preußischen Allgemeinen Zeitung.

Nostalgisch – Paternoster in der Hansestadt

In Hamburg gibt es noch zwölf Paternoster, die öffentlich zugänglich sind. Fotomontage: L. Hoffmann

„Zu zweit dürfen Sie den aber nicht benutzen“, sagt der zuständige Wachmann, als ein Paar in den Paternoster einsteigt. „Ich bin mit den Dingern aufgewachsen“, ruft ihm der Mann zu und schwebt mit seiner Begleitung nach oben.
`Benutzung nur für Eingewiesene´ steht auf dem Schild neben dem Paternoster im Hamburger Bezirksamt Eimsbüttel. Und dies ist durchaus ernst gemeint. Eine offizielle Anordnung von ganz oben, die es unter der Rubrik „Der reale Irrsinn“ sogar in die Fernsehsendung Extra3 schaffte.
Der erste Umlaufaufzug der Welt wurde 1876 in England entwickelt und im General Post Office in London zum Transport von Paketen eingesetzt. Später diente er auch der Personenbeförderung.
In Hamburg wurde der erste Paternoster 1886 im neu errichteten Dovenhof eingeweiht. Er blieb nicht der einzige. In den hafennahen Gebieten der Hansestadt entstanden in den Jahren darauf zahlreiche Geschäfts- und Kontorhäuser, die mit Umlaufaufzügen ausgestattet wurden.
Von den rund 30 noch erhaltenen Paternosteraufzügen in Hamburg sind heute nur zwölf öffentlich zugänglich. Zu finden sind diese unter anderem im Paulsenhaus am Neuen Wall, in der Finanzbehörde am Gänsemarkt und – wie bereits erwähnt – im Bezirksamt Eimsbüttel.
Mit dem historischen Umlaufaufzug können Sie endlos rauf und runter fahren. Aber denken Sie daran: Niemals zu zweit in eine Kabine steigen und Ihr Fahrrad bitte vor der Tür stehen lassen. Und wenn dann ein Wachmann auf Sie zukommt, seien Sie freundlich: Er möchte Sie lediglich vor der waghalsigen Fahrt mit dem Paternoster ordnungsgemäß einweisen. Ganz so, wie es der Vorschrift entspricht.

 

Immer schön cool bleiben

„O tempora, o mores”, ruft die Lehrerin in gespieltem Entsetzen aus, während ihre Klasse sich trotz ihrer Bitte um Ruhe und Ordnung schreiend und schubsend in den S-Bahn Waggon ergießt. Im Nu liegen Ranzen und Rucksäcke wild verstreut am Boden und ein zäher Kampf entbrennt um die Fensterplätze. Als zwei halbwüchsige Rowdys mit den Fäusten aufeinander losgehen, greift die Lehrkraft entschlossen ein: „Also, Daniel, Jörg, immer schön cool bleiben“, mahnt sie mit beschwörender Stimme und erinnert dabei lebhaft an eine Dompteurin im Raubtierkäfig.

Auf der Rolltreppe begegne ich den beiden Kampfhähnen wieder. Ihre Streitigkeiten haben sie inzwischen beigelegt. Dafür belästigen sie jetzt voller Inbrunst andere Leute, indem sie sich mit verschränkten Armen vor ihnen aufbauen und sie am Verlassen der Treppe hindern. Eine elegante ältere Dame, die offenbar den Anschlusszug noch erreichen will, versucht sich mit aller Macht an ihnen vorbei zu winden.
„Hey, du alte Gruftspinne, mal’n bisschen mehr Benehmen“, sagt der eine der beiden Flegel. Da entfleucht der Frau, die vor Wut putterot angelaufen ist, ein Wort, das zivilisierte Menschen üblicherweise mit „Armleuchter“ zu umschreiben pflegen. Wie von einem Zauberstab berührt, treten die Jungen zur Seite und sehen der eben noch Geschmähten mit unverhohlener Ehrfurcht nach. „Echt geil“, sagt der eine, „was die Mutter für Ausdrücke drauf hat.“

Nachwort: Das oben Geschilderte widerfuhr mir wenige Wochen vor dem ersten Lockdown, als unser Dasein in geregelten Bahnen verlief und wir alle noch unmaskiert die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen durften. Da tobte das pralle Leben, wozu auch gelegentliche verbale Entgleisungen von frechen Buben wie Daniel und Jörg gehörten. Ich gestehe, dass diese mir jetzt viel weniger ausmachen würden als die gegenwärtige depressive Stimmung, die wie Blei auf uns allen lastet.

 

Von Kindern lernen

Es ist ein alter Hut. Viele Bürger halten sich nur ungern an die einfachsten Verkehrsregeln. Wie oft muss ich erleben, dass ein Auto noch über die Kreuzung vor meinem Haus „nagelt“, wenn die Ampel schon längst auf Rot umgesprungen ist. Auch vor Zebrastreifen drosseln manche Fahrer nur ungern das Tempo. Häufig muss man beherzt ausschreiten, um sie noch rechtzeitig zum Halten zu bewegen.

Und wie steht es mit den Fußgängern, die nicht selten geduldig vor Ampeln ausharren müssen, bis sie endlich die Straße überqueren dürfen, auch wenn weit und breit kein Fahrzeug in Sicht ist? Ich gestehe, dass ich in so einem Fall nicht immer auf grünes Licht warte, solange keine Kinder in der Nähe sind. Dem Nachwuchs gegenüber zeige ich mich stets als vorbildliche Verkehrsteilnehmerin.

Zumindest bis gestern Mittag. Die Sonne blendete mich, als ich in der Nähe des Harburger Bahnhofs bei Rot schnell über eine Straße lief. „Rotgänger, Todgänger, Grüngänger leben länger“, erschallte ein mehrstimmiger Kinderchor hinter mir. Wie vom Schlag gerührt drehte ich mich um. Da standen vier etwa zehnjährige Schulmädchen am Straßenrand und drohten mir mit dem Finger. Mein Gott, die lieben Kleinen hatte ich ganz übersehen! „Entschuldigt“, stammelte ich verlegen. „Aber da habe ich wohl geschlafen. Kommt ja mal vor.“

„Sollte es aber nicht“, entgegnete das Größte von den Mädchen streng. „Erwachsene erzählen uns doch immer, wo es langgeht. Dann müssen sie aber auch Vorbilder sein.“ Wo Kinder recht haben, haben sie recht. Also schwor ich hoch und heilig, nie wieder bei Rot über die Straße zu gehen. Das versöhnte die jungen Damen offenbar, die sich mit einem freundlichen „Tschüs, und noch einen schönen Tag“, von mir verabschiedeten. Ich habe mir übrigens gelobt, dieses Versprechen niemals zu brechen. Großes Indianerehrenwort!

Diese Glosse erschien bereits im Hamburger Abendblatt
Foto: Michael_Luenen, Pixabay

Kultur und Psyche

Buchcover

Goetz Egloff. Culture and Psyche: Lecture Notes for the Liberal Arts. Lambert Publ., Beau Bassin, 2020

Buchvorstellung

Der englischsprachige Band umfasst gedankliche Aufbereitungen sowohl zur neueren amerikanischen Literaturgeschichte als auch zu kulturellen und klinischen Phänomenen, die der informierten Öffentlichkeit wohlbekannt sind. Deren Zusammenhänge werden Schritt für Schritt erschlossen. Beginnend mit Werken von Maria Cummins und William Faulkner, über J.D. Salinger und John Updike, hin zu John Barth und Don DeLillo, zeigt sich eine Entwicklung, die zuläuft auf die postmoderne Konfiguration der westlichen Welt zur Jahrtausendwende. Deren klinische Aspekte werden augenfällig in Bereichen von Beziehung und Sexualität oder finden im bulimischen Syndrom postmoderner Unverdaulichkeit ihren Ausdruck.

Subjektivitätsbildung in den gegebenen Gesellschaftsstrukturen weist zum Epochenwechsel von Moderne zu Postmoderne, der nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs einsetzt, hin auf eine Herauslösung des Ichs aus dem kulturellen Gefüge, „from a culture-based toward a psyche-based view of man“. Nur scheinbar gegenläufig verbleibt das auf einen Sockel gestellte Ich umso mehr unter dem Einfluss von Ökonomie und Verlust von Repräsentation, was zu neuen Formen existentiellen Unbehagens führt. Paradigmatisch wird diese Konstellation in DonDeLillos Roman White Noise, in dem die Referenzsysteme menschlichen Gelingens nahezu zusammenbrechen.

Weitere Themenbereiche des Bandes umfassen die Psychosomatik von Haut und Hormonen, des Beschneidungszeitpunkts im männlichen Entwicklungsverlauf, der vorgeburtlichen und der nachgeburtlichen kindlichen Entwicklung sowie der gesellschaftlichen Strukturen; dies  jeweils in Verbindung mit Aspekten von Ritual, Gedächtnis und Zeit. Der Band versteht sich als Hintergrundfolie zur Kulturhistorie von Körper, Psyche und Gesellschaft im  jüdisch-christlich-muslimischen Kulturraum, auf der zukünftige Konzeptionen entworfen werden können. Ein Anhang mit Auszügen aus Interviews in der spanisch- und deutschsprachigen yellow press zu Schwangerschaft, Geburt und kindlicher Entwicklung ergänzt den Band.

Goetz Egloff. Culture and Psyche: Lecture Notes for the Liberal Arts. Lambert Publ., Beau Bassin, 2020, 308 S., 53,90 Euro

„Snake in the Grass“ by Alan Ayckbourn. The New Play at the English Theatre of Hamburg

„Listen girls, I want 100.000 pounds – cash down.“

The good news of the day: The English Theatre is back after a long absence due to the corona pandemic. Rejoice dear aficionados of the TET! What’s more, we are presenting a new play by the most prolific of all living British play writers Alan Ayckbourn. This time the author has concocted a thriller spiced with loads of black humour and a number of shocking scenes that make your blood freeze in the veins.

“Snake in the Grass” is a very “twisty” play. Whenever you think you know who of the three women on the stage could be the scheming person, so to speak the snake lingering in the grass, you find out that you are entirely wrong. Ayckbourn is a master of twists. In this play one twist is followed by another one. By the way, do not be afraid of a real snake, an aggressive cobra or viper hiding in the lawn and trying to attack the ladies on the stage. Joke! It is merely an expression which describes “a treacherous deceitful person.” Just have a look into the Oxford English Dictionary.

The setting is idyllic. A run-down cottage, most probably in the outskirts of London, surrounded by a lush though neglected garden. There is an overgrown tennis court and an old well in front of the house. The sun is shining, the sky of the deepest blue imaginable. The home of the Chester family looks deserted. All of a sudden a woman appears on the scene. Anabel, Mr. Chester’s elder daughter, has just arrived from Australia, her home for the last thirty-five years. Being the heir of all the riches Mr. Chester has left, including cottage and garden, she has been called back to England. In spite of her heritage, the successful business woman from one of the big cities on the Fifth Continent looks quite unhappy. When Miriam, her younger sister, turns up and moans over her lost youth in her father’s “care” an old family conflict erupts. While Anabel still resents her father’s forcing her into an exhausting tennis training day after day over a couple of years, Miriam accuses the old man of abusing her during her childhood. Once she broke out and went to a disco he dragged her back home. The first impression of a perfect world proves entirely wrong. The play turns out to be a trip on a ghost train. But this is no means the end of the horror. The next intruder is on her way.

„Don’t be afraid, Anabel, it’s only a bird in the trees.“

Alice Moody, the former nurse of the deceased Mr. Chester, shocks the two sisters with her message that Miriam deliberately killed the old man by administering a deadly dose of his medicine to him. Her silence is worth the gigantic sum of 100.000 pounds. Is she trying to take revenge for having recently been sacked by Miriam? Alice makes it very clear: “If you do not pay me the 100.000 pounds, I’ll have to report to the police right away.” She even produces a letter by her former employer in which Mr. Chester claims that Miriam intended to kill him. Anabel and Miriam are under shock. They do not have that much money to silence Alice. Really, the best way to get rid of that greedy woman is to “neutralise” her. In both sisters’ opinion, this would be the most elegant way to solve the problem. Since it is not our intention to spoil your appetite for the rest of this thrilling play, we are stopping here and leave it to you to find out who in the end turns out to be the snake in the grass. Or are there several reptiles in the garden? Knowing the author and his tricks you can never be sure…

What a play! No wonder that the press reviews are full of praise. While The Sunday Times writes: “A creepily, scarily, eerily enjoyable evening”, “Plays International” comment: “Alan Ayckbourn feels the urge to make people jump.” We fully agree.

„Sorry, Miriam. You really had a bad time with father.“

“Snake in Grass” is Alan Ayckbourn’s masterpiece combining thrilling and humorous elements in a remarkably balanced way. There are mysterious things going on in the backyard, the twitter of a bird hidden in the leaves of a big tree calling a name, and a chair on the porch rocking to and fro. There is also “gaslighting” in the air. What’s more: Alice the nurse is back from the dead, dirty from head to toe, but alive and in high spirits. What the hell is going on in Mr. Chester’s garden? The last act is shocking and will paralyse you with sheer horror. Don’t ask us why. Our lips are sealed. Just buy a ticket and enjoy the thrill while sitting comfortably in the theatre.

Thumbs up for three superb actrices: Debbie Radcliffe as ladylike Anabel, Jan Hirst playing a self conscious Miriam and Joanne Hidon in the role of scheming Alice Moody who is speaking a Yorkshire accent so thick that you could cut it with a knife. Hilarious!
Many thanks to Robert Rumpf who directed the play.

Last but not least a few words about Alan Ayckbourn. He was born in London in 1939 and has been writing and directing for the theatre for over 60 years. Being an extremely prolific author he has written a good many comedies which have become box office successes all over the world. Just think of comedies such as “Relatively Speaking,” Season’s Greetings” and “Communicating Doors,” to mention only three of Ackbourn’s highly amusing plays.

Final performance of “Snake in the Grass” on October 31, 2020

Tickets under phone number 040 – 227 70 89, or online under www.englishtheatre.de

Next premiere: “Shirley Valentine” by Willy Russell on November 12, 2020

Attention: Due to the corona pandemic, you are requested to wear a mask covering your mouth and nose during your stay in the theatre.

(Photos: Stefan Kock)

„Snake in the Grass“ von Alan Ayckbourn – das neue Stück am English Theatre of Hamburg

„Hört gut zu, Mädels. Ich will 100.000 Pfund. Sofort!“

Die gute Botschaft vorab: Das English Theatre hat gerade wieder seine Pforten geöffnet, und dies mit einem Stück, das so recht nach dem Herzen all jener sein dürfte, die das Theater regelmäßig besuchen. Mit „Snake in the Grass“ – Die Schlange im Gras – setzt der berühmte britische Autor Alan Ayckbourn seine erfolgreiche Serie von Theaterstücken fort, die seit langem auf vielen Bühnen der Welt vor einem begeisterten Publikum gespielt werden. Neu ist, dass sich der Schreiber tiefgründiger Komödien diesmal an einem anderen Genre versucht, dem Thriller, der reichlich mit dem für Ayckbourn typischen schwarzen Humor gewürzt ist. Aber in medias res. Vorhang auf für „Snake in the Grass.“

Über dem üppig blühenden Garten vor dem Haus der Familie Chester wölbt sich ein azurblauer Himmel. Eine Postkartenidylle. Dennoch liegt etwas Unheimliches, fast Bedrohliches in der Luft. Als nacheinander drei Frauen die Bühne betreten, verstärkt sich der Eindruck, dass hier etwas „im Busch“ ist. Anabel und Miriam, die beiden Töchter des erst kürzlich verstorbenen Mr. Chester, geraten im Handumdrehen in eine heftige Auseinandersetzung mit Alice Moody, einer Krankenschwester, die den alten Herrn lange gepflegt hatte und nach eigenen Worten grundlos von Miriam entlassen wurde. Der Streit eskaliert, als Alice behauptet, Miriam habe ihren Vater heimtückisch mit einer Überdosis seiner Medizin ermordet. Es gibt sogar einen Brief des alten Mannes an die Pflegerin, aus dem die Tötungsabsicht seiner jüngeren Tochter hervorgeht. Ist Miriam eine skrupellose Mörderin oder lügt Alice? Will sie sich für die aus ihrer Sicht unberechtigte Kündigung rächen? Der scheinbar friedliche Garten verwandelt sich unter den Augen des Zuschauers im Handumdrehen in eine Schlangengrube, in der drei Vipern in Menschengestalt ihr Unwesen treiben. Doch gemach, es ist ja nur von einer Schlange die Rede, die sich im Gras versteckt. Welche von den Dreien mag das wohl sein, lautet die Frage. Ist es die verhuschte Miriam, ihre ältere gestrenge Schwester Anabel oder gar die ungebildete Alice, die dreist ein Schweigegeld von – man höre und staune – 100.000 Pfund erpressen will? Bei Nichtzahlung droht sie, Miriam wegen Mordes an ihrem Vater bei der Polizei anzuzeigen. Woher soviel Geld nehmen und nicht stehlen! Das Beste wird sein, sich dieser unangenehmen Person zu entledigen. Aber wie? Um dem Publikum nicht die Spannung an diesem wendungsreichen Stück zu nehmen, überspringen wir diesen Punkt und wenden uns dem corpus delicti des Plots zu, dem toten Mr. Chester.

„Keine Angst, Anabel, es ist nur ein Vogel in den Bäumen.“

Es stellt sich heraus, dass dieser Mann seinen Töchtern kein guter Vater war. Nach dem Tode der Mutter der beiden führte er ein unerbittliches Regime und quälte beide Mädchen bis aufs Blut. Anabel wurde mit täglichen Tennisstunden auf dem kleinen Parcours hinter dem Haus drangsaliert, während ihre Schwester Demütigungen und ständige Bevormundungen ertragen musste. In uns keimt ein böser Gedanke auf: Hatte dieser Widerling nicht den Tod mehr als verdient? Aber zurück zur Handlung. Während Anabel erklärt, warum sie vor nunmehr 35 Jahren nach Australien auswanderte, klagt Miriam, dass sie ganz allein mit diesem Unhold von Vater in England zurückbleiben musste. Jetzt, da der Alte tot ist, könnte Anabel, die Erbin des väterlichen Vermögens, das Haus verkaufen und mit Miriam dorthin ziehen, wo beide an ihre schreckliche Kindheit nicht mehr erinnert werden. Der Plan scheint aufzugehen, denn die Erpresserin Alice ist wie vom Erdboden verschluckt und nirgendwo auffindbar. Alles scheint paletti, und die beiden Schwestern Chester können sich zufrieden zurücklehnen. Wer das denkt, kennt Alan Ayckbourn, den Meister der Tricks, Irrungen und Wirrungen schlecht. Denn ab jetzt dreht sich das Karussell der Ereignisse immer schneller. Aus dem Dunkel des Gartens dringen unheimliche Laute. Wurde da nicht ein Name geflüstert. „Keine Angst, Anabel“, beruhigt Miriam ihre Schwester, „das war nur ein Nachtvogel in einem der großen Bäume.“ Mag sein. Aber wer bedient jene Kanone, die den Platz mit Dutzenden gelber Tennisbälle flutet? Diese und ähnliche mysteriöse Vorfälle sind zuviel für Anabels schwaches Herz. Die bricht auf einer der Gartenbänke zusammen. Ist sie tot oder simuliert sie nur? Wie Kai aus der Kiste springt die tot geglaubte Alice quicklebendig mitten hinein ins Geschehen. Zwar mit rußgeschwärztem Gesicht, aber einem spöttischen Lächeln auf den Lippen. Sie scheint sich sicher zu sein, dass das Haus der Chesters nun ihr gehört und reißt die Haustür mit einem Schwung auf… Miriam lächelt indes versonnen in sich hinein und öffnet ihren Mantel, unter dem ein Glitzerkleid hervorlugt. Es hat den Anschein, als wolle sie den von ihrem Vater streng verbotenen Discobesuch nun endlich nachholen. Doch das Lächeln gefriert auf ihrem Gesicht, als sie sieht, dass Mr. Chesters Schaukelstuhl vor dem Haus sich auf einmal rhythmisch hin und her bewegt. Ist der Alte von den Toten wieder auferstanden, ist er gar nicht tot oder treibt er jetzt als böser Geist sein Unwesen? Wir verabschieden uns mit einem leicht abgewandelten Zitat von Bertold Brecht: „Und damit ziehen wir betroffen den Vorhang zu und alle Fragen offen…“

„Es tut mir leid, Miriam, die Zeit mit Vater muss schlimm gewesen sein.“

So endet der von Alan Ayckbourn raffiniert in Szene gesetzte Thriller. Ja, wer ist denn nun die Schlange, welche den Autor zu seinem Titel inspirierte? Wir, die das Privileg besaßen, zur Premiere geladen zu werden, verraten natürlich nichts. Unsere Lippen bleiben versiegelt. Lieber Fan des English Theatre, beeile Dich mit dem Kauf eines Tickets, damit Du die Auflösung dieses diabolischen Rätsels selbst erleben kannst. Zurzeit können coronabedingt nicht alle Plätze des Theaters besetzt werden. Dennoch ist der Genuss am Stück mindestens ebenso groß wie in einem voll besetzten Haus.

Die Rezensentin hat diesen Krimi über die Maßen genossen, zumal die spannende Handlung mit vielen humorvollen Ingredienzien gewürzt ist. Wohl dosiert und dadurch besonders effektvoll. Als ehemalige Florettfechterin hat sie die eingebauten Finten des Autors goutiert: Wenn du denkst, der Gegner sticht frontal zu, trifft er dich in der Flanke. Wer da nicht aufpasst, verliert im Kampfsport nur Punkte. In früheren Zeiten konnte eine Sekunde Unaufmerksamkeit den Fechter allerdings das Leben kosten.

Last but not least: Alle Daumen hoch für das fantastische Trio auf den Brettern des English Theatre.: Debbie Radcliffe als damenhafte Anabel, Jan Hirst in der Rolle der verhuschten Miriam und Joanne Hildon als Alice, das hinreißende „blonde Gift“ mit Yorkshire Zungenschlag. Regie: Altmeister Robert Rumpf.

Ganz zum Schluss noch ein paar Takte über Alan Ayckbourn, den vielleicht „fruchtbarsten“ lebenden britischen Stückeschreiber. 1939 in London geboren, blickt er auf über sechzig Jahre Theaterpraxis zurück, als Autor und Spielleiter gleichermaßen. Also eine echte „Rampensau“, wie man dermaßen verdiente Künstler im etwas hemdsärmeligen Theaterjargon zu nennen pflegt. Eigentlich gilt dies nur für die Akteure auf der Bühne. Doch Alan Ayckbourn verleihen wir diesen Titel aufgrund seiner Verdienste um die Bretter, die die Welt bedeuten. Erinnern wir uns doch an die größten Erfolge des Mannes mit dem verschmitzten Lächeln: „Relatively Speaking“, „A Small Family Business“, „Communicating Doors“ und „Season’s Greetings“ zählen zu seinen erfolgreichsten Stücken, die es auf viele Bühnen der Welt geschafft haben. Auch auf deutsche. Hoffen wir, dass uns der Autor noch recht lange erhalten bleibt, um uns mit weiteren witzig-ironischen Stücken zum Lachen und Nachdenken zu bringen.

 

„Snake in the Grass“ läuft bis einschließlich 31. Oktober 2020

Tickets unter der Telefonnummer 040-227 70 89 oder online unter www.englishtheatre.de

Nächste Premiere: „Shirley Valentine“ von Willy Russell am 12. November 2020

Hinweis: Leider müssen sich die Besucher des TET auf Weisung der Regierung während ihres Aufenthaltes im Theater maskieren. Dem Kunstgenuss tut diese Einschränkung keinerlei Abbruch.

(Fotos: Stefan Kock)

Psyche in Zeiten von Corona

Kommentar zu Robert Bering & Christiane Eichenberg (Hg.). Die Psyche in Zeiten der Corona-Krise. Klett-Cotta, Stuttgart, 2020 

Die Herausgeber Bering und Eichenberg legen mit dem vorliegenden Band, auch wenn dieser einige sinnvolle Kapitel enthält, einen Schnellschuss vor, der sich (die Hände in Unschuld) gründlich gewaschen hat und sich liest, als habe er jahrelang bereit gelegen, um nun rasch Corona ins Betreff zu setzen. Merkwürdig, dass die akademische Psychologie so still war zum 11. September 2001, zur Einführung von Hartz IV, zur Finanzkrise 2008. Der Verdacht ist nicht von der Hand zu weisen, dass hier wie dort willfährige Vollstrecker am Werke sind, die psychisch relevante Themen wie etwa die Ein- und Ausflüsse sogenannter globaler Eliten (vgl. Neckel et al. 2018) und „think thanks“ (Bertelsmann vor Corona: 30% der Krankenhausbetten bitte abbauen!) konsequent meinen aussparen zu können.

Wissen

Ein etwaiger Vorwurf des (Kultur-)Pessimismus der hier formulierten Einwände gegen eine Über-Therapeutisierung des Alltäglichen mag unvermeidbar sein, doch, wie der Heidelberger Psychoanalytiker Werner Balzer ganz zutreffend bemerkt, „als Bannfluch verdankt sich dieser Vorwurf selbst einem Ressentiment, einer affirmativen Fortschrittsmelodie, die für sich genommen noch keinerlei starke Argumente enthält“ (Balzer 2020, 11). Also gemach: wir wollen Coronaviren nicht in Frage stellen – das wäre töricht. Es ist hingegen sehr wahrscheinlich, dass die zurzeit in Rede stehende Variante nicht nur existiert, sondern auch gefährlich sein kann – nur wissen wir, die Öffentlichkeit, es eben nicht. Es kann von uns gar nicht gewusst werden. Doch auf die Idee, dass wir viel weniger wissen als wir zu wissen meinen, kommt auch der vorliegende Band nicht. Woher beziehen wir denn unser Wissen? Über die Bilderflut der Medien, die das Bild zwar vom Wort begleiten, es aber, wie nie zuvor, wirken lassen, unverhohlen behauptend: die Kamera lügt nicht. Doch ist es, so er existiert, immer der sprachliche Kontext, der entscheidend ist für irgendein Verstehen. Gleiche Bilder mit ganz unterschiedlichen Texten führen zu komplett konträren Interpretationen. Interessant ist ohnehin eher, welche Bilder nicht gesendet werden. Und so mutet es seltsam an, wenn Kapitel des in Rede stehenden Bandes mit Begriffen wie „Psychoinformation“ und „Wissen“ als resilientem, ja emanzipatorischem Ansatz aufwarten, ohne geklärt zu haben, um welches Wissen es sich überhaupt handelt (vgl. Egloff & Djordjevic 2020), diese vor allem aber kaum imstande sind zu halten, was sie zu versprechen antreten. So bleiben fast alle bearbeiteten Themen des Bandes unterkomplex, weil jene Zusammenhänge nicht ausreichend beleuchtet werden, in denen Mediales einerseits Wirklichkeit widerspiegelt, andererseits ebenso rasch ein Eigenleben gewinnt (Janus et al. 2020). Im ersten Teil wagt lediglich das Kapitel von Beck mit der Nennung von Günther Anders einen Schritt in die richtige Richtung. Doch haben wir es längst mit Verhältnissen zu tun, die Anders kaum erahnen konnte; so bewegen wir uns mittlerweile global im medialen Raum von Hyperrealität: ,„Hyperreality is a consequence of the expansion of technological communication systems that enable us to be globally connected” (Finkelstein 2007). Diese muss in jedem gesellschaftlichen Ereigniszusammenhang mitgelesen werden.

Medien

Ein Kapitel des Bandes rät gar zu Information mittels vorzugsweise öffentlich-rechtlicher Medien, jenen Medien, die seit Monaten rund um die Uhr ängstigende Infektionszahlen zu senden imstande sind, ohne irgendeine Inbezugsetzung zur täglichen Anzahl von Todesfällen in Vergleichsjahren vorzunehmen. Dass nicht nur diese Thematik hochgradig einseitig gehandhabt wird, ist mittlerweile bekannt, hierzu gäbe es dutzende Belege. Wo alle einer Meinung sind, wird wenig gedacht, soll Georg Christoph Lichtenberg festgestellt haben.

In beschleunigten Zeiten eine Ewigkeit ist es her, dass die Einführung des Privatfernsehens diskutiert wurde und die nordrhein-westfälische SPD seinerzeit verdienstvollerweise auf Kulturfenster bei den Privatsendern bestand. Diese Sender haben so oder so frischen Wind ins Fernsehen gebracht, teils mit geradezu subversiven Sendungsformaten, bis nach und nach das Niveau in sehr tiefe Täler abgesenkt wurde, was die Öffentlich-Rechtlichen auf ihren Hauptsendern in nicht unerheblichem Ausmaß und ohne jeden Finanzdruck meinten mitgehen zu müssen. Wir wurden Zeugen derer Einverleibung durch die Systemlogik, sodass über kurz oder lang entscheidende neue Impulse aus alternativen Medien kommen mussten. Wenn überhaupt, dann also bitte Öffentlich-Rechtliche zusammen mit privaten und alternativen Medien als Informationsquelle konsumieren! Man war auch früher schon gut beraten, Ost- und Westfernsehen zu mischen. Ob die Payback-Gesellschaft dies zu reflektieren imstande ist, ist fraglich – Payback bedeutet eben Revanche, und nicht etwa gütliche Rückzahlung.

Psychismus und empirische Wirklichkeit

Keine Frage, ältere und vulnerable Bevölkerungsgruppen zu schützen ist eine gute Idee, insofern konnte man einen „Lockdown“ ein Stückweit schon rechtfertigen. Etikettierungen gegenläufiger Einschätzungen als Verschwörungstheorie bleiben aber allzu oft undifferenziert, und aus dem akademischen Umfeld sollte allemal mehr zu erwarten sein (vgl. Agamben 2020). Unser „alter ego“ steht zumal ohnehin immer bereit, das Gegenteil des scheinbar Vernünftigen zu vollziehen (vgl. deMause 2000). Also: ganz grundsätzlich sollte man bei Etikettierungen als Verschwörungstheorie Vorsicht walten lassen –  wer hätte Befürchtungen um Leib und Leben deutschen Juden in der Weimarer Republik Verschwörungstheorie heißen wollen? Empirische Wirklichkeit würde sonst nur noch zu einem Psychismus, der mittels der richtigen Sprache zu korrigieren ist und in dem nicht einmal mehr der Versuch unternommen wird Realität zu ergründen, sondern jede Epistemologie komplett aufgegeben wird.

Und so werden im Band nicht selten Psychisches und empirische Wirklichkeit durcheinander gebracht. Auch Opfer sein wird da mal eben zu einem solchen Psychismus, mittels dessen empirische Wirklichkeit gegen Opfer gewendet und verwendet wird. Schon mal dran gedacht, möchte man fragen, wie gesellschaftliche Verwerfungen mit dem Aufstieg einer neuen Traumatologie zusammenhängen könnten? So wie Kindersymptomatiken oft durch die Behandlung der Eltern verschwinden, schaffen wir einen eben nicht kleinen Teil psychischer Problematiken selbst: Ein zunächst gut gemeinter und teilweise notwendiger äußerer Strukturverlust in den westlichen Gesellschaften ist mittlerweile zu einem inneren geworden, in dem nahezu jeder weitere äußere als normal erscheint (vgl. Egloff 2020). So war es bspw. für einen deutschen Spitzenmanager in den 80er Jahren schlicht nicht möglich, mehr Einkommen als Springer-Vorstand Peter Tamm zu erzielen. Was früher Neurose hieß, ist zur strukturellen Störung geworden, in der statt der neurotischen nun die perverse Lösung bevorzugt wird (vgl. Oberlehner 2011) bzw. die Lösung von Symbolischem und Realem und damit Imaginärem und Realem erfolgt (Rouse & Arribas 2011), eine bedenkliche Entwicklung, die auch aus ganz anderer Perspektive bestätigt wird (vgl. Sarraf et al. 2019). Nicht so in diesem Band: fast alles wird „manageable“. Virtualität ist nach dieser Lesart psychisch gar kein Problem, so smart vernetzt sind wir… Dagegen spricht sehr Vieles (vgl. Fuchs 2014).

Zum Schluss

Die ganz große Müllflut durch Kaffeebecher-to-go entstand bei uns erst, als die Alt-Damen-Cafés schließen mussten – weil Hipster sie nicht mehr hip finden wollten. Ciao Porzellan – willkommen, lieber Pappbecher! Die Inhalte des Bandes sind somit nicht etwa falsch, eher unterkomplex, rekurrieren vor allem aber nicht auf die eigenen Bedingtheiten. Oberflächenphänomene in Zusammenhängen zu denken und in historischem Kontext auszuwerten, da gibt es noch eine ganze Menge zu tun (vgl. Lentricchia & McAuliffe 2003); auf wenigen Textseiten ist dies bspw. vorbildlich für die Fernsehserie „Game of Thrones“ vollzogen worden (Janus 2020).

Doch letztlich ist der vorliegende Band in guter Gesellschaft. Auch kluge Köpfe wie Martin Dornes sind schon in die postmodernen Fallen des Positivismus getappt (Egloff 2015), und auch das „electronic tribe“ greift allzu gern zum alten Hut, der so gut sitzt (vgl. Lentricchia 1991). Daher gilt: Wer von Hyperrealität nicht sprechen will, sollte von Gesellschaftsphänomenen schweigen. Anzumerken bleibt, dass für manche sozial-helfenden Berufe der Band gewiss hilfreiche Anregungen bietet, die sich im dritten Teil finden; der zweite Teil zu therapeutischen Adaptationen bleibt dünn und wenig tragfähig.

Die gelungenen Strecken des Bandes, wenn es bspw. um vulnerable Gruppen geht, und um Arbeitslosigkeit, sind durchaus nützlich, und es gibt gute Kapitel wie das von Vlasak und Barth; andere braucht fast niemand. Bei forscherischem Interesse und für gesellschaftliche Hintergründe besser lesen: „Das Sensorische und die Gewalt“ von Werner Balzer, oder auch „White Noise“ von Don DeLillo.

 

Literaturhinweise:

Agamben G (2020). Das Denken muss sich befreien, und die Feier des Kultes muss ein Ende haben.      Neue Zürcher Zeitung, 14.5.2020.

Balzer W (2020). Das Sensorische und die Gewalt. Zum Seelenleben im digitalen Zeitalter. psychosozial, Gießen.

deMause L (2000). Was ist Psychohistorie? psychosozial, Gießen.

Egloff G (2015). La bête noire. In: Psyche – Zschr Psychoanalyse 69, 8, 756-765.

Egloff G (2020). Don DeLillo, White Noise (1984). In: Egloff G. Culture and Psyche. Lambert, Beau Bassin, 111-124.

Egloff G, Djordjevic D (2020). Preface. In: Egloff G, Djordjevic D (eds.). Pre- and Postnatal Psychology and Medicine. Nova Science, New York, VII-XVII.

Finkelstein J (2007). The Art of Self-Invention. I.B. Tauris, London/New York, 157.

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Dreizehn Kilometer Poesie

Foto: Martin Lowsky

Eine Wanderung auf dem Klaus-Groth-Weg
Spätestens seit dem Gottesdienst zur Beerdigung von Helmut Schmidt ist nicht nur Hamburgern der Name Klaus Groth geläufig. Hatte doch Schmidt selbst verfügt, man möge die Vertonung von Groths plattdeutschem Gedicht „Min Jehann“ im Michel singen.

Groths bekanntestes Gedicht ist jedoch wohl die kurze Ballade von „Lütt Matten de Has“, in der der böse Fuchs den gutgläubigen Hasen verspeist. Weitgehend unbekannt jedoch ist Groths Prosawerk „Min Jungsparadies“, in dem er Kindheits- und Jugenderinnerungen aus dem kleinen Dithmarscher Ort Tellingstedt beschreibt. Nach wie vor berühren diese Aufzeichnungen vom Glück und Leid des Erwachsenwerdens den Leser und lassen ihn an eigene Erfahrungen zurückdenken.

Groth ist in jungen Jahren häufig vom Elternhaus in Heide zu Fuß nach Tellingstedt gewandert, um dort Onkel und Tante zu besuchen und jugendliche Freiheit zu genießen.

Tellingsted weer wit nog, dat man nich jüs mit sin Botterbrot inne Hand sik hineten kunn doch weert ok nich so wit, dat nich en Jung mit sin egen Been un Handstock, as de Tellingsteder sän, dar hin harrn much, wenn´t ok en Reis weer vun enige Stunn.

Diesen mittlerweile gut ausgeschilderten Klaus-Groth-Wanderweg kann man nun selbst nachgehen, auf den Spuren des großen Dithmarscher Dichters. An einigen Tagen im Jahr wird eine geführte Wanderung angeboten. So auch am 28. Juli 2020. Einheimische, Touristen, drei zugereiste Hamburger und ein Hund fanden sich am Startpunkt in Süderholm ein. Es herrschte allerbestes Wanderwetter, Sonne und Wind, weißblauer Himmel (wie bei uns zuhause, merkte ein bayrisches Ehepaar an).

Nach einer kurzen Einführung in die Biografie Groths und der beruhigenden Auskunft, dass es nicht darum gehe, möglichst schnell möglichst viel Strecke zu machen, sondern den Zweiklang von Landschaft und Poesie zu genießen, ging es los.

Der Weg führt durch Wald, Moore und Wiesen und bietet immer wieder weite Ausblicke in die unaufgeregte Dithmarscher Landschaft. Gerade für großstadtgeplagte Hamburger eine Erholung für die Seele. Der ortskundige Führer machte während der gut dreistündigen Wanderung immer wieder auf landschaftliche und historische Besonderheiten aufmerksam und rezitierte Texte von Groth. So bekamen die Teilnehmer das Gefühl, ganz dicht auf den Spuren eines Dichters zu wandeln.

Am Endpunkt, in Tellingstedt, wurde eingekehrt. Döner, Pizza und Eis brachten die müden Wanderer, zwei ausgezeichnete Würstchen den Hund wieder in Form. Und an allen Tischen fiel der Satz: Nächstes Jahr bin ich wieder mit dabei.

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Eine hochdeutsche Übersetzung vom „Jungsparadies“ erscheint demnächst  im elbaol verlag hamburg.

Auskunft über die nächste geführte Wanderung im September erteilt die Touristinformation Heide

Am Anfang stand ein Football-Spiel

Foto: JeppeSmedNielsen auf Pixabay

Bei einem Football-Spiel im Herbst des Jahres 1891 lernten sich der vor 150 Jahren, am 23. Januar 1870, in Lockport, New York, geborene William G. Morgan und der gut acht Jahre ältere James Naismith kennen.

Naismith, damals Assistenztrainer der Football-Mannschaft der International YMCA Training School, dem heutigen Springfield College, schlug dem großen, starken, sportlichen damals 21-jährigen Sohn eines Bootsbauers vor, von der Mount Hermon School in Northfield an die ebenfalls in Massachusetts beheimatete sportpädagogische Ausbildungsstätte der Young Men’s Christian Association (YMCA), in Deutschland besser bekannt als Christlicher Verein Junger Menschen (CVJM), zu wechseln. Morgan folgte dem Rat 1892 und lernte dort das von Naismith 1891 erfundene Basketball intensiv kennen.

Nach seiner Ausbildung arbeitete Morgan ab 1894 als Physical Director für den YMCA. In Holyoke im Hampden County, Massachusetts, hatte er es mit relativ vielen weniger robusten, unsportlicheren oder schon etwas älteren Menschen zu tun und suchte nach einer sanften Alternative zu Naismiths Basketball für diese Klientel. Er selber formulierte es wie folgt: „Basketball schien für jüngere Männer geeignet, aber es gab das Bedürfnis nach etwas für die älteren, das nicht so rau und anstrengend war. Ich dachte an Tennis, aber da brauchte man Schläger, Bälle, ein Netz und weitere Ausrüstung.“ Morgan mischte Tennis und Basketball mit American Handball, Badminton, Federfußball und Faustball. Heraus kam Volleyball.

Im Gegensatz zum Tennis kommt dieser Sport nicht nur ohne Schläger aus, sondern braucht auch vergleichsweise wenig Fläche pro Spieler. Dieses gilt insbesondere für die Urfassung, in der die Größe der beiden Mannschaften nicht festgelegt war. An die Stelle der Tennisbälle ist der spezifische Volleyball getreten, eine Neuentwicklung, die sich vom Basketball insbesondere durch ihr geringeres Gewicht unterscheidet.

Das 1895 entwickelte Spiel wurde im Folgejahr der Öffentlichkeit vorgestellt. Auf einer Versammlung der sportlichen Leiter der YMCA in Springfield konnte Morgan seine Erfindung Multiplikatoren am 7. Juli 1896 präsentieren. Die Zeitschrift „Physical Education“ informierte ihrer Leser über das neue Spiel in ihrer entsprechenden Monatsausgabe.

Es begann ein Siegeszug dieses schönen Spiels um die Welt, den Morgan nur noch teilweise erlebte. Er starb am 27. Dezember 1942 in seinem Geburtsort.

Die Wirrnisse des Alltags

Lilo Hoffmanns neuer Roman spielt in Eimsbüttel, Lokstedt und St. Pauli.

Erst vergisst sie ein Kind aus ihrer Gruppe auf dem Spielplatz und dann fährt ihr auch noch so ein Modepüppchen ins Auto – die Woche fängt ja gut an!
Als Leserin bin ich sofort in der Geschichte, die so temporeich beginnt. An der Seite der Erzieherin Iris geht es, zeitweilig mit einem Eierlikör gestärkt, weiter durch deren turbulente Tage, eben wie im echten Leben. Vor der Lokalkulisse Hamburgs erzählt Autorin Lilo Hoffmann die Ereignisse zweier sehr verschiedener Mitbewohner – von denen eine das Modepüppchen werden wird – und die Erlebnisse der Hauptperson Iris. Deren Freund Alex war am Anfang ganz hinreißend und ist nun eher ins Vage abgedriftet, bevor er sie mit einer nicht vorhersehbaren Lebenswendung überraschen wird. Neben Modepüppchen Dana, ihres Zeichens Radiomoderatorin und mit schrägen Typen bekannt, kommt Iris sich manchmal wenig hip vor, bis sie herausfindet, dass da auch nicht alles Gold ist, was glänzt. Die Eierlikör-Tradition ihrer Großmutter bildet eine stabilisierende Konstante für Iris und erfreut die Leserin gleichermaßen. So treibt das Leben Iris in diverse lustige und weniger lustige Situationen, es geht um Abschiede und (neue) Freundschaften, um dumme und schöne Zufälle. Iris gibt sich keine Mühe, die hippe Großstädterin zu geben, sondern schaut mit sympathischer Verwunderung und vielleicht ein wenig heimlicher Verehrung Danas Treiben zu. Sie verbiegt sich nicht, sondern bleibt sich treu und verweigert sich auch mal, wenn es ihr zu bunt wird. Ich habe dieses Buch gern gelesen, mit Iris mitgefiebert und ihr das Beste gewünscht, das sie meiner Meinung nach unbedingt verdient hat. Eine wunderbare Lektüre zur Entspannung, vielleicht mit einer Tasse Kaffee – oder einem Eierlikör.

 

Lilo Hoffmann: Wenn das Chaos perfekt ist
Verlag Tinte & Feder, 2020, 283 Seiten
Taschenbuch und E-Book

A touch of London’sWest End: The English Theatre of Hamburg

The English Theatre of Hamburg is Hamburg’s own little West End stage. Those are words expressed by the acting community in London as well as by guests of the theatre who draw direct comparison to the high quality productions  being presented here and current theatre productions in London’s West End.

British actors flown in from London to perform on a Hamburg stage. A new cast for every production. A wide variety of current and classic plays. Well balanced seasons with comedies, dramas, thrillers and every so often a musical. Yes, we can be very proud of this gem of a theatre situated in central Hamburg.

New: Online Stream

As a response to the lockdown due to the current pandemic The English Theatre of Hamburg responded quickly by offering the option to stream selected productions online. Starting with APOLOGIA in April, since the run of the play was cut short, enabling everyone to see this brilliant production from the comfort of their own home. In May three more productions were streamed – the critically acclaimed off Broadway musical I LOVE YOU, YOU’RE PERFECT, NOW CHANGE. The European premiere of the new thriller by James Cawood  DEATH KNELL. And the show CLASSIC BLUES WOMEN written and performed by JOANNE BELL. In June the theatre presents the farce DON’T LOSE THE PLACE and the wonderful play ORPHANS for which the actor Christopher Buckley received the HAMBURGER THEATERPREIS ROLF MARES 2017 for best actor.

Please support The English Theatre of Hamburg

Even though new ideas are being developed by the theatre’s creative team and staff they are still very dependent on our support and help. So, if you can, make a donation to The English Theatre of Hamburg to help them through these hard times and make sure they are still here for us when the theatres are allowed to open again. We are very much looking forward to many wonderful theatre evenings in the future in our own English Theatre of Hamburg. By the way, what about buying some gift vouchers for your friends who will be happy to enjoy an inspiring performance on our stage. Thank you very much indeed for your help.

Link to the Website of The English Theatre and Streams: https://www.englishtheatre.de/

Contact and information:

Luciano Di Gregorio
Marketing
The English Theatre of Hamburg
Lerchenfeld 14
22081 Hamburg
Phone 040 / 411 685 01
Fax 040 / 229 50 40
marketing@englishtheatre.de

Written by Luciano Di Gregorio and Uta Buhr

Ein Hauch von Londons West End im English Theatre of Hamburg

The English Theatre gilt seit Langem als Hamburgs kleine „West End-Bühne.“ So wird das Theater sowohl von der Londoner Schauspielszene als auch von den zahlreichen internationalen Zuschauern wahrgenommen. Diese sind begeistert von der hohen Qualität der Produktionen auf der Hamburger Bühne.

Das Theater engagiert für jede neue Produktion gestandene Schauspieler, die stets in London gecastet werden, bevor sie ihr Gastspiel in Hamburg antreten. Eine Vielzahl unterschiedlichster Genres wie Thriller, Komödien, Dramen, Klassiker und gelegentlich auch Musicals gestalten jede Theatersaison. Hamburg kann stolz auf diese Perle sein, die das kulturelle Leben der Stadt bereichert.

Neu: Online-Stream

Die durch die Corona-Pandemie erzwungene Schließung ist auch für das English Theatre sehr schmerzlich. Aber Krisenzeiten müssen bewältigt werden. Und so hat sich die Intendanz zusammen  mit ihrem engagierten Team dazu entschlossen, ihre Produktionen dem Publikum als Online-Stream anzubieten. Begonnen haben wir mit dem zum Zeitpunkt des Lockdowns laufenden Stückes APOLOGIA. Ebenfalls gestreamt wurden die von der Kritik gefeierten Produktionen I LOVE YOU, YOU’RE PERFECT, NOW CHANGE, die europäische Premiere von James Cadwoods Thriller DEATH KNELL sowie die Show CLASSIC BLUES WOMEN von Joanne Bell. Der Zuschauer kann diese Stücke jetzt gemütlich im eigenen Wohnzimmer genießen. Im Juni fügten wir unserem „Corona“-Programm die Farce DON’T LOSE THE PLACE von Derek Benfield und das hinreißende Stück ORPHANS von Lyle Kessler hinzu. Christopher Buckley wurde für seine Darstellung in diesem Drama mit dem Hamburger Theaterpreis Rolf Mares 2017 als bester Schauspieler geehrt.

Bitte unterstützen Sie das Theater

Das Theater ist zurzeit damit beschäftigt, neue Konzepte zu entwickeln. Diese kosten Geld. Um die Bühne des English Theatre nach Corona erneut bespielen  zu können, sind wir auf die Unterstützung unserer Fans angewiesen. Jede Spende ist willkommen und hilft uns, den Spielbetrieb nach der Wiedereröffnung der Theater wie gewohnt aufzunehmen. Bedenken Sie, wie wichtig es ist, dieses Kleinod in der Hamburger Kulturlandschaft am Leben zu erhalten. Übrigens – wäre es nicht eine gute Idee, dem einen oder anderen Ihrer Freunde mit einem Geschenkgutschein eine Freude zu machen. Auch mit dieser Geste würden Sie uns sehr helfen. Vielen Dank im Voraus!

Hier kommen Sie zur Website des English Theatre und zu den Streams: https://www.englishtheatre.de/

Weitere Informationen und für Rückfragen:

Luciano Di Gregorio
Marketing
The English Theatre of Hamburg
Lerchenfeld 14
22081 Hamburg
Phone 040 / 411 685 01
Fax 040 / 229 50 40
marketing@englishtheatre.de

Text: Luciano Di Gregorio und Uta Buhr