Von Johanna Renate Wöhlke
Was ist die Bestimmung einer Eieruhr? Die Frage könnte auch lauten: Was ist der Lebenszweck einer Eieruhr – allerdings setzte das voraus, dass die Eieruhr etwas Lebendiges an sich hat, was im medizinischen Sinne nicht gegeben ist. Aber sie ist doch so lebendig! Wenn der Sand in ihr von oben nach unten fließt und die Körnchen, nein die Körnlein, so rutschen und gleiten, fallen und schweben, dann hat es zumindest den Anschein von Lebendigkeit.
Ich sehe, wie mit den Körnern die Zeit fließt. Sie fließt und fällt und stürzt dahin. Dieser lebendige Eindruck ist bei einer Uhr nicht gegeben, so empfinde ich. Sicher, der Zeiger der Uhr dreht sich und auch bei einer digitalen Uhr schreitet die Zeit mit den wechselnden Ziffern voran. Aber – was ist das alles gegen das Rieseln des Sandes? Nichts ist es gegen das Rieseln des Eieruhrsandes! Er trägt die Zeit in sich, verströmt sie und gibt sie doch nicht frei.
Meine Eieruhr hat darüber hinaus noch eine andere Möglichkeit, mir die Zeit in ihrer schillernden Gestalt zu zeigen. Sie besteht aus zwei Eieruhren. Die eine ist mit feinem weißen Sand gefüllt und der fließt in genau fünf Minuten in das untere Gefäß. Die andere ist mit schwarzem Sand gefüllt, der etwas gröber ist, und der fließt in genau drei Minuten nach unten.
So erlebe ich immer zwei parallele Zeituniversen in Weiß und Schwarz und stehe so manchen Morgen zeitverloren vor meiner Eieruhr und schaue sie an, sehe den Sand rieseln, sehe das Wasser im Topf köcheln und darin die Frühstückseier, sich im Wasser und in der Zeit verwandelnd.
Ich habe die Eieruhr inzwischen ganz fest in meinen morgendlich frühstückstechnischen Ablauf eingeplant, auch sinnentfremdet. Wieso? Ich benutze sie auch dazu, die Backzeit meiner Brötchen zu kontrollieren. Das funktioniert tadellos und bestens. Was meine Küchenuhr dazu sagt, möchten Sie wissen? Ich habe sie nicht gefragt, aber so viel ist sicher: Hätte sie eine Seele und könnte sie sprechen – ich vermute, die Eieruhr und ich kämen nicht gut dabei weg.
Allerdings würde ich meine Küchenuhr beruhigen können. Schließlich koche ich nicht den ganzen Tag über Eier. Die Eieruhr bleibt also in ihrer rieseligen Zeitnische, denn die lange, große, tägliche Lebenszeit, sie wird nicht vom Rhythmus einer Eieruhr bestimmt. Wieder einmal ist es die Vielfalt, die das Leben so schön macht. Ist das nicht eine wunderbare Erkenntnis am Morgen, in der Küche, beim Eierkochen und Zeitmessen? Sie nennen das Küchenphilosophie? Meinetwegen, ich habe nichts dagegen!
Foto: Wöhlke