Von Hans-Peter Kurr
Ungewöhnlicher Festakt an der Hartungstraße
Ein Chronist – noch zehn Jahre älter – durchstöbert seine Erinnerungskiste
Aus dem Dunst, der über dem zerbombten Deutschland nahezu flächendeckend waberte nach Ende des 2. Weltkrieges , taucht folgende Erinnerung auf : Es waren, durch die Initiative meines Vaters -meine erstenTheaterbesuche nach der Kindermärchenzeit :
13 Jahre erst hatte ich auf diesem „Schulungsplaneten Erde“ zugebracht, als ich am Staatstheater Braunschweig „Hamlet“ und an der Hamburger Hartungstrasse Wolfgang Liebeneiners Inszenierung des Heimkehrer-Stückes „Draussen vor der Tür“ als Wiederaufnahme der Uraufführung aus dem Jahr 1947 sah, das die Neu-Begründerin der Kammerspiele, Ida Ehre, entdeckt und für die Hauptrolle des Beckmann den hochbegabten Hans Quest engagiert hatte. Hans Quest, der im Theater und später in TV- und Filmproduktionen bedeutende Rollen spielte, bis ihn im Alter Probleme des Textlernenes heimsuchten und er darunter dergestalt litt, das er einmal in einem Studio des Hessischen Rundfunks, allwo er in der Inszenierung des Frankfurter Schauspieldirektors Heinrich Koch,dessen Assistent ich nach Schulzeit und Studium geworden war, aus einem Wutanfall gegen sich selber einen Stuhl durch das riesige Atelier schleuderte. Derselbe Hans Quest, der Jahre später mein geliebter Schauspiellehrer wurde, jetzt – in 1950 – war er jung, schlank, agil und stellte die erschütternde Figur des Kriegsheimkehrers Beckmann mit einer Intensität dar, die sogar uns Kriegskindern,die wir an allerhand Ungemach wie Bombenangriffe, Tiefflieger-Angriffe etc. gewohnt waren, das Fürchten lehrte.
Hans Quest , „Mütterchen“ Ehre – wie wir jungen Leute sie später respektvoll nannten – und Wolfgang Liebeneiner, sie bildeten ,zusammen mit dem bereits schwer erkrankten Wolfgang Borchert ( der von seiner Mutter hingebungsvoll gepflegt wurde ) ein künstlerisch hochrangiges Quartett, das zuweilen durch Probenbesuche von Liebeneiners intelligenter und begabter Ehefrau, der Schauspielerin Hilde Krahl und dem damaligen Rowohlt-Lektor Klaus Juncker zu einem Sextett mutierte. Ja, so wurde dieses wichtige Stück seiner Uraufführung zugeführt……vor siebzig Jahren.
Zeitsprung :
Zwei Jahrzehnte später brachte mir und meinem Team meine zweite Profi-Inszenierung als junger Regisseur an Gerda Gmelins „Theater im Zimmer“ mit der Ionesco-Farce „Hunger und Durst“ einen so schönen Erfolg ein, daß „Mütterchens“ Chefdramaturgin Hede Rickert auf uns aufmerksam wurde und mich in den Folgejahren für mehrere Inszenierungen und Episoden – Rollen ( im Theaterjargon „Wurzen“ genannt ) ans Haus an der Hartungstrasse holte.Was mir aus diesen Jahren am deutlichsten in Erinnerung geblieben ist,waren und sind Eigentümlichkeiten in “Mütterchens“ Verhalten ihrem künstlerischen Personal gegenüber.So saß sie zumeist bei den Endproben einer Inszenierung von uns – dazumal fast ausschliesslich Nachwuchs-Regisseuren – in der 9. Zuschauer-Reihe und sog, wenn ihr etwas nicht gefiel, die Luft so heftig ein,daß nicht nur der Inszenator ,eine Reihe vor ihr ,zusammenzuckte, sondern auch mancher Schauspieler auf der Bühne. Nach Beendigung einer solchen Haupt- oder Generalprobe bat sie den jungen Regiegast in ihr Büro,versicherte ihm zunächst, daß sie „gute Gedanken“ für ihn habe und „schmückte“ sodann ihre allfälligen Änderungswünsche mit dem Hinweis ( den sie stets auch wirklich einhielt!):
„Aber sie müssen diese Wünsche nicht erfüllen, wenn sie anderer Meinung sind!“
Eine wahrhaft Grande Dame, auch in diese Hinsicht, die während des Gespräches zuweilen ein Tässchen Mokka anbot und leidenschaftslos erzählte, wie sie, die Jüdin, gemeinsam mit ihrem Arzt-Ehemann sich bereits, aus dem Nazi-Reich flüchtend, auf einem Dampfer befand, der von einem deutschen Schnellboot eingeholt wurde, dessen Besatzung das Ehepaar gefangennahm, sie zurückzubringen nach Deutschland, wo die Eheleute später zu KZ-Haft verurteilt wurden.
Zeitsprung:
Über die in „Mütterchens“ Nachfolge stattfindenden vier Intendanzen, z.B. mit Ursula Lingen oder dem Duo Waller/Tukur ,weist meine Erinnerungskiste nichts auf, weil ich in jener Zeit fast ständig auf Tournee war. Erst mit Beginn der Aera Axel Schneider durfte ich diese ehrwürdige Bühne wieder betreten, zum Beispiel in Michael Bogdanovs Inszenierung der Shakespeare-Epigonal -Adaption „The Dresser“.
Bogdanov, (Brite, genialischer Regisseur, hier in der Hansestadt zunächst bekannt geworden als einer der zahlreichen Nachkriegs-Intendanten des Schauspielhauses an der Kirchenallee) , Bogdanov also ,der Schauspieler liebt, hat denn auch – neben den zwei „Festreden“ unserer Kultursenatorin und des amtierenden Intendanten – einen beträchtlichen Teil beigetragen zum Gelingen der Jubiläumsfeier anlässlich des 70. Bestehens des von Schneider und seinen Mitarbeitern sorgfältig gepflegten Hauses, indem als Überraschung für die geladenen Gäste seine Inszenierung aus dem Jahr 2011 von Theresia Walsers köstlicher, intelligenter und tiefgründiger Komödie „Ein bisschen Ruhe vor dem Sturm“ mit dem so überaus begabten Darsteller -Trio Bause, von Tempelhoff und Bader, die im Theater-ambiente spielt, gezeigt wurde.
Nehmt alles nur in allem:
Ein gelungener und überraschender „Festakt“ aufgrund des 70-jährigen Bestehens der Hamburger Kammerspiele an der Hartungstrasse.
Mögen diesem Juwel in Hamburgs Theaterlandschaft noch viele Jahrzehnte von hoher Wirkkraft beschieden sein.
Das wünscht einer, der dort einmal Anfänger war und in seinen späten Jahren, als „Aufhörer“, gemäss dem berühmten sophokleischen Oedipus- Rätsel bereits auf drei Beinen gehend, ( zuweilen gemeinsam mit dem noch zehn Jahre älteren Kollegen und Freund Eberhard Moebius, der für sich als Gehilfe den Rollator gewählt hat ) so häufig wie möglich im Zuschauerraum sitzt.