
„Harry, hol schon mal den Wagen!“ ist entgegen einer weitverbreiteten Mär kein einziges Mal in „Derrick“ gesagt worden. Fakt ist hingegen, dass es besagten Harry Klein bereits vor „Derrick“ gab, denn davor war er bereits Assistent von Kommissar Herbert Keller in der ZDF-Serie „Der Kommissar“. In deren Folge 71 wurde Harry 1974 mit einem Sektumtrunk von seinen Kollegen verabschiedet, um fortan – nur wenige Zimmer weiter, wie es hieß – Stephan Derrick zu assistieren.
Mancher Fernsehzuschauer wird sich damals gefragt haben, warum der Harry-Klein-Darsteller Fritz Wepper seine Serienrolle als Assistent des Kommissars Keller in der damals sehr erfolgreichen Krimiserie aufgab, um in einer neuen ZDF-Serie die Assistentenrolle zu übernehmen. Doch Wepper tat gut daran. „Der Kommissar“ endete bereits zwei Jahre später auf Wunsch Odes noch vor dem Erreichen der 100. Folge. An der Seite von Horst Tappert als Derrick konnte Wepper als Harry noch fast ein Vierteljahrhundert ermitteln.
Dabei fing es vor nunmehr einem halben Jahrhundert gar nicht gut an. Dass der Zuschauer von Beginn der Folge an den Täter kannte, kam im Gegensatz zur US-Krimiserie „Columbo“ mit Peter Falk bei der ersten „Derrick“-Staffel nicht gut an. Nach dem Wechsel zum konventionellen Schema mit dem Beginn der zweiten Staffel, bei dem der Zuschauer mitraten konnte, ging es dann bergauf. Die Serie, für die wie beim „Kommissar“ Helmut Ringelmann für die Produktion und Herbert Reinecker für das Drehbuch verantwortlich zeichneten, wurde die meistverkaufte deutsche Fernsehserie.
War „Derrick“ am Anfang ein flotter, aktionsreicher Krimi, so wurde dieser schließlich zum Kammerspiel. Horst Tappert fing augenscheinlich an, statt eines normalen Kriminalbeamten sich selbst zu spielen. Derrick/Tappert bewegte sich fast nur noch in der Oberschicht, trug luxuriöse Armbanduhren von Rolex und IWC sowie modische Brillen. Dabei moralisierte und predigte er theatralisch und melodramatisch Weisheiten über das Verbrechen, den Tod und das Leben wie ein Moralphilosoph oder Geistlicher. Das signifikanteste Beispiel für das Abheben Derricks/Tapperts war 1981 der für einen gewöhnlichen Kriminalbeamten ziemlich unrealistische Wechsel beim Dienstwagen von der Mittel- zur Oberklasse, vom 5er- zum 7er-BMW.
Maßlos wird es dann in der letzten Folge. Der bisherige Oberinspektor soll Vorsitzender der Koordinierungskommission des Europäischen Kriminalamtes werden. Es gibt einen großen Festakt ihm zu Ehren, auf dem neben ihm auch der damals bekannte Regisseur, Manager, Kulturpolitiker und Intendant August Everding spricht. Im Publikum sitzt auch Derricks Kollege Hauptkommissar Leo Kress samt Mitarbeitern aus der ZDF-Krimiserie „Der Alte“. Wie zu Beginn der Geschichte von „Derrick“ kommt es also auch an dessen Schluss damit noch einmal zu einem amüsanten Crossover.
Nicht nur, dass wir seitdem auf neue „Derrick“-Folgen am Freitagabend verzichten müssen. Seit 2016 sind uns nicht einmal mehr Wiederholungen vergönnt – als wenn wir etwas dafürkönnten, dass drei Jahre zuvor Tapperts Zugehörigkeit zur Waffen-SS bekannt geworden war.
(Dieser Beitrag erschien zunächst in der Preußischen Allgemeinen Zeitung)
