„Gaslight“ von Patrick Hamilton: Premiere am ETH

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Als „Das Haus der Lady Alquist“ in den fünfziger Jahren in die deutschen Kinos gelangte, erwies sich dieser Thriller als Blockbuster der Sonderklasse. Jeder wollte die junge Ingrid Bergman in jener Rolle sehen, die ihr ihren ersten Academy Award – besser bekannt als „Oscar“ – einbrachte. Es ist das Verdienst von Regisseur Paul Glaser, den Kultkrimi unter seinem Originaltitel „Gaslight“ auf die Bühne des English Theatre of Hamburg zu bringen. Unter dem Premierenpublikum am 21. November 2021 herrschte Hochspannung. Wie würde die Bühnenversion dieses Stoffes ausfallen? Vorhang auf für „Gaslight!“

Blick hinter die Kulissen einer viktorianischen Ehe

Glücklich scheint das Ehepaar Jack und Bella Manningham nicht zu sein trotz der offensichtlich komfortablen Verhältnisse, in der beide leben. Düster, fast bedrohlich wirkt die mit dunklem Mobiliar ausgestattete Villa in einem Londoner Vorort. Genau das Ambiente, in dem ein patriarchalischer Mann wie der Hausherr sein Unwesen treiben kann. Jack kommandiert seine zarte schüchterne Frau herum und demütigt sie vor den Dienstboten. Dem robusten Hausmädchen Nancy scheint diese Attitüde zu gefallen. Sie würde sich zu gern als Herrin des Hauses aufspielen. Warum nur lässt Bella all dies mit sich geschehen, ohne aufzubegehren?

Eins, zwei drei, vier fünf, sechs sieben, wo ist nur das Bild geblieben

Wie von Zauberhand verschwinden immer wieder Gegenstände im Haushalt und finden sich entweder gar nicht oder dort wieder an, wo man sie am wenigsten vermuten würde? Man kommt kaum mit dem Zählen nach. Wo ist das Gemälde, das gestern noch an der Wand des Salons hing, wo Bellas Brosche oder die Metzgerrechnung, die Jack gerade bezahlen wollte? Für Jack beantworten sich diese Fragen von selbst. Bella ist unverkennbar geistesgestört, genauso wir ihre bedauernswerte Mutter. Irgendwann wird er Bella in eine geschlossene Anstalt bringen müssen. Während Jack von Tag zu Tag brutaler wird, versinkt Bella in tiefer Depression. Sie ist sich keiner Schuld bewusst. Sie ist doch bei klarem Verstand. Warum nur agiert Jack so bösartig?

Tapp, tapp, tapp – woher kommt der Lärm auf dem Dach

Seltsame Dinge geschehen in dem unheimlichen Haus. Bella beunruhigen nicht nur die Geräusche im nicht betretbaren, abgeschlossenen Dachgeschoss, sondern auch das Gaslicht im Salon, das stets flackert, wenn Jack das Haus verlassen hat. Es tröstet sie, dass Elizabeth die ihr treu ergebene Haushälterin, sich auch schon Gedanken über die flackernden Gaslampen gemacht hat.

Ein Inspektor bittet um Einlass

Als wäre nicht schon alles mysteriös genug, steht eines Morgens ein unbekannter Mann auf der Türschwelle und wünscht mit Mrs. Manningham zu sprechen. Der bereits pensionierte Inspector Rough von Scotland Yard beobachtet die Geschehnisse im Hause Manningham seit geraumer Zeit. Seine detektivische Spürnase ist seit Jahren einem Kapitalverbrechen auf der Spur. Gemäß seiner Recherchen wurde in diesem Haus einst der Mord an einer reichen alten Dame namens Alice Barlow verübt, der Täter jedoch nie ermittelt.

Ein Mann mit zwei Namen

Inspektor Rough vermutet hinter Jack Manningham den Verbrecher Sydney Power, der Mrs. Barlow umbrachte, um in den Besitz ihrer wertvollen Juwelen zu gelangen. Nach dem Mord änderte er seinen Namen und verschwand für eine Weile von der Bildfläche. Er vertuschte seine Tat, indem er in eine bürgerliche Existenz schlüpfte und die arglose Bella heiratete, in deren Haus er den Schmuck vermutete. Um sein Ziel zu erreichen, verwirrte er seine ungeliebte Frau, erfand perfide Lügen über ihren unberechenbaren Geisteszustand und durchsuchte am Abend den Dachboden nach den Schätzen der gemeuchelten alten Dame.

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Inspektor Rough gelingt es endlich, Bella davon zu überzeugen, dass sie mit einem Ungeheuer unter einem Dach lebt, das ihr nach dem Leben trachtet. Es ist ihr Glück, dass Jack alias Sydney trotz aller Bemühungen den Schmuck noch nicht gefunden hat. Wo sind sie nur, die strahlenden Rubine, um derentwillen dieser skrupellose Mann zum Mörder wurde? Als sie sich schließlich anfinden, ist Jack/Sydney schon lange in die vom cleveren Inspektor Rough aufgestellte Falle getappt. Er hat die Dame also völlig umsonst erstochen. Eine alte kriminalistische Weisheit besagt zu Recht: Verbrechen lohnt sich nie.

Bella auf dem Rachefeldzug

Selbst eine schüchterne, gutgläubige Frau wie Bella entwickelt Rachegefühle. Sie will ihren Peiniger für all das, was er ihr angetan hat, bezahlen zu lassen. Und sie tut es auf eine so raffinerte Weise, die selbst einem Mann wie Jack/Sydney das Blut in den Adern erstarren lässt… Mehr wird nicht verraten.

Auch in einem Thriller – ganz gleich wie blutig – muss am Ende die Gerechtigkeit siegen. Nach einem erbitterten Zweikampf zwischen dem Inspektor und Jack/Sydney fallen die Würfel. Der Delinquent wird von den Hütern des „Yard“ in Gewahrsam genommen und abgeführt. Ihm droht der Galgen.

Iustitia praevalet!

Eine grandiose Inszenierung des Psychothrillers von Patrick Hamilton an der Mundsburg. Das English Theatre wählte das Original-Script des Autors für seine neueste Premiere. Bereits 1938 kam das Stück im Londoner Westend auf die Bühne. Der legendäre Film von George Cukor – in Deutschland unter dem Titel „Das Haus der Lady Alquist“ bekannt – folgte erst 1944. Er katapultierte die Hauptdarstellerin Ingrid Bergman von einem Tag zum anderen in die erste Reihe der Hollywood Stars.

Diese Moritat ist stilsicher im viktorianischen London des 19. Jahrhunderts angelegt. Sie thematisiert eindrücklich Manipulation und Missbrauch eines skrupellosen Ehemannes an seiner jungen Frau, die er aus Macht- und Raffgier loswerden will. In jener Epoche dürfte dies kein Einzelfall gewesen sein. Viele Männer betrachteten Ehefrau und Kinder als eine Art Leibeigene, über die sie je nach Gusto verfügen konnten. Das Gesetz war stets auf ihrer Seite, so dass es für die meisten Frauen kein Entrinnen gab.

„Gaslighting“ ist zu einem festen Begriff in unserer Umgangssprache geworden. Er beschreibt eine besonders perfide Art psychischer Manipulation, die einen Menschen in einem Maße desorientiert und verunsichert, dass er seiner eigenen Wahrnehmung nicht mehr vertraut.

Auch Bella Manningham erleidet dieses Schicksal, nachdem Jack ihrer im Ehejoch ganz sicher sein kann. Marie Wilson verkörpert die hilflose, eingeschüchterte Bella fast schmerzhaft überzeugend. Dem breitbeinig auftretenden Kevin Johnson ist der Part des diabolischen Jack Manningham auf den Leib geschrieben und wird großartig ausgespielt bis ans bittere Ende. Ian Bailey als pensionierter Inspektor Rough von Scotland Yard bringt mit seinem Humor und flotten Sprüchen ein wenig Licht in die sinistre Atmosphäre. Er erinnert an einen Westentaschen Sherlock Holmes, der den Geschehnissen im Mörderhaus akribisch auf den Grund geht und schließlich alle Machenschaften aufdeckt. Die Rollen der beiden Domestiken Nancy und Elizabeth sind mit Niamh Deasy und Claire Morissey ebenfalls optimal besetzt.

Fazit: Eine gelungene atmosphärisch dichte Inszenierung von „Gaslight“, die die Zuschauer in die Regierungszeit von Königin Victoria zurückversetzt. In eine Epoche, während der London in der kalten Jahreszeit vom Nebel fast erstickt wurde. Der war so undurchdringlich – im Volksmund treffend „peasoup“ genannt – dass man seine Hand vor Augen kaum erkennen und selbst Schritte in unmittelbarer Nähe nicht hören konnte. Ein ideales Umfeld für Jack the Ripper, der seinerzeit die Gegend um Whitechapel in Angst und Schrecken versetzte.

Der Autor Patrick Hamilton schrieb außer „Gaslight“ noch eine Reihe sehr erfolgreicher weiterer Thriller, die häufig ins Kino gelangten, wie zum Beispiel „Rope,“ der, von Alfred Hitchcock verfilmt, unter dem Titel „Cocktail für eine Leiche“ in die deutschen Kinos kam.

„Gaslight“ läuft bis einschließlich 17. Januar 2026. Tickets unter der Telefonnummer 040-227 70 89 oder online unter www.englishtheatre.de

Nächste Premiere: „Proof“ von David Auburn am 9. Februar 2026

 

Fotos: Stefan Kock

Author: Uta Buhr

Ehrenpräsidentin Die Auswärtige Presse e.V., freie Journalistin, Reise, Wellness, Kultur (Theater, Ausstellungen)