Von Dr. Manuel Ruoff
Kurt Tucholsky verzweifelte an den Zuständen in der Weimarer Republik und schließlich auch an Deutschland
Wie sein Vorbild Heinrich Heine war auch Kurt Tucholsky jüdischer Abstammung und konvertierte als Erwachsener zum Protestantismus. Der am 9. Januar 1890 in Berlin Geborene hatte einen wohlhabenden Vater, der bereits 1905 starb und seinem Sohn ein Erbe hinterließ, das diesem eine Ausbildung frei von Geldsorgen ermöglichte.
Kurt Tucholsky entschied sich für ein Jurastudium. 1911 schrieb Franz Kafka über ihn in sein Tagebuch: „Will Verteidiger werden …“ Zwei Jahre später verzichtete er jedoch auf das für diesen Beruf notwendige erste Staatsexamen. Um überhaupt einen Abschluss zu haben, promoviert er 1915. Und das mit Ach und Krach, was dafür spricht, dass die Jurisprudenz wirklich nicht seine Welt war.
Anschließend wurde Tucholsky zum Militär eingezogen. Bis Ende 1916 war er an der Front, den Rest des Krieges in der Etappe. Er selber schrieb 1926 rückblickend: „Ich habe mich dreieinhalb Jahre im Kriege gedrückt, wo ich nur konnte.“ Und acht Jahre später behauptete er, sich bereits 1913 „als Pazifist schärfster Richtung in Deutschland betätigt“ zu haben. Andererseits soll Tucholsky sogar mit dem Gedanken an eine militärische Laufbahn gespielt haben. Sein Biograf Michael Hepp spricht deshalb bezüglich Tucholskys Attacken gegen den Militarismus von „einer Art öffentlicher Selbstanalyse“.
Erschwert wird die Verortung Tucholskys im politischen Spektrum dadurch, dass bei ihm nicht nur die Überzeugung, sondern auch Opportunismus die Feder führte – was ihm im linken Lager geharnischte Kritik einbrachte. Parteipolitisch kann man Tucholsky wohl zwischen SPD und KPD verorten. 1911 schrieb der „entlaufene Bürger“, als der er sich selber sah, seinen ersten Artikel für den „Vorwärts“ und machte für die SPD Wahlkampf. Als Pazifist, welcher der Verfasser des Satzes „Soldaten sind Mörder“ spätestens seit Kriegsende war, fand er 1920 zur USPD. Als sich diese pazifistische Abspaltung 1922 ihrerseits spaltete, wurde Tucholsky SPD-Mitglied. Trotz deren staatstragenden Charakters stand Tucholsky der Weimarer Republik anfänglich kritisch, schließlich sogar ablehnend gegenüber. Ähnlich wie die Kommunisten sah Tucholsky im langjährigen SPD-Vorsitzenden und Reichspräsidenten Friedrich Ebert ein Hassobjekt. Er warf ihm Verrat an der Novemberrevolution vor. Wie andere intellektuelle Bürgersöhne tat Tucholsky sich schwer mit der Parteidisziplin der KPD und deren unkritischer Verherrlichung der Sowjetunion. Trotzdem ließ er sich 1927 in den Vorstand ihrer Vorfeldorganisation „Rote Hilfe Deutschlands“ (RHD) wählen und schrieb ab 1928 für die kommunistische Zeitschrift „Arbeiter Illustrierte Zeitung“. Tucholsky radikalisierte sich. Und es war nicht erst das nationalsozialistische Dritte Reich, sondern bereits die demokratische Weimarer Republik, die ihn 1930 ins schwedische Exil trieb.
Wenn Tucholsky mit seinen Texten auch politisch wirken wollte, so ist er doch nicht als Politiker, sondern als Literat in die deutsche Geschichte eingegangen. Im Jahre 1912 – also ein Jahr bevor er sich mit dem Verzicht auf das erste Staatsexamen gegen den Anwaltsberuf entschied – machte er sich mit der netten Liebesgeschichte „Rheinsberg“ einem breiteren Publikum bekannt.
Im darauffolgenden Jahr begegnete Tucholsky Siegfried Jacobsohn, dem Mann, von dem er kurz vor seinem eigenen Lebensende meinte, dass er ihm „alles, was er geworden ist“ verdanke. Nach der Begegnung ließ Jacobsohn Tucholsky in der von ihm herausgegebenen „Schaubühne“, der späteren „Weltbühne“, breiten Raum. Unter Tucholskys Einfluss wurde aus der Theaterzeitschrift ein politisches Blatt. Dort veröffentlichte der Journalist, der zu den gefragtesten und bestbezahlten der Weimarer Republik zählte, mehr als die Hälfte seiner über 3000 Artikel, auch seinen wohl berühmtesten Satz: „Soldaten sind Mörder.“ Als ihr Frankreichkorrespondent konnte er schon vor seiner endgültigen Übersiedlung nach Schweden den von ihm immer mehr als elend empfundenen Zuständen in der Weimarer Republik entfliehen. Als 1926 Jacobsohn starb, übernahm er kurzfristig die Leitung der „Weltbühne“. Er trat sie aber bereits wenige Monate später an den von ihm geschätzten Mitstreiter Carl von Ossietzky ab, da er nicht dauerhaft nach Deutschland zurückkehren wollte. Als 1935 die Deutsche Liga für Menschenrechte, der beide angehören, Ossietzky für den Nobelpreis vorschlug, unterstützte Tucholsky die entsprechende Kampagne tatkräftig. Ihren Erfolg im Jahre 1936 erlebte Tucholsky nicht mehr. Er starb am 21. Dezember 1935 an einer Überdosis Schlaftabletten in seinem schwedischen Exil. Ob es Selbstmord war aus Frustration angesichts der NS-Herrschaft, einer schweren Krankheit und der finanziellen Abhängigkeit von seiner damaligen Lebensabschnittsgefährtin Hedwig Müller oder aber ein Unfall, ist und bleibt wohl unbekannt.
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